Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Wilhelmine Marstrand (Antonia Josefina Wilhelmine Marstrand)

(7.8.1843 Donaueschingen - 16.8.1903 Spiez am Thuner See)
Pianistin und Pädagogin
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Historischer Grabstein)
Mittelweg 45 (Wohnadresse)


Auf einer Stele aus schwarzem Granit, an deren oberem Teil ein Bronzerelief mit musizierenden Engeln befestigt ist, befindet sich im unteren Teil die Widmung:
Der begeisterten Künstlerin,
Der treuen Collegin,
Der unvergesslichen Lehrerin,
Der geliebten Freundin,
zu ehrendem Gedächtnis

Was schon die Inschrift auf dem Grabstein vermuten lässt: Wilhelmine Marstrand war eine außerordentlich beliebte und geschätzte Frau. Zur Einweihung des von den Freunden gestifteten Monuments hatten sich trotz schlechten Wetters etwa 200 Personen auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingefunden, um die Pianistin und Lehrerin zu ehren.
Wilhelmine Marstrand, Tochter des fürstlichen Hofgärtners Peter Marstrand und seiner Frau Antonie Theresia Bernardina geb. Pech erhielt schon sehr früh ausgezeichneten Musikunterricht, so durch den fürstlich-fürstenbergischen Kammermusiker Nepomuk Wagner und ihren Taufpaten, den Violoncellisten Leopold Böhm.
Nachdem die Familie 1855 nach Konstanz gezogen war, erhielt Wilhelmine von dem Musikdirektor und Organisten Carl Ferdinand Schmalholz Unterricht. Im Alter von 16 Jahren, 1859, trat sie in das neu gegründete Stuttgarter Konservatorium ein. Sie gab erfolgreich Konzerte in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Dresden und im Leipziger Gewandhaus. 1867 verlobte sie sich in München mit dem Historienmaler Horace Jantzen. Zu einer Heirat kam es nicht. Ein Jahr später zog sie nach Hamburg, wo sie zusammen mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Maria, die ebenfalls Pianistin war, am Mittelweg 45 wohnte. In Hamburg führte sie sich unter großem Beifall von Publikum und Presse mit Johann Nepomuk Hummels a-moll-Konzert in der Philharmonie ein. Im Laufe der Zeit verlegte sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit jedoch immer mehr aufs Unterrichten.
Zwischen 1877 und 1895 „war Wilhelmine Marstrand alleinige Veranstalterin von Kammermusiksoireen, zu denen sie die Mitwirkenden engagierte. Anfänglich handelte es sich dabei um Friedrich Margwege (Violoncello) und Carl Louis Bargheer (Violine), später kamen Henry Schradieck, Ottokar Kopecky (Violine), Magnus Klietz und Albert Gowa (Violoncello) hinzu. Damit prägte sie das Hamburger Musikleben als eigenständige Künstlerin, die stolz auf ihre Unabhängigkeit war: ‚Ich bitte recht sehr nicht unerwähnt zu lassen, daß ich viele Jahre selbständige Concerte gab; denn es ist für den ausübenden Künstler ein großer Unterschied ob man nur i. anderen Concerten mitwirkt oder ob man regelmäßig gut abonnierte eigene Concerte gibt, die Jahre lang einen sogenannten ‚eisernen Bestandteil‘ des hamburger Concert-Repertoires bildeten‘ (Marstrand, Aufzählung der ‚zur Aufführung gebrachten Kammermusikwerke in Hamburg‘).“[1]
1883 wurde sie Mitglied des Lehrkörpers des Konservatoriums und arbeitete dort trotz eines schweren Leidens bis zu ihrem Tode.
Die aus dem Gedächtnis zitierten Worte des Direktors des Philharmonischen Orchesters, Max Fiedler, anlässlich der Aufstellung des Grabsteins geben einen Eindruck von der Persönlichkeit und dem Wirken der Künstlerin, auch wenn sie eines gewissen Pathos nicht entbehren: „Wärmste Liebe, treueste Freundschaft, Verehrung und Dankbarkeit haben diese Gedächtnisfeier für unsere verehrte Freundin Wilhelmine Marstrand veranlasst, - solch tiefe Liebe, solch echte Freundschaft, wie sie gewiss nur selten zu finden sind. Fernstehenden müsste dies ein Beweis sein, dass die Verewigte ein ganz seltener Mensch war, dem es gegeben war, sich tief in die Herzen seiner Freunde einzuprägen. Die Näherstehenden, die Freunde und Verwandten wissen das und betrauern in der Dahingeschiedenen eine hervorragende Persönlichkeit und ausgezeichnete Künstlerin, eine Freundin, echt wie Gold, eine Schwester, wie sie idealer nicht gedacht werden kann, eine Künstlerin, die, ganz erfüllt von den Idealen ihrer Kunst, unablässig und mit nie erlahmendem Enthusiasmus daran arbeitete, ihre hohen Ziele zu erreichen.
Wilhelmine Marstrand war eine vornehme Natur, ein echter Charakter von merkwürdiger Festigkeit. Ein Hin- und Herschwanken in Urteil und Meinung war ihr fremd; sie hielt treu und offen alles das hoch, was sie einmal für gut, schön und richtig erkannt hatte. Dadurch erhielt man von ihr einen wohltuenden Eindruck absoluter Zuverlässigkeit und Wahrheit. Und welche Selbständigkeit, welche Energie konnte sie entfalten, wenn es sich darum handelte, anderen eine Freude zu machen! Keine Mühe wurde gescheut, selbst noch zu einer Zeit, als sie durch körperliche Schmerzen schwer zu leiden hatte. Manches wäre nicht zustande gekommen, wenn sie sich nicht energisch und selbstlos dafür gemüht hätte. Wie sie anderen zu erfreuen, anderen zu helfen strebte, das haben nicht am wenigsten ihre Schüler erfahren. Mit nie ermüdender Fürsorge und mit heiligem Eifer arbeitete sie daran, die Fähigkeiten zu entwickeln und sie immer mehr einzuführen in die Herrlichkeit der von ihr über alles geliebten Kunst. Wie viele danken ihr und lieben sie dafür! An Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit und segensreichem Interesse für jeden ihrer Schüler war sie ihren Kollegen ein wahres Vorbild. Was speziell das Konservatorium ihr zu danken hat, an dem sie eine lange Reihe von Jahren wirkte, lässt sich nicht mit wenigen Worten erschöpfen. Es war eine Freude mit ihr zu arbeiten; nie hat der leiseste Misston die Harmonie gestört. Neid kannte sie nicht. Sie schenkte das wärmste Interesse allen, die etwas leisteten, und mit glühendem Anteil verfolgte sie die Entwicklung junger hoffnungsvoller Talente und half ihnen, wo sie konnte. Musik war ihr Leben, hielt sie froh und verjüngte sie. Wilhelmine Marstrand war eine echte Musiker-Natur, durchdrungen von heiligem Ernst und künstlerischer Strenge gegen sich selbst. Wenn sie am Klavier saß, schienen alle körperlichen Schmerzen von ihr genommen.
Was sie erdulden musste in ihrer schweren Krankheit, das weiß am besten ihre vereinsamte Schwester, deren Trauer unsagbar ist. In unserem Gedächtnis lebt sie als ein ganzer, prachtvoller Charakter. Liebende Freundschaft drängte es, ihrem Andenken auch ein äußeres Zeichen zu errichten in Gestalt dieses schönen Gedenksteines. Als Abschiedsgruß aber rufen wir der Verewigten nach: ‚Schlafe und ruhe in holden Träumen’, Träumen von den Gebilden der Kunst, angefüllt mit Klängen und Harmonien, die dich hier in Wonne versetzten, Träumen treuester Freundschaft, tiefster Dankbarkeit, Verehrung und wärmster Liebe“ [2].
Wilhelmine Marstrand starb während eines Erholungsaufenthaltes in Spiez am Thuner See.
Text: Brita Reimers