Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Hanna Schüßler

(23.5.1909 Rüstern/Liegnitz - 26.6.1985 Hamburg)
Leiterin des Evangelischen Frauenwerkes Hamburg, Gründerin der ersten Mütterschule in Hamburg; Begründerin der Familienbildungsstättenarbeit in Hamburg
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Historischer Grabstein)
Haus der Frau, Loogeplatz 14/16
Isestraße 30 (Wohnung)
Hirschgraben 25 (Mädchenwohnheim)


3081 Schuessler Hanna
Foto: privat

Hanna Schüßler entstammte einem Pastorenhaushalt - ihr Vater leitete eine Diakonissenanstalt - und wuchs in Breslau auf. Zur Konfirmation gab ihr ihr Vater den Spruch mit: „Die den Herrn lieb haben, sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Macht.“ (Richter 5.31). Dieser Spruch stand dann auch in der Traueranzeige zu Hanna Schüßlers Tod.
Nach dem Abitur, welches sie in Frankenstein absolvierte, arbeitete sie in einer Kinderheilstätte im Riesengebirge und „begann anschließend ihre spezielle kirchliche Ausbildung im Burckhardthaus Berlin-Dahlem, von wo aus sie in verschiedene praktische Aufgaben entsandt wurde, unter anderem in Berliner und Lübecker Kirchengemeinden.“ (Brief des Kirchenkreises Alt-Hamburg vom 1.7.1985 an die Pastorinnen und Pastoren im Kirchenkreis anlässlich des Todes von Hanna Schüssler. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Im Burckhardthaus arbeitete sie bis 1930 und lernte dort, im Seminar für kirchliche Frauenarbeit, die kirchliche Frauenarbeit intensiv kennen.
Von März 1933 bis Ende 1934 war sie dann als Pfarrgehilfin in einer Kirchengemeinde in Berlin-Tempelhof tätig, wo sie sich der Jugendarbeit widmete. Dazu schreibt sie in ihren unveröffentlichten Aufzeichnungen „Aus meiner Jugendarbeit im Dritten Reich“, die im Haus der Frau am Loogeplatz in Hamburg aufbewahrt werden: „Vor meiner Anstellung wurde ich nach meiner Meinung über das Wirken der Deutschen Christen befragt. Meine eindeutige und vom Evangelium begründete Ablehnung wurde wohlwollend akzeptiert und als einzig mögliche Voraussetzung für eine Arbeit in dieser Berliner Gemeinde angesehen.“
Die Deutschen Christen „waren eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Sie wurden 1932 als eigene Kirchenpartei gegründet und gewannen 1933 die Leitung eigener Landeskirchen in der Deutschen Evangelischen Kirche.“ (wikipedia.org/wiki/Deutsche_Christen. Stand: 9.3.2011.)
„Als ich wenige Wochen später meinen Dienst begann, hatte sich das Blatt völlig gewendet. Die Pastoren waren bis auf einen Deutsche Christen geworden. Der neugewählte Kirchenvorstand war durch NS-Manipulation fast ausschließlich mit DC [Deutsche Christen]-Leuten besetzt, die auch äußerlich dafür sorgten, dass die Gemeinde als DC-Gemeinde kenntlich war: Die christlichen Symbole im obersten Abschnitt der Säulen wurden durch NS-Embleme ersetzt. Die Trau- und Taufhalle neben dem Kircheneingang wurde zu einer ‚Adolf-Hitler-Halle’ umgewandelt. Bei einigen Konfirmationen mussten die Konfirmanden kniend vor dem Altar mit aufgehobener rechter Hand mit dem deutschen Gruß grüßen.
Ungeachtet der Grundstimmung der Gemeinde ließ man mich ohne Einmischung meine biblisch ausgerichtete Jugendarbeit in allen Altersstufen tun und war stolz auf die großen Zahlen der Besucher.
Eine Wende trat ein, als im November 1934 nach einer sehr großen Veranstaltung der Bekennenden Kirche, zu der ich allein und ohne Werbung in den Kreisen gegangen war, auf der Rückfahrt in der Hochbahn eine große Menge von Mädchen aus meinen Kreisen zu mir kam und sich in jugendlicher Begeisterung über das abendliche Erlebnis aussprach. Das hatte ein KV-[Kirchenvorstand] Mitglied beobachtet. Einen Abend später (vielleicht auch noch in der gleichen Nacht) trat der KV zusammen, um über diesen unerhörten Vorfall zu beraten. Ich wurde nachts in die Sitzung zitiert und musste Rede und Antwort stehen. Zwei Gedanken wurden vorausgeschickt. 1. Es wäre unmöglich, dass die Jugend der ‚deutsch-christlichsten Gemeinde’ Berlins von einer Jugendleiterin geführt würde, die zur BK [Bekennenden Kirche] gehörte. 2. Sie möchten mich keinesfalls aus der Arbeit verlieren, darum wären sie einverstanden und würden alles beim Alten belassen, wenn ich meinen Namen in die Liste der DC eintrüge. Das konnte ich natürlich nicht.“
Die Bekennende Kirche „war eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche einer Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) in der Zeit des Nationalsozialismus. Solche Versuche unternahmen bis 1934, die ‚Deutschen Christen’, dann staatlich eingesetzte Kirchenausschüsse und teilweise direkte Staatskommissare, die die Kirchenvertreter absetzten.
Die BK reagierte darauf mit einer Abgrenzung ihrer Lehre, Organisation und Ausbildung, später auch mit politischen Protesten. Sie beanspruchte seit ihrer Gründung im Mai 1934 die einzige rechtmäßige Kirche zu sein, und schuf sich mit einem kirchlichen ‚Notrecht’ seit Oktober 1934 eigene Leitungs- und Verwaltungsstrukturen. (…) Eine einheitliche Opposition gegen das NS-Regime bildete die BK nicht.“ (wikipedia.org/wiki/Bekennde_Kirche. Stand: 9.3.2011.)
„Die Sitzung endete damit, dass man mir für die Zukunft das Betreten des Gemeindehauses untersagte. Das hatte zur Folge, dass ich die längst vorbereiteten Adventfeiern notdürftig in einem Gasthaus durchführte. Bis dahin hatte ich jede Kampfstimmung vermieden, weil ich die Jugendlichen nicht in Konflikte bringen wollte, denen sie noch nicht gewachsen sein konnten. Nun aber mischten sich die Eltern ein und wollten sich für mich einsetzen. Da bekam ich vom KV meine ‚fristlose Entlassung’. Als die Leitung der BK davon hörte, die zu diesem Zeitpunkt ihr Büro im Burckhardthaus hatte, drängte sie mich zu einer Klage beim Arbeitsgericht. Man war in dieser 1. Phase des Kirchenkampfes sehr daran interessiert, festzustellen, wie weit die Grundsätze der Rechtsprechung noch gültig wären. In diesem Prozeß, den ich gewann, vertrat mich ein juristischer Mitarbeiter der BK, der spätere Bundestagspräsident Hermann Ehlers.“
Bei dem Kirchenkampf handelte es sich um einen Konflikt zwischen evangelischen Christen der Bekennenden Kirche und Deutschen Christen. Man rang „um das Verständnis und die Auslegung des Evangeliums. Dieser theologische Konflikt wurde zu einer indirekten politischen Opposition gegen den Staat, insofern er eine Einmischung des Regimes in Glaubensinhalte und Kirchenverfassung abzuwehren suchte. Damit widersprach er dem Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie. Ein politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus war damit weder beabsichtigt noch folgte er daraus, von seltenen Ausnahmen abgesehen. (…)“ Es ging um „das Selbstverständnis der ganzen Kirche. Denn der kleinere ‚bekennende’ Teil der evangelischen Christen berief sich auf die Grundlagen des christlichen Glaubens in Bibel und Glaubensbekenntnis. Er beanspruchte daher, die ganze evangelische Christenheit rechtmäßig zu vertreten. (…) Auslöser und Thema des Kirchenkampfes war der Versuch des NS-Regimes, mit Hilfe der ‚Deutschen Christen’ Rassenstandpunkte in den Kirchen durchzusetzen und deren Organisationsform zu bestimmen. Dies wurde von der Seite des Staates als politischer, von Seiten der ‚Bekennenden’ Christen aber als theologischer Konflikt gesehen.“(wikipedia.org/wiki/Kirchenkampf. Stand 9.3.2011.)
Hanna Schüßler verließ Berlin und trat 1935 in Hamburg die Stelle als Leiterin der Landesstelle Hamburg des Burckhardthauses an, des größten deutschen Verbandes weiblicher Jugend. Diese Funktion hatte sie bis 1958 inne.
Aber auch in Hamburg hatte Hanna Schüßler in der NS-Zeit Repressalien zu ertragen. So schreibt sie in ihren unveröffentlichten Aufzeichnungen „Aus meiner Jugendarbeit im Dritten Reich“ über die Zeit von 1935 bis 1945: „Auch in Hamburg gab es verschiedene Fronten und immer wieder Hindernisse von außen. Aber man brauchte nicht innerhalb einer Gemeinde unter der Jugend Kirchenpolitik in 2 verschiedenen Richtungen zu betreiben.“
Seit 1943 war Hanna Schüßler hauptamtlich Mitarbeiterin des Landeskirchlichen Jugendpfarramtes. „Erstaunlicherweise konnte sie (…) in dieser Zeit Kreise von Mädchen – Schülerinnen, Konfirmandinnen, Heranwachsende – zur Bibelarbeit versammeln. Ihre schriftlichen Ausarbeitungen gingen von Hand zu Hand und führten mehrfach zu Verhören durch die Gestapo (…)“. (Brief des Kirchenkreises Alt-Hamburg, a. a. O.)
Hanna Schüßler selbst schreibt über diese Zeit in ihren unveröffentlichten Aufzeichnungen: „Mein einschneidendstes Erlebnis war, als wir nach der Hamburger Katastrophe [Bombardierung Hamburgs, „Operation Gomorrha“ im Juli 1943] Ende 1943 durch Herrn Herntrichs (später Bischof) [einer der Köpfe der Bekennenden Kirche während der NS-Zeit, ab 1940 Direktor des Evangelischen Reichsverbandes der Weiblichen Jugend Deutschlands, dem Burckhardthaus, ab 1942 Hauptpastor der St. Katharinenkirche in Hamburg, enge Verbundenheit zu Friedrich von Bodelschwingh durch seine Dozententätigkeit an der theologischen Hochschule in Bethel. (vgl: wikipedia.org/wiki/Volkmar_Herntrich. Stand 9.3.2011.)]} Vermittlung von unserm Burckhardthaus-Landesverband einen großen Gottesdienst mit P.D. von Bodelschwingh abhalten konnten. Pastor v. Bodelschwingh fand die rechten Worte [z. B. Psalm 68,20: „Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.“] für die beunruhigten Menschen in unserer zerstörten Stadt. Der Gottesdienst hatte eine große Ausstrahlungskraft. Unter Ausnutzung aller Beziehungen gelang es uns, die Predigt dieses GD [Gottesdienstes] zu vervielfältigen. Wir schickten sie an unsere Freunde, auch an uns nahe stehende Menschen an der Front. Einer dieser Briefe, der dem Ehemann und Vater einer lieben Familie gegolten hatte, die in Südhamm umgekommen war, fiel in die Hände der Feldpolizei. Der Fall wurde der Hamburger Gestapo übermittelt, die mich deswegen sehr hart und drohend verhörte. Als ich bei meinem Verhör diesen besonderen Fall schilderte und darstellte, wie trostlos die Situation dieses Soldaten war, der Frau, Kinder und Wohnung verloren hatte, bekam ich die Antwort: Für Trost braucht die Kirche nicht zu sorgen. Das können wir besser. Das Ende war dann eine Haussuchung in einem Zimmer, in dem ich nach der Zerstörung meiner dienstlichen und persönlichen Wohn-Etage Aufnahme gefunden hatte. [Hanna Schüßler wohnte von 1943 bis 1949 in der Straße Allee 96 in Hamburg-Altona]. Die Gestapoleute nahmen nach Belieben Akten, Schreibpapier und vor allem meine Schreibmaschine weg und machten mir Auflagen, um mich an weiterer Arbeit zu hindern. Die persönlichen Verbindungen zu Menschen, die in unserer Arbeit standen, konnten sie nicht beeinflussen. Wir haben weiter unseren Dienst in den üblichen Arbeitsformen durchgeführt und sogar ab und zu Freizeiten veranstaltet. Auf Störungen waren wir immer gefasst, aber das schmiedete die Kreise umso fester zusammen.“
Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte sie im Sommer wöchentlich stattfindende Treffen mit mehreren Hundert Kindern und Jugendlichen durch.
Zwischen 1947 und 1956 leitete sie den Aufbau des Evangelischen Mädchenpfadfinderbundes (EMP) in der Bundesrepublik Deutschland. Zu dessen 10-jährigem Jubiläum schrieb Hanna Schüßler: „Für mich fing es damals nach 1945 so an: Im Haus Michael, einer Stätte der Begegnung, die von Engländern in Hamburg-Blankenese geschaffen worden war, hatte ich einen Vortrag zu halten. An der nachfolgenden Aussprache beteiligten sich die Jugendlichen mit solcher Leidenschaftlichkeit, dass ich die dort ausgesprochenen Gedanken einfach nicht wieder loswerden konnte. An diesem Nachmittag zeichnete sich in Umrissen schon das ab, was dann Schritt für Schritt in unserm Bund Gestalt gewann. Das Aufregende dabei war für mich, dass es nicht von Kennern der alten Pfadfindergeschichte vorgeschlagen worden war, sondern von Vertretern der jungen Generation, die für den neuen Abschnitt der deutschen Geschichte nach einem guten und gangbaren Weg für verantwortlich denkende junge Menschen suchten. (…)
Wir können die gelebte Gemeinschaft in unserem Bund als ein Stück Einübung sehen für das Gliedsein in den großen Zusammenhängen, wie sie sich in unserer Kirche und in unserem Volk darstellen.
Es bedeutet etwas für einen jungen Erwachsenen, wenn er schon einige Jahre das Miteinanderleben und das Miteinander-Helfen praktiziert und dabei erfahren hat, wie es immer auf jeden einzelnen und auf das gute Zusammenwirken aller ankommt. Es gehört gewiß zu unser aller schönsten Erfahrungen, wenn wir es erleben, wie ein Glied unseres Kreises ganz bewusst als evangelische Frau in ihrer eigenen Familie, im Beruf, in der Kirchengemeinde, in einem Weg der Nächstenliebe oder in der Öffentlichkeit lebt und Verantwortung trägt.“ (Hanna Schüssler, unveröffentlichte Aufzeichnungen, in: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Hanna Schüßler war von 1949 bis 1953 die erste Vorsitzende dieses Bundes und von 1951 bis 1959 Mitglied des „Executive-Comitee of the YWCA“. Dazu schrieb der „Hamburger Anzeiger“ am 8.8.1953 in einem Interview über Hanna Schüßler, welches er anlässlich des in Hamburg zu dieser Zeit stattfindenden Deutschen Evangelischen Kirchentages führte. Hanna Schüßler: „war eine der ersten, die 1947 nach England geladen wurden, als das Executiv-Komitee des christlichen Weltbundes weiblicher Jugend, World’s YWCA, dem nur 13 Frauen aus 64 Ländern angehörten, in London tagte. Sie hat in Amerika, Kanada, England, dem Libanon und den nordischen Staaten ihre Aufgabe vertreten und von jeder dieser Reisen Anregungen und neue Pläne für ihre christlich-soziale Arbeit in Hamburg mitgebracht.“
Ab 1948 war Hanna Schüßler für 30 Jahre Kirchenvorsteherin in der Hauptkirche St. Katharinen.
1952 war sie federführend an der Eröffnung und Führung des „Hauses der Offenen Tür“, eines kirchlichen Klubheimes für Jugendliche in der Sierichstraße 150, später Umzug nach Nr. 6, beteiligt. Mit dieser Einrichtung wurde im zerbombten Hamburg der frühen 1950er Jahre Raum für junge berufstätige Erwachsene, gleichgültig welcher Konfession, geschaffen; in dem die freie Zeit verbracht werden konnte. Neben der angedachten Freizeitgestaltung sollten dort auch ganz praktische Dinge erledigt werden können, wie zum Beispiel das Waschen und Pflegen der persönlichen Wäsche. Hanna Schüßler schreibt dazu: „Sie sollen dort in freundlicher und gesunder Atmosphäre viele Gelegenheiten finden zu froher und sinnvoller Freizeitgestaltung im Zusammenleben mit anderen. (…) Viel Wert wird auf Selbstverwaltung, auf eigene Planung und Gestaltung gelegt, um Gaben und Kräfte für größere verantwortliche Aufgaben in der Gemeinschaft freizumachen.“ (Hanna Schüssler: Abschrift. Die ursprüngliche Konzeption des Hauses der Offenen Tür. Niedergeschrieben für den LKR, in der Synode im Mai 1952 von Herrn OKR Dr. Pietzcker vorgelesen. 8. Mai 1952. Ordner 1 Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.) Angeboten wurden z. B. folgende Kurse: Arbeitskreis für Wirtschaftsfragen, Laienspiel und Pantomime, Literatur-Kreis, Keramik, Tanz für Anfänger und Fortgeschrittene, Skat-Gruppe, Tischtennis, Schach-Gruppe, Hausmusik-Kreis. Themen von Diskussionsabenden waren u. a.: Weltmacht Presse, Was ist Filmkunst?, Horoskop, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Das Zeitalter der Ungeselligkeit? und Berufswahl – Selbstentscheidung oder Lenkung?
Hanna Schüßler sah im Haus der Offenen Tür, welches als kirchliches Heim geführt wurde, ein Potenzial, Kontakte zur Jugend aufzubauen und so einen „volksmissionarischen Dienst an der Jugend in Angriff zu nehmen.“ (ebenda.)
Ebenfalls 1952 übernahm sie den Ausbau und die Leitung des „Evangelischen Frauenwerkes der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate“. Diese Funktion behielt sie bis zum Eintritt in den Ruhestand 1974 inne. In einem Bericht über das Landeskirchliche Frauenwerk Hamburg, den Hanna Schüßler auf der Hamburger Landes-Synode am 6.12.1956 hielt, sprach sie über die Zielsetzung des Landeskirchlichen Frauenwerkes: „Die Tatsache, dass unsere Gottesdienste überwiegend von Frauen besucht werden, kann zu dem Schluß führen: Um Frauen braucht man sich nicht erst zu bemühen, Frauen sind sowieso da. Wer sich jedoch näher mit diesem Gedanken beschäftigt, wird sicher trotz der vielen Frauen im Gottesdienst einige beunruhigende Fragen stellen:
1. Sind diese Frauen wirklich ganz da? Wissen sie mit dem Evangelium zu leben? Reicht die Verkündigung hinein in ihre persönliche Lebensgestaltung, in die eigentlichen Probleme, Nöte und Unsicherheiten ihres Daseins?
2. Sind die Frauen nur treue Kirchgänger oder verstehen wir es, sie mit den ihnen eigenen Kräften und Gaben in den Aufbau des Gemeindelebens wirklich mit hineinzunehmen? Helfen wir, aus Mitläuferinnen verantwortliche Mitträgerinnen zu gewinnen?
3. Bilden die vielen Frauen in den Gottesdiensten nicht dennoch nur einen sehr schmalen Ausschnitt aus unserer Hamburger Frauenwelt, einen Ausschnitt, in dem eine bestimmte soziale Schichtung und die höheren Altersstufen vorherrschend sind? Wo sind die andern alle?
Damit sind die drei Aufgabenbereiche angesprochen, um die es im Wesentlichen in unserem evang. Frauendienst geht:
1. Die Konkretisierung der Verkündigung für das Leben der Frau – bis hin zur Einzelseelsorge.
2. Die Gewinnung und Zurüstung von Mitarbeiterinnen für Dienste im Raum der Kirche.
3. Der missionarische Auftrag an die Frauenwelt. (…)
Ein Brückenschlagen zu kirchenfremden Frauen auf dem Boden der Gemeinde ist für uns eine der liebsten Aufgaben. Sie hat sich am besten in der Form bewährt, dass zu einem Vortrag unserer Mitarbeiterinnen Einladungen an Frauen ergehen, die gerade aus einem besonderen Anlaß heraus leichter als gewöhnlich von der Gemeinde angesprochen werden können: Tauf- und Konfirmanden-Mütter oder auch Mütter von Schulanfängern. Bei der Aussprache nach solchem Vortrag zeigt es sich zumeist, wie sehr die Mütter – (oft sind auch die Väter dabei) – nach einer ganz konkreten Wegweisung verlangen. Sie sind dankbar, dass sie mit den Problemen, die ihnen durch die Kinder in den verschiedenen Altersstufen jeweils aufgegeben sind, nicht alleingelassen werden. Sie merken aber auch, dass ein einmaliges Gespräch nicht ausreicht, und bitten oft um weiterführende Abende. Das ist zuweilen der Beginn eines Mütterkreises und kann für die einzelnen Frauen zu einem lebendigen Kontrakt mit der Gemeinde werden.
Die neuen Mütterkreise, die wir – trotz aller berechtigten Angriffe gegen die ‚Verkreisung’ des gemeindlichen Lebens – für sehr gut und nötig halten, können nur entstehen, wo sich Frauen dieser Aufgabe ganz besonders annehmen. Das Frauenwerk hat in den letzten Jahren, mehrmals an 6 Vormittagen Einführungskurse in diesen Dienst an den Müttern gehalten. Wege der Verkündigung, Lebensfragen im Mütterkreis, aber auch Methodisches zur Gesprächsführung, zum Aufbau und zur Gestaltung dieser Arbeit gehören zu den Themen der Kurse. Seit langem ist den Kursteilnehmerinnen ein Aufbaukursus versprochen, der zu Beginn des neuen Jahres stattfinden wird.
Die neugewonnenen Mitarbeiterinnen wachsen bald hinein in die große Gemeinschaft der verantwortlichen Frauen aus den Gemeinden, die monatlich einmal zur Leiterinnenkonferenz und ab und an zu besonderen Rüstzeiten zusammenkommt. Neben der biblischen Zurüstung und den Fragen des gemeindlichen Frauendienstes haben wir in diesem Kreis vor allem Themen, die uns den Blick weiten helfen für die Verantwortung der evangelischen Frau in der Kirche und Gemeinde, in der geistigen Auseinandersetzung der Gegenwart, im Volk und in den besonderen Lebensbereichen der Frau.
Es ist uns sehr wichtig, dass durch die Arbeitsverbindungen mit der ökumenischen Frauenarbeit und mit den gesamtkirchlichen Frauendiensten immer wieder neue Impulse aus andern Ländern, Landeskirchen und kirchlichen Arbeitskreisen in unsern Dienst hineinkommen und uns vor einem Leben im Ghetto und vor einer Erstarrung bewahren.
Diese Hilfe von ‚draußen’ kommt uns auch bei unseren großen Frauenveranstaltungen zugute, die wir in gewissen Abständen halten. Wir versuchen dabei, die Lebensthemen der modernen Frau anzusprechen, etwa: ‚Die moderne Frau in der Ruhelosigkeit ihres Lebens’, ‚Berufstätigkeit der Frau – Erfüllung und Not’, ‚Die Bewusstseinswandlung der Frau und die Ehe’, ‚Wir christlichen Frauen in unserer Zeit’. (…)
In der Begegnung mit den Frauen aus der Industrie ist es ganz besonders nötig, dass wir sie zu Erholungsfreizeiten einladen können. Vieles lässt sich nicht durch ein abendliches Zusammensein darstellen, es muß einfach gelebt werden. Gerade bei den Frauen, die nicht an geistige Arbeit gewöhnt sind, ist das ein wesentlicher Faktor. Allein die Tatsache, dass sie in dem Freizeitkreis als einzelner Mensch ernstgenommen werden, dass sie einmal ihre Last abladen dürfen und dass sie ihr Leben mit anderen Augen ansehen lernen, schafft ein Vertrauen, das zu einem Neuanfang führen kann. Eine schlichte Teilnehmerin, die aus einem großen Betrieb zu uns kam, schreibt: Am vergangenen Freitag habe ich am offenen Abend von der Freizeit berichtet. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich gewagt, etwas von dem zu sagen, was mich bewegt und was ich einfach weitersagen muß. Ich hatte mir alles fein aufgeschrieben und wollte mich daran halten, aber als ich erst angefangen hatte, war ich so dabei, dass es nachher zu einem richtigen Gespräch kam. Eine Frau bat mich, doch mal zu ihr in die Wohnung zu kommen, sie kennt einige Frauen aus der Fischindustrie, und die möchte sie gerne zu einem Gespräch einladen. Natürlich habe ich zugesagt.“ (Hanna Schüssler, Bericht über das Landeskirchliche Frauenwerk Hamburg, den Hanna Schüssler auf der Hamburger Landes-Synode am 6.12.1956. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Bis 1958 war Hanna Schüßler in dieser Zeit gleichzeitig Leiterin des Evangelischen Jugendwerkes. Außerdem war sie von 1952 bis 1976 Synodale der Synode der Hamburgischen Landeskirche und ab 1953 Deputierte der Jugendbehörde Hamburgs.
Zwischen 1953 und 1958 amtierte Hanna Schüßler als Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendgildearbeit, welcher sich an Jugendliche wendete, die aus der sowjetisch besetzten Zone nach Hamburg kamen: „Die Gildearbeit hat das Ziel, die Eingliederung weiblicher, alleinstehender Jugend von 14 bis zu 25 Jahren, die aus Mitteldeutschland kommt, in die westdeutsche Lebens- und Kulturgemeinschaft nach Kräften zu fördern.“ (Presse-Material: Pressekonferenz Mädchenwohnheim Hirschgraben 4. Dez. 1958. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
In dieser Arbeit wurden zwischen 1953 und Ende 1958 ca. 7.000 weibliche Jugendliche betreut, die legal über das zuständige Lager Westertimke bei Bremen kamen oder illegal in die BRD einwanderten. Den Schwerpunkt der Arbeit sah Hanna Schüßler in der geistig-seelischen Betreuung der Jugendlichen, in der unterschiedlichste Wege beschritten wurden: von Gesprächsangeboten über die private und berufliche Zukunft der Frauen bis zu unterstützender Kontaktaufnahme bei Behörden und Ämtern und dem Angebot von Freizeitaktivitäten wie Ausflügen, Wanderungen und Freizeiten. Auch erfolgten Näh- und Kochkurse, Vortrags- und Diskussionsabende zu Lebensfragen und staatsbürgerliche Erziehung.
Aus diesen Tätigkeiten heraus ergab sich der Bedarf für eine betreuende Institution: 1956 wurde am Hirschgraben 25 in Hamburg-Eilbek ein Mädchenwohnheim mit 60 Plätzen neu erbaut, um hier den Mädchen nicht nur ein Zimmer und ein Bett, sondern auch ein Zuhause zu bieten.
Auch übernahm Hanna Schüßler 1953 den Posten der Vorsitzenden des Frauenausschusses beim Hamburger Kirchentag; ein Amt, in dem sie Pionierarbeit leistete, denn diesen Arbeitsbereich gab es bei dem Kirchentag zum ersten Mal. So schrieb der Hamburger Anzeiger am 8.8.1953: „Als Hanna Schüßler darauf drängte, dass anlässlich des Kirchentages zum erstenmal auch ein Frauenausschuß eingesetzt wurde, sagten misstrauische Männer: Wozu? Und jetzt, da der Frauenausschuß mit fraulicher Intensität auf Lücken zeigte, die das Programm noch hier und da aufwies, auf all die Dinge, die der fraulichen Hand bedürfen, um den Hunderttausenden den Kirchentag zu einem wirklichen Fest zu gestalten, jetzt sagen sie: Wie sind wir bloß bisher ohne Frauenausschuß ausgekommen!“
Ein anderer ihrer Arbeitsbereiche war die Müttergenesungsarbeit: Hanna Schüßler pflegte die Kontakte zu der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung und deren leitender Geschäftsführerin, Dr. Antonie Nopitzsch. Hanna Schüßler koordinierte und organisierte in Hamburg mit Mitarbeiterinnen die jährlich zum Muttertag stattfindenden Sammlungen. Auch war sie maßgeblich an der Einrichtung der Kurheime in Dahmenshöved an der Ostsee und Bispingen in der Lüneburger Heide, in denen Kuren für Mütter angeboten wurden, beteiligt.
1955 wurde im Frauenwerk das Referat für die berufstätige Frau gegründet. Diesen Tätigkeitsbereich übernahm Charlotte Radek, mit der Hanna Schüßler sehr erfolgreich zusammenarbeitete. Diesem Gebiet widmete Hanna Schüßler eine große Aufmerksamkeit. Ihr Fokus lag nicht nur auf den „Müttern“, sondern auf der „Frau“ an sich.
Zwischen 1958 und 1974 war Hanna Schüßler Delegierte des Ev. Frauenwerkes Hamburg bei der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (ahf), heute Landesfrauenrat Hamburg (LFR), eine unabhängige, überparteiliche und überkonfessionelle Dachorganisation von mehr als 60 Frauenverbänden.
Hanna Schüßler sorgte durch ihr ausgeprägtes kirchliches und politisches Engagement für eine sich immer weiterentwickelnde Vernetzung zwischen den Organisationen und Trägern, deren ehrenamtliches Mitglied, deren Leitung, Vorstand oder Präsidentin sie war oder für die sie sich haupt- oder ehrenamtlich betätigte und engagierte.
Alle diese Tätigkeiten Hanna Schüßlers wiesen auf ein Ziel hin, die Arbeitsbereiche der Frauen- und Jugendarbeit, an der sie beteiligt war, an einem Ort zusammenzuziehen, denn eine große Problematik bei all ihrem Engagement war die räumliche Beschränktheit. Auf der Landeskirchlichen Synode am 6.12.1956 forderte sie einen Raum für die Arbeit, um weiterhin vielfältige, qualitativ hochwertige und in die Zukunft gerichtete Arbeit leisten zu können: „(…) Wir brauchen eine sammelnde Mitte für unseren Dienst: ein Haus, in dem uns die Frauen der Gemeinde finden können, in das sich aber auch viele andere einladen lassen, die ihre Gemeinde noch nicht kennen und die doch auch zu uns gehören; ein Haus mit den Arbeits- und Sprechzimmern unserer Mitarbeiterinnen, mit unserer Fachbücherei und mit unserem Schriftendienst; ein Haus, in dem wir unsere Sitzungen, Konferenzen, Vortragsveranstaltungen, Offenen Abende und unsere Mütterschulung halten können: ein Haus, das Raum hat für die Begegnung untereinander und das Gespräch, in dem man aber auch zur Sammlung und Stille kommen kann. Es muss ein Haus sein, in dem sich unsere Gemeindehelferinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen wohlfühlen, in das aber auch gern jemand von ‚draußen’ hereinkommt und das aber auch für unsere jugendlichen Flüchtlingsmädchen und für die Industriearbeiterinnen eine Stätte werden kann, die sie gern aufsuchen. (…)“ (Hanna Schüssler, Bericht über das Landeskirchliche Frauenwerk Hamburg, a. a. O.)
Als ein entscheidendes Ziel Hanna Schüßlers Arbeit kann die Eröffnung des „Hauses der Frau“ im Mai 1959 gesehen werden. In dem von der Evangelischen Kirche erworbenen Haus am Loogeplatz 16 in Hamburg-Eppendorf erfolgte eine Zusammenführung und Zentralisierung aller Aktivitäten, Funktionen, Tätigkeiten und Ämter.
1974 ging Hanna Schüßler in den Ruhestand. Auf ihrer Verabschiedung wurden in einigen Ansprachen auch Hanna Schüßlers emanzipatorische Bestrebungen angesprochen und interpretiert. Pastor Hans-Georg Schmidt, damaliger Direktor der Alsterdorfer Anstalten und Referent des Kirchenrates für das Frauenwerk: „Als ich vor 9 Jahren in den Kirchenrat kam, da war ich der Youngster und bekam das Amt, Referent im Frauenwerk zu werden. (…) Und der junge Mann selbst, der damals dann das Amt übernahm, hier in den Beirat zu gehen und als Referent manches mitzuerleben, der war auch am Anfang, es war das Jahr 1965, sehr skeptisch, als er hier zum ersten Mal diese Räume betrat. Skeptisch, weil ich ein eigentlich geborener Feind von Emanzipationsgedanken war (…). Und nun habe ich im Laufe dieser 9 Jahre – es sind gar nicht 9 Jahre gewesen, es brauchte eigentlich nur zweier Jahre – völlig umgelernt und eine wahrhafte Metanoia [innere Umkehr] hier in diesem Haus erlebt. (…) Ich habe hier in diesem Hause gesehen, dass ja keineswegs irgendwie nur Gedanken aus der alten Women’s Liberation Front auf dem Tisch des Hauses waren. Sondern dass dieses Werk der Hamburgischen Landeskirche eigentlich ein ungeheuer integratonisches Werk gewesen ist. Die Früchte dieser Arbeit und der Gedankengänge, die damals erwachsen sind in gemeinsamer Arbeit, die sind jetzt eigentlich zu spüren – in den letzten Jahren vor allem – in der Richtung der Ausweitung dieses Werkes. Ich denke nun in diesem Augenblick an das Stichwort ‚Familien-Bildungsstätte’. Es hat also nie eine rein emanzipatorische Haltung hier gegeben, sondern sie war immer aufs Ganze ausgerichtet.“ (Verabschiedung Frau Hanna Schüssler. Empfang im Haus der Frau am 23. Februar 1974. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Laut Duden ist unter „Emanzipation“ die Befreiung von Abhängigkeit, die Gleichstellung zu verstehen – nicht mehr und nicht weniger: Eine Forderung, die für alle human denkenden Menschen eine Selbstverständlichkeit sein sollte. In diesem Sinne argumentierte dann auch eine weitere Festrednerin: Pastorin Dr. Haseloff aus Lübeck, die in Vertretung verschiedener Gruppen der Deutschen Evangelischen Frauenarbeit sprach: „Ich möchte jetzt aber noch ein anderes Wort gerne anfügen dürfen, Frau Schüßler, was mich nun ganz besonders im Blick auf Sie bewegt hat. Hier ist (…) des öfteren das Wort ‚Emanzipation’ angeklungen; und Frauenarbeit kann es heute und wahrscheinlich noch sehr lange nicht ohne diese Grundfrage geben ohne die Grundfrage nach der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft. Und es wird Ihnen und mir immer schmerzlich bewusst bleiben, daß verständnisarmes Lächeln immer noch nicht ganz verschwunden ist, wenn dieses Thema dran ist. Aber das, was bei Ihnen von uns allen empfunden und bewundert worden ist, ist die Tatsache, dass Sie Emanzipation verstanden haben als die unerhört notwendige Schaffung des Lebensraumes für einzelne, die nur dadurch, dass man ihnen diesen Lebensraum schafft, auch in der Kirche, auch im Raum unserer Verkündigung, zur Sprache kommen konnten. Sie sind nicht getrieben worden von der Emanzipation, sondern Sie sind getrieben worden von unserem Auftrag und sind von daher zur Emanzipation gekommen. Und das haben Sie in der Frauenarbeit vorgelebt, vorbildlich gezeigt und in Ihren Arbeitsplänen als entscheidenden Faktor entwickelt.“ (Verabschiedung Frau Hanna Schüssler. Empfang im Haus der Frau am 23. Februar 1974, a. a. O.)
Von den Teilnehmerinnen der Leiterinnen-Konferenz erhielt Hanna Schüßler zwei sehr praktische Geschenke. In einem Brief bedankte sie sich dafür mit folgenden Worten, die auch ihren Umgang mit ihren niedergelegten Berufstätigkeiten deutlich macht: „(…) Frau Rahe hat am festlichen Abschiedstag in Ihrer aller Namen den Dank in guten und anerkennenden Worten ausgesprochen und mit viel Elan und Humor unter großem Beifall der Gäste den ‚wertvollen WMF-Dampf-Kochtopf’ überreicht. Den beigefügten Gutschein habe ich mir inzwischen in eine schweinslederne Aktentasche für ehrenamtliche Sitzungen und Wege umgetauscht. Über beides freue ich mich sehr und kann nun sowohl beim Experimentieren in der Küche, was ich bereits zweimal mit Erfolg getan habe, als auch unterwegs in Hamburg und Umgebung sehr unmittelbar an unser Miteinander im Frauenwerk und in den Gemeinden denken. (…) Bitte verstehen Sie es richtig, wenn ich mich in Zukunft nur noch ganz gelegentlich einmal im Haus der Frau sehen lassen werde. Frau Dr. Christine Bourbeck (…) hat mit großem Verständnis über den Ruhestand geschrieben. In ihrem Buch ‚Die zweite Hälfte unseres Lebens’ ist ein Kapitel überschrieben: Wir und die nach uns kommen. Dort steht unter 3. ‚Entlassen und doch verbunden’ als letzter Satz: ‚Je mehr wir einander frei geben, desto dankbarer sind wir gegenseitig.’ Das trifft ganz die Gedanken, die ich darüber habe. Es bleibt das Zusammengehören, und es bleibt die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft füreinander, aber doch nicht genau in den alten Formen und in der gewohnten Regelmäßigkeit. Da Sie meine Rufnummer nicht im Telefonbuch finden können, gebe ich sie Ihnen bekannt für den Fall, dass Die mich einmal sprechen wollen: 455639.“ (Brief von Hanna Schüssler vom 11.3.1974 an die Teilnehmerinnen der Leiterinnen-Konferenz am 20. Februar. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Ein Jahr später wurde Hanna Schüßler das Bundesverdienstkreuz überreicht.
Von 1958 bis zu ihrem Tode wohnte Hanna Schüßler in der Isestraße 30. Als sie elf Jahre nach ihrer Pensionierung starb, hielt Hauptpastor Peter Stolt die Ansprache im Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen. Er würdigte Hanna Schüßler u. a. mit folgenden Worten: „Ja, sie war eine machtvolle Persönlichkeit. Sie hat viel gewollt, und sie hat viel geschafft. Aber sie verwaltete die ihr verliehene Macht in sehr eigener Art. Sie hatte ihre Kanten und Ecken und auch sehr persönliche Eigenheiten (…). Doch dass Wichtige ihrer Art war, wie sie immer andere überzeugen konnte, dass es um Menschen ging. Und dass es immer konkrete Anfänge waren, für deren Wachstum sie um Mithilfe rang. (…) ich sehe noch vor mir ihr Zimmer in der Bohnenstraße im Weiblichen Jugendwerk. Da hing schon der Picasso – das kleine Mädchen mit der Taube, die das Mädchen so sorgsam beschützt. Sie hat das Bild mit ins Frauenwerk genommen. Man hat es ihr dann zum Abschied geschenkt, und es hing bis zum Schluß in ihrem Wohnzimmer. Und ich fand es immer als einen Hinweis auf das, was Hanna Schüßler wollte. Sie zeigte schon als junges Mädchen die Gabe und das Wollen, für Kinder zu sorgen. Sie liebte Kinder. Bis zum Schluß hatte sie eine ganz enge, aufmerksame Liebe zu den Kindern ihrer Geschwister und Freundinnen. (…)
Hanna Schüßler ist eine der leitenden Persönlichkeiten der Hamburgischen Kirche gewesen. Sie gehörte zu den wichtigen Frauen in der Frauenarbeit der Stadt. Sie hat ihre Erfahrung und ihren Einfluß in die internationale, ökumenische Arbeit einbringen können. Jahre arbeitete sie im Exekutiv-Komitee des YWCA. Aber diese großräumige verantwortungsvolle Arbeit hatte einen ganz einfachen Kern. Der lag in diesem Satz, den wir eben unter den Zielsätzen der Evangelischen Weiblichen Jugendarbeit gehört haben: ‚Der Gottesdienst und die Gemeinde soll mir zur Heimat werden.’ Sie hat diese Sätze oft vorgesprochen und erklärt und selbst gelebt. In diesem Sinne war sie in St. Katharinen zu Hause. Und es hat ihr ehrlich leid getan, und sie hat es als Altersschwäche gespürt, dass sie nicht mehr so häufig wie früher sonntags in den Katharinen-Gottesdienst kommen konnte. (…)
(..) erwähnt werden muß das erste Büro in der Bergstraße, diese kleine Zelle, wo sich Jugendarbeit und Bekennende Kirche in Hamburg trafen. Dann, nach dem Krieg, die Eröffnung so vieler nebeneinander liegender Arbeitsfelder der Weiblichen Jugendarbeit. Unvergeßlich das erste Haus der Offenen Tür für diejenigen Mädchen und Jungen (!), die keinen Zugang zu den Gemeindekreisen fanden. Damals gehörte nicht nur Mut, sondern auch eine gute, klare Jugendtheologie dazu. Dann kam das Mädchenwohnheim am Hirschgraben, die Jugendgilde mit den vielen Mitarbeitern. 1952 übernahm sie die Frauenarbeit, gründete das Haus der Frau, die Mütterschulen, die dann Familienbildungsstätten wurden. Ihr sind die beiden Müttergenesungsheime zu verdanken. Viel einzelnes wäre zu sagen. Und alles spiegelt ein fabelhaftes Organisationstalent wider, aber viel mehr warme und treue Hingabe an diese Arbeit, in die sie das Ganze ihres Lebens gab. Dieses Leben, das immer voller Menschen war.
Sie selbst blieb im Hintergrund, wohl auch etwas schüchtern und manchmal direkt ängstlich. Aber dann kämpfte sie für ihre Dinge und für ihre Menschen wie eine Löwin. (…)
Das heutige Frauenwerk kann stolz sein, in Hanna Schüßler eine Vorstreiterin für das eigene Recht der Frau in Kirche und Gesellschaft gehabt zu haben.
Hanna Schüßler konnte stolz sein, etwas ohne die Männer zu schaffen. Aber sie arbeitete stets ganz eng in Partnerschaft mit den Männern der so männlichen Kirche. In Bischof Herntrich hatte sie von Anfang an einen Förderer und Freund. In der Synode fand sie ein offenes Ohr für die Belange der Frau. Man konnte ihr eigentlich auch keinen Stein in den Weg legen.“ (Hauptkirche St. Katharinen, Hauptpastor Peter Stolt, Ansprache im Gottesdienst zum Begräbnis von Hanna Schüssler am 3. Juli 1985 in der Hauptkirche St. Katharinen. In: Ordner 1: Historie Loogeplatz 14/16, Standort: „Haus der Frau“.)
Text: Heike Köster/Rita Bake