Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Frieda Stoppenbrink-Buchholz Klara Frieda Stoppenbrink-Buchholz, geb. Buchholz

(28.4.1897 Breslau – 25.3.1993 Hamburg)
Pädagogin, Heilpädagogin, Vertreterin der Jenaplan-Pädagogik, Reformerin der „Hilfsschulpädagogik“
Schulenbrooksweg 48 (Wohnadresse)
Universität Hamburg, Pädagogisches Institut, Von-Melle-Park (Wirkungsstätte)
Schulstraße 19 (heute: Binnenfeldredder) „Hilfsschule Hamburg Bergedorf“ (Wirkungsstätte)
August-Bebel-Straße 200 Bergedorfer Friedhof, Abteilung 41, Nr. 42-44 (Grabstätte)
nach ihr benannt: Frieda-Stoppenbrink-Schule Neuwiedenthaler Straße 4


3860 Frieda Stoppenbrink Buchholz
Frieda Stoppenbrink-Buchholz, Quelle: Nachlass Stoppenbrink-Buchholz, Internationales Archiv für Heilpädagogik, I1

Dr. Frieda Stoppenbrink-Buchholz, Tochter eines Schriftgießers und seiner Ehefrau, besuchte das Oberlyzeum und schloss ihre Schulausbildung 1916 mit dem Reifezeugnis ab.
Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt in einem Portrait über Frieda Stoppenbrink-Buchholz: „Bereits als Jugendliche entwickelte sie ein starkes soziales Engagement, das stets durch die direkte Konfrontation mit Not und Elend ausgelöst wurde. Die Fähigkeit, Mitgefühl für den Nächsten zu entwickeln, sich verantwortlich zu fühlen und danach zu handeln, wurde ein für ihr ganzes Leben prägender Charakterzug. Während ihrer letzten vier Schuljahre organisierte sie gemeinsam mit anderen Schülerinnen regelmäßig Sammelaktionen, um notleidende Kinder in Breslau mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. (…) Auch die ersten Kontakte zu Hilfsschülern hatte sie bereits als Jugendliche. Eine Tante war als Hilfsschullehrerin in Hamburg tätig (…). Ihr ausgeprägter sozialer Gerechtigkeitssinn sowie ihre frühen und zahlreichen Unterrichtsbesuche in der Hilfsschulklasse ihrer Tante waren sicherlich bedeutsame, aber keineswegs ausschließliche Motive führ ihren Entschluß, den Lehrerinnenberuf zu ergreifen. Diese Entscheidung war zugleich das Ergebnis sehr nüchterner Erwägungen, (…). Aufgrund der bescheidenen Einkommenssituation war es ihren Eltern nicht möglich, der Tochter ein langes Studium zu finanzierten: hier bot sich – wie so oft – der Lehrerberuf als Aufstieg an. (…) So kam es, daß Frieda nach Beendigung des Oberlyzeums in die Seminaristenklasse derselben Schule eintrat und diese nach einem Jahr mit dem Abschluß der Lehramtsprüfung verließ.“[1]
1917 trat sie in den Hamburger Schuldienst ein. Zwei Jahre später wurde sie „Hilfsschullehrerin“ in Bergedorf. „Angeregt durch die intensive Beschäftigung mit den verschiedenen Strömungen der pädagogischen Reformbewegung machte sich Frieda Buchholz daran, mit viel Eifer, pädagogischem Geschick und großer Kompetenz, die Lernschule alten Stils hinter sich zu lassen. Dabei war das Bemühen um eine innovative Unterrichtspraxis auf engste verknüpft mit prinzipieller Infragestellung der Institution Hilfsschule.“[2]
Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin studierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz zwischen 1919 und 1925 Pädagogik und Philosophie an der Universität in Hamburg. „Bedeutungsvoll für ihren weiteren Weg wurde der Kontakt zu Peter Petersen, der in Hamburg ab 1920 die Versuchsschule Lichtwarkschule leitete, Seminare und Vorlesungen an der (…) Hamburger Universität hielt und schließlich 1923 einem Ruf an die Universität Jena folgte.“[3] Er war es auch, der Frieda Stoppenbrink-Buchholz „aufforderte, über einen Schulversuch an der Hilfsschule im Sinne der pädagogischen Tatsachenforschung zu promovieren.
Diesen Versuch, (…) führte sie von Oktober 1936 bis Oktober 1937 an der Hilfsschule in Hamburg-Bergedorf mit Schülern der Mittelstufe durch – allerdings nur in ihrer eigenen Klasse, weil ihre männlichen Kollegen nicht zuletzt aufgrund der befürchteten Mehrarbeit zu keiner Mitarbeit bereit waren.“[4]
Frieda Stoppenbrink-Buchholz „versuchte (..) Elemente des Jena-Plans in ihrer Hilfsschule einzuführen, den Gruppenunterricht und Gesprächskreis, die Gestaltung des gesamten Schullebens u. a. durch Fest und Feier. Schließlich promovierte sie 1939 bei Peter Petersen in Jena über ihre Erfahrungen mit dem Jena-Plan. Ihr Fazit:
‚Auf Grund des halbjährlichen Versuchs kann festgestellt werden, daß die Idee des Jena-Plans auch da erfolgreich zum Erziehungs- und Unterrichtsprinzip gemacht werden darf, wo die pädagogische Arbeit an den Lehrer besondere Anforderungen stellt. Die unter dem Gesichtspunkte der Freimachung des Menschentums im Kinde erfolgte Auflockerung, die Einwirkungsmöglichkeit von Kind zu Kind als aktiver Faktor mitberücksichtigt, hat sich in der Hilfsschule zu erkennbaren Resultaten geführt. Es zeigten sich Ansätze für Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühl, Arbeitsfreude fand natürlichen Antrieb, und Erstarkung der Selbständigkeit schuf aus Hilfsschülern bewußt in ihrer Umwelt stehende kleine Menschen mit leisem Gefühl für allgemeine Abhängigkeit und Verbundenheit von und miteinander. Der Jena-Plan hat sich auch in der Hilfsschule bewahrt.‘“[5]
1939 promovierte Frieda Stoppenbrink-Buchholz mit der Dissertation „Das brauchbare Hilfsschulkind – ein Normalkind“. „Trotz der von Peter Petersen vorgeschlagenen und teilweise wohl auch realisierten stilistischen Anpassungsversuche an den neuen Geist – ablesbar etwa an dem Titel des Buches – wurde die veröffentlichte Dissertation ein Stein des Anstoßes. Kein Geringerer als der Leiter des Hamburger Erbgesundheitsgerichts wurde im Juli 1940 bei der Hamburger Schulbehörde vorstellig und führte Klage über die Hilfsschullehrerin Frieda Buchholz, die sich in entschiedener Weise gegen die Sterilisation einer ehemaligen Schülerin ausgesprochen hatte. Der Amtsgerichtsrat bescheinigte ihr ‚eine erschreckende Unkenntnis von den elementarsten Grundsätzen der Erbkunde … und zugleich eine Opposition gegen die vom Nationalsozialismus in den Vordergrund gestellte Erb- und Rassenpflege‘ und forderte unmißverständlich ihre Entlassung.“[6]
Frieda Stoppenbrink-Buchholz, die Anfang der 1920er-Jahre Mitglied der SPD geworden und nach 1933 auch nicht in die NSDAP eingetreten war, wurde nicht entlassen, denn „es gab Vorgesetzte in der Hamburger Schulbehörde, die ihr wohlgesonnen waren und die ihre Entlassung zu verhindern wußten.“[7]
Frieda Stoppenbrink-Buchholz trat aber 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und 1935 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) bei. Dazu schreibt Sieglind Ellger-Rüttgardt: „(…) zweifellos Formen der Anpassung, mit denen sie versuchte, die materielle Existenz für sich und die bei ihr lebenden Eltern sicherzustellen. Im Unterschied zu vielen anderen ihrer ‚deutschen Volksgenossen‘, war Frieda Buchholz allerdings darauf bedacht, den schwierigen Balanceakt der Anpassung nicht zu Lasten von Grundüberzeugungen und ethischen Wertmaßstäben zu vollziehen.“[8]
Mit der Frage, inwieweit die Inhalte von Frieda Stoppenbrink-Buchholz‘ Dissertation die Ideologie des NS-Regimes erkennen lassen, beschäftigten sich später Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und kamen zu unterschiedlichen Bewertungen.
„Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt: ‚Hier wurde nicht das Bild des erbkranken, minderwertigen Volksgenossen gezeichnet, sondern engagiert und voller Anteilnahme eine Lanze für jene Schüler gebrochen, die nach Auffassung von Frieda Buchholz vor allem durch ungünstige soziale Verhältnisse und das Versagen der allgemeinen Schule zu Hilfsschülern geworden waren.‘“[9]
Und Robert Döpp ist der Ansicht: ‚Jenseits der Frage nach der wissenschaftlichen Dignität ihrer Ergebnisse ist die Arbeit besonders deshalb interessant, weil sie sich mit dem Thema 'Hilfsschule' auf im Sinne der 'eugenischen' Bestrebungen des NS-Regimes ideologisch überaus relevanten Terrain bewegte. Dabei war es Anspruch von Stoppenbrink-Bucholz, die vorgestellten 'brauchbaren Hilfsschulkinder' als 'sehr wertvolle Menschen' zu zeigen und damit einer Charakterisierung durch 'Begriffe wie Schwachsinn, Dummheit, Krankheit, Asozialität' entgegenzutreten... Letzten Endes blieb auch sie in der fatalen ,Logik‘ ihrer Argumentation gefangen: Das ,brauchbare Hilfsschulkind‘ ließ sich nur dadurch gegen den Vorwurf der Anormalität mit der drohenden Konsequenz der Zwangssterilisation verteidigen, dass seine prinzipielle ,Brauchbarkeit‘ im Dienst der nationalsozialistischen ,Volksgemeinschaft‘ behauptet wurde. Damit wurden aber zugleich ‚Brauchbarkeit‘ und ‚Normalität‘ als Maßstab der Beurteilung auch der ‚Schwachsinnigen‘ aufrechterhalten, dem diese keinesfalls gerecht wurden.‘“[10]
„Ab 1941 tauchte Frieda Buchholz in der Kinderlandverschickung unter.“[11] 1943 heiratete sie den Volksschullehrer Hermann Stoppenbrink.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus übernahm sie 1 1/5 Jahre die Schulleitung der Bergedorfer Hilfsschule. Hier machte ihr besonders das Desinteresse und [das] mangelnde Engagement auf Seiten von Kollegen“[12] zu schaffen.
Als 1948 an der Hamburger Universität eine Dozentur für Hilfsschulpädagogik zu besetzen war, wurde Frieda Stoppenbrink-Buchholz gefragt, ob sie diesen Posten übernehmen wolle. Nur zögernd nahm sie den Posten an, denn eigentlich wollte sie weiterhin bei ihren Schülern in der Bergedorfer Hilfsschule bleiben. Doch schließlich nahm sie die Stelle an. Sieglind Ellger-Rüttgardt schreibt dazu: “Die geweckte Erwartung, durch Einblick in alle Hamburger Hilfsschulen gewissermaßen an der Basis eine veränderte Unterrichtspraxis initiieren zu können, erfüllte sich nicht. Bei den Praktikern stieß sie auf weitgehendes Desinteresse.
(…) Sie hatte den Anspruch, pädagogische Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, und sie erntete vermutlich deswegen so geringe Resonanz, weil diese alte Forderung zumindest bis in die jüngste Vergangenheit hinein weitgehend nur deklamatorischen Wert besaß. Die vielgerühmte Dignität der Praxis, von der vornehmlich die männlich geprägte Wissenschaft spricht, hier wurde sie tatsächlich respektiert. Sie schrieb durchaus wissenschaftliche Beiträge, und sie hielt Vorträge, Vorlesungen und Seminare, aber dies alles geschah nicht auf der Basis von reiner Stubengelehrsamkeit oder akademischem Verwertungsinteresse, sondern war eingebettet in praktische Erfahrung und sollte der Praxis selbst wieder zugute kommen. (…)

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Grab Frieda Stoppenbrink-Buchholz, Quelle: ©kulturkarte.de/schirmer

Die Erkenntnis, daß sie ihre reformpädagogischen Zielvorstellungen nicht verwirklichen konnte, und die Erfahrungen einer belastenden Zusammenarbeit mit einem patriarchalisch agierenden Kollegen lassen die Zeit der Dozentur in ihren Augen (…) als eine berufliche Fehlentscheidung erscheinen: ‚Ich dachte, daß man was erreichen könnte, aber eigentlich bin ich gar nichts geworden.‘ “[13].