Mädchen-Volksschule an der Großen Freiheit 63
Große Freiheit 63 (ehemals)
Elisabeth Flügge, damalige Lehrerin dieser Schule, die damals ganz bewusst nicht in die NSDAP eingetreten war, schrieb über ihre Zeit als Lehrerin während der NS-Zeit: “Im Jahre 1938, als der Herr Propagandaminister immer wieder proklamiert hatte: keiner soll hungern, keiner soll frieren, - gab es in der 8. Mädchen-Volksschule, Große Freiheit 63, noch viele Kinder, die hungerten und so kümmerlich bekleidet waren, dass das einzige Hemd, das sie besaßen, von ihren tüchtigen Müttern abends ausgewaschen und nachts getrocknet wurde, um morgens wieder sauber angezogen zu werden. (...) Die Väter meiner Kinder waren zum Teil Kommunisten, und einige waren seit Jahren im KZ, oder sie waren unständig beschäftigte Hafenarbeiter, - viele Kinder hatten keinen Vater, und die Mütter arbeiteten meistens in einer Fabrik. Die Kinder hatten von den “Segnungen” des Dritten Reiches noch nicht viel zu spüren bekommen. Als ich eines Tages auf einer schulärztlichen Untersuchung bestehe, schlägt der Arzt die Hände über dem Kopf zusammen; soviel untaugliche, unterernährte Kinder hat er nie gesehen: ‚Geben Sie sich keine Mühe mit diesem erbkranken asozialen Nachwuchs, an dem der Staat gar kein Interesse hat’, rät er mir ‚wohlwollend’.
Obwohl die Kinder sicher im Hause genug Kritik und Ablehnung hörten, waren sie in der Schule vorsichtig und zurückhaltend. Auch die Eltern waren es größtenteils, wenn sie aus irgendeinem Grunde zu mir in die Schule kamen, - ich war für sie als “Beamtin” die Vertreterin des NS-Staates. Aber ob bewußt oder unbewußt: in ihren Entschuldigungsbriefen zeigte sich oft ihre ablehnende Haltung, sie vermieden es fast immer, die Briefe mit ‚Heil Hitler’ zu unterschreiben, bestenfalls stand da: ‚Mit Deutschem Gruß’.
Nur wenn sie sich über irgend etwas zu beschweren hatten, was die Schule - meistens auf Anordnung von oben - ihnen mitgeteilt hatte, stand herausfordernd unter ihren Briefen ‚Heil Hitler’. So sollten die Schulkinder eines Tages, anstatt in die Schule zu kommen, Altmaterial sammeln. Da bekam ich folgenden Brief einer Mutter: ‚Wertes Frl.! Hielt es nicht für nötig, Iris am Sonnabend zum Sammeln zu schicken. Sie geht zur Schule zum Lernen und nichts anderes. Im übrigen über mein Kind Vormund bin ich und nicht die Partei. Heil Hitler.’
Einmal - es war während des Krieges - kam eine Mutter zu mir, um ihre Tochter zu entschuldigen. Sie sagte: ‚Erna ist nicht krank, die hab ich nach Finkenwärder geschickt, dass sie Speck und paar Eier kriegt.’ - Ich fragte sie: ‚Ihre Kinder werden wohl von den Rationen nicht satt?’ Darauf die Mutter in echter Empörung: ‚Meinen Sie, ich schick die Deern nach Finkenwärder für uns? Sie soll was für die armen alten Juden holen, die da bei uns im Stift wohnen, die die Nazis glatt verhungern lassen!’ – ‚Das ist aber sehr an anständig von Ihnen’, sagte ich, ‚ist das nun persönliche Einstellung, oder denken noch mehr Leute in Ihrer Gegend so?’ – ‚Da könn Sie aber lange suchen, bis Sie ein’ finden, der anders denkt! Und das will ich Ihn’n man sagen: Hitler für den gibt es nur eins: Zweimal durch’n Wolf!’“[1]
Text: Rita Bake