Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Julie de Boor Julie de Boor (geb. Unna verw. Ploos van Amstel)

(geb. 21.07.1848 in Hamburg - gest. 04.06.1932 in Hamburg)
Portraitmalerin
Rothenbaumchaussee 197 (Wirkungsstätte, Atelier)
Moorweidenstraße 19 (heute steht dort das Elysée-Hotel) (Wirkungsstätte und Wohnadresse)
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Grabstein)


3502 Julie De Boor
Julie de Boor (etwa 1875), Bild: via Wikimedia Commons, unbekannt / gemeinfrei

„Sie war majestätisch. Man hatte einen enormen Respekt vor ihr“, erinnert sich Antje Johannes in sonorem, liebevoll-spöttischem Tonfall an ihre Großmutter Julie de Boor, eine beliebte Portraitmalerin der führenden Hamburger Gesellschaft, der sie angehörte und deren Geschmack sie mit ihrer repräsentativen Darstellungsweise traf.
Julie de Boor stammte aus einer angesehenen jüdischen Arztfamilie. Ihr Vater war der Arzt und Chirurg Dr. Moritz Unna, der Bruder der Dermatologe Dr. Paul Gerson Unna, nach dem der Unna-Park benannt ist. Über die Ausbildung Julie de Boors ist auch in der Familie wenig bekannt. Sie besuchte Privatkurse bei Eleonore Göttsche und erhielt Zeichen- und Malunterricht bei Bernhard Mohrhagen und Herrmann Steinfurth. Es wird sich bei all dem vermutlich um die damals übliche Ausbildung für höhere Töchter gehandelt haben. 1873 heiratete Julie de Boor den aus einem uralten holländischen Adelsgeschlecht stammenden Juristen und Bankier Adrian Ploos van Amstel und folgte ihm nach Heidelberg. Doch noch bevor die gemeinsame Tochter Paula am 20. November 1874 geboren war, erschoss sich Adrian Ploos van Amstel, vermutlich wegen finanzieller Schwierigkeiten.
Julie de Boor ging zunächst nach Berlin, um sich bei dem Genre- und Bildnismaler Karl Gussow ausbilden zu lassen, und später nach Paris zu dem gesuchten Portraitmaler Emile Auguste Carolus-Duran. Doch eigentlich verstand sie sich als Schülerin des spanischen Malers Diego Velásquez (1599-1660), der auch ihren Lehrer Carolus-Duran stark beeindruckt hatte. „Diego Velásquez, den sie über alles verehrte, nannte sie ihren Meister und seine Art zu malen ihr Vorbild“[1], berichtet der Leitende Regierungsdirektor Heinrich Merck in einem Aufsatz über die Malerin, mit der er zeitlebens freundschaftlich verbunden war.
1880 kehrte Julie de Boor nach Hamburg zurück. Mit ihrer Tochter Paula lebte sie im Hause ihres Vaters und arbeitete in Ateliergemeinschaft mit dem Schlachtenmaler Claus Herrmann de Boor in der Rothenbaumchaussee 197. 1889 heiratete das Paar und zog in das nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen gebaute einstöckige Haus mit Atelier im Dach in die Moorweidenstraße 19 (heute steht dort das Elysée-Hotel). Paula wurde in die Obhut einer französischen Pastorenfamilie in Mailand gegeben.
Etwas über Julie de Boors Arbeitsweise und die schillernde Atmosphäre im Gemeinschaftsatelier des Paares erfahren wir von Heinrich Merck, den Julie de Boor zusammen mit seiner Schwester als Kind portraitierte. Er irrt allerdings, wenn er sein Erlebnis im Haus in der Moorweidenstraße ansiedelt. Da Merck im Jahr 1877 geboren ist, muss das Bild bereits im Atelier in der Rothenbaumchaussee entstanden sein:
„In meinem siebenten Lebensjahr wurde ich zusammen mit meiner Schwester porträtiert. Bei einer besonderen Gelegenheit wollte unser Vater unsere Mutter mit dem Bildnis überraschen, weshalb die Sache geheimnisvoll in Gang gesetzt werden mußte. Ohne darüber sprechen zu dürfen, hatten wir längere Zeit immer wieder zu sitzen, wie man im Malerjargon sagt. Ja, hätten wir nur sitzen können! Dann wäre alles erträglicher verlaufen. Man posierte uns aber auf einem Podium, wo wir Hand in Hand möglichst ruhig zu stehen hatten, um in ganzer Figur abkonterfeit zu werden. Das ermüdete und reizte, wie man sich wird denken können, zu Ungeduld und zu Widerspenstigkeiten...
Alle paar Tage mußten wir sitzen. Ich meine, daß wir Frau Julie die Arbeit nicht leicht gemacht haben. Mit unserer stetig wachsenden Unruhe hatte sie genugsam zu kämpfen; insbesondere wollte es, wie ich mich gut entsinne, mit den zusammengelegten Händen durchaus nichts werden. Fortwährend wurden davon neue Skizzen gemacht. Mich irritierte schon von Anfang an das mir von der Malerin aus koloristischen Gründen zudiktierte und für diese Zwecke besonders angefertigte Kostüm: ein Blusenanzug aus braunem Samt mit einer hell-ockergelben Seidenschärpe. Ich kam mir darin albern und theaterhaft vor, habe mich auch nachher auf das bestimmteste geweigert, mich darin bei festlichen Gelegenheiten, wie man es wünschte, vorführen zu lassen.
Zu Ermüdung und Unruhe kam als verwirrendes Moment die Umgebung, die mich gleich anfangs erregte. Ich hatte nie ein Maleratelier gesehen. Und nun erst dieses! Das Riesenfenster wie eine gläserne Wand, hinter der ungewisses Licht stand, der Duft von Ölfarben und Terpentin, die vielen Pinsel und der Wirrwarr von Gegenständen, die herumstanden und in den Ecken und Winkeln lehnten, verfehlten die Wirkung auf den Neuling nicht.
Etwas anderes vollends erweckte höchstes Interesse und verführte immer wieder von Neuem dazu, das Stillstehenmüssen zu vergessen und den Kopf gerade in dem Augenblick, wo es darauf ankam, daß er nicht bewegt wurde, neugierig zur Seite zu wenden. Was es da zu sehen gab, war wirklich wie dazu geschaffen, eines Jungen Aufmerksamkeit voll zu fesseln.

Die Malerin war nicht alleinige Benutzerin des Ateliers. Sie teilte es mit ihrem Kollegen und späteren Ehemann de Boor, und der war Schlachtenmaler. Schlachtenmalerei war damals, als es noch Uniformen von lustigsten Farben, elegant gerittene Kavallerieattacken, Feldherrnhügel und Nahkämpfe in hübschen Landschaften gab, eine geschätzte und gern geübte Kunst. Wie man sich die Anschauung verschaffen und komplizierte Situationen gleichsam nach der Natur zu entwerfen vermochte, wußte Herr de Boor aufs Beste. Rings herum an den Wänden des Ateliers waren zahllose Uniformen aufgereiht: Infanterie und Artillerie, Husaren und Ulanen, die glänzenden Panzer der Gardes du Corps, dazu Hieb-, Stich- und Schuß-Waffen und – interessanter als alles andere – echte französische Waffenröcke und die dazugehörigen roten Hosen. Der Diener des Hauses hatte sich darin zu verkleiden und in mannigfaltigen Posen, wie sie sein Herr gerade brauchte, stürmend, schießend, bajonettierend, Modell zu stehen. Und auch Kavalleristen wußte er darzustellen. Zu diesem Zweck stand mitten im Raum ein vierbeiniges Lattengerüst in der Größe eines Pferdes.
Als französischer Kürassier schwang er sich auf dies angedeutete Roß und hing, einen verwundeten Reiter wiedergebend, naturwahr zur Seite herunter. Daß es mir schwer wurde, von solchem Schauspiel meine Augen abzuwenden, ist erklärlich. Im geheimen bewunderte ich den Unermüdlichen, für den das Gemaltwerden sicherlich viel anstrengender war als für uns...
Schließlich hatte die Quälerei, denn als solche sahen wir die ausgedehnten Sitzungen an, ein Ende. Unsere Mutter freute sich an dem fertigen Bildnis, das bald darauf sogar im Kunstverein öffentlich ausgestellt wurde.“[1]
Das gemeinsame Leben des Künstlerehepaares war nur von kurzer Dauer. Am 30. November 1889 starb Claus Herrmann de Boor.
Doch nichts konnte Julie de Boors „feuriges und kämpferisches Temperament“[1] brechen. Unterstützt durch ihre gesellschaftlichen Beziehungen, die ihr Haus zum Sammelpunkt künstlerisch interessierter Menschen machten, insbesondere aber durch ihren Mentor, den Bürgermeister Carl Petersen, war sie schnell zu einer beliebten Portraitmalerin mit zahlreichen Aufträgen geworden. Ca. 500 Portraits und Kniestücke in Öl auf Holz oder Leinwand und in Kreide entstanden bis zu ihrem Tod, darunter auch Bildnisse von Carl Petersen und seiner Tochter Toni sowie Herrmann de Boor und Ebba Tesdorpf, die sich heute im Hamburg Museum befinden, aber auch ein Gruppenbild der sieben Rathausbaumeister Meerwein, Haller, Zinnow, Hauers, Hanssen, Grotjan und Stammann, das Julie de Boor dem Rathaus zur Eröffnung 1897 stiftete und das im „Rosenkranz“ im Ratsweinkeller hängt.
Trotz aller Anerkennung und Wertschätzung starb Julie de Boor als verbitterte Frau. Sie konnte oder wollte wohl nicht begreifen, dass ihre Kunst, die akademische Portraitmalerei, bereits zu ihren Lebzeiten einer vergangenen Epoche angehörte. Heinrich Merck berichtet: „Die alte Dame ging immer schwarz gekleidet und trug nach Art unserer Großmütter auf den weiß gewordenen Haaren ein Arrangement von schwarzen Spitzen...Im Gespräch unter vier Augen klagte sie mir, bitter und in verhaltener Empörung, die Hamburger, von deren Besten ihr Pinsel so viele verewigt habe, begännen, sie zu vergessen. War sie doch überzeugt, eine große Künstlerin gewesen zu sein.“[1]
Text: Brita Reimers