Ellen Simon Dr. jur. Ellen Simon
(16.7.1895 Nordhausen bei Erfurt - 13.7.1982 Berlin)
Abteilungsleiterin des Jugendamtes und des Landesjugendamtes in Hamburg, Jugendamtsleiterin in Königsberg
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Historischer Grabstein)
Hamburger Straße 37, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (Wirkungsstätte)
Helene Simon kam am 16. Juli 1895 in Nordhausen bei Erfurt als zweites Kind des Gerichtsrats Georg Simon und seiner Frau Anna Marie geb. Seckel zur Welt. Nach dem Abitur 1915 studierte sie in Halle an der Saale, Jena, Hamburg und Marburg Volkswirtschaft, Jura, Philosophie und Psychologie. Daneben war sie zwischen 1918 und 1923 in der evangelischen Jugendbewegung aktiv und praktizierte damit den evangelischen Glauben, zu dem die Familie Simon 1897 übergetreten war. Zu ihrer Studienzeit hatten sich die Universitäten zwar schon für Frauen aus dem Bürgertum geöffnet, doch lag der Frauenanteil in akademischen Berufen wie im höheren Verwaltungs- und Justizdienst noch um 1930 bei nur 5%. So leistete Ellen Simon bei der Überwindung des tradierten Rollenbildes der Frau als Ehefrau, Hausfrau und Mutter ein Stück Pionierarbeit, erst recht, als sie 1921 in Marburg als Juristin zum deutschen Vormundschaftsrecht über das Thema „Schutzerziehung und Besserungserziehung“ promovierte. Da Frauen aber damals im Justizdienst nur schwer Karriere machen konnten, wandte sie sich dem Bereich der Sozialfürsorge zu. Und weil zu der Zeit bereits eine Helene Simon (1862-1947) erfolgreich als Sozialreformerin und Wegbereiterin der Sozialarbeit sowie -pädagogik als Frauenberuf in Deutschland wirkte, ist es möglich, dass die Verkürzung des Vornamens von Helene zu Ellen ihren Grund darin hat, Verwechslungen mit ihr zu vermeiden.
1921/22 arbeitete Ellen Simon für den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge in Berlin, wo sie mit Vorarbeiten für das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz befasst war. Zwischen 1925 und 1931 wirkte sie als Abteilungsleiterin des Jugendamts und des Landesjugendamts in Hamburg, um dann als Jugendamtsleiterin nach Königsberg zu wechseln. Sie war deutschlandweit eine der wenigen Frauen auf diesem Gebiet, die eine solche leitende Position innehatten. 1932 führte sie den ersten Arbeitsdienst für erwerbslose Mädchen ein. Zwei Jahre zuvor war sie der SPD beigetreten, was dann im April 1933 mit zu ihrer Entlassung führte.
Sie emigrierte im September 1933 in die Schweiz, wo sie im Klinisch-Therapeutischen Institut Arlesheim tätig war, gefolgt von einer Stelle als Dozentin an einer Schwesternschule und als Privatpflegerin. In der Schweiz schloss sie sich auch der Anthroposophischen Bewegung an. Über die Niederlande reiste Ellen Simon Mitte 1938 weiter nach England, wo sie sich bis 1947 als Sozialarbeiterin im Londoner East End betätigte. Dazwischen leitete sie von 1940 bis 1943 ein Heim für ausgebombte alte Menschen in Birmingham. Durch ihre Verbindungen zur Bekennenden Kirche und mehrere Besuche bei ihrer älteren Schwester Lola Töpke in Hamburg (diese endeten allerdings zwangsweise mit Kriegsbeginn) hatte sie den Kontakt zu Deutschland nie ganz verloren. Daher schloss sie eine Rückkehr dorthin nicht aus, dann jedoch in ein vom Nationalsozialismus befreites Deutschland.
Nachdem Ellen Simon bereits 1947 in der amerikanischen und britischen Zone bei der Errichtung von Nachbarschaftsheimen geholfen hatte, erfolgte im Mai 1948 ihre endgültige Rückkehr als Mitarbeiterin des Nachrichtendienstes des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge in Frankfurt am Main. Mit 55 Jahren absolvierte sie 1950 noch einen Ausbildungskurs für Einzelfallhilfe in den USA, der sich ein Lehrauftrag für Vormundschaftsrecht an der Universität in Frankfurt am Main anschloss. Von 1953 bis zu ihrer Pensionierung 1960 leitete Ellen Simon in Berlin das Pestalozzi-Fröbel-Haus, das sich zu der Zeit hauptsächlich der Ausbildung von Sozialarbeitern und -arbeiterinnen in Einzelfallhilfe widmete.
Daneben betreute sie in Berlin ihren gehbehinderten Onkel Ernst Seckel (jüngerer Bruder ihrer Mutter Anna Marie Simon) und dessen zweite Frau Erna. Beide hatten das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt und waren 1945 im Alter von 67 und 56 Jahren nach Berlin zurückgekehrt. Als Gründungs- und zeitweiliges Beiratsmitglied in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit setzte sich die 1897 zum Christentum Konvertierte und im „Dritten Reich“ als Jüdin Angesehene aktiv für die Verständigung zwischen Christen und Juden ein.
Ellen Simon blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet und kinderlos, hatte aber einen großen Bekanntenkreis, zu dem neben Berufskollegen auch viele Künstler und Schriftsteller gehörten (wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Tätigkeiten ihrer Mutter und Schwester als Schriftstellerin bzw. Bildhauerin). Sie war hochgebildet und rhetorisch begabt, aber von eher strengem und emotionslosem Wesen. Ihre Willensstärke und Durchsetzungskraft machten den Umgang mit ihr nicht immer leicht, wie sich eine Cousine zweiten Grades von ihr erinnerte. Bis zu ihrem Tod am 13. Juli 1982, kurz vor ihrem 87. Geburtstag, lebte sie weiter in Berlin. Mit ihr erlosch die Linie der Familie Simon, die von drei erfolgreichen und auf ihrem jeweiligen Gebiet hervorragenden Frauen geprägt war.
Text: Dr. Stephan Heinemann