Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Margarete Susman Margarete Susman verh. von Bendemann

(14.10.1872 Hamburg – 16.1.1966 Zürich)
Schriftstellerin
Adolphsbrücke 5 (Wohn- und Wikrungsstätte)


Auch wenn das „schöne, große Haus“ heute nicht mehr steht, kann man sich eine Vorstellung von der Atmosphäre machen, die das Kind erwartete, wenn es vor die Haustür trat. Das Geburtshaus Margarete Susmans lag mitten im neuen Herzen der Stadt. Den Restaurant-Neubau im Rücken hat man zur Rechten das schöne klassizistische Gebäude der zwischen 1839 und 1841 von Carl Ludwig Wimmel und Franz Gustav Forsmann errichteten Börse, nach wenigen Schritten zur Linken die Adolphsbrücke mit ihrem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer und dem Blick über das breite Fleet in Richtung Alster.
„Ich bin in einer der schönsten Städte Deutschlands, in Hamburg, nicht lange nach dem Ende des Siebzigerkrieges geboren. (...) Die seltsame Schönheit meiner Geburtsstadt ist mir immer in Erinnerung geblieben. Ich erinnere mich deutlich der Spaziergänge mit meiner Mutter oder dem Kinderfräulein durch den Harvestehuderweg: auf der einen Seite die eleganten Villen mit den abhängenden großen Rasenflächen und den sorgfältig gepflegten Teppichbeeten, auf der anderen Seite ein leerer Raum, von dem ich erst kürzlich erfahren habe, daß es die tiefer gelegene Alster war, die ich als Kind von der anderen Seite her nicht sehen konnte und die den Weg bis in die Stadt hinein begleitet. Hamburg – es gehört dazu auch die weite Elbe, die unmittelbar in das Meer hinausführt, der Duft und die Nähe des Meeres, das Schreien der Möwen über der Stadt. Ich bin schon sehr früh von dort weggekommen und habe die Stadt nur einen Tag, kurz vor der Machtübernhame Hitlers, wiedergesehen. Ich sah auch das schöne große Haus wieder, in dem ich geboren wurde und das wir – was heute kaum faßlich erscheint – zu viert mit drei Dienstboten bewohnten“, [1] so erinnerte sich die über 90-jährige Lyrikerin, Essayistin und Malerin in ihrer Autobiographie „Ich habe viele Leben gelebt“ in Zürich an ihre Geburtsstadt Hamburg, die sie schon im Alter von zehn Jahren verließ, um sich mit den Eltern und der ältesten Schwester in Zürich anzusiedeln.
Margarete Susman war eine schöne und kluge Frau – für Ernst Bloch das vielleicht bedeutendste Gesicht, das er je sah, eine „Deborah“ für Georg Simmel. Von Jugend an hatte eine umfängliche Lektüre, die sie von der Wirklichkeit kaum unterschied, Margarete Susman ein „übergroßes Menschenbild“ vermittelt, das sie „dem deutschen Idealismus ihrer deutschen Heimat“ verpflichtete, wie die Jüdin Margarete Susman schrieb. Auf ihr „von geschichtlichen und persönlichen Katastrophen bis zum Übermaß erfülltes Leben“ hatte sie sie nur leise und teilweise vorbereitet. Die historischen Katastrophen sind bekannt. Worin aber bestanden die persönlichen?
Als der Vater ein Studium verbot, vertiefte sich Margarete Susman ins Schreiben und Malen. Nach dem Tod des Vaters studierte sie dann aber doch Malerei und veröffentlichte Gedichtbände wie 1901 „Mein Land“. Als Gasthörerin besuchte sie die Ethik-Vorlesungen von Theodor Lipps in München und die Vorlesungen Georg Simmels in Berlin. Platon, Kants Ethik und Bergsons Gedanken zur Zeit waren die Philosophen und Themen, die sie am meisten beeindruckten und beschäftigten. Über „Spinoza und das jüdische Weltgefühl“ schrieb sie ihre erste philosophische Arbeit. Und die Jüdin, in deren liberalem Elternhaus vom Judentum kaum gesprochen worden war, begann die Bibel zu lesen: „(...) und plötzlich wurde mir eine jähe Erleuchtung durch das unsterbliche Lied des Paulus von der Liebe. Es traf die Wurzeln meines Lebens.“ [1]
Margarete Susmans Denken entwickelte sich dialogisch, und so war auch weniger das Schreiben als das persönliche Gespräch ihre eigentliche Domäne, wie nicht nur das Urteil vieler bedeutender Zeitgenossen bezeugt. In ihren Lebenserinnerungen nehmen die Freundschaften mit Männern wie Leo Baeck, Ernst Bloch, Martin Buber, Stefan George, Bernhard Groethuysen, Gustav Landauer, Georg Lukács, Eugen Rosenstock, Franz Rosenzweig, Georg Simmel und Karl Wolfskehl einen weit größeren Raum ein als ihr schriftstellerisches Werk. Bedeutende Frauen kommen außer der Kunsthistorikerin Gertrud Kantorowicz, zu der die Freundschaft ein Leben lang zwiespältig blieb, kaum vor. Aber auch in den Beziehungen zu Männern bestand auf persönlicher Ebene häufig ein Missverhältnis, das dargestellt, aber nicht thematisiert wird – als habe ihr idealistischer Blick die Verliebtheit mancher Freunde nicht verstanden oder nicht verstehen wollen.
1906 heiratete Margarete Susman den Maler und Kunsthistoriker Eduard von Bendemann, der wesentlich zu ihrer Antikriegshaltung beitrug. Ihm folgte sie 1912 mit dem gemeinsamen Sohn von Berlin nach Rüschlikon in der Schweiz. Eine langjährige Tätigkeit für das Feuilleton der Frankfurter Zeitung hatte zwei Jahre zuvor über die Freundschaft mit Heinrich Simon, dem Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung, begonnen. Als ihre Ehe 1928 zerbrach, Eduard von Bendemann sich für eine andere Frau entschied, stürzte Margarete Susman in eine tiefe Krise.
Die schwere Krankheit ihres Sohnes brachte sie in Berührung mit der Gedankenwelt Freuds. Sie führte nach ihren eigenen Worten zu einer großen Wende in ihrem Leben: „Denn Freuds Lehre brachte mir das, was keine frühere getan hatte: ein ganz reales Verhältnis zum Leben. (...) Die idealistische Wahrheit versank vor einem völlig anderen Wissen, das mir alles, was ich bisher vom Leben gedacht hatte, als eine Art Gnosis enthüllte, Gnosis als jene leidenschaftliche Trennung von Körper und Seele, jene Verwerfung des Körperlichen, die so lange mein Leben beherrscht hatte.“ [1] Der Fortgang ihrer Lebenserinnerungen lässt jedoch vermuten, dass das Wissen um die Macht des Körperlichen Theorie blieb.
1933 emigrierte Margarete Susman, die seit ihrer Scheidung in Frankfurt lebte, nach Zürich. Nach ihrem heute bekanntesten Buch „Frauen der Romantik“ von 1929 erschien 1946 „Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes“, in dem sie versucht, die Gründe für die Judenverfolgung zu analysieren. In diesem Buch, so meinte sie, sei ihr ganzes Leben.
Text: Brita Reimers