Erni Kaufmann Erni Kaufmann, geb. Handke
(3.6.1906 Witten a. d. Ruhr - 11.10.1957 Hamburg)
Musikerin in Damenorchestern
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Historischer Grabstein)
Die musikalische Begabung der Geschwister Erni und Adolf Handke (31.12.1908-11.3.1975) zeigte sich schon früh. Adolf war von 1938 bis 1952 Erster Waldhornist im Berliner Philharmonischen Orchester, Ernis musikalische berufliche Laufbahn begann und endete in Hamburg in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Erni Handke spielte professionell Geige, Saxophon und Akkordeon. Sie trat u. a. mit dem Deutschen Damenorchester der Lissi vom Uhlenborn und mit dem Meistergeiger Ernesto Arcari aus Neapel im „Damen Attraktions-Orchester“ auf. Sie gastierte mit den Damenorchestern u. a. im Haus Vaterland in Hamburg, einem „Konzertkaffee“ mit Varieté und einem Tanzraum, in dem internationale Tanzkapellen auftraten. Das Repertoire der Damenorchester reichte von der U- bis zur E-Musik. Neben ihren künstlerischen Fertigkeiten hatten die Musikerinnen jung, schlank, elegant und äußerst attraktiv zu sein, um den Geschmack des zahlungskräftigen männlichen Publikums zu befriedigen. Gleichzeitig mussten die Musikerinnen, um in diesem Unterhaltungsgenre bestehen zu können, gefestigte Persönlichkeiten sein, die über selbstbewusste künstlerische Souveränität gepaart mit einem dezenten bescheidenen weiblichen Auftreten verfügten. (Vgl.: Dorothea Kaufmann: „… routinierte Trommlerin gesucht“. Musikerin in einer Damenkapelle. Zum Bild eines vergessenen Frauenberufs aus der Kaiserzeit. Schriften zur Popularmusikforschung, Bd.3. Hg. v. Helmut Rösing. Karben 1997, S. 6 u. 7.)
Letzteres war von besonderer Überlebensnotwendigkeit, um sich gegen die „immer wieder aufkommenden Verdächtigungen der Prostitution“ (Dorothea Kaufmann, a. a. O., S.14.) zu erwehren. Ihre sittsame, unschuldige und elegante-dezente Erscheinung wurde auch durch ihre Kleidung unterstrichen. Oft traten die Musikerinnen in Trachten oder in langen weißen, ohne raffinierten Schnitt geschneiderten Kleidern auf. (vgl.: Dorothea Kaufmann, a. a. O., S. 13.)
Männliche Musiker sahen in den Damenorchestern oft eine Konkurrenz, die sie nicht selten mit unlauteren Mitteln bekämpften. So unterstellten sie den Damen sittenloses und unmoralisches Verhalten, diskriminierten ihre Tätigkeiten als minderwertige künstlerische Arbeit und traten für ein Verbot von Damenkapellen ein. Doch solche Verbote konnten nicht durchgesetzt werden, denn die Damen galten als eigenes Unterhaltungsgenre mit einer „besonderen Anziehungskraft, die männliche Musiker nicht aufweisen konnten“. (Dorothea Kaufmann, a. a. O.; S. 16.)
Allerdings schlug sich dies weder in der Höhe der Gagen noch in der gesellschaftlichen
Anerkennung der Musikerinnen nieder. So schrieb Erni Kaufmann am 12. 3. 1927 aus Köln an ihre Familie: „Wir ziehen weit umher in der Welt, spielen und singen für weniges Geld. Menschen sieht in uns keiner. Zigeuner.“ (private Unterlagen)
Die Dauer der Engagements lag zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten. In jeder neuen Stadt, in der die Musikerinnen auftraten, mussten sie bei der Meldebehörde vorstellig werden und ihr Führungszeugnis vorweisen. Auch kam es vor, dass sie ihren „sittlich-moralischen Lebenswandel zu erklären“ (Dorothea Kaufmann, a. a. O., S. 17.) hatten.
Im April 1942 heiratete Erni Handke Schorsch Kaufmann. Er wurde 1945 als Soldat im Zweiten Weltkrieg getötet.
Die Hungerjahre während und nach den beiden Weltkriegen forderten ihren Tribut: Eine TBC-Erkrankung beendete die Karriere von Erni Kaufmann vorzeitig. Ihr letzter Lebensgefährte, der Hamburger Kunstschmied Hermann Wolf aus dem Bäckerbreitergang in Hamburgs Gängeviertel, setzte ihr den Grabstein.
Text: Dr. Rita Bake