Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Gesche Fockes Klipp- und Winkelschule

Mädchenbildung
Neue Burg
Siehe auch unter: Dorothea Encke


Ausschnitt aus dem szenischen Rundgang "Jedes Haus sein eigenes Geheimnis". Sprecherin: Rita Bake; Lehrerin: Herma Koehn

Hohe mächtige Kontorhäuser mit Blick auf die Ruinen der St. Nikolai Kirche säumen die schmale, leicht gebogene Straße, die an den Verlauf des im 11. Jahrhunderts erbauten Ringwalls um die Neue Burg erinnert. Nach der Zerstörung der Neuen Burg wurde der Wall im 12. Jahrhundert als Deich genutzt, auf dem Häuser gebaut wurden. In der Mitte des Walls entstand ein Marktplatz – der Neue Markt, später Hopfenmarkt genannt.

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Die Neue Burg führt in einem Halbkreis um die St. Nikolai Kirche bis zum Hopfenmarkt. Detail aus einem Stadtplan von 1589. Quelle: Staatsarchiv Hamburg

Mitte des 16. Jahrhunderts war die Straße Neue Burg dicht bebaut mit Giebelhäusern. In einem dieser Häuser lebte die Seemannsfrau Gesche Focke. Über 21 Jahre arbeitete sie im Kirchspiel St. Nikolai als „Lehrmutter“ einer „Klipp- und Winkelschule“. Winkelschulen waren Privatschulen, denen die Konzession von dem zuständigen Pastor des Kirchspiels, in dem sich die Winkelschule befand, fehlte. Ohne eine Befähigung oder Vorbildung nachweisen zu müssen, konnte jede und jeder solch eine Schule einrichten. Das Unterrichten galt als unzünftiges Gewerbe und wurde oft von älteren und/oder verarmten Frauen gestaltet und hatte nicht immer den besten Ruf, denn, „bei Schulen, die von ‚Frauenzimmern‘ betrieben wurden, ‚[ist] an eine methodische Eintheilung und Leitung der Unterrichtsgegenstände nicht zu denken‘“,[1] schrieb F. H. Neddermeyer 1847 in seinem Buch „Zur Statistik und Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg“. Ähnliches behauptete 1799 auch der Katechet Hübbe: „Womöglich noch schlechter und schädlicher sind die Klippschulen unserer Stadt, welche von Frauenspersonen gehalten werden, wo mehrenteils eine nicht geringe Anzahl von Kindern, besonders weiblichen Geschlechts und bei weitem nicht von gleichem Alter in einem engen finsteren Raum eingezwängt sind, um 5-6 Stunden des Tages auf dem Stuhle zuzubringen, von welchem sie nicht anders aufstehen, als um das ABC herzuplärren.“ In den Winkelschulen wurden Nähen, Lesen, Beten, Rechnen, Schreiben und Kenntnisse des Katechismus vermittelt.
Die Eröffnung der Klipp- und Winkelschulen fiel in die Zeit der Reformation, deshalb durften sie auch von Mädchen besucht werden, wofür sich der Reformator Johannes Bugenhagen (1485–1558) in seiner neuen Kirchenordnung von 1529 stark gemacht hatte: „In jedem Kirchspiel braucht man eine Mädchenschule. Dafür sollen in jedem Kirchspiel die Ratsverordneten und Diakone des Kirchspiels sorgen. Den gewählten Schulmeisterinnen soll man die Miete aus dem allgemeinen Schatzkasten zahlen. Sie sollen dort wohnen, wo es für die Mädchen des Kirchspiels gut gelegen ist. Für die genannte Miete sollen sie verpflichtet sein, mit den Mädchen auch besondere geistliche Übungen abzuhalten, damit sie die Sprüche aus der Heiligen Schrift, den Katechismus und christliche Lieder lernen. Besoldung aber und Lohn für ihre Arbeit sollen die Eltern der Mädchen, wenn sie dazu in der Lage sind, um so mehr und angemessener zahlen und jährlich entrichten, eine Rate des Jahreslohns alle Vierteljahre, und dann und wann etwas für die Küche, weil ein solcher Unterricht Mühe und Arbeit mit sich bringt, und doch in kürzerer Zeit durchgeführt wird.“[2]
Mädchen waren bis zu dieser Zeit, wenn überhaupt, nur in Nonnenklöstern oder privat zu Hause unterrichtet worden. Nun kamen sie zwar in den Genuss einer Schulbildung, doch sollten sie eine geringere Schulausbildung bekommen als Jungen. In Augen Bugenhagens reichte es aus, wenn sie die Schrift lesen und auszulegen lernten, um nach zweijähriger Bildung: „brauchbare, tüchtige, fröhliche, freundliche, gehorsame, gottesfürchtige und nicht abergläubische und eigensinnige Hausmütter“ zu werden.
Es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis Mädchen die gleiche Bildung erhielten wie Jungen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten Institute, wie das der Hamburgerin Caroline Rudolphi, die den Mädchen ebenso das Recht auf Bildung zugestanden wie Jungen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in fast jeder deutschen Stadt eine Mädchenschule, und die bürgerliche Frauenbewegung kämpfte für die Gleichbehandlung von Jungen und Mädchen im Bildungswesen. Auch kam es Anfang des 20. Jahrhunderts in Folge der Preußischen Mädchenschulreform zu einer verstärkten Einrichtung von Lyzeen. Doch der Anspruch auf gleiche Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Jungen konnte erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts verwirklicht werden.
Text: Rita Bake