Anna Hermine Brutschin-Hansen Anna Hermine Brutschin-Hansen - Tante Hermine
(9.5.1905 Hamburg - 20.8.1971 Hamburg)
Kneipenbesitzerin
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof: Grab.-Nr.: E 9, 28-29
St. Pauli Hafenstraße 108 (Wirkungsstätte und Wohnadresse)
Hannes Schlünz, Erster Vorsitzender der Hamburg Gesellschaft, ehemaliger Seemann, NDR-Journalist, der lange Jahre das Hafen-Konzert und die Weihnachtssendung "Grüße an Bord" moderierte, kannte Tante Hermine gut und schätzte sie sehr. Deshalb war es ihm auch ein Bedürfnis, ein in memorian für sie zu schreiben.
"Wo kömmst Du denn her, Di kenn ick noch nich?" So Hermine Hansen Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre, als ich erstmals in der Hafenstraße 108 aufkreuzte.
"Geiht ook nich, ick weer bi de Süd!" Zur Erklärung: Die Schiffe der Hamburg-Süd machten damals an der Überseebrücke fest. Unsere Stammkneipe war der "Vosswinkel" von Hermine Schütt, Ecke Rambachstraße.
Tante Hermines Etablissement wurde vorwiegend von den Seeleuten der Paketfahrt, sprich Hapag, heimgesucht, die ja lange Zeit mit der berühmten Fähre 7 in die Stadt fuhren. Es waren nicht nur Seeleute, die bei Tante Hermine einkehrten. Aus allen Teilen der Stadt der "Hummeln und Mörsern", sprich Hamburg, kamen die Besucher. Ärzte vom Eppendorfer Krankenhaus, Juristen, sprich Volk, das Sinn für höheren Unsinn hatte, jedoch mit Tiefgang, zählten zum "Stamm". Manch frisch verheiratetes Paar kam vom Michel direkt zur Hermine, um den Bund fürs Leben mit einem kräftigen Aquavit zu beurkunden.
Aquavit war es auch, mit dem Klein Hermine 1905 in der Kneipe ihres Großvaters in der Davidstraße, da wo heute ein Chinese drin sitzt, zünftig getauft wurde. Hermines Großvater wog mehrere Zentner. Man nannte ihn, er war übrigens Norweger, den Elefanten von Hamburg. Anno 23 kam Jung Hermine als 18jährige in die mittlerweile an die Hafenstraße 108 übergesiedelte Kneipe. Dort in dem Haus wohnte sie auch. Sie "weilte" dorten bis zu ihrem Tode im Jahre 1971.
Tante Hermines Ruf war weltumspannend. Post aus Übersee mit der Adresse: Tante Hermine, Hamburg, landete ohne Umwege auf ihrem Tresen, par donc, "Kommandobrücke".
"Tschüüs, kiek mol wedder in, hest ook betohlt?" So die legendäre Verabschiedung für einen Fahrensmann, der wieder an Bord ging. Die schönsten Gespräche über die Christliche Seefahrt samt ihrer umliegenden Dörfer, hatten wir meist am Nachmittag so um 3 Uhr herum, als noch kein Betrieb war. Hermine hockte auf ihrem Stammplatz neben dem Ofen. Sie konnte wunderbar erzählen. "Ick bün`ne Konkurrenz for IBM", sagte sie des Öfteren. Sie verfügte über ein fast unheimliches Erinnerungsvermögen. Ein Beispiel: Kreuzte da ein plattdeutsch sprechender Ami bei ihr auf, der sofort von Tante Hermine zur Rede gestellt wurde. "Du hest noch dreee Beer to betohlen! Du bist doch 1928 op de "Cleveland" west un bist in Newe York "achterutseilt" - sprich einfach ausgestiegen.
Die Wände von Tante Hermines "Welt" an der Hafenstraße 108 waren geschmückt von Mitbringseln der Fahrensleute. Nicht zu vergessen der berühmte Walpenis auf dem Klavier, oben auf halber Höhe des Lokals, der oft herumgereicht wurde. Nicht zu vergessen die drei dramatischen Großfotes der Dreimastbark "Obotrita", hoch und trocken liegend, sprich gestrandet am 25. November 1926 vor Blankenberge. Onkel Karl, Hermines Mann, war dort an Bord. Er musterte später bei ihr an und hatte in der Kombüse das Sagen.
Eine Beleidigung wäre es gewesen, wenn man Onkel Karl - der übrigens den Großen Zettel hatte, also Kapitän auf Großer Fahrt war, nach der Speisekarte gefragt hätte. Es gab täglich nur ein Gericht! Und dieses zünftig nach alter Seemannsart. Natürlich Labskaus, wie Nasi Goreng und weitere Menues, deren Rezepte Onkel Karl während seiner Seefahrtszeit weltweit aufgepickt hatte.
Die gottvolle Seemannstype Bern Hardy - ein naher Verwandter des berühmten Joachim Ringelnatz - hat Tante Hermine besungen:
Hermine
Wenn alte Fahrensleute zechen
irgendwo draußen in der Welt,
dann kommen sie auf Dich zu sprechen,
sobald das Stichwort Hamburg fällt.
Dich kennt der Mann in der Maschine,
der Jantje und der Midshipsgast,
Das macht der Ruf den Du, Hermine,
bei uns als Seemannswirtin hast.
Damals- vor mehr als vierzig Jahren -
als ich an Bord der Karnak ging,
trank ich bei Euch den ersten Klaren.
Da warst Du noch ein junges Ding.
Als wir uns dann auf See rumtrieben
- Dein Karl fuhr schon als Steuermann -
legte die alte "Fähre sieben"
bei Euch noch vor der Theke an.
Stabil und proper - wie Dein Tresen -
bis Du noch ganz vom alten Schlag!
Wie oft sind wir bei Dir gewesen,
wenn unser Schiff in Hamburg lag.
Du hattest immer Neuigkeiten,
wußtest von jedem wo er fuhr;
und kamen wir auf alte Zeiten,
sah keiner von uns auf die Uhr.
Wenn ich an jene Stunden denke,
Hermine, hebe ich mein Glas
wie einst als ich in Deiner Schenke
- von See zurück - am Tresen saß.
Es wurde, wenn die Stimmung hoch ging, der Wind wehte und Klabautermann zu Gast war, kräftig gesungen. Shanties natürlich. Keine Ahoilieder. So was gab es nicht bei Tante Hermine. Eine "Polizeistunde" gab es bei ihr auch nicht.
"Tja und wie machst Du das denn nu, denn Du kannst ja nicht mehr Backschaft und Reinschiff machen?" Hermine litt an Gicht und wurde unbeweglicher. "Das machen alles meine Jungs von der Seefahrtsschule, gerade so wie früher im Freiwilligen Arbeitsdienst!" Originalton Hermine Hansen.
Mit Tante Hermines Tod - eigentlich hätte ganz Hamburg "Halbmast" flaggen müssen - ist anno 71 ein saftiges Küstengewächs mit Herz von Dannen gezogen. Die christliche Seefahrt, der Hafen und die Küste sind ärmer geworden.
Gute Ruh, liebe Tante Hermine in Ohlsdorf! Wir haben und werden Dich nie vergessen.
Eine Gedenktafel an der ehemaligen Seemannskneipe in der Hafenstraße 108 erinnert an „Tante Hermine“.
Text: Hannes Schlünz (†)