Dorothee Sölle Dorothee Sölle, geb. Nipperdey
(30.9.1929 Köln – 27.4.2003 Göppingen)
Systematische Theologin, Schriftstellerin
Universität Hamburg ab 1979 Lehrbeauftragte für Praktische Theologie, ab 1994 mit Professorinnentitel
Gorch-Fock-Wall 7 (heute) Institut für Praktische Theologie, Universität Hamburg (Wirkungsstätte)
Nienstedtener Marktplatz 19, Friedhof Hamburg-Nienstedten, Grab: B 3 (Grabstelle)
Nach ihr benannt: Dorothee-Sölle-Haus (Zentrum für Kirche und Diakonie in Hamburg Altona), Königstraße 54
Nancy Lukens schreibt in fembio über Dorothee Sölle: „Trotz Promotion (1954), Habilitation (1971), ordentlicher Professur in New York (1975-87) und Pariser Ehrenpromotion (1977) bekam die profilierte deutsche Theologin und Autorin von keiner deutschen Universität je eine ordentliche Professur angeboten. In Deutschland bezeichnete sie sich am liebsten schlicht als ‚freie Schriftstellerin‘.
Die Germanistikdozentin und Mutter von drei Kindern gründete 1968 in Köln das ökumenische ‚Politische Nachtgebet‘, dem es um die Verbindung zwischen aktuellen Themen wie Vietnamkrieg, Obdachlosigkeit, Dritte Welt mit Meditation, Diskussion und gemeinsamen Aktionen ging.
‚Zum Feminismus bin ich durch meine amerikanischen Freundinnen gekommen‘ (Gegenwind). Diese verschafften ihr 1975 den Ruf an das liberal-radikale New Yorker Union Theological Seminary. Unter Feminismus versteht sie den Widerstand von Frauen und Männern gegen die Kultur des Gehorsams und gegen jede Form von Patriarchat.
‚Mein Glaube kommt aus der deutschen Erschütterung, aus Auschwitz‘. Einen radikal anderen Zugang zur Bibel fand Sölle u.a. durch die Begegnung mit mittel- und lateinamerikanischen Basisgemeinden und der Befreiungstheologie sowie ab 1979 durch die Freundschaft mit Nicaraguas Kulturminister Ernesto Cardenal. Die Bergpredigt enthalte ‚unaufgebbare Forderungen an uns alle‘ und Gott ‚habe keine Hände als unsere.‘ Ihre zahlreichen Bücher, darunter viele Lyrikbände, sind leidenschaftliche Zeugnisse einer konkret engagierten Christin, Sozialistin, Feministin, Pazifistin und Ökologin.
Für Bischöfin Margot Käßmann war Sölle eine ‚Streiterin für die feministische Theologie‘, nach deren Tod “eine heilsame Unruhe fehlen” wird. Ihr ist es zu verdanken, daß feministische Theologie u.a. über die evangelischen Kirchentage an die Basis gelangte. ‚Daß es heute Bischöfinnen gibt, ist nicht zuletzt ein Werk von Dorothee Sölle‘ (Antje Vollmer, MdB). ‚Sie erlaubte sich, die jeweils andere zu sein – den Frommen die Politische, den Politischen die Fromme, den Bischöfen die Kirchenstörerin und den Entkirchlichten die Kirchenliebende. Das hat viele irritiert.‘ So Fulbert Steffensky, ehemaliger Benediktinermönch, seit 1969 Ehemann von Dorothee Sölle und Vater ihres vierten Kindes.
‚Ich wünsche mir wirklich von ganzem Herzen, daß diese Erde bleibt . . . daß diese Schöpfung bestehen bleibt Ob ich als Person, also mit Visitenkarte oder Enkelkindern, da vorkomme, ist mir nicht zentral. . . . Der Fluch ist das Töten, nicht das Sterben‘ sagte sie in ihrem letztem Vortrag am Abend vor ihrem Tod.“ [1]
Dorothee Sölles Vater war der Arbeitsrechtler und erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts Hans Carl Nipperdey (1895–1968). „Die Zeit des Nationalsozialismus brachte einen Karriereschub für ihn. (…). Er konnte seine Lehrtätigkeit fortsetzen und engagierte sich in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft. (…) Er gehörte zu den führenden Rechtswissenschaftlern, welche die Anpassung des Arbeitsrechts an die Ideologie des Nationalsozialismus vorantrieben. Nipperdey war Mitverfasser des Kommentars zum ‚Arbeitsordungsgesetz‘ von 1934, dem ‚Kernstück des nationalsozialistischen Arbeitsrechts‘.“ [2]
Dorothee Sölles Mutter war Hildegard, geb. Eißer (1903-1990).
1949 begann Dorothee Sölle mit dem Studium der Theologie, Philosophie und Literaturwissenschaften und studierte an den Universitäten Köln, Freiburg und Göttingen. Ihr Studium schloss sie mit der Promotion zum Dr. phil. ab 1971 habilitierte sie sich an der Universität Köln. Zwischen 1954 und 1960 war Dorothee Sölle als Schullehrerin in Köln beschäftigt. „Seit 1960 war sie auch als Schriftstellerin und freie Mitarbeiterin beim Rundfunk. In den Jahren 1962–1964 war sie wissenschaftliche Assistentin am Philosophischen Institut der TH Aachen und 1964–1967 als Studienrätin im Hochschuldienst am Germanistischen Institut der Universität Köln beschäftigt. Nach der Habilitation 1971 arbeitete sie in Köln als Privatdozentin für Neuere deutsche Literaturgeschichte. Von 1975 bis 1987 lehrte sie auf einer Professur für systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York.“[3]
Obwohl sie 1971 habillitiert war, erhielt sie an keiner deutschen Universität einen Lehrstuhl. Erst 1994 wurde sie zur Ehrenprofessorin der Universität Hamburg ernannt.
„Wegen Sitzblockaden vor dem NATO-Mittelstreckenraketendepot auf der Mutlanger Heide oder dem Giftgasdepot in Fischbach wurde sie wegen versuchter Nötigung verurteilt. Diese Urteile wurden zum Teil später höchstrichterlich aufgehoben. Ihre für die Landeskirchen provokante Theologie und ihr engagiertes Eintreten für soziale Gerechtigkeit sorgten auch in nichtkirchlichen Kreisen oft für Kontroversen. Ein halbes Jahr vor ihrem Tod, am 26. Oktober 2002, hielt sie die Rede zur Friedensdemonstration in Hamburg. (…)
Sölle war in erster Ehe mit dem Maler und Kunsterzieher Dietrich Sölle verheiratet und hatte aus dieser geschiedenen Ehe drei Kinder: Martin (* 1956), Michaela (* 1957) und Caroline (* 1961). 1969 heiratete Dorothee Sölle in zweiter Ehe den ehemaligen Benediktinermönch Fulbert Steffensky, der später in Hamburg Professor für Religionspädagogik war. Aus dieser Ehe stammt die Tochter Mirjam (* 1970). (…)
Bei der Trauerfeier in der Hamburger St. Katharinen-Kirche würdigte ihre Freundin, die Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, Dorothee Sölles prophetische und poetische Stimme. Die biblische Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde sei eines ihrer Lebensthemen gewesen. Sie habe versucht, eine neue Sprache für das Sprechen mit Gott zu finden und alte Gottesbilder – zum Beispiel das eines Herrschers – zu demontieren. Dass sie an deutschen Universitäten nicht akzeptiert worden sei, bewertete Wartenberg-Potter als eine der bemerkenswertesten Torheiten der Kirchengeschichte der Nachkriegszeit. (…)
2011 vergab das ökumenische Netzwerk Initiative Kirche von unten erstmals den Dorothee Sölle-Preis für aufrechten Gang, der künftig alle drei Jahre verliehen werden soll. (…)
Nach ihr ist das Dorothee-Sölle-Haus in Hamburg benannt, das die kirchlichen Dienste und Werke beherbergt, u.a. auch die Nordelbische Kirchenbibliothek. In Köln ist der Platz vor der Christuskirche am Stadtgarten nach ihr benannt.“ [3]