Alice Prausnitz
(26.3.1906 Mauritius – 1996 Plön)
Richterin
Sievekingplatz 1 Ziviljustizgebäude (Wirkungsstätte)
Heilwigstraße 64 (Wohnadresse)
„Die zweite Frau in der Hamburger Justiz nach 1945 war Alice Prausnitz, (..) auf Mauritius als Tochter eines Eisenbahnpioniers geboren, Preußin, Studium in Hamburg, Genf, München und Kiel, erstes juristisches Examen 1929 in Kiel, danach Referendarzeit in Kiel, Assessor-Examen 1933 in Berlin, und als ‚nicht-vollarisch‘ sofort vom Justizdienst ausgeschlossen. Die junge Juristin schlug sich bis Ende des Krieges erst in Lübeck, dann in Leipzig mit verschiedenen Arbeiten durch. Im Mai 1945 wurde sie von den Amerikanern in Leipzig als Rechtsanwältin zugelassen; sie blieb dort zunächst unter russischer Besatzung, setzte sich aber 1951 nach Norddeutschland ab, wo sie am 1.5.1952 Hamburger Landgerichtsrätin wurde – zur Wiedergutmachung fiktiv rückwirkend per 1.5.1945. Am 1.7.1960 wurde Alice Prausnitz Direktorin einer Wiedergutmachungskammer, die sie leitete, bis sie 1974 mit 68 Jahren in den Ruhestand ging. Alice Prausnitz ist die erste Landgerichtsdirektorin in der Hamburger Justiz (...)“, [1] schrieb die Rechtsanwältin Gisela Wild 1994 in ihrem Aufsatz über „Frauen in der Rechtspflege“.
Alice Prausnitz selbst erzählte dem Deutschen Frauenring für eine Publikation über ihren beruflichen Werdegang nach der Befreiung vom Nationalsozialismus: „Da ich als Juristin besonders interessiert war an den Fragen der rechtlichen Gleichstellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), und zwar im Familienrecht, wo die größte Schwierigkeit bestand, arbeitete ich von Anfang an mit, sei es im DF [Demokratischer Frauenbund], sei es bei allen möglichen Zusammenkünften und Veranstaltungen, die zur Information von Frauen durchgeführt wurden. (…)
In der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, später in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war das so, daß jeder, der mitmachen wollte, sehr aufgeschlossen war. Das Familienrecht ist erst sehr viel später geändert worden. Die damalige Zeit war in gewissem Sinne rechtlos. (…)
Ich wurde 1945 von dem amerikanischen Justizoffizier als Rechtsanwältin vereidigt. Bis dahin war ich in meinem Beruf nicht tätig gewesen. Ich gehörte zu einem Kreis, der sowieso ausgeschlossen war von irgendwelcher Mitwirkung. Ich fing als Anwalt an. Da aber überall Richterstellen fehlten, wurde ich von der damaligen sowjetischen Justizadministration als Richter im Ehrendienst an das Landgericht Leipzig berufen. Es gab etwa eine Handvoll Anwälte, die politisch unbelastet waren. Die wurden als Richter im Ehrenamt beschäftigt. Wir bekamen keine Besoldung. (…)Wir bekamen ein Zehntel oder ein Fünftel Dezernat und amtierten dann ein paar Jahre lang. (…)
Ich kam 1951 in die Bundesrepublik und hielt auch da meinen Mund nicht. In den ersten Jahren nach Kriegsende gaben viele Frauen ihren Beruf auf und gingen ins Haus und an den Herd zurück. Ich erinnere mich, wie ein Anwalt damals sagte: ‚Natürlich haben sich die Frauen im Beruf bewährt. Aber jetzt kommen die Männer aus der Kriegsgefangenschaft zurück, und da ist es doch selbstverständlich, daß die Frauen ins Haus zurückkehren.‘ (…)
Wie schon gesagt, kam ich 1951 von Leipzig in die Bundesrepublik und zwar nach Hamburg. In der DDR wurde die politische und geistige Situation immer bedrückender. Der Stalinismus tobte sich auch dort sehr aus. Wirtschaftlich ging es mir nicht schlecht. Man griff mich auch persönlich nie an. Im Gegenteil, irgendwie wurde respektiert, daß ich mich sehr auf mein Gebiet beschränkte, auf die Forderung nach Gleichberechtigung in der Familie. Die Männer wollten doch etwas hören. Sie wollten auch zeigen, daß sie den Frauen helfen wollten. Insofern war ich ein ‚weißer Rabe‘. Ich war auch in Leipzig nach Kriegsende die erste ehrenamtliche Richterin. (…)
Nach Hamburg ging ich aus einem ganz bestimmten Grund. Nach dem Staatsangehörigkeitsrecht gehörte ich nämlich vor 1933 nach Altona. Das Staatsangehörigkeitsrecht war auch ein Gebiet, das Frauen sehr interessierte und sehr wichtig war, weil man als Deutsche seine Staatsangehörigkeit verlor, wenn man einen Ausländer heiratete. Die doppelte Staatsangehörigkeit gab es zwar, aber die war unerwünscht. Für mich war das auch von Bedeutung; denn ich hatte eine doppelte Staatsangehörigkeit. (…) Ich war auf englischem Boden geboren worden und war damit Engländerin. Ich hatte einen deutschen Vater und war damit Deutsche. Als preußische Staatsangehörige gehörte ich nach Schleswig-Holstein, dem damaligen Wohnsitz meiner Eltern. Altona gehörte damals noch nicht zu Hamburg, sondern zur Provinz Schleswig-Holstein, mit dem Oberlandesgericht in Kiel. Ich meldete mich dort und wies auf meinen Wiedergutmachungsanspruch hin. Der Herr Justizminister in Schleswig-Holstein, bei dem ich mich aus der DDR beworben hatte, schrieb mir, sie hätten gern jüngere Jahrgänge. Das war eine große Enttäuschung für mich. – Ich nehme an, daß sich unter den Herren, die in der Justiz tätig waren, bestimmt auch einige ältere befanden.
Daß die Bundesgerichte bei ihrer Gründung auch eine Frau aufnahmen, ist auf die Besatzungsmächte zurückzuführen. Denn die sagten: ‚Bitte, ihr seid ein demokratischer Staat. Ihr wollt demokratische Gerichte haben. Wo bleiben die Frauen?‘ Daraufhin wurde in jedes Bundesgericht eine Frau berufen.
Die Frauenverbände wurden in ihrer Forderung nach Gleichberechtigung – damit komme ich auf Hamburg 1952/53 zu sprechen –vor allem durch die englischen und amerikanischen Frauenverbände bestärkt. Die kamen in die Bundesrepublik, um von ihren Erfahrungen zu berichten und gaben hier auf einer großen Veranstaltung im Rathaus – es war im Winter 1952/53 – gedankliche Anstöße für die Verwirklichung der Gleichberechtigung.
Den Deutschen Juristinnenbund kannte ich schon aus der Zeit vor 1933. Nach 1945 entstand er in der Bundesrepublik in Dortmund quasi aus dem Nichts heraus wieder. Alle Juristinnen, auch die in der DDR, erhielten damals eine Mitteilung mit der Aufforderung, Mitglied zu werden. ich antwortete, daß ich gern wieder Mitglied werden möchte, aber aus devisenrechtlichen Gründen keinen Beitrag zahlen könne. Dieser Brief kam wohl nie an. Aber als ich 1951 in die Bundesrepublik kam, wies man mir nicht die Tür, im Gegenteil.
Hier hing ich in den ersten Tagen gewissermaßen rum. Da wurde ich von einer Rechtsanwältin auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, an Treffen von Frauenverbänden in der Neuen Rabenstraße teilzunehmen. So erfuhr ich vom Deutschen Frauenring und traf dort auch mit den Juristinnen zusammen. Die Frauen, die man dort sah, waren sehr engagiert; aber es hätten mehr sein können. Es waren eher die oberen Zehntausend, die mitmachten. Später gründeten sich noch andere Frauenverbände.“ [2]
Text zusammengestellt: Rita Bake