Helene Heyckendorf Helene Heyckendorf, geb. Bendixen
(15.11.1893 Hamburg – 21.4.1945 KZ Neuengamme)
Widerstandskämpferin der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe. Schneiderin.
Susannenstraße 8 (Wohnadresse)
Vereinsstraße 59 (Wohnadresse) Stolperstein
Namensgeberin für: Helene-Heyckendorf-Kehre in Bergedorf seit 1987
Helene Heyckendorf wurde am 15.11.1893 in Hamburg geboren. Sie war seit dem 28. August 1920 mit Max Heyckendorf (geb. 11.7.1896 in Hamburg) verheiratet, der von Beruf Maschinenschlosser war. Er war als Autoschlosser und von 1925 bis 1932 als Kraftwagenfahrer für die Fa. Otto F. Wildgruber tätig. Nach längerer Arbeitslosigkeit und kurzzeitigen Erwerbstätigkeiten fand er 1938 bei der Maschinenfabrik Gall & Seitz (Kl. Grasbrook, Vogelreth 2/4) eine feste Anstellung als Maschinenschlosser; zwischenzeitlich hatte er vermutlich als Verwaltungsangestellter bei der Landesversicherungsanstalt gearbeitet. Helene und Max Heyckendorf wohnten lange Jahre in der Susannenstraße 8. Später zogen sie in die Vereinsstraße 59 II um. Beide waren Mitglieder der KPD. Sie war gelernte Schneiderin. In den Gedenkbüchern wird sie in der Liste der Opfer aus der Widerstandsorganisation um Bästlein u. a. aufgeführt. Über ihre Verhaftung liegen aber nur wenige Informationen vor. Sie stand im Zusammenhang mit der Verhaftung ihres Mannes, der am 18. November 1942 mit Angehörigen der Bästlein-Organisation festgenommen wurde.
Als Initiator dieser Verhaftungen gilt der damalige Gestapo-Sekretär Henry Helms, der, wenn auch nur Stellvertreter von SS-Hauptsturmführer und Kriminalkommissar Adolf Bockelmann, als „eigentlicher“ Leiter der Abt. II a (Bekämpfung des Kommunismus/Marxismus) auftrat. Max Heyckendorf kam wie die anderen Verhafteten in Polizeihaft. Als die Staatsanwaltschaft die Strafverfahren einleitete, wurden die Verhafteten ins Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis verlegt.
Der Bästlein-Organisation wurde als Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime größte Bedeutung beigemessen. So war im Dezember 1942 eigens eine Kommission aus Berliner Gestapo-Beamten, höheren SS-Generälen und der Staatsführung in Hamburg (Reichsstatthalter Kaufmann) gebildet worden, um sich in die Untersuchungen der Gestapo einzuschalten.
Bevor es dann in Hamburg zur Prozesseröffnung gegen die inhaftierten Mitglieder der Widerstandsgruppe kam, wurde die Stadt vom 23. Juli bis 3. August 1943 von alliierten Luftstreitkräften in Tages- und Nachtangriffen bombardiert und großflächig zerstört; auch das Untersuchungsgefängnis wurde bei diesen Angriffen, durch die u. a. Wasserzufuhr und Kanalisation in der Innenstadt lahmgelegt waren, in Mitleidenschaft gezogen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamburg entschied, am Holstenglacis einsitzende Untersuchungsgefangene „auf Urlaub“ für sechs bis acht Wochen freizulassen, damit sie ihren Angehörigen in der Not zur Hilfe kommen konnten. Unter den Freigelassenen befand sich auch Max Heyckendorf. Er kam mit anderen Beurlaubten überein, sich nach dem Hafturlaub nicht wieder im Untersuchungsgefängnis zurückzumelden – so dass die Gestapo nach Ablauf der Frist (Oktober 1943) die Suche nach ihm und anderen Untergetauchten aufnahm.
Die Staatsanwaltschaften in Hamburg hielten – in Zusammenarbeit mit dem Volksgerichtshof in Berlin – ihre Anklagen gegen die Mitglieder der Bästlein-Organisation nicht nur unverändert aufrecht, sondern weiteten sie noch aus. Im April 1944 gaben sie dem Oberreichsanwalt in Berlin einen Zwischenbericht. Jetzt sollte nach der Angliederung weiterer Verfahren gegen über hundert Angehörige der Bästlein-Gruppe und, in Zusammenhang mit ihr, auch anderer Hamburger Widerstandsgruppen Anklage erhoben werden. Die Hauptprozesse wurden im Frühjahr 1944 durchgeführt. Die Urteile mündeten in Todes- und hohe Zuchthausstrafen.
Max Heyckendorf wurde vorgeworfen, Unterkünfte für illegal politisch Aktive organisiert zu haben. Es gelang ihm jedoch, sich nach seinem Untertauchen bis Kriegsende der Verhaftung durch die Gestapo zu entziehen. Diese konzentrierte sich auf die Beobachtung seiner Ehefrau Helene, da sie sich erhoffte, über sie eine Spur zu Max Heyckendorf ausfindig zu machen.
Max Heyckendorf später:
„[...] Da mit Bestimmtheit anzunehmen war, dass auch ich zum Tode verurteilt werden würde, habe ich mich dem Gericht nicht wieder gestellt. Seit dieser Zeit habe ich mich bis zum Einmarsch der Engländer verborgen gehalten.
Während dieser Zeit hat Helms Frau Thürey, Inhaberin des Seifengeschäfts in der Emilienstrasse, wovon der Ehemann der damaligen Widerstandsbewegung [sic] hingerichtet wurde, verhaften lassen. In diesem Geschäft hat er die Gestapo-Agentin Polze eingesetzt. Dieses geschah zu dem Zweck, um Mitarbeiter unserer Bewegung, die dort anlaufen würden, von dieser bespitzeln und verhaften zu lassen.
Durch sie wurde Hornberger, Leiter der Widerstandsgruppe von Blohm & Voss, verhaftet. Außerdem wurde die Agentin auf meine Frau losgeschickt, welche Schneiderin war, unter dem Vorwand, sie sei eine gute Freundin von den Eheleuten Thürey, die das Geschäft in ihrem Auftrage weiterführe. Aus diesem Grunde bat sie meine Frau, für sie zu nähen. Von nun ab hat meine Frau mehrere Kleider, wofür die Bezugsscheine für diese Stoffe von der Gestapo geliefert wurden, für sie angefertigt. Bei Anproben war die P. bestrebt, meine Frau auszuhorchen, wo ich mich aufhalten könnte. Sie wurde jedoch ewig mit Misstrauen empfangen und es wurden ihr keine stichhaltigen Auskünfte gegeben.
Da alle Bespitzelungen dieser Agentin erfolglos blieben, wurde meine Frau am 22.12.1944 verhaftet durch Helms. Nach den Aussagen der Frauen, die mit meiner Frau in Gefangenschaft waren, hat diese bei der Vernehmung über meinen evtl. Aufenthalt niemals Angaben gemacht. Ebenso wurde jegliche Verbindung zu mir (geleugnet. (abgelehnt. [sic]
Diese Verschlossenheit hatte zur Folge, dass sie am 19.4.45 auf Veranlassung von Helms mit 13 Frauen nach Neuengamme transportiert wurde und ist dort 3 Tage später mit diesen Frauen gehängt worden.
Als Ergänzung muss ich noch hinzufügen, dass nach der Verhaftung von meiner Frau auf Anordnung von H. der Spitzel Lübbers in meine Wohnung einquartiert wurde. Dieser war beauftragt, meinen Sohn auszuhorchen, um mein Versteck ausfindig zu machen. Da dieser meinen Aufenthalt kannte, hat er sich durch Flucht der Verhaftung und Folterung entzogen.
Da auch dieser Versuch fehlschlug, wurde meine Untermieterin, Frl. Frida Gutschmidt verhaftet. Hierauf wurde die Gestapo-Agentin Reimers in meiner Wohnung untergebracht.
Kurz vor der Kapitulation veranlasste Helms, dass meine Wohnung vollständig ausgeplündert wurde. Von diesen Sachen hat er nach den Aussagen der Reimers 1 Fahrrad und 5 Oberhemden erhalten. [...]“
Der Sohn von Max und Helene Heyckendorf, Günther (am 31.5.1921 in Hamburg geboren), genoss eine Erziehung in den „Grundbegriffe[n] der arbeitenden Klasse in ihrem sozialen Kampf gegen die Unterdrücker“. Bereits als Achtjähriger nahm er „an Wanderungen proletarischer Gymnastik- und Wanderverbände“ teil, trat als Zehnjähriger dem Arbeitersportverein „Fichte“ bei – und musste 1934 die erste Verhaftung seines Vaters durch die Gestapo mit erleben. Er hatte die in Hamburg als Reformschule bekannte Schule in der Telemannstraße besucht, die Schulzeit 1936 abgeschlossen und anschließend eine Lehre als Feinmechaniker begonnen; danach arbeitete er in diesem Beruf. In dieser Zeit beteiligte er sich an den Begegnungen Gleichgesinnter in der „Turnerschaft Arnim von 1893 e.V.“ (Hamburg). Über eine Radtour, die Günther Heyckendorf am 12. September 1943 mit über zwanzig Vereinsfreunden nur wenige Wochen nach den katastrophalen Bombenangriffen auf Hamburg unternahm, verfasste der Teilnehmer „Arnold“ einen Bericht. Er erinnerte seine Freunde u. a. an das gemeinsame Singen von Fahrtenliedern und charakterisierte das Naturerleben als Grund, weshalb sich diese Gruppe junger Menschen im Armin-Verein gesucht und gefunden hatte. Wenige Monate später hieß es (viele der Vereinsmitglieder waren inzwischen aus Hamburg evakuiert worden): „Wir sind jung, die Welt ist offen ... Auch heute in dieser schweren Zeit können wir uns an der Natur der Gegend, in die wir verschlagen wurden, erfreuen. Wenn wir uns immer nur die wenigen guten Dinge des täglichen Lebens vor Augen führen, werden wir die dunklen Stunden bestimmt überwinden. Im Norden und im Süd’, in Ost und West das gleiche Lied. [...]“
Aber auch im „Armin“ gab es Vereinsmitglieder, die Bekenntnisse zum nationalsozialistischen Staat ablegten („Wir glauben an den Führer, der den richtigen Augenblick zum Zupacken erfassen wird“, hieß es z. B. 1944 in einem Durchhalte-Beitrag der Vereinszeitung). Günther Heyckendorf hatte sich da bereits für Widerstandshandlungen gegen das nationalsozialistische Regime entschieden. Er beschrieb die Verhaftung seines Vaters 1942 und die Ereignisse danach so:
„Im November 1942 wurde mein Vater zum dritten Mal verhaftet. 1943 beim Grossangriff gelang es mir zu erreichen, dass mein Vater zu den ersten beurlaubten politischen Gefangenen des UG. Holstenglacis gehörte. Von dieser Zeit an lebte mein Vater bis zur Kapitulation 1945 illegal. Während seiner illegalen Zeit sammelte ich mit meiner Mutter Lebensmittel und überbrachte sie meinem Vater, wobei wir uns immer vor den Bespitzelungen der Gestapo in acht nehmen mussten.
Am 22. Dezember 1944 wurde meine Mutter von der Gestapo als Geisel für meinen Vater verhaftet. Mir wurde die Frist von acht Tagen gegeben, um den Aufenthaltsort meines Vaters zu verraten. Die Gestapo verzögerte meine Verhaftung und setzte mir einen Spitzel auf die Fersen, der in unserer Wohnung einquartiert wurde.
Durch das aufdringliche Verhalten verriet der Einquartierte seine Absichten. Es gelang mir, mit Hilfe von Freunden meines Vaters ihn zu identifizieren, die mich dann zur Flucht aufforderten.
Da ich in meinem Betrieb, der Deutschen Messapparate, Mitglied einer Gruppe von aktiven Antifaschisten war, unterstützten diese mich bei der Flucht, verschafften mir ein illegales Quartier und Lebensmittel. [...]
Meine Mutter wurde als Geisel mit 12 anderen Frauen am 24. April 1945 in Neuengamme ermordet. Unsere Wohnung wurde von der Gestapo als Absteigequartier benutzt und ausgeraubt.“
Auch der untergetauchte Günther Heyckendorf wurde am 15. Februar 1945 gefasst. Er kam nach der Besetzung Hamburgs durch britische Truppen Anfang Mai 1945 frei.
Helene Heyckendorf saß ab dem 22. Dezember 1944 (nach anderen Angaben ab 12. Dezember 1944) im Gefängnis Fuhlsbüttel ein. Der Vorwurf lautete auf Vorbereitung zum Hochverrat – eine Beschuldigung, die die Todesstrafe nach sich ziehen konnte. Im April 1945 entschied die Gestapo, eine Gruppe der Inhaftierten, deren Prozessvorbereitungen so weit vorangetrieben waren, dass mit einer Prozesseröffnung in Berlin gerechnet werden konnte, den vorrückenden britischen Truppen zu entziehen und in das Gefängnis Kiel-Hassee zu überstellen; andere waren bereits früher in das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt eingeliefert worden und standen zur Verfügung der Hamburger Staatsanwaltschaft. In Fuhlsbüttel zurückgeblieben war eine Gruppe von 71 inhaftierten politischen Gefangenen (13 Frauen und 58 Männer). Über sie verfügte weiterhin die Gestapo. Da durch den Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, Himmler, angeordnet worden war, für den Fall der Annäherung alliierter Streitkräfte politische Häftlinge zu liquidieren, wurden die verbliebenen 71 Gefangenen jetzt auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr am 18. April – nach anderen Informationen – am 20. April 1945 in das Konzentrationslager Neuengamme überführt. Am 21. oder 23. April 1945 wurden sie dort ermordet.
Michael Müller, als Mitglied der KPD am 7. Januar 1937 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu sechs Jahren Zuchthaus und anschließender dauernder Polizeiaufsicht verurteilt, befand sich bis Kriegsende im Konzentrationslager Neuengamme. Er überlieferte Helene Heyckendorfs letzte Worte für ihre Angehörigen:
„Am 19.4.1945 wurden in Neuengamme 71 Zivilisten eingeliefert, unter denen sich auch 13 Frauen befanden. Die Frauen wurden sofort im Hinrichtungsbunker untergebracht. Da ich von früher her den Schlüssel für die Stahlblenden dieses Bunkers besass, bestach ich den Posten, der damals schon ein älterer Marineangehöriger war, mit Zigaretten und Schokolade aus Care-Sendungen und öffnete mit diesem Schlüssel die Stahlblenden. Ich nahm nun Verbindung mit den Frauen auf und fragte, ob unter ihnen auch Hamburger Frauen wären. Daraufhin antwortete mir eine mir bis dahin unbekannte Frau, nämlich die Schauspielerin Hanne Mertens vom Thalia-Theater und erklärte mir auf meine Frage, wie sie hierhergekommen seien, sie seien alle in Fuhlsbüttel gewesen und dort in 3 verschiedenen Abteilungen zusammengestellt worden. Nach ihrer Schilderung sei die eine Abteilung für Kiel-Hassee, die andere Abteilung für das UG. und die 3. Abteilung für die Aktion ‚Baldrian’ eingeteilt worden. Die 71 Personen gehörten zur Aktion Baldrian. Auf meine weitere Frage, ob noch mehr Hamburger darunter wären, meldete sich nun die mir von früher bekannte Lene Heikendorf [sic], Halbjüdin, die in unserem Nebenhause wohnte. Auch sie bestätigte mir dasselbe wie Hanne Mertens und fragte mich, was sie wohl zu erwarten hätten. Ich antwortete ihr daraufhin, dass aus diesem Bunker noch niemand lebend herausgekommen wäre. Daraufhin bestellte sie mir Grüsse für ihren Mann und ihren Sohn für den Fall, dass ich Neuengamme lebend verlassen könnte.“
Sowohl die Ermordung der Frauen aus dieser Gruppe als auch der verzweifelte Aufstand der Männer und ihre anschließende Hinrichtung wurden beobachtet und in Zeugenaussagen festgehalten. Das „Komitee ehemaliger politischer Gefangener“ (Hamburg) erstellte darüber am 12. August 1945 einen Bericht, in dem das brutale Vorgehen der Henker im Konzentrationslager Neuengamme dokumentiert ist.
Zu den Toten gehörte Helene Heyckendorf.
Text: Peter Offenborn aus: www.stolpersteine-hamburg.de