Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Lucy Borchardt Lucy Borchardt, geb. May

(10.12.1877 Breslau – 4.2.1969 London)
Reederin
Stubbenhuk 10, Fairplay-Reederei (Wirkungsstätte)
Namensgeberin für: Lucy-Borchardt-Straße


In der Nähe des Baumwalls und des Nieder Hafens hat die Schleppdampfschiffs-Reederei Fairplay ihren Firmensitz. Ihre ehemalige Besitzerin hieß Lucy Borchardt und war „die einzige jüdische Reederin der Welt“ [1], so die Historikerin Ina Lorenz in ihrem Aufsatz über „Seefahrts-Hachschara in Hamburg (1935–1938) Lucy Borchardt“.

3319 Lucy Borchardt
Rudolf Birnbach, „Mutter Borchardt“ – eine jüdische Reederin, in: Aus alter und neuer Zeit. Bildbeilage des Israelitischen Familienblattes 8 (1935), S. 7. Urheber: Rudolf Birnbach; Bewahrende Institution: Museum für Hamburgische Geschichte; Rechtenachweis: Erschienen in: Aus alter und neuer Zeit. Bildbeilage des Israelitischen Familienblattes, 8 (1935), S. 7. Mit freundlicher Genehmigung des Museum für Hamburgische Geschichte.

Zwischen 1934 und 1941 bemühte sich die zionistische Bewegung Hechaluz (Pionier) um die Auswanderung von Juden, um „(...) die Besiedlung Palästinas durch Einwanderung der Juden (..) und durch gezielte Berufsausbildung (hebr. Hachschara) zu fördern“, [1] so die Historikerin Ina Lorenz. Die britische Regierung, die die Mandatsmacht über Palästina hatte, verfolgte eine restriktive Einwanderungspolitik. Sie wollte das Entstehen einer „Arbeitslosenklasse“ in Palästina verhindern. Deshalb mussten die Einwandernden entweder über Kapital verfügen, ein Handwerk nachweisen oder zwischen achtzehn und 25 Jahre alt und arbeitsfähig sein. Jedoch erfüllten nur die wenigsten Juden diese Voraussetzungen. Sie hatten meist in anderen Berufen gearbeitet, so z. B. als Kaufleute, Juristen oder Mediziner. Deshalb war eine schnelle Umschulung in handwerkliche Berufe notwendig. Hier sprang Lucy Borchardt als Inhaberin der Fairplay Schlepperdampfschiffs-Reederei Richard Borchardt ein. Zusammen mit dem Zionisten Naftali Unger – auch Lucy Borchardt war Zionistin –, der 1934 als Abgesandter der Gewerkschaft von Palästina nach Deutschland gekommen war, organisierte sie die Ausbildung von Juden in der Seefahrt.
Vor ihrer Heirat im Jahre 1902 mit ihrem jüdischen Mann Richard Borchardt (1875–1930) war sie fünf Jahre als Lehrerin, hauptsächlich an der Emilie-Wüstenfeld-Schule tätig gewesen. Richard Borchardt arbeitete zum Zeitpunkt seiner Heirat als Kaufmann in einer Hamburger Stauerei. „1905 wurde er Direktor der neugegründeten Schleppdampfschiffs-Reederei Carl Tiedemann und Plaus & Blohm AG: Im Jahre 1909 wurde Richard Borchardt persönlich haftender Gesellschafter des in eine Kommanditgesellschaft umgewandelten Unternehmens. Als er 1915 zur Marine eingezogen wurde, bestimmten er und seine Kommanditisten Mitreeder seine Frau zur Prokuristin.“ [1] Die Ausbildung junger Juden auf den Schiffen der Fairplay Reederei zum Zwecke der Auswanderung nach Palästina wurde von den NS-Behörden anerkannt. Gleichzeitig wurde, ohne dass die Behörden es merkten, eine jüdische Handelsflotte für Palästina aufgebaut. Dorthin war Lucy Borchardts ältester Sohn Jens (1903–1987) 1934 ausgewandert und hatte in Haifa zunächst eine Schiffsmaklerfirma gegründet. Später baute er zusammen mit dem Londoner Geschäftspartner der Fairplay Reederei, Schiffsmaklerei und Agentur Barnett Brothers in Palästina eine gemeinsame Reederei auf. Viele der Seemänner, die bei Fairplay gelernt hatten, konnten nach ihrer Auswanderung nach Palästina bei der sich im Aufbau befindenen jüdischen Handelsflotte weiter beschäftigt werden. Aus diesem Grunde wurde Lucy Borchardt später auch als „Mutter der jüdischen Seefahrt“ bezeichnet.
1938 verschärfte sich die wirtschaftliche Lage für jüdische Firmen. Die „Entjudung der deutschen Wirtschaft“ stand auf dem Plan der NS-Herrschaft. Lucy Borchardt erkannte, dass sie Deutschland verlassen musste. Ihr Steuerberater erreichte, dass das Vermögen in eine Stiftung umgewandelt wurde. Einen Teil des Betriebsvermögens, den Frachtdampfer „Lucy Borchardt“ und die Schleppdampfer „Fairplay X, XIV und XV.“ durfte Lucy Borchardt bei ihrer Emigration nach London im Jahre 1938 mitnehmen. Dieses ungewöhnliche Entgegenkommen der NS-Regierung beruhte wahrscheinlich darauf, dass die Reederei Fairplay im Ausland großes Ansehen genoss und die Naziherrschaft es vermeiden wollte, dass „(...) in ausländischen Schiffahrts- und Wirtschaftskreisen ein zwangsweises Vorgehen bekannt und zum Gegenstand der im NS-Jargon sogenannten Auslandshetze wurde“. [1] Lucy Borchardts zweiter Sohn Kurt setzte sich nach Rotterdam ab. Ihre beiden Töchter waren bereits 1933 nach Palästina bzw. nach London ausgewandert.
Die Fairplay Reederei wurde in eine so genannte arische Stiftung umgewandelt, die Betriebsführung übernahm das NSDAP-Mitglied und frühere Mitglied des Vertrauensrats der Reederei, Herr Allgermissen. Glücklicherweise handelte er nicht linientreu, sondern im Sinne der Reederei. 1948 bekam Lucy Borchardt ihr Vermögen zurückerstattet. Bis kurz vor ihrem Tod im Jahre 1969 arbeitete sie noch im Management der Reederei mit.
Text: Rita Bake