Sophie Friederike Hensel Sophie Friederike Hensel, geb. Spaarmann, in zweiter Ehe: Seyler
(23.5.1738 Dresden – 22.11.1789 Schleswig)
Tragödin
Gänsemarkt 66-69, Comödienhaus
Madame Hensel war die erste tragische Schauspielerin ihrer Zeit, eine Frau von imposanter Gestalt und kühnem Gesichtsschnitt, die in Königinnen- und Heldinnenrollen als Klytaemnestra, Semiramis, Kleopatra, Merope und Medea glänzte. Ihr schwieriges und heftiges Temperament bestimmte nicht nur häufig ihren Lebensweg. Es beförderte auch die Gründung des ersten deutschen Nationaltheaters.
Als Tochter eines Generalstabsmedicus verlebte sie auf Grund der Trennung ihrer Eltern eine traurige Kindheit bei ihrem Onkel. Aus Furcht vor einer Heirat, zu der sie der Onkel zwingen wollte, floh sie zur Bühne, wo sie 1754 bei dem Prinzipal Johann Christoph Kirsch debütierte und den Schauspieler Johann Gottlieb Hensel heiratete. Mit ihm zusammen kam sie 1756 zur Schuchschen und 1757 zur Ackermannschen Gesellschaft. Doch die Ehe scheiterte. Madame Hensel gründete eine eigene Gesellschaft in Straßburg, die jedoch nicht lange aufrecht zu erhalten war, so dass sie zu Ackermann zurückkehrte. 1763 ging sie nach Wien und Hildburghausen. Vermutlich des beschwerlichen Wanderlebens müde, hätte sie am liebsten die Bühne für immer verlassen. Mit der Eröffnung des Hamburger Comödienhauses im Jahre 1765 kam sie jedoch zur Ackermannschen Gesellschaft zurück und spielte hier bald die erste Rolle. Als die junge Karoline Schulze ihr diese streitig machte, kam es zum Eklat, der Schauspieler und Publikum in zwei Parteien spaltete. Die Anhängerinnen und Anhänger von Madame Hensel wurden, angeführt von ihrem Verehrer und späteren zweiten Ehemann, dem Kaufmann Abel Seyler, den sie in seiner Idee der Gründung eines Nationaltheaters bestärkte, zu erbitterten Feinden der Familie Ackermann. Man bekämpfte sie mit allen Mitteln, bis Ackermann, finanziell ohnehin am Ruin stehend, 1767 die Bühne an Abel Seyler und zwei weitere Kaufleute verpachtete.
Um die Idee eines deutschen Nationaltheaters zu verwirklichen, engagierte man den Schriftsteller Johann Friedrich Löwen als Direktor und Gotthold Ephraim Lessing als Dramaturg. Er hatte 1755 das bürgerliche Trauerspiel „Miß Sara Sampson“ geschrieben, das der erste große Erfolg des deutschen Dramas war. Anknüpfend an französische und englische Vorbilder, führte er die Prosa, den schlichten natürlichen Ausdruck für edle und ernste Vorgänge ein, und behandelte einen moralischen Stoff aus dem bürgerlichen Leben. Hier hatten die Schauspielerinnen und Schauspieler es mit Leidenschaften, Tugenden und Schwächen zu tun, wie sie sie selbst kannten. Madame Hensel spielte die Sara Sampson und war 1767 bei der Uraufführung von Lessings „Minna von Barnhelm oder das Soldatenstück“ die erste Darstellerin der Minna von Barnhelm. Im 13. und 20. Stück seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ setzte Lessing ihr ein bleibendes Denkmal.
Als das Unternehmen Nationaltheater auf Grund interner Querelen und der Diskrepanz zwischen Anspruch und Realisierung scheiterte, führte Abel Seyler seine Gesellschaft zu einem Engagement in die Residenzstadt Hannover, bevor ein unstetes Wanderleben zwischen Lüneburg, Celle, Lübeck und Osnabrück begann. Aus Zorn darüber, dass Seyler unter dem Druck seines Geldgebers die Leitung der Gesellschaft an Konrad Ekhof abgab, nahm Madame Hensel 1771 ein Engagement in Wien an und gründete eine Filetschule zur Anfertigung von Spitzen. Als Seyler die Leitung der Gesellschaft jedoch wieder übernahm und am Hoftheater in Weimar reüssierte, ließ Madame Hensel sich 1772 scheiden und heiratete Abel Seyler.
Nach dem Brand des Weimarer Hoftheaters im Mai 1774 kam man über Gotha, Leipzig, Altenburg, Dresden, Frankfurt a. M., Köln und Mainz nach Mannheim. Hier wurde das Ehepaar Seyler 1779 am Hoftheater engagiert. Anderthalb Jahre gesicherter Existenz folgten, bis Madame Seyler sich durch eine ihrer Schülerinnen beleidigt fühlte und ihr Mann sich dazu hinreißen ließ, diese unflätig zu beschimpfen und zu ohrfeigen. Seyler wurde entlassen, das Ehepaar kehrte über Schleswig nach Hamburg zurück, wo Seyler ab 1783 erneut das Comödienhaus leitete.
Als Friedrich Ludwig Schröder ihn 1786 in einer zweiten Direktionsperiode ablöste, blieb Madame Seyler zunächst am Comödienhaus. Der Förderer einer natürlichen Rollengestaltung schätzte sie in sanften Rollen. An der Tragödin tadelte er den Anstand, den Dragonerschritt und die Zittertöne. 1787 folgte Madame Seyler ihrem Mann ans Hoftheater in Schleswig, wo sie 1789 starb.
Die Kritik, die Knud Lyne Rahbek, Professor der Ästhetik und Theaterdirektor in Kopenhagen, 1782 anlässlich einer Aufführung von Lessings „Emilia Galotti“ schrieb, ist so anschaulich, dass man bei der Lektüre glaubt, im Theater zu sitzen und Madame Seyler als Gräfin Orsina zu erleben: „Mit Hypochondrie fing ihre Rolle an; mit der Verachtung, die der beleidigten Schwermut eigen ist, behandelte sie Marinelli; mit deren Spotte sagte sie: ‚Es ist wahr, es hat ihm nicht beliebt, zu antworten.‘ Nun können Sie sich vorstellen, wie ihre ganze Hoheit, ihre Würde sich ausspricht; – ihren Spott, wenn sie sagt: ‚Wie er dasteht!‘; ihre Betonung bei den Worten: ‚Wenn ich anders Ihre liebste‘; wie sie ihm über die Schulter sah und sagte: ‚Verdammt über das Hofgeschmeiß!‘; dann zu ihm hintrat, Marinellis Hand ergriff, indem sie sagte: ‚Nicht gelesen!‘, dann sich zurückzog und es das zweite Mal weniger heftig sagte. Und nun die Replik von der Gleichgültigkeit; die hat allen den Orsinen, die ich gesehen, Langeweile gemacht, allein Madame Seyler trug sie mit innerer Überzeugung, vollkommener Sicherheit vor. Hier sollten Sie sie nur gesehen haben, wie ihre Schwärmerei, sowie diese Vorstellungen in ihrer Seele lebendiger wurden, stieg, bis sie endlich voller Andacht sprach: ‚Allmächtige, allgütige Vorsicht! vergib mir!‘. Und nun das Heruntersinken zu dem matten, melancholischen Ton nachher; und als nun der Prinz hereintritt, wie sie hier ihre Ungewißheit, ob sie hinzutreten sollte, ausdrückte, – ich weiß es nicht, aber ich fühlte sie in meinem Innern; dann der schwermütige Spott, als Marinelli sagte, daß Appiani bei dem Prinzen wäre; und die Eifersucht, womit sie fragte: ‚Ist die Braut schön?‘; dann die Wildheit, das wilde ‚Bravo‘, das Händeklatschen, – es läßt sich nicht beschreiben. Allein nun eine Nuance, die mich ergriff. Als sie sagte: ‚Schwöre!‘, trat sie auf einmal zurück und sagte feierlich, mit Andacht: ‚Nein, schwöre nicht!‘, dann höhnisch oder abgebrochen: ‚Oder ja, schwören Sie nur!‘ (...). Ob ich denn gar nichts gegen diese Schauspielerin einzuwenden habe? Ja, etwas gar nicht Unwichtiges, wofür sie aber nicht kann. – Sie ist stark; wenn die Züge in heftiger Bewegung sind, verschwinden die Augen, die sonst schön und beredt sind. Übrigens hat sie, obgleich sie eben brustkrank war, ein herrliches Sprachorgan, die natürlichste und wärmste Rezitation und viel Adel in den Bewegungen.“ (Zit. nach: Deutsche Schauspielkunst. Zeugnisse zur Bühnengeschichte klassischer Rollen, gesammelt von Monty Jacobs. Leipzig 1913.)
Text: Brita Reimers