Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Maria (Marja) Hülsemann Maria (Marja) Hülsemann, geb. Wiechmann

(1581 Hamburg – 1666 Hamburg)
Frauen in Zünften, Handwerkerehefrau, Handwerkerin, Handwerkerfrau und Stifterin
Rödingsmarkt 5


Ausschnitt aus dem Szenischen Rundgang: "Von machtvollen Frauen und weiblichen Körpern - Ein Rundgang durch das Hamburger Rathaus", (Sprecherinnen: Rita Bake, Herma Koehn)

Maria Hülsemann war die Tochter eines Zinngießerehepaares und hatte in ihrer Jugend sechs Jahre als geringe Dienstmagd bei einem Brauer am Rödingsmarkt Nr. 5 gearbeitet. Mit 21 Jahren heiratete sie den unvermögenden Zinngießer Harmen Hülsemann, mit dem sie elf Kinder bekam. Sechs davon starben im Kindesalter. Nachdem ihr Mann im Alter von 50 Jahren gestorben war, verheiratete sich Maria Hülsemann nach eineinhalbjähriger Witwenschaft mit ihrem Gesellen Peter Heineke.

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Wandfries im Treppenhaus der Hamburgischen Bürgerschaft des Hamburger Rathauses, Bild: Ulli Niebel

Nach den Statuten des Zinngießeramtes durfte sie als Witwe den Betrieb ihres verstorbenen Mannes nicht länger als ein Jahr nach dessen Tod selbständig weiter betreiben. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten und damit ihre Existenz zu sichern, musste sich Maria Hülsemann deshalb mit einem Zinngießer verehelichen.

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Hamburger Handwerkerfrau um 1560. Quelle: Museum für Hamburgische Geschichte

Die rechtlichen Bestimmungen der Handwerkszünfte waren für Frauen sehr ungünstig. Nur achtzehn der 58 noch bekannten spätmittelalterlichen Ämter erlaubten den Meisterwitwen, den Betrieb ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen, und dies auch nur mit Einschränkungen. Wenn ein minderjähriger Sohn im Hause war, durfte die Witwe dem Betrieb bis zur Volljährigkeit des Sohnes vorstehen. Gab es keine Söhne, musste die Witwe des Meisters binnen eines Jahres nach dem Tod ihres Mannes einen Gesellen desselben Amtes heiraten. Lediglich in der Zeit bis zur Heirat war es der Witwe erlaubt, den Betrieb zu leiten. Nur wenige Ämter gaben der Meisterwitwe ihre Zustimmung, das Amt mit Hilfe eines Meisterknechtes oder Gesellen weiterzuführen. Meisterinnen waren also die Ausnahme, ihre Funktion galt als Notlösung und wurde zwar als solche akzeptiert, nicht aber als gesellschaftlicher Regelfall.

Ausschnitt aus dem szenischen Rundgang zu den drei Hauptkirchen, Sprecherinnen: Betae Kiupel, Thomas Karallus und Dieter Schmitt

Maria Hülsemanns Wahl fiel auf den im Hülsemannschen Handwerksbetrieb beschäftigten Gesellen Peter Heineke. Das Paar war dreißig Jahre verheiratet gewesen, als Maria Hülsemann 1662 abermals Witwe wurde. In ihrer Ehezeit hatte Maria Hülsemann als mithelfendes Familienmitglied im Handwerksbetrieb ihres Mannes gearbeitet. Der Tag begann für sie morgens um vier Uhr.

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Szenenbild aus dem szenischen Rundgang zu den drei Hauptkirchen (v. l. Thomas Karallus, Dieter Schmitt, Beate Kiupel)

Nachdem sie dem Gesinde die zu verrichtenden Arbeiten zugewiesen hatte, hielt sie ihre Betstunde ab und ging danach zur Frühpredigt in die nahegelegene Kirche. Gestärkt durch Gottes Wort bereitete sie zu Hause für das Gesinde das Frühstück vor und begann dann mit ihrer Arbeit im Handwerksbetrieb. Sie kaufte und verkaufte Zinn und Blei mit solch großem Erfolg, dass sich im Lauf der Jahrzehnte ein beachtliches Vermögen anhäufte, wovon Maria Hülsemann einen Teil testamentarisch für Studierende der Theologie verfügte.
Die Arbeit der Frauen als helfendes Familienmitglied im Handwerksbetrieb des Mannes war gängige Praxis, auch wenn in 40 der 58 von dem Historiker Otto Rüdiger edierten Hamburger Zunftrollen im Gewerbe arbeitende Frauen nicht genannt werden. Frauen als mithelfende Familienmitglieder waren eben nicht der Rede wert. Lediglich bei der Darstellung der sozialen Aktivitäten der Ämter wurden die Frauen erwähnt. Sie nahmen teil am geselligen und religiösen Leben, erhielten bei Heirat bestimmte Vergünstigungen, und zünftige Regelungen sicherten die materielle Versorgung der Witwen.
Die Entwicklung der selbständigen zünftigen Tätigkeit war im Spätmittelalter von der Konjunkturlage abhängig. Zu Zeiten von Hochkonjunkturen hatten es Frauen leichter, einen Zugang zum Handwerk zu bekommen. Sobald es aber wirtschaftlich bergab ging, waren sie die ersten, die ihr Gewerbe nicht mehr ausüben durften.
In Hamburg gab es aber nur ein zünftiges Gewerbe, in dem Frauen unabhängig von einem Mann Meisterin werden konnten. Dies war die Leinenweberei. Und selbst dort waren die Frauen den Männern gegenüber nicht gleichberechtigt. Die Zunftordnung von 1375 sah für Männer nämlich das „breite Werk“ vor (bezogen auf die Webbreite) und für Frauen das „schmale Werk“. Nur in Ausnahmefällen durften Frauen auch am „breiten Werk“ arbeiten, denn für das „breite Werk“ waren andere, von der Konstruktion aufwendigere Webstühle erforderlich. Diese zu bedienen, sprach man nur Männern zu. Ihrer Arbeit wurde deshalb ein gesellschaftlich höherer Stellenwert zugemessen. Zwischen 1371 und 1558 gab es 85 Männer und nur fünf Frauen, die dem „breiten Werk“ vorstanden. Hingegen waren beim „schmalen Werk“ 57 Frauen als Meisterinnen und nur acht Männer als Meister tätig.
Als ab Mitte des 15. Jahrhunderts Handwerk und Zünfte in wirtschaftliche Not gerieten, beschränkte z. B. das Leinenweberamt die Anzahl der Meisterinnen für das „schmale Werk“ auf 30 Personen. Außerdem mussten die Meisterinnen des „schmalen Werkes“ wie ihre männlichen Kollegen vom „breiten Werk“ das Bürgerrecht erwerben. Die Meister des „breiten Werkes“ erfuhren keine Beschränkungen.
Die Zünfte stellten jedoch nur einen Teil der gewerblichen Praxis dar: Verbunden mit der Schließung der Zünfte, in Hamburg Ämter genannt, bzw. Reduzierung ihrer Mitgliederzahlen auf Grund zu starker Konkurrenz expandierte die außerzünftige Berufsausübung, in Hamburg Störhandwerk genannt. Der Rat duldete und schützte sogar das Störhandwerk zu einem gewissen Grad, weil er sich von ihm eine Festigung seiner Stellung gegenüber den Zünften erhoffte. Im Störhandwerk arbeiteten vermutlich sehr viel mehr Frauen als in den zünftigen Handwerken. Einen Hinweis darauf geben die Dokumente der Barbiere. Sie erwirkten 1530 vom Rat eine Verwarnung an die Adresse der außerzünftigen „Quacksalber“. Während in der Ordnung der Barbiere nur von Männern die Rede ist, werden in der Verwarnung auch Frauen angesprochen, woraus zu schließen ist, dass Frauen im außerzünftigen Gewerbe der Quacksalber tätig gewesen waren. (Die Forschungen zur Lage der Frauen im Handwerk und Handel wurden 1985 von Rita Bake, Karin Gröwer, Andrea Kammeier-Nebel, Sabine Lorenz, Beatrix Piezonka, Heidi Reiling, Gordon Uhlmann und Gisela Jaacks durchgeführt anlässlich der Ausstellung „Hammonias Töchter – Frauen und Frauenbewegung in Hamburgs Geschichte“ im Museum für Hamburgische Geschichte.)
Text: Dr. Rita Bake