Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Thekla Bernau Thekla Bernau, geb. Benjamin

(29.05.1900 - deportiert am 6.12.1941 nach Riga)
Lehrerin
Groothoffgasse 8 (Wohnadresse) Stolperstein
Schule Bismarckstraße (Wirkungsstätte)


Selma Benjamin wurde am 10. Mai 1868 als Tochter von Heymann und Rosalie Pasch in Reisen geboren. Sie heiratete Martin Benjamin. Am 29. Mai 1900 ist die Tochter Thekla in Dannenberg geboren.
Die Kultussteuerkarte der jüdischen Gemeinde, die zwangsweise nach der Volkszählung von 1938 für Thekla Bernau angelegt wurde – tatsächlich war Thekla Bernau der Konfession nach evangelische Christin – gibt den Familienstand mit ‚ledig’ an. Es ist nicht bekannt, ob Thekla Bernau zuvor verheiratet war oder aus anderen Gründen den Familiennamen Bernau angenommen hat. Im Hamburgischen Lehrerverzeichnis von 1935/36 ist Thekla Bernau als Lehrerin an der Schule Bismarckstraße aufgeführt. Dort wird auch die Privatanschrift Groothoffgasse 8 genannt, wo Thekla Bernau mit ihrer Mutter Selma Benjamin im III. OG lebte. Der Vater Martin Benjamin war zu dieser Zeit bereits verstorben. 1939 haben Selma Benjamin und ihre Tochter Thekla die Wohnung in der Groothoffgasse verlassen [müssen] und zogen in eine Wohnung am Lehmweg 57. Es ist zu vermuten, dass dieser Umzug nicht aus freier Entscheidung erfolgte, sondern dass die beiden ihre Wohnung - wie viele andere jüdische Mieter auch - einem nichtjüdischen Bewohner überlassen mussten.
Nachdem es jüdischen Lehrern verboten wurde, an staatlichen Schulen zu unterrichten, fand Thekla Bernau noch eine Anstellung an der privaten ‚Cläre Lehmann Schule’ in der Heilwigstraße, bis auch diese Schule 1940 geschlossen wurde.
Am 6. Dezember 1941 wurden Thekla Bernau und ihre Mutter Selma Benjamin nach Riga deportiert und später – vermutlich im März 1942 – ermordet. Von Thekla Bernau ist ein letzter Brief erhalten, den sie in der Deportationssammelstelle in der Hartungstraße – heute befinden sich dort die Hamburger Kammerspiele – geschrieben hat. Der Hauswart, der im letzten Absatz erwähnt wird und dem sie den Brief übergeben hat, hat sein Wort gehalten und dieses letzte Lebenszeichen von Thekla Bernau für die Nachwelt gerettet.

Der letzte Brief von Thekla Bernau (Quelle: www.fasena.de)
»Nun wissen wir es: Am 5. oder 6. Dezember geht es fort. Keiner fragt, wohin. Jeder weiß es, und keiner gesteht es sich ein. Wir sind jetzt elf in den zwei Zimmern Hartungstraße. Die Borowers sind die Ältesten und beide krank. Werden sie die Reise überstehen? Wolf B[orower] sagt zu seiner Fanni, es werde das gelobte Land. Und wenn sie wimmert und versucht, das geschwollene Knie auszustrecken, streichelt er sie und sagt, sie müsse sich über die Eisblumen an den Fenstern freuen. Solch schöne Eisblumen dieses Jahr! Wie nie zuvor. Und draußen sei alles so fröhlich, der Krieg nicht zu spüren. Ob sie schon die Fichten und die Tannen gesehen hat, die bald in die Häuser geholt werden. Die Christen schmücken die Tannen; aber wir haben jetzt Chanukka und nicht einmal einen Leuchter, nur die Eisblumen. Eisblumen ersetzen manchmal die Chanukkaleuchter.
Der Kopierstift ist so hart, dass ich ihn mit den Lippen feucht machen muss. Wenn ich alles überdenke, werden meine Lippen trocken, und ich kann nicht mehr schreiben. Für wen schreibe ich? Vielleicht, dass Margarethe und Selma es eines Tages doch noch lesen werden. Ob es in Friendsfield auch so kalt ist? Wo liegt Friendsfield? Es liegt weit ab von Dannenberg, wo ich geboren wurde, und weit ab von der Hartungstraße in Hamburg. So weit ab, dass ich von hier nach da keine Gedanken hinüberschicken kann. Laura Mosbach stammt aus Bünde in Westfalen und kann Zigarren aus alten Blättern und Zeitungspapier drehen. Aber weder die Wenkels, noch die Grothkopps wollen sie rauchen. Sie ist traurig. Wer will heute schon rauchen!
Am Morgen kommen dreimal hintereinander SS-Leute und wollen unsere Papiere. Wir sagen, dass wir sie schon haben abgeben müssen und dass wir registriert sind. Ob es nicht etwas zum Heizen für den Ofen gibt und einen Arzt für Fanni Borower. Sie grinsen und sagen, wir brauchten keinen Ofen mehr und Ärzte gebe es nicht einmal für die anständigen Menschen. Für die anständigen Menschen, sagt er. Und Fanni Borower sagt, es ginge ihr schon besser. Keine Umstände. Keiner will "Umstände", weil man dann ausgesondert wird und gleich mitkommen muss. Wer weiß, wohin.
Mittags um zwei gibt es für jeden ein Stück Brot, Marmelade und etwas Schmalz. Keiner fragt, ob das zusammenpasst. Wir essen das alles auf. Wie die Ratten, die auch alles aufessen und nicht fragen, ob es zusammenpasst. Dazu gibt es aus einer Kanne heißen Malzkaffee. Dann kommt eine Frau. Dick und grobschlächtig. Leibesvisitation! Sie greift jedem unters Hemd, in die Hosen. Wir müssen die Arme hochhalten und die Beine breit machen. Sie fühlt alles durch und nimmt der alten Borower die Tinktur für das Knie weg. Das sei Alkohol, sagt sie. Und für Juden sei jeglicher Alkohol verboten. Bei Todesstrafe. Fanni wimmert, Wolf hält ihr den Mund zu. Die Frau sagt, dass sie einen Pullover für ihren Sohn für Weihnachten stricke. Aber so schöne Wolle wie in dem Schal von der Wenkel bekomme man nirgendwo. Die Juden hätten immer alles. Das beste! Aber bald würde sie auch solche Wolle besitzen. Vielleicht morgen schon. Die Wenkel knotet sich den Schal fest um den Hals. Sie will nicht, dass ihr Schal für den Weihnachtspullover der Dicken aufgerippelt wird. Die Frau sagt, dass es morgen in aller Frühe losgehe. Wir würden geweckt, und dann müssten wir auch die Uhren abliefern und die Eheringe. Und wehe, wer etwas verstecke. Ich werde auch mein Geschriebenes abgeben müssen; vielleicht gelingt es niemals nach Friendsfield zu Margarethe und Selma. Niemals! Alles, was wir hier tun und denken, ist "niemals"!
Der alte Borower erduldet am Nachmittag einen Herzanfall. Wir massieren ihn und müssen frische Luft hereinlassen, obwohl alle frieren. Er ist blau im Gesicht, und wir geben ihm den Rest aus der Kanne zu trinken. "Es wird das gelobte Land sein!" sagt er immer wieder. "Ihr werdet es sehen!" Er sagt es und sagt es und hat keinen Glauben mehr an das gelobte Land. Nachdem wir das Fenster geschlossen haben, sind die Eisblumen verschwunden. Es sind weniger Leute auf der Straße. Zwei schwarze Autos parken vor dem Haus. Bewacher. In vier Häusern sind wir alle untergebracht. Über uns weinen Kinder. Gegenüber ist Lärm im Haus. Da werden Kerzen angesteckt. Und als es schummrig wird, kommt ein Mann die Straße herunter, der sich als Nikolaus verkleidet vor der Türe. Erst zieht er einen roten Umhang an, dann setzt er eine Larve auf und eine hohe Mütze. Er hat einen Sack in der Hand und eine Rute. Ist heute der Nikolaustag oder morgen? Man vergisst, was ist. Es wäre besser, man könnte noch mehr vergessen. Der Mann kommt in das Zimmer, der Lärm wird stärker. Lichter, Lärm, Freude, Geschenke… Am Abend habe ich einen Weinkrampf.
Die Wenkel sagt, dass es wie bei den vorigen Transporten sei. An der Sternschanze stünden die Viehwagen. Offen. Frauen für sich, Männer für sich. In Altona kämen Wagen aus Kiel und Hannover dazu. Wolf will nicht von Fanni getrennt werden. Er jammert, dass er es nicht wie sein Freund Bukofzer gemacht hat. Bukofzer und seine Frau haben sich erhängt. Wozu erhängt man sich? Ich muss alle meine Kräfte zusammennehmen und nur daran denken, dass Margarethe und Selma in Friendsfield in Sicherheit sind.
Jetzt ist es kurz vor Mitternacht oder schon später? Drüben feiern sie. Lichter, Wärme. Der Hauswart kommt und sagt, es wäre besser, ihm alle Wertsachen, die wir noch hätten, in Verwahrung zu geben. Ich habe nichts. Nur diese Blätter und den Kopierstift. Er besorgt mir einen alten Umschlag. Dort hinein werde ich jetzt alles stecken und ihm geben. Er soll es an Margarethe und Selma schicken. Er verspricht es. Ich schreibe nun nichts mehr. Adieu, meine Lieben. Denkt nicht schlecht von mir.«
Am 6. Dezember wurden 753 jüdische Hamburger nach Riga deportiert. Das Hamburger Gedenkbuch verzeichnet 726 Ermordete allein aus diesem Transport, unter ihnen Selma Benjamin und Thekla Bernau sowie alle, die in dem Brief von Thekla Bernau als Mitbewohner in der Hartungstraße genannt sind.
[Anmerkung: Es ist nicht gesichert, wer die im Brief angesprochenen Margarethe und Selma sind, möglicher Weise handelt es sich um Töchter von Thekla Bernau, die aber in der Kultussteuerkarte nicht verzeichnet sind]

Text: Recherchiert und zusammengestellt von Johann-Hinrich Möller, Oktober 2007