Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Martha Freud Martha Freud, geb. Bernays

(26.7.1861 Hamburg – 2.11.1951 London)
Ehefrau von Sigmund Freud und Mutter von sechs Kindern.
Hütten 61 (Wohnadresse)


3242 Martha Bernays
Martha Freud, Bild: via Wikimedia Commons, unbekannt / gemeinfrei

An der städtisch breiten, geraden langen Straße könnte man Architekturgeschichte studieren. Vom Fachwerkhaus bis zum modernen Neubau steht hier alles in bunter Reihe. Und so nehmen auch zwei moderne vierstöckige Mietshäuser das dreistöckige Elternhaus von Martha Freud in die Zange. Bevor zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Grindelviertel Zentrum der Hamburger jüdischen Gemeinde wurde, lebten viele Jüdinnen und Juden hier um die Neanderstraße und auf den Kohlhöfen. Und so nahm hier auch die jüdische Familie Bernays Wohnung.
„Man könnte sie mit drei Worten charakterisieren: gütig, liebenswert und loyal. Dabei war sie, wie Freud zu seiner peinlichen Überraschung entdecken sollte, im Grunde genommen durchaus nicht fügsam, sondern sehr charakterfest und konnte recht hartnäckig werden. Sie besaß eine voll entwickelte, ausgeglichene Persönlichkeit, die das höchste Kompliment des Psychoanalytikers verdient: sie war ‚normal‘“, [1] urteilte Ernest Jones, der Martha Freud aus seiner jahrzehntelangen Verbindung mit Freud kannte. Ähnlich die Schriftstellerin und Analysantin Lou Andreas Salomé, die selbst ein ganz anderes Leben führte: „Das habe ich auch an Frau Freud bewundert, daß sie so, von ihrem Wesens- und Wirkungskreis aus, unbeirrbar das Ihrige erfüllt, immer bereit in Entschiedenheit und Hingabe, gleich weit entfernt von überheblicher Einmischung in des Mannes Aufgaben wie von Unsicherem oder Nebenstehendem.“ [2] Helen Puner dagegen nannte sie das „Abbild der ewig putzenden, bürstenden, aufräumenden Hausfrau“. [1] Die Tochter Anna, selbst Psychoanalytikerin, sprach von der zwanghaften Regelmäßigkeit, mit der ihre Mutter den Haushalt führte. [3] Zu einem ähnlichen Eindruck kam der Freud-Biograph Peter Gay, wenn er vermutete, dass sie die „vollkommene Bürgersfrau” gewesen sei, „beherrscht von einem unaufhörlichen Gefühl ihrer häuslichen Pflicht“[3]. Die Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan wagte an Hand der Brautbriefe die These, dass Freud die Eigenständigkeit und den Widerspruchsgeist seiner Braut während der Verlobungszeit gebrochen habe, „um aus der angebeteten ‚Prinzessin‘ schließlich die seinen Wünschen gefügige ‚Hausfrau‘ zu machen“. [2]
Sich zwischen diesen widersprüchlichen Aussagen eine eigene Meinung zu bilden oder gar ein eigenständiges Portrait von Martha Freud zu entwickeln, ist auf Grund der Quellenlage unmöglich, denn Aussagen von ihr selbst sind so gut wie gar nicht zugänglich. Von dem umfangreichen Briefwechsel, den das Paar während seiner über vierjährigen Verlobungszeit führte – 1.500 Briefe soll Freud nach der Aussage des Sohnes Ernst seiner Verlobten geschrieben haben, Jones spricht von 900, wobei ein zwölfseitiger, eng beschriebener Brief keine Seltenheit war –, sind nur 64 Briefe in einem schmalen Band veröffentlicht. Kein einziger von Martha Bernays ist dabei. Ein viel zu kleines Konglomerat, spontane Äußerungen zudem, um daraus allgemeine Schlüsse ziehen zu können.
Fest steht, dass Martha Bernays aus einer angesehenen jüdischen Familie stammte. Der Großvater Isaac Bernays war Oberrabbiner der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Als einer der ersten deutschen Rabbiner hatte er Philosophie studiert und setzte Reformen des Gottesdienstes und des Talmud-Unterrichts durch. Die Onkel, der Altphilologe Jakob Bernays und der Germanist Michael Bernays, waren bedeutende Wissenschaftler. Marthas Vater Berman war Kaufmann, der nach einem betrügerischen Bankrott und einem Jahr Gefängnisstrafe 1869 mit seiner Familie nach Wien übersiedelte, wo er bald Sekretär des Wiener Nationalökonomen und Staatsrechtlers Lorenz von Stein wurde. Hier besuchte Martha eine Schule für höhere Töchter und lernte 1882 Freud kennen, mit dessen fünf Schwestern sie freundschaftlichen Umgang pflegte. Die Mutter wollte von einer Heirat ohne finanzielle Grundlage nichts wissen. Ob sie nach dem Tode ihres Mannes keinen Grund mehr sah, im wenig geliebten Wien zu verweilen, wie Ernest Jones schrieb, oder ob der Enkel Ernst recht hat, der seine Großmutter zitierte: „Eine lange Verlobung am gleichen Ort taugt nicht, das Mädchen wird blutarm und der Mann fällt durchs Examen“, [4] mag dahin gestellt sein. 1883 zog Emmeline Bernays jedenfalls mit ihren beiden Töchtern nach Wandsbek – und wir wurden beschenkt mit Liebesbriefen von hoher literarischer Qualität.
Sie zeigen einen hochsensiblen, leidenschaftlichen Mann, der eine symbiotische Lebensgemeinschaft mit der Geliebten erträumte. Dass die in der bürgerlichen Gesellschaft verankerte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung von vornherein vorgesehen war, wird deutlich, wenn Freud am 15. November 1883 schrieb: „Wir dürften ziemlich einig darin sein, daß das Zusammenhalten des Hauses und die Pflege und Erziehung der Kinder einen ganzen Menschen erfordert und fast jeden Erwerb ausschließt, auch dann, wenn vereinfachte Bedingungen des Haushaltes das Abstauben, Zusammenräumen, Kochen und so weiter der Frau abnehmen.“ [4] Dass er sich für den intellektuell Überlegenen hielt, zeigt ein anderer Brief: „Wenn mir mein Wirkungskreis Zeit läßt, werden wir lesen, was wir erfahren wollen, werde ich Dich einiges lehren, was das Mädchen nicht interessiert, solange es den künftigen Gefährten und sein Gewerbe nicht kennt, alles, was geschehen ist und was geschieht, wird durch Dein Interesse daran ein neues für mich gewinnen.“ [4]
Wie an vielen Briefstellen deutlich wird, war er der Gebildetere, er sprach mehrere Sprachen und hatte ganz offensichtlich eine höhere wissenschaftliche und literarische Bildung als sie. Ob sie dazu keine Gelegenheit hatte oder auch gar nicht den Wunsch danach, bleibt unklar. Am Ende ihres Lebens äußerte sie, dass sie niemals am Tag habe lesen können, weil die Mutter ihr beigebracht habe, dass das die Zeit zum Arbeiten sei. Das Lesen müsse für die Erholung aufgespart werden. Keine guten Voraussetzungen für eine intellektuelle Beschäftigung; ebenso wenig die sechs Kinder, die Martha Freud innerhalb von neun Jahren zur Welt brachte und aufzog. Dass sie dabei durchaus Selbständigkeit und Selbstbewusstsein bewahrte und keine engherzige Hausfrau wurde, zeigen vielleicht zwei Situationen, die Freud in Briefen an Fließ, seinen Freund in den ersten Ehejahren, schilderte. Am 20.8.1893, als die sechs Kinder bereits geboren waren, berichtete er Fließ: „Ich habe den 18. und 19. auf einer komplizierten Tour um und auf der Rax verbracht mit meinem Freunde Rie und saß gestern in froher Stimmung im neuen Schutzhaus auf dem Berg, als plötzlich jemand ins Zimmer trat, hochgerötet von der Hitze des Tages, den ich anfangs wie eine Erscheinung anstarrte und dann als meine eigene Frau agnostizieren mußte. Martha hatte immer behauptet, daß ihr das Steigen unmöglich sei und der Aufenthalt auf dem Berge kein Vergnügen mache. Jetzt war sie mir nachgekommen, hatte die Anstrengung vortrefflich ertragen und war entzückt über Aussicht und Aufenthalt. Sie äußerte den Wunsch, einige Tage oben, wo man vorzüglich aufgehoben ist, mit mir zu verbringen, und ich fühlte die Verpflichtung, ihr diesen Genuß zu ermöglichen, der ihr sozusagen ohne Entfernung vom Hause zugänglich ist, da man oben telephonische Verbindung mit Reichenau hat und bequem in 2 ½ Stunden herunterkommen kann.“ [5] Und am 11.2.1897 fragte Freud bei Fließ an: „Ich wollte Dich mit Bezug auf das Kotfressen der (...) Tiere noch fragen, wann der Ekel bei kleinen Kindern auftritt und ob es eine ekelfreie Periode des jüngsten Alters gibt. Warum ich nicht in die Kinderstube gehe und bei Annerl Versuche mache? Weil ich bei 12 1/2 Arbeitsstunden keine Zeit dazu habe und die Weiblichkeit meine Forschungen nicht unterstützt.“ [5] Charakteristisch vielleicht auch die folgende Situation: Als im März 1938 NS-Schergen in die Wohnung eindrangen, bat Martha Freud den an der Wohnungstür stehenden Wachposten, sich zu setzen, weil es ihr unerträglich war, in ihrem Haus einen Fremden stehen zu sehen. Man denkt an Ottilie in Goethes „Wahlverwandtschaften“, die sich bücken musste, wenn jemand etwas aus den Händen fiel, seit sie die Geschichte von Karl dem Ersten gehört hatte, dem niemand einen Knopf aufhob, als er vor seinem so genannten Richter stand. Als bei einer zweiten Hausdurchsuchung ein SA-Mann sich über ihren Wäscheschrank hermachte, wies Martha Freud ihn indigniert zurecht. Sie habe versucht, ihrem Mann „die Misere des Alltags fernzuhalten“, [3] schrieb sie nach 53-jähriger Ehe anlässlich des Todes ihres Mannes im Jahre 1939 an seinen Kollegen Ludwig Binswanger aus London, wohin das Ehepaar nach der Annexion Österreichs emigriert war. Könnte nicht selbst das ein Akt des Selbstbewusstseins gewesen sein?
Text: Brita Reimers