Festrede beim Senatsempfang im Hamburger Rathaus am 8. März 2013
Her mit der ganzen Wirklichkeit! Warum haben Frauen keinen Platz im öffentlichen Gedächtnis?
Sehr geehrte Frau Senatorin Schiedek, sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Bürgerschaft Artus, sehr geehrte Damen und Herren,
Was steckt bloß dahinter, dass beim Thema öffentliches Erinnern an Frauen meistens die Löschtaste gedrückt wird, denn dies steht doch ganz im Gegensatz zum Umgang mit bedeutenden männlichen Persönlichkeiten, deren Verdienste wie selbstverständlich gewürdigt werden und deren Andenken bewahrt wird.
Ein wesentlicher Grund für das Ausblenden der Frauen aus dem öffentlichen Gedächtnis heißt: Machtinteresse, denn was Platz bekommt im öffentlichen Gedächtnis, hängt im Wesentlichen von den „gesellschaftlich legitimierten, offiziellen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern“ 1) ab, und diese sind nun mal eng verbunden mit der Legitimation von Machtansprüchen. Dabei ist unsere heutige Erinnerungskultur noch immer durch das patriarchale Geschlechtermodell gekennzeichnet und somit an einem männlich dominierten Gesellschaftsmodell orientiert. Frauen als agierende Subjekte passen dort nicht hinein.
Woher nur diese Einstellung? Es war seit Jahrtausenden in patriarchalen Gesellschaftssystemen stets die Sache der Männer, im Außerhäuslichen, im Offiziellen, im Öffentlichen zu agieren. Die Frauen hingegen standen auf der Seite des Innerhäuslichen, des Privaten. Sie verrichteten die unsichtbaren Arbeiten, wie die Pflege der Kinder und der Tiere oder im Außerhäuslichen Tätigkeiten, die meist als Zuarbeit zur Arbeit des Mannes galt. All diese Frauenarbeiten wurden von der männlich dominierten Öffentlichkeit als niedrig und minderwertig bewertet, ganz im Sinne des Ausrufs eines Mannes des 18. Jahrhunderts: „Ein Kerl haut lieber eine halbe Stunde lang Holz, als dass er das Haus ausfegt.“
Diese absurde Einteilung der Welt in wichtige Männer- und unwichtige Frauentätigkeiten ist ein wesentlicher Grund, warum die Leistungen von Frauen marginalisiert werden und somit scheinbar kein Anrecht haben, im öffentlichen Gedächtnis verankert zu werden. Die Folge daraus ist eine nicht „angemessene Repräsentation von Frauen in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft“ , denn die Repräsentation von Frauen auf diesen Gebieten hängt nun mal: „von der Erinnerung an Frauen als Akteurinnen und Interpretinnen der Geschichte ab“ 1) Auf den Punkt gebracht heißt das: Wenn Frauen keinen Platz im öffentlichen Gedächtnis erhalten, man sich nicht an die Leistungen von Frauen erinnert, dann nimmt man die Frauen und deren Handeln auch in der realen Wirklichkeit nicht war, dann wird ihr Wirken und Schaffen missachtet, damit die Diskriminierung von Frauen fortgeschrieben, und für die Zukunft empfindet man all das, was Frauen leisten als unbedeutend. Die Folgen sind: falsche Interpretationen gesellschaftspolitischer Gegebenheiten und Entwicklungen sowie die Darstellung nur der halben Wirklichkeit. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass sich unter den wichtigsten 50 Hamburgern, so ein Artikel der Hamburger Morgenpost vom letzten Sonntag, nur 9 Frauen befinden.
Es geht also nicht um verletzte Eitelkeiten, wenn Frauen auch für sich einen Platz im Öffentlichen Gedächtnis einfordern. Der Kern des öffentlichen Gedächtnisses sollte das Erinnern für die Zukunft sein, für eine Zukunft der Menschheit, in der der Begriff Geschlechterdemokratie zur gelebten Wirklichkeit wird. Deshalb: „Her mit der ganzen Wirklichkeit!“ Wie soll das aber geschehen? Die Geschichte der Frauen zeigt uns auf, dass man auch anders wahrnehmen und denken kann als in gesellschaftspolitisch sanktionierten patriarchalen Denkmustern. Mit dieser anderen Wahrnehmung, mit dieser Bewusstseinsentwicklung hin zu einer geschlechterdemokratischen Lebensform, werden sowohl Männer als auch Frauen angeregt, Distanz zur eigenen Selbstverständlichkeit zu gewinnen. Auf diese Weise wird man nicht nur sich selbst besser verstehen, sondern auch neue Wege und Handlungsmuster für sich und im gesellschaftspolitischen Umfeld entdecken und beschreiten. Dass dies notwendig ist, beweisen uns zum Beispiel nicht nur die neuesten Debatten über Sexismus, Nach wie vor gibt es z. B. immer noch Arbeitsfelder, in denen Männer kaum arbeiten, weil die Arbeit dort traditionell als so genannte Frauenarbeit und damit als weniger wert gilt und deshalb auch entsprechend geringer entlohnt wird.
Sehen wir aber mit einem geschlechtergerechten Blick auf die Leistungen von Frauen, werden wir feststellen, dass Frauen in den ihnen traditionell zugestandenen Bereichen ebenso gesellschaftspolitisch Notwendiges leisteten und leisten wie Männer auf ihren Gebieten. Tja, hätte es z. B. keine Marktfrauen gegeben, die für die Grundversorgung der Bevölkerung zuständig waren, dann hätten der Großkaufmann, der Banker oder Bürgermeister mit knurrenden Mägen ihren Geschäften nachgehen müssen. Ob diese Entscheidungsträger in diesem Zustand gute Geschäfte abgewickelt, bzw. inhaltsreiche Entscheidungen getroffen hätten, mag ich bezweifeln. Deshalb sollte – um nur ein kleines Beispiel aus dem großen Fundus des öffentlichen Gedächtnisses zu nehmen – auch der stark restaurierungsbedürftige Vierländerinnenbrunnen auf dem Hopfenmarkt, als eines der wenigen Denkmäler in Hamburg, die reale Frauenerwerbsarbeit sichtbar machen, erhalten bleiben.
Und noch ein Beispiel für einen geschlechtergerechten Blick auf die Gesellschaft: Geht man davon aus, und ich meine, das können wir, dass die Arbeit einer Hebamme von genauso bedeutender Relevanz für den Fortbestand der menschlichen Gesellschaft war und ist wie zum Beispiel die Tätigkeit eines Ortsamtsleiters oder Gemeindevorstehers, zumal, wenn man bedenkt, dass diese zukünftigen Würdenträger vielleicht gar nicht das Licht der Welt erblickt hätten, wenn die Hebamme sie nicht mit geschickten Händen aus dem Geburtskanal gezogen hätte, dann müssten doch im öffentlichen Gedächtnis die Namen von Hebammen, die in ihrem Beruf Herausragendes geleistet haben, genauso verankert sein, wie die Namen der eben genannten Amtsträger. Es gibt aber gerade mal nur eine Straße in Hamburg, die nach einer Hebamme benannt ist – seit 1984 ist das der Gertrud-Werner-Weg in Hamburg Bergedorf – dagegen viele Straßen, die die Namen von Ortsamtsleitern und Gemeindevorstehern tragen.
Ein öffentliches Gedächtnis, in dem auch Frauen Platz finden, die in so genannten typischen Frauenberufen gearbeitet und dort Herausragendes geleistet haben, kann bewusstseinsverändernd im Hinblick auf die heutige Bewertung von Frauen- und Männerleistung wirken und damit z. B. die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche und besonders auch für gleichwertige Arbeit nachhaltig unterstützen. Denn die traditionelle Geringschätzung und -bewertung so genannter Frauenarbeiten war und ist nicht nur die Ursache, warum Frauen, die solche Tätigkeiten ausüben im öffentlichen Gedächtnis kaum einen Platz finden, sondern auch der Grund, warum solche so genannten Frauenarbeiten geringer entlohnt wurden und werden als gleichwertige so genannte Männerarbeiten – und das selbst dann, wenn Frauen dieselbe Schulbildung und dieselbe Ausbildungsdauer nachweisen können.
Frauen wurden aber nicht nur Jahrtausende lang bestimmte Arbeitsbereiche zugewiesen und diese gering bewertet und entlohnt, Frauen wurden auch aus bestimmten Berufsbereichen ausgeschlossen, die nur Männern vorbehalten wurden. Diese wurden gesellschaftlich hoch bewertet, so dass Männer aus diesen Berufszweigen im öffentlichen Gedächtnis ihren festen Platz bekamen. Das zeigt sich z. B. bei der Benennung von Straßen nach Personen. So wurde eine große Anzahl von Straßen nach Mitgliedern des Senats, der Kirchspielverwaltungen, der Deputationen, der Bürgerschaft, nach Kaufherren, Wissenschaftlern, Architekten, Ingenieuren und Männern der Verwaltung benannt. Auf diesen Gebieten waren Frauen lange Zeit nicht tätig bzw. nicht zugelassen, und deshalb fanden Frauen hier keine Berücksichtigung. So kommt es dann auch, dass in Hamburg ca. 2000 Straßen nach Männern und nur rund 330 Straßen nach Frauen benannt sind. Das bedeutet: gerade mal ca. zwölf Prozent der nach Personen benannten Straßen sind nach Frauen benannt und mitbenannt. In diesen zwölf Prozent sind auch diejenigen Frauen mit inbegriffen, die Fabelwesen, Märchenfiguren oder literarische Gestalten sind. Da gibt es z. B. die Hexentwiete und den Hexenberg. Den Meister der Hexen, den Teufel, suchen wir allerdings vergeblich. In diesem Falle wurde wohl angesichts des schlechten Images, das der Teufel hat, auf die öffentliche Ehrung seiner dominanten Herrschaftsrolle unter den Geistern verzichtet.
Doch selbst wenn Frauen auf denselben Gebieten wichtiges leisteten wie Männer, bleiben sie nicht in demselben Maße in der öffentlichen Erinnerung. So sind z. B. die Frauen der ersten Stunde nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer zu wenig im öffentlichen Gedächtnis verankert. Ohne sie –, um nur einige wenige zu nennen: Magda Langhans, Gertrud Lockmann, Lieselotte Kruglewsky-Anders oder Margarethe Gröwel, die sich ebenso wie Männer in Politik und Gesellschaft für den Wiederaufbau Hamburgs stark gemacht haben, wären die Ernährungslage, das Gesundheitswesen, die Sozialfürsorge und der Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so vorangekommen. Was wäre also ... wenn gewesen, wenn sich damals die Frauen nicht so vehement für eine bessere Versorgung Hamburgs eingesetzt hätten? Wo wäre Hamburg dann? Vielleicht schon längst ausgestorben.....?
Dass Frauen auch dann, wenn sie in den selben Sparten tätig waren wie Männer und dort ebenso Herausragendes geleistet haben, nicht ebenso gebührend im öffentlichen Gedächtnis einen Platz finden, hat seine Ursachen in den von mir bereits beschriebenen Machtinteressen und Machtansprüchen und der damit einhergehenden Marginalisierung von Frauenleistung. Das zeigt sich besonders schön auch bei der Benennung von Straßen nach Männern, deren weibliche Verwandte ebenso – oft auch im selben Bereich – wichtiges geleistet haben.
Um nur ein Beispiel zu nennen. So wurde 1958 eine Straße nach dem im 18. Jahrhundert gelebten Astronomen William Herschel benannt. Aber auch seine Schwester Caroline Herschel, die ihrem Bruder neben ihrer wissenschaftlich en Tätigkeit auch noch den Haushalt führte, war eine ebenso bedeutende Astronomin. Neider nannten sie auch „die Kometenjägerin.“ Da beide denselben Nachnamen trugen, hätte die im Hamburger Stadtteil Rahlstedt liegende Straße auch nach ihr mitbenannt werden können. Doch leider blieb der Blick der Verantwortlichen damals nur bei Herrn Herschel hängen. Und solch eine getrübte Wahrnehmung vollzog sich noch mehrmals bei Benennungen von Straßen nach den Nachnamen bedeutender Männer, deren Ehefrauen, Töchter oder andere weibliche Verwandte mit demselben Nachnamen ebenso bedeutend waren.
Als ich 2001 Hamburgs Straßennamen durchforstete, stieß ich auf 14 solcher Fälle. Der Senat nahm damals den Vorschlag nach nachträglicher Benennung dieser Straßen auch nach den berühmten weiblichen Verwandten auf und setzte ihn um. So heißt – um nur ein Beispiel zu nennen – die „Schumannstraße“ nicht mehr nur nach dem Komponisten und Pianisten Robert Schumann, sondern auch nach dessen Ehefrau, der Komponistin und Pianistin Clara Schumann. Mittlerweile bin ich auf weitere Straßennamen gestoßen. Hier könnten wir ähnlich vorgehen.
Mit dem anderen Blick im Sinne von Geschlechterdemokratie müssen wir auch die Stätten betrachten, die für das öffentliche Gedächtnis eine wichtige Rolle spielen. So bieten die Museen und Kunsthallen vielfältige Gelegenheiten, bewusstseinsbildend im Sinne des Gleichberechtigungsartikels des Grundgesetzes zu wirken. Es ist allerdings auffällig, dass das Wirken und Leben von Frauen in früheren Jahrhunderten und deren museale Präsentation nicht ebenso gleichwertig berücksichtigt werden, wie das Wirken, Schaffen und Leben von Männern in früheren Epochen. Noch gibt es z. B. Abteilungen, die sich einer bestimmten Sparte widmen, wie z. B. der Kunst oder dem Bildungswesen und in denen auf den Texttafeln nur von den Künstlern gesprochen und der Bildungsweg der Mädchen gar nicht erwähnt, geschweige denn darauf hingewiesen wird, warum denn Frauen in den dargestellten Bildungsinstituten nicht vorkommen. Auch die Frauenbewegung, ob nun die alte oder die neue, sind anscheinend kein Thema.
Oder widmen wir uns den vielen Portraits, die in den Museen hängen und auf denen Männer abgebildet sind. Wie wäre es, wenn im Erläuterungstext zu solchen Bildern auch auf die Rolle des Mannes als Ehemann und Vater hingewiesen und der Name seiner Ehefrau genannt würde? Vielfach waren die Ehefrauen solcher bedeutenden Männer auf dem Gebiet der Wohltätigkeit aktiv oder auch Kunst- und Kulturmäzeninnen. Es muss ja nicht unter dem Portrait solch eines Mannes stehen: „Vater von 5 Kindern, regelmäßiger Prostituiertenbesuch, knausrig mit Haushaltsgeld, züchtigt gelegentlich seine Ehefrau.“ Über so etwas geben die Quellen leider kaum Auskunft.
Dennoch, mittels zusätzlicher Beschriftungen bzw. Satzergänzungen an den ausgestellten Exponaten kann auf kostengünstige Art und Weise und auch ohne viel Aufwand der geschlechtergerechte Blick in die Museen geholt werden. Mit solchen zusätzlichen Beschriftungen mit Bezug zur Lebens- und Arbeitswelt von Frauen wird dabei auch eine Auseinandersetzung angeregt über die Fixierung und Auflösung dominant männlicher Deutungen. Denn selbst dort, wo überhaupt nicht von Menschen die Rede ist – und das ist ja häufig in den Museen der Fall –, wird doch durch die Auswahl der zu präsentierenden Exponate das Hauptaugenmerk auf männlich bestimmte Lebensmuster gelegt.
Vergessen wir aber nicht: Hinter einem Schiffsmodell sind nicht nur die Kapitäne und Matrosen, sondern auch die Seemannsfrauen zu sehen, hinter jedem Exponat aus Kaufmannshäusern, Handwerksbetrieben stehen Kaufmanns- und Handwerkertöchter und -frauen, die z. B. im Handwerksbetrieb mitgearbeitet haben.
Ein geschlechtergerechter Blick in die Magazine einer Kunsthalle oder eines Museums bringen wahrscheinlich noch weitere Schätze von Frauenschaffen zu Tage. Denn, so die Historikerinnen Sylvia Paletschek und Sylvia Schraut: „wer nach Geschlecht fragt, findet auch Geschlecht. Wer allerdings das männliche Geschlecht als das allein Agierende betrachtet, für den ist das andere Geschlecht als Agierende nicht erkennbar.“ 2)
Auch die Archive spielen für das öffentliche Gedächtnis eine wichtige Rolle. Da jedoch Frauen zu Lebzeiten häufig nicht die ihr zustehende Öffentlichkeit hatten – siehe als jüngstes Beispiel den von mir erwähnten Morgenpostartikel – finden auch ihre Nachlässe oft nicht „Eingang“ in die Archive. So haben viele Familien nicht den Mut, den Nachlass ihrer Angehörigen in ein Archiv zu geben, weil sie die Aktivitäten ihrer weiblichen Verwandten nicht für relevant halten. Oft hat auch die offizielle Öffentlichkeit zu wenig Notiz vom Wirken der Verstorbenen genommen, so dass dadurch die Wichtigkeit dieser Person nicht angemessen erkannt wurde. Solche Fragen der Tradierung entscheiden häufig mehr über den Bekanntheitsgrad und die Bedeutung einer Person und damit über ihren Platz im öffentlichen Gedächtnis, als deren eigene Handlungen und Leistungen zu Lebzeiten.
Es liegt aber auch an uns, das öffentliche Gedächtnis mit Frauen zu bereichern, indem wir die Nachlässe von Frauen in die Archive geben, aber auch, indem wir Frauen für eine öffentliche Ehrung vorschlagen. So bekommen in der Regel immer noch weniger Frauen als Männer zum Beispiel die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes verliehen, mit der Menschen ausgezeichnet werden, die mindestens 25 Jahre ehrenamtlich tätig sind oder durch hervorragende Arbeiten sich um das Gemeinwohl verdient gemacht haben. Solch eine Medaille bekommen z. B. Schöffen, Schleusenwärter, Männer der freiwilligen Feuerwehr, Jugendleiter in Sportvereinen – um nur einige Beispiele zu nennen. Doch rauen sind dabei seltener vertreten, obwohl doch gerade sie sich, entsprechend des weiblichen Rollenbildes, auf dem Gebiet der Wohltätigkeit, des Helfens und Kümmerns um andere tummeln. Die von mir in diesem Vortrag beschriebenen Gründe für das Ausblenden von Frauen aus dem Öffentlichen Gedächtnis greifen auch hier. Frauen leisten im Ehrenamt oft das, was Frauen traditionell seit eh und je für die Familie taten und tun. Frauen stehen z.B. im Ehrenamt an der Gulaschkanone, schmieren für Einsätze Brote, leisten also auch hier so genannte hausfrauliche Tätigkeit, die traditionell gering bewertet wird. Sie helfen der kranken Nachbarin, helfen der kinderreichen Familie von Nebenan und leisten in vielfältiger Weise Nachbarschaftshilfe – und machen davon kein großes Gewese. Frauen agieren häufig gemäß der tradierten Geschlechtsrollenmuster immer noch oft im Hintergrund. Und so denkt man auch kaum an sie, wenn es um die Vergabe von Ehrungen geht, bzw., Mann mit Doppel NN – vermutet oftmals sogar, dass Frauen viel zu bescheiden seien, um eine Ehrung anzunehmen, und dann sollte man sie damit doch auch nicht belasten. Doch um auf dem Gebiet der Ehrungen geschlechtergerechte Tatsachen zu schaffen, können Frauen sich selbst helfen, indem sie aus Ihren Kreisen Frauen für eine Ehrung melden.
Bewusstseinsverändernd in Richtung Geschlechterdemokratie zu wirken, bedeutet allerdings, einen langen Atem zu haben. Wie langsam sich entsprechende bewusstseinsverändernde Prozesse entwickeln und was Gesetze hierbei ausrichten bzw. auch anrichten können, soll Ihnen am Schluss meines Vortrages in einer szenischen Darbietung präsentiert werden. Dazu begeben wir uns ins 17. Jahrhundert. 1603 wurde im Hamburger Rathaus das Hamburger Stadtrecht verabschiedet. Darin wurde u. a. festgeschrieben: „alle Frauen und Jungfrauen sind unmündig zu halten und haben unter männlicher Vormundschaft zu stehen.“ Dieser Satz hatte gut 300 Jahre bis zum Erscheinen des Bürgerlichen Gesetzbuches um 1900 gesetzliche Gültigkeit. Heute ist die juristische Gleichberechtigung schon weit vollzogen, nun braucht es aber verstärkt bewusstseinsverändernde Maßnahmen. Die Öffentliche Erinnerung an Frauen ist eine solche.
1.) Britta Voß: Das „ewig Weibliche“ der Erinnerungen – Gedenkkulturen und Geschlecht. Rezension über das Buch: Paletschek, Sylvia/Schraut, Sylvia; Hrsg.: The Gender of Memory, Cultures of Remembrance in Nineteenth- and Twentieth-Century Europe. Frankfurt/M. 2008, in: Freiburger Geschlechter Studien 22, S. 430.
2.) Schraut Sylvia/Paletschek, Sylvia: Erinnerung und Geschlecht. Auf der Suche nach einer transnationalen Erinnerungskultur in Europa. In: Themenportal Europäische Geschichte, 2009. URL: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=420. 1.3.2013.
Szene
Auftretenden: Beate Kiupel: Handwerkerfrau
Thomas Karallus: Pastor
Pastor:
Sei gegrüßt meine Tochter. Ich habe Dich heute in der Morgenandacht vermisst. Bist Du und Dein Mann, der fleißige Handwerkermeister Hülsemann, wohlauf?
Handwerkerfrau:
Danke der Nachfrage. Mein Mann ist gesundheitlich auf der Höhe. Doch mich plagte heute Morgen ein sehr schmerzhaftes Leiden. Das hat mich daran gehindert, zur Andacht zu kommen. Ich konnte gerade noch wie jeden Morgen um vier Uhr morgens aufstehen und dem Gesinde das Morgenmahl zubereiten. Doch dann waren die Schmerzen in den Gelenken zu groß. Alles was ich anfasste, fiel mir aus den Händen. Dabei muss ich gerade heute schwere und geschickte Verkaufsverhandlungen führen. Deshalb habe ich mir auch soeben in der Kirche Kraft dazu geholt.
Pastor:
Das war recht getan, meine Tochter. Darf ich fragen, um welche Verhandlungen es sich handelt?
Handwerkerfrau:
Herr von Borgesch ist in Hamburg und will eine große Partie Zinn und Blei verkaufen. Davon braucht unsere Zinngießerei wieder eine große Menge.
Pastor:
Ich bin ganz zuversichtlich, dass Du, meine Tochter, eine geschickte Verhandlung führen wirst.
Handwerkerfrau:
Danke für die Zuversicht. Mit dem Verkauf der Handwerksprodukte und dem Ankauf von Zinn und Blei für unsere Zinngießerei habe ich in den letzten Jahrzehnten so viel Erfolg gehabt, dass wir uns ein kleines Vermögen erwirtschaftet haben.
Ich will nicht undankbar sein. Und deshalb habe ich einen nicht unerheblichen Teil des Familienvermögens testamentarisch für Studierende der Theologie verfügt.
Pastor:
Dafür ist Euch großer Dank geschuldet.
Handwerkerfrau:
Nicht der Rede wert. Aber das kann sich bald ändern.
Pastor:
Wie???? Wollt Ihr nicht mehr so viel spenden. (hebt drohend den Zeigefinger)
Denkt an Euer Seelenheil.
Handwerkerfrau:
Das tu ich ja. Aber, wisst Ihr denn nicht, dass der Hamburger Rat beschlossen hat, das Hamburger Stadtrecht zu verschärfen? Das bedeutet, nun geht die Frau bei ihrer Heirat aus der Vormundschaft des Vaters in die ihres Ehemannes über. Gleichzeitig kommt auch noch ihr Vermögen unter die Verwaltung ihres Ehemannes. Und hat sie dann dennoch Geschäfte zu tätigen, z. b., wenn ihr Ehemann krank oder abwesend ist, dann muss sie stets einen Vormund dabei haben.
Pastor:
Na und??? Ist doch völlig normal. Schon Thomas von Aquin, der im 13. Jahrhundert lebte, sagte: „Das männliche Geschlecht ist edler als das weibliche“. Von daher ist es doch nur eine logische Konsequenz, wenn der Mann in edler Absicht das Vermögen der Frau verwaltet und darüber bestimmt.
Der Rat der Stadt hat mit der Verschärfung des Stadtrechtes absolut recht gehandelt. Auch wir in der Kirche haben eine klare Position. Sie ist unter anderem auf Paulus begründet, der da sagte: „Die Frau schweige in der Kirche.“ Deshalb spricht die Kirche den Frauen sowohl das Recht als auch die Fähigkeit ab, tätigen Anteil an der Gestaltung des kirchlichen Lebens zu nehmen.
Handwerkerfrau:
Aha, daher weht der Wind. Ihr gebt also dem Rat Recht. Was meint Ihr aber, wie würde sich ein Kaufmann fühlen, wenn er bei all seinen kaufmännischen Verhandlungen einen Vormund mitnehmen müsste? Damit wäre er doch seinem Verhandlungspartner gegenüber von vornherein nicht ebenbürtig. Was hat sich der Rat der Stadt nur dabei gedacht?
Ängstigt ihn die Tatsache, dass ohne uns Frauen ein Handwerksbetrieb gar nicht laufen würde? Wir Handwerkerfrauen und -witwen übernehmen den Verkauf der hergestellten Waren sowie den Ankauf von Rohmaterialien, beaufsichtigen das Gesinde, führen den Haushalt und das Buch und ziehen die Kinder groß. Macht dem Rat vielleicht unsere Tüchtigkeit Sorgen? Bangen er, der ja auch nur aus Männern bzw. Ehemännern zusammengesetzt ist, und all die anderen Männer der Stadt um ihre selbst aufgestellte gesellschaftliche Rangordnung, in der die Männer an der Spitze stehen und wir Frauen unter ihnen?
Pastor:
Nun mal Schluss. Es steht Euch nicht an, Euch mit uns zu messen und so mit uns zu sprechen. Wir sind die Herren und das edlere Geschlecht.
(Gönnerhaft Aber wir wollen der Frau ja nicht das Menschsein absprechen. Selbstverständlich gehören Mann und Frau in gleicher Weise der Gattung Mensch an. Dennoch steht die Frau, obwohl grundsätzlich auch Mensch, eine Stufe unter dem Manne. Das belegt der 1. Korintherbrief, den Paulus schrieb. Hier heißt es: „Das Haupt jedes Mannes ist Christus, das Haupt aber der Frau ist der Mann.“ Und in Genesis 2 steht: „Die Frau ist vom Manne genommen und nicht umgekehrt. Die Frau wurde dem Manne zur Gehilfin geschaffen, zur Ergänzung, aber nicht umgekehrt.“
Handwerkerfrau:
Verzeiht, dass ich Euch widerspreche. Ich habe erfahren, dass es in der Bibel auch Stellen gibt, die etwas anders sagen, als das was Ihr – die Kirche – über die Aufgabe der Frauen uns predigt.
Pastor: (erschrocken erstaunt)
Von wem wisst Ihr das?
Handwerkerfrau:
Das bleibt mein Geheimnis. Ich habe gehört, dass die Kirche sich in ihren Anfangsgründen in besonderer Weise als Gemeinschaft verstanden hat, in der Frauen und Männer in gleicher Weise berufen sind und gleichberechtigt zusammenwirken. Und so heißt es denn auch in einem urchristlichen Tauftext, den Paulus in seinem Brief an die Gemeinden in Galatien zitiert: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau, denn Ihr alle seid einer in Christus Jesus.“
Pastor: (herablassend)
Da gibt es eben unterschiedliche Interpretationen zu dem, was Paulus alles gesagt hat. Das ist aber hohe Theologie und nur uns studierten Männern vorbehalten.
Handwerkerfrau: (ganz bestimmend, entschieden)
Herr Pastor, lasst man gut sein. Ich weiß, wovon ich rede. Ihr kennt doch sicherlich auch die beiden Ordensfrauen Caterina von Sienna und Theresa von Avila?
Pastor: (macht eine wegwerfende Bewegung)
Ach, diese beiden Kirchenlehrerinnen.
Handwerkerfrau:
Ja, diese beiden Kirchenlehrerinnen. Sie erhoben innerhalb der Kirche ihre Stimme und setzten sich für die geistige und geistliche Ebenbürtigkeit der Frau ein.
Pastor:
Das sind nur vereinzelte Stimmen. Solche Frauen gibt es immer wieder, die das Dogma von der Minderwertigkeit der Frau hinterfragen. Aber wir sorgen schon dafür, dass diese Frauen nicht in Erinnerung bleiben. Schließlich bestimmen wir Herren Theologen, über wen wir predigen und der Rat der Stadt, für wen ein Denkmal gesetzt wird und die Herren Geschichtsprofessoren, wer in den Annalen der Geschichte Eingang findet. Also, von solchen Stimmen wird keine Massenbewegung entstehen. Dafür sorgen schließlich auch unsere Gesetze und Verordnungen.
Handwerkerfrau:
Wie man mir geweissagt hat, ((holt einen Zettel aus ihrem Korb)
Da steht‘s: sollen in 355 Jahren, also im Jahre 1957 rosa Zeiten für uns Frauen anbrechen. Denn dann soll in der Ehe die Zugewinngemeinschaft eingeführt werden. Damit haben die Eheleute eine gleichberechtigte Teilhabe an dem in der Ehe erwirtschafteten Vermögen. Auch darf dann der Ehemann nicht mehr den Wohnsitz seiner Frau allein bestimmen und auch nicht mehr eigenmächtig ein von der Frau eingegangenes Dienstverhältnis kündigen. Und die Frau kann den Haushalt nun mit eigener Verantwortung führen. Sie darf also Geschäfte, die innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises liegen, mit Wirkung für den Mann besorgen. Sie bekommt die Schlüsselgewalt für den Haushalt.
Pastor:
Ja, ja, von dieser Weissagung habe ich auch gehört. Aber ich habe auch gehört, dass selbst 1957 diese Schlüsselgewalt vom Ehemann eingeschränkt werden.
Handwerkerfrau:
Was soll sich aber 1976, also in 374 Jahren ändern. Dann sollen beide die Schlüsselgewalt gleichermaßen ausüben dürfen. Und ab dann wird das Gesetz keine geschlechtsspezifische Aufgabenteilung mehr für die Ehe vorschreiben: sie im Haus, er draußen im Kontor. Das ist dann das Ende der Hausfrauenehe.
Pastor: (spöttisch)
Tja, Ihr werdet das nicht mehr erleben. Und glaubt bloß nicht, dass Gesetze allein zu einem Umdenken führen werden.
Handwerkerfrau:
Aber, Recht und Gesetz….
Pastor:
Ist das eine. Und das Bewusstsein, die Tradition das andere hartnäckige Element. Ich bin da ganz zuversichtlich.
- Autor: Dr. Rita Bake