Johanna Rosenschein Johanna Rosenschein, geb. Mannheim
(17.5.1867 Hannover, am 15.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, am 21.9.1942 weiterdeportiert nach Treblinka, Todesdatum unbekannt)
Inhaberin des Kaufhauses M. M. Friedmann in Hamburg Harburg
Bleicherweg 2 (Wohnadresse) hier Stolperstein
„Ich sah vor den Geschäften jüdischer Inhaber die gröhlenden SA-Horden um Fritz Konerding, der ein Geschäft in der Wilstorfer Straße hatte und ein Obernazi war. Sie standen vor dem Kaufhaus Horwitz, vor Steins Bettenhaus, vor M. M. Friedmann, die alle von der SA belagert waren,“ so erinnerte sich Fritz Sarne später an den so genannten reichsweiten Abwehrboykott der NSDAP gegen jüdische Unternehmen vom 1. April 1933, von dem u. a. auch das oben erwähnte Harburger Kaufhaus M. M. Friedmann in der Lüneburger Straße sowie andere jüdische Geschäfte, Anwaltskanzleien und Arztpraxen in Harburg betroffen waren. Johanna Rosenschein, die damalige Inhaberin des Kaufhauses M. M. Friedmann, ließ sich trotz dieser Einschüchterung nicht davon abhalten, ihr Geschäft an diesem Samstag, wie gewohnt, zu öffnen und ihre Kunden wie an jedem anderen Tag freundlich zu bedienen. Und viele Harburgerinnen und Harburger honorierten diese Entscheidung. Sie ignorierten die Aufforderung zum Boykott des Geschäfts, denn sie wussten, wo sie preisgünstig einkaufen konnten und gut beraten wurden. Ob die Inhaberin des Kaufhauses Jüdin oder Christin war, interessierte an diesem Samstag nur die wenigsten, wie eine Angestellte berichtete: „Wir hatten einen Hintereingang am Großen Schippsee, und da stand keiner; sie hatten das wohl übersehen. Dort sind die Leute dann unbeobachtet zu uns in den Laden gekommen und haben gesagt: `Wir kommen trotzdem´.“
Johanna Rosenschein hatte das Modewarenhaus M. M. Friedmann nach dem frühen Tod ihres Mannes Bernhard Rosenschein (28.2.1862 – 2.6.1911) übernommen und sich zugleich um das weitere Wohl der vier damals noch minderjährigen Kinder Ernst, Friedrich (*3.6.1898), Ilse Fanny (*8.3.1900) und Hans (*26.8.1909) gekümmert. Alle vier dachten später gern an ihre Kindheit und Jugend im Bleicherweg 2 zurück, wo die Familie privat wohnte, auch wenn die Lücke, die Bernhard Rosenschein hinterlassen hatte, nie wieder voll und ganz geschlossen werden konnte.
Gemeinsam mit ihrem Bruder Arthur Mannheim hatte Johanna Rosenschein das Geschäft in der Lüneburger Straße erfolgreich durch den 1. Weltkrieg, durch die turbulenten Nachkriegsjahre und durch die große Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre geführt. In den beiden Jahren vor 1933 hatte das Modehaus mit seinen 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 1.208.030,- RM und 927.739,- RM umgesetzt. Viele Aufgaben hatte Friedrich Rosenschein inzwischen seiner Mutter abgenommen. Seit zwei Jahren war er mit Edith Guttmann (*21.11.1909) aus Wilhelmsburg verheiratet.
Sein Bruder Ernst Rosenschein war als Rechtsanwalt ebenfalls von dem reichsweiten Boykottaufruf am 1. April 1933 betroffen. Seine Kanzlei in der Wilstorfer Straße 34 war auch auf der Liste der jüdischen Firmen verzeichnet, die der Harburger Magistrat Ende März 1933 zusammengestellt hatte. Seit 1926 stand er seinen Mandanten in Prozessen vor dem Harburger Amtsgericht und dem Landgericht Stade zur Seite. Nach dem 2. Juni 1933 durfte er diese Tätigkeit auf Grund des Zulassungsgesetzes § 1 nicht mehr ausüben. Er übernahm danach die Buchhaltung des Kaufhauses, das seiner Mutter gehörte.
Der reichsweite Boykott vom 1. April 1933 dauerte zwar nur einen Tage, aber er blieb langfristig nicht ohne Folgen. Die Hetze gegen jüdische Geschäfte, die schon vorher alles Bisherige übertroffen hatte, lief auch nachher unvermindert weiter. Die Harburger SA wollte sich in der Beziehung nichts vorwerfen lassen. Immer wieder rief sie ihre Mitglieder zu anti-jüdischen Propagandaaktionen auf. Im Juli 1935 waren die Schaufenster fast aller jüdischen Geschäfte der Stadt mit judenfeindlichen Parolen beschmiert oder mit antisemitischen Hetzplakaten beklebt.
Angesichts dieser Vergiftung des öffentlichen Klimas fiel es den jüdischen Geschäftsleuten zunehmend schwerer, ihren Kundenstamm zu halten. Viele Mitglieder der NSDAP und Staatsbedienstete wandten sich nach und nach von ihnen ab und kauften stattdessen anderswo ein. Außerdem hatte die Firma M. M. Friedmann darunter zu leiden, dass auch Wohlfahrtsempfänger von heut auf morgen ausblieben, seitdem das Harburger Wohlfahrtsamt seit Ende März 1933 alle Gutscheine mit dem Zusatz versah: „Nicht gültig für jüdische Geschäfte, Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte.“ Auch junge Ehepaare, die ein Ehestandsdarlehen erhalten hatten, durften ihre Bedarfsdeckungsgutscheine nicht in jüdischen Geschäften einlösen.
Eine zusätzliche Waffe im Kampf der Harburger NSDAP gegen die Firma M. M. Friedmann war der Versuch, eine Angestellte des Geschäfts, die mit Friedrich Rosenschein, dem Juniorchef, liiert war, durch wiederholte Vorladungen zu dem Geständnis zu bewegen, dass sie zu dieser Beziehung gezwungen worden sei. Die junge Frau hielt jedoch dem Druck stand und blieb bei der Wahrheit.
Nach 1933 wurde außerdem das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Belegschaft angespannter. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) stärkte mit allen möglichen Mitteln die Position der nicht-jüdischen Angestellten bei allen großen und kleinen Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitung und schreckte in dieser Beziehung auch nicht davor zurück, die Gerichte mit zahlreichen Streitfällen zu beschäftigen. Diese Taktik engte den zeitlichen und finanziellen Spielraum der Geschäftsführung mit der Zeit immer stärker ein und vergiftete in zunehmendem Maße das Betriebsklima.
Als der Umsatzrückgang nicht mehr aufzuhalten war, blieb Johanna Rosenschein und ihrem Bruder Arthur Mannheim Ende 1935 nichts anderes übrig, als den Verkauf in den Räumen des Kaufhauses einzustellen und alle Angestellten – darunter viele Harburger Jüdinnen und Juden – zu entlassen, weil die Firma zahlungsunfähig war. Die Firma M. M. Friedmann wurde am 8. Februar 1936 aus dem Handelsregister gelöscht. Der neue Inhaber, der das Geschäft unter einem anderen Namen weiterführte, übernahm nur die nichtjüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als Hans Rosenschein in der Firma, für die er bisher jahrelang gearbeitet hatte, das gleiche Schicksal traf, verließ er als erster aus der Familie das Land, in dem er viele Jahre seines Lebens verbracht hatte. Am 28. Oktober 1936 wanderte er im Alter von 27 Jahren nach Brasilien aus.
Für seine Mutter und seine älteren Geschwister wurde es in den folgenden Jahren von Tag zu Tag schwerer, ihm zu folgen. Waren schon die administrativen Hindernisse, die bei der Einreise in viele andere Staaten zu überwinden waren, nicht gerade gering, so wurden sie von der Zahl der Hürden, die für eine Ausreise aus Deutschland zu nehmen waren, noch weit übertroffen, obwohl die Auswanderung der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland in diesen Jahren zu den erklärten Zielen der nationalsozialistischen Rassenpolitik gehörte.
Trotz dieser Hindernisse gelang Friedrich Rosenschein nach einer vorübergehenden Inhaftierung im KZ Sachenhausen im Frühjahr 1939 noch die Ausreise in die USA, und seine Schwester Ilse Fanny Marcuse, geb. Rosenschein, gesch. Silberstein konnte sich einige Wochen später im allerletzten Augenblick nach Shanghai retten.
Nach der Pogromnacht vom November 1938 verbrachte auch Ernst Rosenschein mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen, wo die Neuankömmlinge mit bisher kaum bekannter Brutalität behandelt wurden, nachdem viele von ihnen bereits vorher im Stadthaus, der Hamburger Gestapo-Zentrale, mit Fußtritten und Faustschlägen malträtiert worden waren. Ernst Rosenschein kam am 24. 12. 1938 wieder frei.
Um die Hypotheken auf zwei Grundstücken, die ihr in der Heimfelder Straße 80 und im Bleicherweg 2 gehörten, abzulösen, und die Mittel für die vielen Zwangsabgaben für Jüdinnen und Juden aufzubringen, sah Johanna Rosenschein sich 1938 gezwungen, ihren Grundbesitz zu verkaufen. Auf dem Immobilienmarkt hatte sie als Jüdin zu dieser Zeit kaum noch Chancen auf faire Angebote. Beim Verkauf ihres bebauten Grundstücks am Bleicherweg musste sie eine Wertminderung von ca. 25% in Kauf nehmen. Der Verkaufserlös der beiden Grundstücke, der sich nach der Ablösung der Hypotheken und der Zahlung aller Schulden und Gebühren auf 10.661,95 RM belief, wurde auf das Konto Johanna Rosenscheins bei der Dresdner Bank überwiesen, über das sie auf Grund einer Sicherungsanordnung des Hamburger Oberfinanzpräsidenten jedoch nicht frei verfügen konnte. Für den Lebensunterhalt wurde ihr ein monatlicher Freibetrag von 280,- RM zugestanden.
Nach dem Verkauf der beiden Harburger Häuser verlegten Johanna Rosenschein und ihr Sohn Ernst ihre Wohnsitz - sicherlich nicht aus freien Stücken, sondern notgedrungen - nach Hamburg, wo sie von zwei verschiedenen Familien als Untermieter aufgenommen wurden.
Am 8. November 1941 bestieg Ernst Rosenschein den 2. Hamburger Deportationszug, der drei Tage später die weißrussische Hauptstadt Minsk erreichte. Wann und unter welchen Umständen sein Leben fern der Heimat endete, ist nicht bekannt.
Seine 75-jährige Mutter wurde neun Monate später am 19. Juli 1942 zusammen mit rund 800 anderen Hamburger Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt deportiert. Hier blieb sie jedoch nicht lange. Nur zwei Monate später verließ sie diesen Ort wieder. Der Todestransport, dem sie sich anschließen musste, endete im Vernichtungslager Treblinka. Diese Todesfabrik diente ausschließlich der sofortigen Ermordung aller hierher gebrachten Menschen. Hier gab es keine Ärzte, wie in Auschwitz, die die Arbeitsfähigen noch von den anderen trennten. Die Menschen, die hier ausstiegen, wurden in Räume geführt, in denen sie alles ablegen mussten, was sie mit sich trugen, bevor sie in die als `Duschhallen´ getarnten Gaskammern getrieben und ermordet wurden. Ihre Leichen wurden anschließend in Massengräber geworfen. Der ganze Vorgang dauerte oft nicht einmal zwei Stunden.
Obwohl Johanna und Ernst Rosenschein namentlich auf der Granitstehle genannt werden, die die Grabstätte der Familie auf dem Harburger Jüdischen Friedhof kennzeichnet, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sie an dieser Stelle nicht ihre letzte Ruhe gefunden haben. Sie haben ihre Heimat nicht wiedergesehen. Alle weiteren Fragen zu diesem Thema bleiben vorläufig - und wohl auch für immer - unbeantwortet.
Text: Klaus Möller, aus: www.stolpersteine-hamburg.de