Anni Taube
(1.10.1894 Hamburg - 20.7.1983 Hamburg)
Prokuristin, Stifterin
Abendrothsweg 17 (Wohnadresse)
Bestattet auf dem Öjendorfer Friedhof, Manshardtstraße 200, auf dem anonymen Urnenhain II
Anni-Taube-Stiftung: Unterstützung in Not geratener Hamburger Musiker und Sänger beiderlei Geschlechts in der Kunstrichtung klassische ernste Musik. Unterstützung ebenso von Privatlehrerinnen und -lehrern der Instrumentalmusik und des Gesangs, wobei schwerpunktmäßig alte, bedürftige Künstlerinnen und Künstler zu berücksichtigen sind.
Zeit ihres Lebens spielte Anni Taube Klavier. Zu ihrem Nachlass gehörte ein Bechstein-Klavier, welches sie einem begabten, nicht besonders begüterten Hamburger Schüler bzw. einer Schülerin vermachen wollte, die/der die hamburgische Musikhochschule benennen sollte. Dies geschah 1984.
Die Freude an der Musik veranlasste Anni Taube, ihr Vermögen der zu errichtenden Anni-Taube-Stiftung zu hinterlassen.
Anni Taube, die nach dem Besuch des Lyceums und nach Tätigkeiten als Privat- und
Direktionssekretärin von 1930 bis 1953 als Prokuristin in der Firma Emil Hauenschildt, Hamburger Importagentur und Großhandelsfirma arbeitete, war in dieser Tätigkeit zuständig für die Verwaltung zweier hochherrschaftlicher Mietshäuser, die im Besitz der Witwe Antonie Schmahl waren und die nach der Heirat Frau Schmahls mit dem Seniorchef der Firma Hauenschildt, Paul Thiele, in Firmenverwaltung genommen wurden. Da Frau Schmahl jüdischer Herkunft war, musste Anni Taube während der Zeit des Nationalsozialismus starke Repressalien hinnehmen. Dennoch erfüllte sie unbeirrt ihre Aufgabe als Verwalterin und setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg massiv dafür ein, dass die Familie Schmahl die Häuser zurück erhielt.
Für diesen beispielhaften Einsatz erhielt sie zwar von den Erben, dem Ehepaar Schmahl Geschenke, ein erhofftes mietfreies Wohnen in ihrer Wohnung im Abendrothsweg 17 wurde ihr jedoch nicht gewährt. Die einmal bestehende Freundschaft zwischen Anni Taube und den Schmahls kühlte im Laufe der Jahre ab. In einem Brief aus dem Jahre 1979 an Frau Emma Schmahl machte die damals 85-jährige Anni Taube ihrem Herzen Luft.
Anni Taube schrieb am 2.5.1979: „Das, was ich tat, uneigennützig leistete, darf nicht mit Worten verglichen werden wie ‚Menschen, mit denen wir damals engen Kontakt und deren Beistand wir hatten.’ Nein, ich habe ein Anrecht darauf, daß auch jetzt noch meiner Person und meiner Leistungen gedacht wird und der Kontakt besser aufrechterhalten bleibt.“ Nachdem Anni Taube die Verwaltung der Häuser Abendrothsweg übernommen hatte „wuchs schon bald sehr beachtlicher Mehrgewinn aus allen Grundstücken. Für Abendrothsweg manche Nachtarbeit zu Hause unentgeltlich geleistet. (...) 1933-1945: Wirtschaftliche Not fast aller Mieter der großen 5 1/2- und 6 1/2 Zimmer-Wohnungen. Eine nach der anderen wurde leer. Von mir erdachte Teilung der Wohnungen mit einstweilen geringsten Geldmitteln. Einrichtung einer Notküche, gemeinsames Bad, gemeinsame Toilette. (Anfangs doppelte Klosettbrille, nachher nicht mehr nötig.) Bei Teilung der Wohnungen mußten Juden zu Juden, Arier zu Ariern. (...) Weiterer Leerstand, Teilung und Doppel-Vermietung. Nachts und Sonntags zu Hause unentgeltlich daran gearbeitet. Oft Besuch von jüdischen Wohnungsreflektanten in meiner Wohnung. Nachbarn merkten es. Hitler und sein Gefolge wurden immer mächtiger. Bei der NS-Ortsgruppe schwoll meine ‘Akte’ an. Schließlich 1943 Denunziation seitens des Abendrothsweg-Mieters Maack bei der Gestapo, und zwar der berüchtigten ‘Abteilung Goebbels’ in der Büsch-Str. (...) Dreistündiges, zum Weißbluten bringendes Verhör betreffs Schmahl-Nachlaß, Vermietung an Juden usw. Ich log wie gedruckt. Draußen, unter den Colonnaden (strömender Regen) wartete unser treuer Mechaniker-Meister Appel. Mich nur noch schlotterndes Etwas geleitete er zu Ehmke, zu stärkendem Essen und Getränk. Er begleitete mich per Taxi nach Hause. Zurück ins Büro, zu Diktat und Unterschriften, unmöglich. Aber das konnte ich dem, inzwischen der NSDAP angehörenden Herrn P.H. [der Juniorchef] nicht beichten. Ich log für Schmahl Nachlaß. P. Th. [der Seniorchef und Ehemann von Frau Schmahl] lag krank zu Bett, erfuhr also auch nichts von mir.
1943/44. Zweimal noch mußte ich wegen Vermietungen an Juden, wegen Schmahl-Nachlaß und sonstiger jüdischer Freundschaften zur Gestapo im Stadthaus. Geschlossene Barrieren. Jahrelang noch träumte mir davon, ich log und - hatte meinen Schutzengel.
Immer wieder neue Abholungen von Juden aus A/Weg 17/19, herzzerreißend. Immer wieder Neuvermietungen und primitive Wohnungsteilungen. Immer wieder Zeitverlust für die Firma E.H. denn sie hatte ein Anrecht auf volle Verwendung meiner Arbeitskraft. (...)
2 Nächte hin und zurück Reise nach und von Kopenhagen. Ein Tag Aufenthalt dort mit fiebriger Erkältung, Heiserkeit usw. - Bei einem Spediteur dort aus bei ihm lagernden Möbeln Annie Schmahl’s verfängliche Briefe geholt. Für sie hatte sich Herr Dietz bei der Gestapo durch Hinterlegung seines Parteibuches verbürgt. Annie Schmahl [sagte]: ‘Nur ein paar Briefe, so wenig, daß sie in die Handtasche passen. Sie müssen heraus!’ - Es wurde: Ein großer, schwerer Packen. Im Umkreis kein besseres Packpapier zu haben als Zeitungen des Spediteurs. In kaltem Regen und Wind, mit Schnupfen, Husten und Fieber, wankte ich durch die Straßen Kopenhagens. Dort schon damals NS Spitzelgefahr! Telefonanruf bei einer Schmahl’schen Verwandten. Erst am Nachmittag zu Hause. Taxifahrt zu ihr mit dem schweren Paket in wind- und regenzerfetztem Zeitungspapier. Frau J. und ich zusammen alles dem Feuer übergeben. (...) Nachtfahrt zurück nach Hamburg, hohes Fieber. Vom Bahnhof ins Büro. Von P. Th. und A. Sch. Kein Dank aber der Vorwurf, den Führerschein nicht mitgebracht zu haben!!
Weitere traurige Geschehnisse: Vertreibung aller jüdischen Mieter. (...). Abholung auf Lastwagen. Ich machte nur 2 Abschiedsbesuche und war ‘fertig’. Tod der Erbinnen Annie Schmahl und Lilli Hartwig. Tod meines Senior-Chefs Paul Thiele. Übergang der Testamentsvollstreckung auf mich. Abholung der lieben Frau Thiele nach Theresienstadt, dort ihr Tod. Sie begriff noch am besten und zeigte sich dankbar für das, was an Arbeit neben Emil Hauenschild auf mir lastete. Vorher (1942) Bombenzerstörung meiner Wohnung und des gesamten Mobiliars. Einzug in Abendrothsweg 17 part. - Hinter-Teilwohnung. Vormieter Eheleute Owert, liebe Menschen, von der Gestapo mit Stöcken geprügelt. Einige Zeit vorher schon hielt ich Herrn O. im Keller meiner Hammer Wohnung versteckt. Sie kamen dann doch an die Masurischen Seen. Nach meinem Einzug in ihrer Wohnung fand ich mich dort erst nach sehr langer Zeit zurecht, dachte an die Tränen. Einer der Mieter in No. 19 war der Blockwart der Ortsgruppe Eppendorf. Nach dort wurde meine Hammer ‘Akte’ überführt. (...)
1943: Hamburger Katastrophe, Zwangseinweisungen von ‘Ausgebombten’. Verstopfung der Wohnungen. (Ich glaube, schließlich waren es ca. 140 Köpfe). Für mich immer wieder vermehrte Arbeit, neben meiner Prokuristentätigkeit bei E.H. Dort war Hochbetrieb, ja Höchstbetrieb in Heeres-Polsterlieferungen. Viel Nachtarbeit geleistet. (...)
1945-1953: 8 Jahre Prozeß vor dem Wiedergutmachungs-Amt, Klage auf Rückgabe der ‘verschenkten’ Häuser. Wäre ich, wie damals geplant, oder durch den Tod vereitelt, zwecks Heirat ins Ausland gegangen, oder wäre ich bei den Fliegerangriffen ums Leben gekommen, - - die Häuser wären nie an Sie zurückgegeben worden. Es hing von mir ab, von bei mir verwahrten stenografischen Notizen, von bei mir versteckten Büchern (die Nazis verboten den Juden, Bücher zu führen). Es hing ab von meinen Kenntnissen aus früherer Zeit. Es hing vor Gericht ab von meinem Eid. In monatelanger nächtlicher Arbeit zu Hause stellte ich die Schmahl’sche Buchführung von 1952 bis 1938 rückwärts wieder her, um den Vermögensstand und dessen Verteilung auf die Erben am Tage der Schenkung an K. H. festzustellen. (...) Es stand auf des Messers Schneide, aber der Prozeß führte zum guten Ende. ‘freudiger Schreck mit Bettlägerigkeit’ angesichts des von Ihnen Beiden nicht geahnten Wertes der Häuser. (...)
Daß Sie dann die Häuser in eigene Regie nahmen, enttäuschte Herrn P.H. Zu mir sagte er: ‘Dann bekommen Sie künftig DM 100,- Gehalt weniger.’ Herr Dr. M. war empört. Mich betrübte es nicht weiter, ich sagte der Firma dann ja bald valet.
Über den gewonnenen Prozeß Teilnahme und Freude seitens der älteren Mieter. Herr Levy-Ehrhardt verstand nicht, daß dafür meine kleine Wohnung mir nicht als mietefrei erklärt würde. Ja, ich kann nicht fordern; natürlich betrachtete auch ich dies als das richtigste Aquivalent für das, was ich tat und erreichte. Natürlich freute ich mich über derzeit von Ihnen erhaltene hübsche, nette Gegenstände. (...) ich freute mich über die zwischen uns damals bestehende Freundschaft. Herr Levy-Ehrhardt und auch andere Mieter wollten mich immer wieder von neuem dazu bewegen, von Ihnen bzw. damals Ihrem Gatten Freiwohnung
zu erbitten, ‘ bei Allem dem, was Sie hier geleistet und hier in politischen Gefahren ausgestanden haben:’ ‘Politische Gefahren’! Ja, es stimmt! Gestapo-Vorladungen, Bespitzelungen, Herrn Owert, von Häschern verfolgt, 2 Tage im Keller meiner Hammer Wohnung versteckt. In dem Holzverschlag unter meiner Wohnung am Abendrothsweg hatte ich 2 Liegen mit Kissen und Wolldecken bereit für den Fall, daß meine Schmahls per Strickleiter aus der Dillstraße [damals sogenanntes Judengetto] hätten fliehen müssen. Tempi passati!! (...)“
Als letzten Wunsch erbat sie sich 1972 brieflich vom Ehepaar Schmahl: „So gewähren Sie mir aber nach meinem Ableben die Bitte, mir die Wohnung noch 3-4 Wochen zu belassen, ohne daß meine Testamentsvollstrecker bei der Abwicklung meines Nachlasses Störungen durch Mietreflektanten, geschweige denn durch Handwerker zu gewärtigen brauchen. Die Miete dafür wird Ihnen sicher sein. Mit herzlichen Dank und Gruß herzlichst Ihre.....“
Text: Rita Bake