Margarethe Baalhorn Margarethe Baalhorn, geb. Weinert
(16.8.1894 in Neubrandenburg - inhaftiert 1935, 1937–1939, gestorben am 12.11.1945 in Lüneburg an den Folgen der Haft)
Widerstand gegen das NS-Regime, Miglied der Zeugen Jehovas
Forsmannstraße 7 (Wohnadresse) Stolperstein
Margarethe Frieda Maxi Weinert wurde in Neubrandenburg geboren. Ihr Vater, Wilhelm Weinert, war dort als Korbmacher tätig. Die Familie gehörte der evangelisch-lutherischen Kirche an. Im April 1904 zogen die Eheleute Weinert mit ihren mittlerweile fünf Kindern nach Lüneburg, dort wurden zwei weitere Kinder geboren. Ab April 1910 lebte Margarethe Baalhorn in Hannover, zog ein Jahr später aber wieder nach Lüneburg zurück. Am 1. Juli 1913 meldete sie sich in das Dorf Büllhorn bei Stelle (Landkreis Harburg) ab. Im Dezember 1914 verzog Margarethe Weinert, nachdem sie zwischenzeitlich als Haushaltsgehilfin in Gotha (Thüringen) gearbeitet hatte, wieder nach Hamburg und im März 1916 von dort nach Lüneburg.
Am 6. Juli 1918 heiratete sie in Lüneburg den aus Altona stammenden Buchhalter Friedrich Baalhorn, der im selben Jahr in die SPD und die Gewerkschaft eintrat (sein Vater war bereits seit 1890 SPD-Mitglied). Im März 1919 wurde ihr erster Sohn in Lüneburg geboren.
1921 zog die Familie zunächst nach Hamburg-Barmbek, bevor sie 1922 ein Domizil in dem 1909/1910 erbauten fünfgeschossigen Etagenhaus Forsmannstraße 7 fand. Dort wohnten die Baalhorns bis zur Ausbombung 1943. 1926 kam der zweite Sohn zur Welt. Beide Jungen besuchten die Volksschule in der Forsmannstraße 32. Die Baalhorns waren ein religiös geteiltes Haus.
Seit 1928/29 war Margarethe Baalhorn (genannt Grete) Mitglied der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV), die ab 1931 unter dem Namen Zeugen Jehovas auftrat. In Hamburg gehörten ihr rund 400 Gläubige an. 1931 wurde Margarethe getauft. Ihr Ehemann, mittlerweile als kaufmännischer Angestellter tätig, war nicht Mitglied dieser Religionsgemeinschaft. Kurz nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die IBV am 15. Juli 1933 auch in Hamburg verboten und jede weitere Betätigung für sie unter Strafe gestellt, denn die Zeugen Jehovas widersetzten sich dem allumfassenden NS-Herrschaftsanspruch. So verweigerten sie den Hitlergruß, den Eid auf Hitler, den Wehrdienst und die Mitgliedschaft in NS-Organisationen aus religiösen Gründen. Im Frühjahr 1934 verhaftete die Staatspolizei in Hamburg die ersten Zeugen Jehovas wegen angeblicher Zuwiderhandlung gegen das IBV-Verbot. Auf einem internationalen Kongress der Vereinigung in Basel im September 1934 wurde u. a. beschlossen, das Verkündigungswerk in Deutschland ab 7. Oktober 1934 wieder in vollem Umfang aufzunehmen. Margarethe Baalhorn berichtete 1945 über ihre damalige Haltung: „Aus Glaubensgründen und meiner Erkenntnis heraus habe ich den Nazis entschieden Widerstand geleistet.“ Sie beteiligte sich am 7. Oktober 1934 an einer reichsweit koordinierten Protestveranstaltung gegen das Verbot der IBV und gegen den NS-Staat. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schickten massenhaft Briefe und Telegramme mit dem Protest der Zeugen Jehovas an den „Führer und Reichskanzler“ Hitler. In Hamburg wurden 24 Stadtteilgruppen gebildet, Gruppenleiter bestimmt und meist regelmäßig wöchentliche Treffen abgehalten. Durch verschärfte Postüberwachungen, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen gelang es der Hamburger Staatspolizei ab Anfang Dezember 1934, eine große Anzahl von Zeugen Jehovas festzunehmen. Im März 1935 kam es zu ersten Massenverurteilungen. Margarethe Baalhorn wurde im Oktober 1935 verhaftet und am 4. November 1935 vom Sondergericht Hamburg zu zwei Monaten Haft verurteilt.
Auch nach ihrer Entlassung traf sie sich weiterhin mit zwei anderen Zeugen Jehovas abwechselnd in den Privatwohnungen in Winterhude. Sie verteilten Broschüren und Flugblätter der Zeugen Jehovas in Briefkästen. Die Gestapo reagierte auf diese koordinierte Protestaktion mit einer Verhaftungswelle. Am 27. Oktober 1937 wurde Margarethe Baalhorn wieder verhaftet und entsprechend einer Gestapo-Richtlinie ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert, wo sie bis zum 3. Februar 1938 in „Schutzhaft“ gehalten wurde. Anschließend wurde sie in Untersuchungshaft überführt. Das Urteil des Hanseatischen Sondergerichts vom 23. April 1938 gegen sie fiel trotz ihrer untergeordneten Stellung in der Hierarchie relativ hart aus, da sie sich unbeugsam zeigte. Das Gericht argumentierte in seinem Urteilsspruch: „Die Angeklagte Frau Baalhorn ist außerordentlich fanatisch und deshalb besonders gefährlich. Sie hat nach ihren Erklärungen in der Hauptverhandlung nicht den Willen, sich in Zukunft an die staatlichen Anordnungen zu halten, sondern will sich auch weiter als Zeugin Jehovas betätigen. Das Sondergericht hat dies als einen Straferschwerungsgrund angesehen. Während die meisten Angeklagten einsehen, daß ihr Kampf gegen den nationalsozialistischen Staat sinnlos ist, und – wenn auch nicht aus Überzeugung – so doch aus verstandesgemäßer Überlegung heraus diesen aussichtslosen Kampf aufgeben wollen, ist Frau Baalhorn so fanatisch und unbelehrbar, daß sie den Kampf für ihre Irrlehre fortführen will. Das Sondergericht hat aus diesem Grunde die Ansatzstrafe von 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis zur Erreichung des Strafzwecks nicht für ausreichend erachtet, sondern eine Strafe von 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis für erforderlich gehalten.“ Ein geheimer Gestapo-Erlass vom 22. April 1937 ermächtigte die Staatspolizeistellen zudem, Zeugen Jehovas auch nach Verbüßung ihrer Strafe „unverzüglich in Schutzhaft zu nehmen“. Im Gefängnis soll sich Margarethe Baalhorn, nach Aussagen ihres jüngeren Sohnes, von ihrem Glauben losgesagt haben.
Der jüngere Sohn wurde zu einem Onkel in Pflege gegeben und besuchte weiterhin die Schule Forsmannstraße. Am 28. April 1939 wurde Margarethe Baalhorn aus dem Gefängnis Fuhlsbüttel entlassen. Der ältere Sohn erhielt den Einberufungsbescheid und musste nach Ableistung seiner Wehrpflicht 1939 gleich bei der Wehrmacht bleiben, um von Beginn an am Krieg teilzunehmen.
Nach den ersten Bombardierungen Hamburgs im Sommer 1943 flüchtete Margarethe Baalhorn zusammen mit ihrem jüngeren Sohn Werner zu ihren Eltern nach Lüneburg. Der Ehemann blieb in Hamburg, wo er zum Luftschutz verpflichtet war und konnte seine Familie nur am Wochenende besuchen. Der Sohn brachte mit dem Fahrrad noch einige Kleidungsstücke und Koffer von Hamburg nach Lüneburg. Wenige Tage später wurde das Haus Forsmannstraße 7 schwer getroffen und brannte aus. Auch der jüngere Sohn wurde im Sommer 1944, nach Beendigung seiner sechsmonatigen Arbeitsdienstpflicht, als Siebzehnjähriger zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende befand er sich längere Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft – seine Mutter sah er nie wieder.
Im November 1945 erlitt Margarethe Baalhorn bei einem Verkehrsunfall Brüche im Knöchel und Beinbereich sowie eine Gehirnerschütterung, die an sich nicht lebensgefährlich waren. Dennoch verstarb sie am 12. November 1945 im Städtischen Krankenhaus Lüneburg. Der Oberarzt der chirurgischen Abteilung führte den Tod auf die Haftfolgen zurück: „Frau Baalhorn kam in einem sehr schlechten Allgemeinzustand zu uns, der vorher durch eine längere KZ-Inhaftierung hervorgerufen sein muß. Es ist ärztlicherseits auch anzunehmen, daß sie diese Verletzungen infolge des durch die KZ-Haft geschwächten Zustandes nicht überstanden hat. Möglicherweise ist auch der Unfall bereits dadurch passiert.“
Text: Björn Eggert aus: www.stolpersteine-hamburg.de