Johanna Henriette Schopenhauer Johanna Henriette Schopenhauer, geb. Trosiener
(9.7.1766 Danzig – 16.4.1838 Jena)
Schriftstellerin
Tochter: Louise Adelheid gen. Adele Schopenhauer
Neuer Wandrahm 92 (Wohnadresse)
Namensgeberin für: Schopenhauerweg, 1945 benannt nach Arthur Schopenhauer. 2001/2002 ergänzt um die ebenso bedeutende Mutter Johanna Schopenhauer.
Im April 1805 stürzte sich der Ehemann von Johanna Schopenhauer aus einem Speicher, der die Rückseite seines Wohn- und Geschäftshauses bildete, zu Tode. Ob es sich dabei um einen Unfall handelte oder um eine Verzweiflungstat des gemütskranken Mannes, blieb ungeklärt.
Nach Hamburg war das republikanisch gesinnte Ehepaar mit seinem Sohn Arthur 1793 gekommen, als Danzig, die Geburtsstadt Johanna Schopenhauers, in der sie auch ihren um zwanzig Jahre älteren reichen und welterfahrenen Mann kennen gelernt hatte, von Preußen annektiert wurde. Doch nach dem Tod ihres Ehemannes hielt sie nichts mehr hier. Befreit von einer unglücklichen Ehe und ausgestattet mit einem beträchtlichen Erbe, zog es Johanna Schopenhauer mit ihrer 1797 geborenen Tochter Adele nach Weimar. Dass Thüringen zu diesem Zeitpunkt Kriegsschauplatz war und viele Weimaraner und Weimaranerinnen daran dachten, die Stadt zu verlassen, schreckte sie nicht. Durch diese „Feuertaufe“ wurde sie, wie Goethe anerkannte, zur „Weimaranerin“. Dass ihr Haus schnell zu einem geselligen Mittelpunkt der Stadt wurde, hatte weitere Gründe. Johanna Schopenhauer, die zeitlebens einen Widerwillen gegen den Gedanken hegte, „für ein gelehrtes Frauenzimmer zu gelten”, (Johanna Schopenhauer. Jugendleben und Wanderbilder. Hrsg. v. W. Drost. Barmstedt (Holst.) 1958.) war eine weitreichend gebildete und gewandte Frau. Vor der eigenen Muttersprache lernte das Kind von der kaschubischen Kinderfrau die polnische Sprache, weil der Vater, der Kaufmann Christian Heinrich Trosiener, der Überzeugung war, dass deren schwere Aussprache den Zugang zu anderen Fremdsprachen erleichtere. Es folgten die Anfänge der französischen Sprache, in die die Mutter Chodowieckis die Drei- oder Vierjährige in ihrer Kleinkinderschule einführte. Als der Sohn zu Besuch kam, entdeckte Johanna ihre Liebe zur Malerei. Ihr großes Vorbild wurde die Malerin Angelika Kauffmann, die ein selbständiges Leben führte. Die weitere Ausbildung des Kindes nahmen der lutherische Theologe Kuschel und der anglikanische Geistliche Dr. Jameson in die Hand. Lernte sie bei ersterem Deutsch, Geschichte und Geographie, so unterrichtete Letzterer sie in der englischen Sprache und brachte ihr die englische Literatur nah. Dem Wunsch ihrer Lehrer, ihr Griechischunterricht zu erteilen, widersetzte sie sich schweren Herzens, hatte sie doch schon wegen des Englischunterrichts den Spott ihrer Umgebung zu erdulden. Ab dem neunten Lebensjahr ergänzte der nachmittägliche Unterricht in weiblichen Tugenden und Arbeiten bei Mamsell Ackermann die Ausbildung.“ Das alles prädestinierte Johanna Schopenhauer zur Gesellschafterin der britischen Bankierstochter Sally Cramp im Hause des russischen Gesandten in Danzig. Aber auch in Weimar wird es dazu beigetragen haben, dass in Reisebüchern ihr Haus bald als besuchenswerte „Merkwürdigkeit“ erwähnt wurde. Um Johanna Schopenhauers Theetisch versammelten sich Goethe und Wieland, der Verleger Friedrich Justin Bertuch, der Kunstschriftsteller Carl Ludwig Fernow, der Schweizer Johann Heinrich Meyer – der so genannte Kunschtmeyer –, der Gymnasialprofessor und Bibliothekar Friedrich Wilhelm Riemer u. a.
Als Johanna Schopenhauer und ihre Tochter Adele 1819 durch den Zusammenbruch eines Danziger Bankhauses einen großen Teil ihres Vermögens verloren, musste Johanna ihre schriftstellerische Tätigkeit zum Broterwerb machen. Bis dahin hatte sie neben kleinen Arbeiten für Journale lediglich in einer Biographie über den Freund Carl Ludwig Fernow (1810) und den Erinnerungen an eine „Reise durch England und Schottland“ (1813/14) bestanden.
Schon ihr erster Roman „Gabriele“ (1819–1821), der der Heldin Opfer und Entsagung auferlegt, wurde ein großer Erfolg. Goethes Kritik charakterisiert zugleich die Autorin und zeigt, zu welchen Gesprächen der Roman anregte: „Gabriele setzt ein reiches Leben voraus und zeigt große Reife einer daher gewonnenen Bildung. Alles ist nach dem Wirklichen gezeichnet, doch kein Zug dem Ganzen fremd; (...). Epische, halbepische Dichtung verlangt eine Hauptfigur, die bei vorwaltender Thätigkeit durch den Mann, bei überwiegendem Leiden durch die Frau vorgestellt wird. Diesmal ist einem anziehenden weiblichen Wesen die schwerste Rolle zugetheilt, die sich mit höchster Zartheit und Anmuth durch unerträgliche Leiden durchführt. (...) Als ich in diesem Sinne vor einer gebildeten Gesellschaft redete, fragte eine sorgsame Mutter: ob sie dieses Buch mit ihren Töchtern lesen könne? Dabei kam Folgendes zur Sprache: Erziehung heißt: die Jugend an die Bedingungen gewöhnen, zu den Bedingungen bilden, unter denen man in der Welt überhaupt, sodann aber in besondern Kreisen existiren kann. Der Roman hingegen stellt das Unbedingte als das Interessanteste vor, gerade das gränzenlose Streben, was uns aus der menschlichen Gesellschaft, was uns aus der Welt treibt, unbedingte Leidenschaft; für die dann bei unübersteiglichen Hindernissen nur Befriedigung im Verzweifeln bleibt, Ruhe nur im Tod. Dieser eigenthümliche Charakter des tragischen Romans ist der Verfasserin auf schlichtem Wege sehr wohl gelungen, sie hat mit einfachen Mitteln große Rührung hervorzubringen gewußt; wie sie denn auch im Gang der Ereignisse das Natürlich-Rührende aufzufassen weiß, das uns nicht schmerzlich und jammervoll, sondern durch überraschende Wahrheit der Zustände höchst anmuthig ergreift. (...) Keine Spur von Parteisinn, bösem Willen, Neckerei, vielmehr anmuthiges Gefühl eines allgemeinen Wohlwollens; kein böses Princip, kein verhaßter Charakter, das Lobens- und Tadelnswerthe mehr in seiner Erscheinung, in seinen Folgen als durch Billigung oder Mißbildung dargestellt. (...) Nichts Phantastisches, sogar das Imaginative schließt sich rationell an’s Wirkliche. Das Problematische, an’s Unwahrscheinliche gränzend, befürwortet sich selbst und ist mit großer Klugheit gehandelt.“ (Goethes Werke. Hrsg. i. A. d. Großherzogin Sophie von Sachsen. 1. Abt. Goethes Werke 41. Bd. 2 Abt. Weimar 1903, München 1987.)
Johanna Schopenhauer gehörte nicht zu der Vielzahl von Frauen, deren Werke ignoriert oder geschmäht wurden, weil sie aus der Feder einer Frau stammten. Vielleicht kann sie auch deshalb ihre Geschlechtsgenossinnen unparteiischer beurteilen. In einem Brief vom 2.12.1821 an einen Geheimrat in Leipzig heißt es: „Erlauben Sie mir dagegen auch zu bemerken, daß in unsern Tagen eine gar zu große Sucht durch schrifstellerische Arbeiten sich auszuzeichnen unter meinem Geschlecht eingerissen ist. Viele welche weit besser täten, in dem ihnen von der Natur sowohl als durch Sitte und Erziehung angewiesenen Kreise zu bleiben, führen jetzt die Feder statt der Nadel, und überschwemmen Tageblätter und Taschenbücher mit wäßrigen Produkten aller Art. Nur wenige, durch Umstände und ausgezeichnetes Talent begünstigte Frauen, sollten es wagen, auf diese Weise in die Reihen der Männer zu treten, und diese könnten dann auch gewiß einer bessern Aufnahme sich erfreuen, so wie das in vergangenen Zeiten der Fall war, wo die seltnen Frauen, welche außerhalb ihrer eigentlichen Sphäre bedeutend auftraten, überall mit Ruhm und Ehre gekrönt wurden, und kein gallichter Rezensent daran dachte ihnen diese schmälern zu wollen.“ (Zit. nach: Frauen der Goethezeit in ihren Briefen. Hrsg. von Günter Jäckel, Berlin o. J.)
1829 waren Johanna und Adele Schopenhauer an den Rhein gezogen, kehrten aber acht Jahre später auf Einladung des Großherzogs Carl Friedrich von Sachsen-Weimar nach Thüringen zurück. Johanna Schopenhauer starb 1838 in Jena, unversöhnt mit ihrem Sohn Arthur, von dem sie zeitlebens ein schwieriges Verhältnis getrennt und den sie nach dem Bruch im Mai 1814 nie wieder gesehen hatte.
Neun Jahre alt war die um neun Jahre jüngere Schwester Arthur Schopenhauers, als sie nach dem Tod des Vaters mit der Mutter von Hamburg nach Weimar zog. Hier wuchs Adele Schopenhauer in der besonderen Atmosphäre des mütterlichen Hauses auf, in dem sich donnerstags und sonntags die interessantesten Persönlichkeiten der Stadt trafen und wo auch der um vierzehn Jahre jüngere Freund ihrer Mutter, der Jurist Müller von Gerstenbergk zeitweise lebte. Mit Goethes Schwiegertochter Ottilie befreundet, war Adele auch in Goethes Haus am Plan ein häufiger Gast. Doch trotz der zahlreichen Gelegenheiten, Menschen kennen zu lernen, erfüllten sich ihre Hoffnungen auf die Verwirklichung einer großen Liebe nicht. Als die einsame junge Frau 1828 in Köln die vermögende Kunstsammlerin und sechsfache Mutter und Ehefrau Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennen lernte, sah sie in der Freundschaft zu ihr einen Ersatz. Sie drängte die Mutter, an den Rhein überzusiedeln, wobei sie die finanziell günstigeren Lebensbedingungen als Argument in den Vordergrund stellte. 1837 kehrte sie mit der Mutter nach Thüringen zurück, wo Johanna Schopenhauer im folgenden Jahr starb.
Adele richtete mit großer Energie ihr Leben neu ein. Sie suchte einen Verleger für die unvollendeten Memoiren ihrer Mutter, deren 24 bändige Schriften 1830/31 erschienen waren, und nahm Malunterricht. Als sich 1840 erste Anzeichen einer Krebserkrankung bemerkbar machten, wurde ihr körperliche Arbeit untersagt. Adele fing an zu schreiben. 1844 erschienen ihre „Haus- Wald- und Feldmärchen“, 1845 „Anna, ein Roman aus der nächsten Vergangenheit.“ Da war sie schon nach Italien abgereist, wo sie, finanziell unterstützt von der Freundin Sibylle, mit Unterbrechungen bis ein Jahr vor ihrem Tod verweilte.
Seit 1945 gibt es in Hamburg Ottensen den Schopenhauerweg, benannt nach Arthur Schopenhauer. 2001/2002 ergänzt um die ebenso bedeutende Mutter Johanna Schopenhauer. 2001 beschloss der Senat auf Initiative von Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung und des damaligen Senatsamtes für Bezirksangelegenheiten, bei einer Gruppe von 14 Straßen- und Wegenamen die an den Straßenschildern angebrachten Erläuterungen zu den Namensgebern um Informationen zu deren Ehefrauen oder weiblichen Verwandten zu ergänzen, wenn diese ebenfalls Herausragendes geleistet hatten und denselben Nachnamen tragen.
Text: Brita Reimers