Anna Elisabeth Jencquel
(31.12.1836 in Hamburg - 17.12.1924 in Hamburg)
Ordenträgerin für Verdienste während des Krieges 1870/71
Harvestehuder Weg (Wohnadresse)
Alte Rabenstraße (Wohnadresse)
Leinpfad (Wohnadresse)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof Grab Nr. S 23, 63-72 (Grabstelle Percy Schramm)
Anna Jencquel entstammte dem Großbürgertum und blieb unverheiratet. Was die Auswahl von geeigneten Heiratskandidaten betraf, muss sie sowohl sehr wählerisch als auch sehr voreingenommen gewesen sein, denn Offiziere, Adlige, Schausteller und Juden (!) kamen für sie nicht in Frage. Sie konnte es sich allerdings auch leisten, wählerisch zu sein, denn es bestand für Anna Jencquel keine Notwendigkeit, eine Versorgungsehe einzugehen. Sie verfügte über ein beträchtliches väterliches Vermögen, das ihr erlaubte, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen.
Anna Jencquel hatte viel Zeit. Die verbrachte sie oft auf Reisen. Sie fuhr nach Griechenland und Ägypten, las Heine, rauchte leidenschaftlich gern russische Zigaretten, spielte regelmäßig mit einem Oberkellner, der zu ihr ins Haus kam, auf einem Esszimmertisch Billard – und zeigte niemals Gefühlchen. Stets bewahrte sie Haltung. Ihr zugedachte Zärtlichkeiten, Freundlichkeit und Geschenke wies sie zurück, weil sie befürchtete, in solchen Momenten aus der Rolle zu fallen. Selbst „Tante“ wollte sie nicht genannt werden. Diese Bezeichnung erschien ihr zu gefühlsbetont. Stattdessen ließ sie sich „Anna“ nennen und wurde so für die Großneffen und -nichten zur Großanna.
Nach dem Tod der Mutter wohnte sie lange Jahre in einer Etagenwohnung am Harvestehuder Weg, später dann mit zwei Dienstmädchen in einer Acht-Zimmerwohnung in der Alten Rabenstraße. Als sie 69 Jahre alt war, kaufte sie sich ein Haus am Leinpfad mit noch mehr Zimmern und schaffte sich einen Hund an, den sie „Struppi“ nannte und den sie verhätschelte und abgöttisch liebte – also doch Gefühle.
Anna Jencquel bezog ihr ungebrochenes Selbstbewusstsein aus ihrem ausgeprägten Standesdünkel: Die Jencquels gehörten nun einmal schon seit ewigen Zeiten zur Hamburger Oberschicht. Und so gab sie stets, egal wo sie war, ihre Meinung gut hörbar kund. Das war ihren Angehörigen oft peinlich, Percy Ernst Schramm schreibt über seine „Großanna“: „Aus diesem Selbstgefühl: ‚Ich, Fräulein Jencquel’ leitete sie nicht nur das Recht ab, im Familienkreise ihre Urteile zu fällen, sondern sie fühlte sich berechtigt, auch Dritten gegenüber ihre Auffassungen vernehmlich zu machen. Wer sie begleitete, mußte gewärtigen, daß sie das Auftauchen einer parfümierten Dame – ihr ein besonderes Greuel – mit so lauten Bemerkungen begleitete, daß diese es hören mußte. Einladungen zu einer Reise oder zu einem Essen waren auch kein reiner Genuß, da die ‚Großanna’ dann das Gefühl der alleinstehenden vermögenden Dame bekam, daß alle Männer das auszunutzen suchten – weshalb sie die Rechnungen mit der Sorgfalt eines Finanzbeamten nachprüfte.“[1]
Anna Jencquel hatte ganz ihrem Charakter entsprechend weder mit der Kirche noch mit der Armenfürsorge viel im Sinn. Ihr Motor war ein patriotisches Pflichtgefühl, welches sie dazu trieb, während des Krieges 1870/71 den Verwundeten zu helfen. Diese Form des Pflichtgefühls war damals genauso wie das der Nächstenliebe gesellschaftlich opportun. Anna Jencquel half dem „Roten Kreuz“ hauptsächlich beim Verpacken des Verbandstoffes und erhielt für dieses Engagement später ein Kreuz, eine Denkmünze und zum 100. Geburtstag Kaiser Wilhelms eine Gedächtnismedaille.
Als sie mit 87 Jahren starb, bezeugte eine Mullbinde um ihr Handgelenk, dass der Arzt ihrem letzten Wunsch, ihr bei Eintritt des Todes die Pulsadern aufzuschneiden, nachgekommen war. Sie hatte große Furcht, als Scheintote begraben zu werden.
Text: Rita Bake