Pauline (Susanna) Runge Pauline (Susanna) Runge, geb. Bassenge
(18.09.1785 in Dresden - 26.04.1881 in Hamburg)
Ehefrau des Malers Philipp Otto Runge
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof: Grabstein Philipp Otto Runge auf dem Althamburgischen Gedächtnisfriedhof. Nach Angaben des Friedhofamtes ist hier auch Pauline Runge beigesetzt, allerdings ohne namentliche Erwähnung auf dem Gedenkstein.
„Sieh, ich bin verliebt, sehr verliebt; mich dünkt, ich habe alles das gefunden, zusammen, was mich sonst wohl einzeln entzückt hat“, schreibt der 25-jährige Philipp Otto Runge an seinen Bruder Daniel in Hamburg, als er im Sommer 1801 die noch nicht 16-jährige Pauline Bassenge in Dresden kennenlernt. (Brief vom 12. September 1801)[1]
Ist das Zitat die nur allzu bekannte Äußerung eines Frischverliebten, die nicht ganz ernst zu nehmen ist? Wohl nicht. Die Begegnung mit Pauline Bassenge, dem neunten Kind des aus belgischer Hugenottenfamilie stammenden Dresdner Handschuhfabrikanten Charles Frédéric Bassenge und dessen Cousine Marie Frédérique Bassenge, hatte für Runges menschliche und künstlerische Entwicklung eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Auch wenn Runge den Bruder im nächsten Satz des Briefes beruhigt: „...wenn ich auch völlig im Ernst bin, so will ich doch eben nicht gleich heiraten...“,[1] so bezieht er im dann folgenden die Begegnung mit Pauline doch sogleich auf die Zukunft und seine ganze Existenz. Er verlangt vom Bruder, sich mit ihm über Richtung und Bestimmung seines Lebens ein für allemal zu einigen, und wünscht insbesondere zu erfahren, ob Daniels Gedanken über seinen weiteren Lebensweg gegen die in ihm erwachte Liebe stünden. (Der ihm eng verbundene Bruder, in dessen Handelsgeschäft Philipp Otto Runge eine zeitlang gearbeitet hatte, hatte ihm eine künstlerische Ausbildung ermöglicht und ihm angeboten, bei ihm zu leben, um sich ohne finanzielle Sorgen der Malerei widmen zu können.)
Die Liebe Paulines erscheint Runge als Bürgschaft seines Schaffens: Am 06. Oktober 1801 schreibt er an den Bruder: „Ihr werdet mich gewiß nicht abhalten, eine Liebe zu suchen, die mir teurer wäre wie alles, wodurch ich verführt werden könnte, und mich dadurch vor jeder Versuchung bewahrte. Ich weiß es, daß ein Künstler ohne die Liebe nichts ist, daß er ohne sie nichts leisten kann; auf welchem Wege nun soll ich diese Liebe suchen, wenn nicht auf diesem hier, wo sie mir so rein und ohne unübersehliche Schwierigkeiten entgegenkommt?“[1] Und am 20. März 1802: „Ich kam wieder auf die Kunst und alles, was ich den Tag erlebt hatte; es drängte sich unwiderstehlich die Ahnung mir auf: Wenn du nun P. nicht erlangst, was wird dann aus der Kunst bei dir?“[1]
Nach diesen Äußerungen scheint es kein Zufall zu sein, wenn in der Zeit der ersten Liebe, des sehnsuchtsvollen Hoffens, in der das romantische Gedankengut zutiefst erfahrene Wirklichkeit des eigenen Lebens wird, im Herbst 1801, die zweite Fassung des Bildes entsteht, das das Wesen der Kunst Runges richtungsweisend bestimmt, wie Jörg Traeger in seiner Runge-Monographie [2] überzeugend darstellt. In der zweiten Fassung des „Triumph des Amor“ entwickelt Runge in der Darstellung des Themas Liebe, wobei er sich bezeichnenderweise von dem allgemein gehaltenen Liebesbegriff der ersten Fassung zugunsten der Geschlechterliebe abwendet, die allegorische Grundlage seiner Malerei. Runge selbst zählte das Bild zu seinen „eigentlich ersten Arbeiten“[1].
Doch was so hoffnungsvoll begann, erfährt zunächst ein jähes Ende, nicht durch den Einspruch des Bruders Daniel, sondern durch Paulines Vater. Als Runge im Juli 1802 um Paulines Hand anhält, lehnt der alte Bassenge mit dem Hinweis auf die Jugend seiner Tochter ab – Pauline ist erst 16 Jahre alt –, verwehrt Runge gar, sein Haus weiterhin zu betreten.
Diese Absage führt Runge in eine schwere psychische und physische Krise. An den Bruder schreibt er: „...ich muß Dir Nachricht von mir geben und kann es nicht, ich bin lahm, sehr lahm. O lieber Daniel, könnt ich weinen!“ (Brief vom 11. Juli 1802)[3]
Das Malen scheint jetzt nur noch den einen Sinn zu haben, Pauline darzustellen: „... und sehe in allem nichts anderes, als wie ich nur ihr Bild in allem recht ausdrücken möchte ...“ (Brief vom 16. Oktober 1802 an Daniel)1 Es entsteht „Die Lehrstunde der Nachtigall“, Psyche trägt Paulines Züge.
Am 21. November dann der Jubelruf: „Mein allerbester D., jetzt gehe ich ordentlich mit Freuden und Begierde daran, Dir recht viel zu schreiben, so wie mir der ganze Himmel jetzt voll Geigen hängt und mir alles wie meine P. anlacht. O lieber D., müßte ich es Dir doch nicht erst schreiben! aber ich muß es wohl, denn sonst wirst Du aus den Übergängen von der dumpfen Traurigkeit meines vorigen zu den himmelhohen Sprüngen dieses meines geliebten Schreibens durchaus nicht klug ... So ist denn nun alles wieder rosenrot in mir und mein Bild soll und muß nun gut werden. Bei all dem muß ich zu mir heimlich sagen: womit hast du alle die Seligkeit verdient? Ich bin’s nicht wert, und wie kann man so etwas verdienen? Ich schäme mich vor Gott, wie ich habe so verzagt sein können, und ich will mich meines Glückes nicht überheben, sondern hübsch fleißig sein.“[1]
Der Grund für diese Freude ist die Botschaft aus dem Hause Bassenge, alle, Pauline eingeschlossen, seien für ihn, er dürfe nach ihrer Konfirmation, zu Ostern 1803, erneut um sie werben. Am 03. April 1804 wird in Dresden die Hochzeit gefeiert, am 13. Mai trifft das junge Paar in Hamburg ein.
Die Freunde Philipp Otto Runges, die Familien von Friedrich Perthes, Johann Michael Speckter, Gründer der ersten lithographischen Anstalt Norddeutschlands, und Friedrich August Hülsenbeck, Geschäftspartner Daniel Runges, die alle durch ihre künstlerischen Ambitionen verbunden sind, werden auch Paulines Freunde. Besonders mit Frau Hülsenbeck versteht Pauline sich gut.
Am 30. April 1805 wir der erste Sohn, Otto Sigismund, geboren. Ihm folgen 1807 die Geschwister Maria Dorothea und 1809 Gustav Ludwig Bernhard. Doch das Familienglück nimmt ein jähes Ende. Am 7. Dezember 1810 stirbt Philipp Otto Runge im Alter von nur 33 Jahren an der Schwindsucht. Sein dritter Sohn wird einen Tag später, am 03.12.1810, geboren. Er erhält die Namen des Vaters.
Liest man die vollkommen unbedarften Briefe Paulines an ihre Mutter, fragt man sich, worin die Liebe Runges gründete, die so weitreichende Wirkungen auf seine Kunst hatte.[4]
Der Brief an den Jugendfreund Karl Friedrich Enoch Richter in Leipzig aus der Zeit tiefster Hoffnungslosigkeit macht deutlich, daß Runges Liebesauffassung zutiefst dem Gedankengut der Frühromantiker verpflichtet ist und aus eben diesem Grunde ihn so sehr beeinflussen konnte. So wie beispielsweise Friedrich Schlegel in seiner „Lucinde“ eigentlich nicht die geliebte Lucinde als Individuum, sondern die Liebe liebt, so scheint es auch hier zu sein. Die Liebe soll den Schmerz über den fehlenden inneren Zusammenhang heilen, die Sehnsucht nach Verschmelzung mit dem Weltganzen erfüllen: „Liebster Enoch, daß ich jemals in der Welt zur Ruhe kommen werde, habe ich schon lange nicht mehr geglaubt, denn die Dinge, die sich in mir durchkreuzen, häufen sich beständig aufs neue; doch das alles könnte ich ertragen, wenn P. mein geworden wäre. Das wird sie aber schwerlich, und ich könnte wohl sagen, gewiß nicht, wenn ich mich nicht heimlich davor fürchtete, das zu sagen. Lieber E., ich wünschte von Herzen, daß das Leben erst zu Ende wäre, es ist mir eine Marter, und noch dazu eine, die ich willig trage, denn ich kann wieder nicht wünschen, daß es jetzt zu Ende sei. ... Es ist kein Zusammenhang in mir, dies ist die größte Pein, und wenn ich glaube, alles in einen Zusammenhang gebracht zu haben, so werden immer neue Absonderungen entstehen, die mich nicht ruhig werden lassen.
Ich muß Dir das nennen, so einzeln, wie es in mir da ist. Ehe ich P. kannte, war es immer mein Trost, daß ich einst ein Wesen finden würde, das von ganzer Seele an mir hinge. Damals konnte ich noch mit Sehnsucht in eine unbestimmte Zukunft hoffen; jetzt ist nun das Bild bestimmt da, eben das, das ich vorher gekannt habe, ehe ich sie gesehen. Dieses wird von mir getrennt; ich weiß nicht, ob sie mich liebt oder nicht; die innere brennende Sehnsucht ist der Quell, woraus alle meine Kraft, alles, was ich hervorbringe, entsteht; ohne diese Sehnsucht bin ich nichts als ein unbesaitetes Instrument; die Erinnerung an sie immer frisch und lebendig zu erhalten, ist das erste Notwendige, denn dadurch kann ich sie nur verdienen.
Verdienen? das kann ich wohl nicht, denn wer verdient so etwas? und doch kommt mir diese Gabe nicht frei von Gott. Mein ganzes Leben kann ich ihr nur beweisen, daß ich sie liebe – und dieses Leben geht über den Beweis dahin, und ich verzehre mich unter der Glut. Sie kann mich hassen, und ich muß sie doch ewig lieben, denn dies ist die Form, worin meine Sehnsucht gebannt ist; ohne ihr Bild bin ich nichts als eine hohle Nuß ...“ (Brief vom 21. Juli 1802)1 Die Sehnsucht nach der Erfahrung des Zusammenhangs mittels der Liebe zu einer Frau spricht auch aus einem Brief, den Runge während der Brautzeit an Pauline richtet: „Liebe Pauline, vergessen Sie nicht, daß ich alle meine Glückseligkeit in Ihre Hände lege und daß ich Ihnen alles geben will, was ich habe, dass ich mit Ihnen und durch Sie Gottes Wesen, wie es in der Welt wirkt, möchte begreifen lernen; ...“ (Brief, undatiert)[3] Im Brief vom April 1803 steigert sich die Sehnsucht gar zur Todesphantasie: „So wie ein Kind im Paradiese lebt und sich selbst unbekannt selig ist; es kommt aber, wie es anfängt zu lernen, die Sünde in ihm: das ist die Erbsünde, die nun einmal in der Welt ist, denn durch die Wissenschaft sind Körper und Seele getrennt worden. Wie man sich aber in der Schule zersplittert in tausend wissenswürdige Dinge, so geschieht wieder die Verbindung in uns durch die Liebe: das ist die alte Sehnsucht zur Kindheit, zu uns selbst, zum Paradies, zu Gott – diese ist, meine ich, die Sehnsucht, das Ich und Du zu verbinden, daß es einst wieder werde, wie es gewesen ist in Gott. Wir müssen, wenn wir uns lieben, uns du nennen und tun es auch bei uns selbst; daß wir es äußerlich nicht tun, ist bloß, weil es sich nicht schickt und um alle Gerechtigkeit zu erfüllen. So ist unsre Liebe zueinander die Liebe zu uns selbst, und je näher wir uns werden kennenlernen, je dünner die Wand zwischen uns sein wird durch die Liebe, je mehr werden wir uns zur völligen Vereinigung sehnen, d.i. zum Tode.“[1]
Von dem von Goethe in den „Wahlverwandtschaften“ formulierten Sinn der Ehe, nämlich das Rätsel des Lebens gemeinsam zu lösen, ist Runge weit entfernt. Der dänische Diplomat und Schriftsteller Johann Georg Rist erkennt diese Zusammenhänge, wenn er in seinen Lebenserinnerungen schreibt: Runge hatte sich aus Dresden eine kleine, liebe, schlichte Frau geholt, die gerade als eine ganz gewöhnliche, aber reine Natur und von allem idealen Streben entfernt, sich recht zu einer Künstlersfrau zu schicken schien. Sie hatte ihm ein paar allerliebste Kinder mit pausbäckigen Engelsköpfchen gebracht, und die Wirtschaft im vierten Stock, wo diese Familie lebte, ohne sich um eine andere als ihre eigene Welt zu kümmern, hatte in ihrer Einfalt und ihrem ganzen Zuschnitt etwas recht Poetisches, gerade weil gar keine Affektation darin war, vielmehr das hausbackene und spießbürgerliche Element sich auf das Ungezwungenste mit dem künstlerischen darin vermählte.“[5]
Diesen Eindruck vermitteln auch die verschiedenen Portraits, die Runge von seiner Frau malte.
Man muss für Pauline dennoch keine feministische Lanze brechen. Sie scheint glücklich gewesen zu sein, mit ihren Kindern und in dem Gefühl, geliebt zu werden. Die einzigen Äußerungen in ihren Briefen, die über Banalitäten und Floskeln hinausgehen, sind fast erstaunte Feststellungen, dass die Liebe zu Runge immer noch frisch sei, ein wenig ernster geworden, seit die Kinder dazwischen stünden.
Nach dem Tod ihres Mannes kehrt Pauline am 23. Mai 1811 mit den drei jüngeren Kindern nach Dresden zurück, während Otto Sigismund bei Daniel bleibt. „Pauline lebt bei ihren Eltern – gesund und wohl, obschon auch in großer Einsamkeit“,[1] berichtet Daniel Runge einem Freund.
Im Herbst 1815 fährt Pauline nach Hamburg, um die ihr offenbar von Daniel Runge versprochene Ehe einzuklagen. Der schreckt jedoch zurück. Man kommt indessen überein, nicht die gesamte Kindererziehung den Dresdner Verwandten zuzumuten, sondern die beiden Söhne zusammen mit denen David Runges, des Bruders von Daniel und Friedrich, in Ludorf erziehen zu lassen.
Mit dem Tod ihres Vaters muss Pauline Geld verdienen. Sie arbeitet im ehemals väterlichen Geschäft und gibt Französischunterricht. Im Mai 1832 holt Otto Sigismund, der inzwischen Bildhauer geworden ist, die Mutter und die Schwester nach Hamburg, wo Pauline weiter unterrichtet. Pauline Runge stirbt im Alter von 95 Jahren. Sie wird auf dem St. Petrikirchhof begraben und 1935 zusammen mit ihrem Mann auf den Althamburgischen Gedächtnisfriedhof überführt.
Text: Brita Reimers