Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Marie-Louise Henry

(15.6.1911 Brüssel – 29.6.2006 Hamburg)
Evangelische Theologin, erste Frau in Deutschland, die 1956 auf einen Lehrstuhl für Altes Testament berufen wurde.
Immenschuur 17d (Wohnadresse)
Duvenwischen 126, Volksdorfer Friedhof, Grabstätte: Cg 23-24


Marie-Louise Henry war die älteste Tochter von Marie Auguste, geb.Platz, einer Deutschen und dem französischen Ingenieur Adolphe Henry. Drei Jahre nach ihrer Geburt wurde ihre Schwester Marguerite Constance geboren.
Im Ersten Weltkrieg zog die Mutter mit ihren beiden Töchtern nach Linz/Rheinland, der Vater starb 1915 als Soldat.
Ihre Schulzeit verbrachte Marie-Louise in Wismar. 1932 begann sie an der Rostocker Universität ein Theologiestudium. Sie schloss das Studium 1936 ab. „Von 1936 bis 1941 folgte ein Vikariat in Berlin-Spandau. Ein weiteres Studium an der Rostocker Universität in den Fächern Geschichte, Germanistik und Italienisch begann Henry im 1. Trimester 1941, beendete es jedoch im März 1942 wieder aufgrund von Berufstätigkeit.“ [1] „Die junge Absolventin wurde 1942-1945 nach Hamburg gerufen und arbeitete wissenschaftlich in der Luther-Gesellschaft.“ [2]
Während der NS-Zeit engagierte sich Marie-Louise Henry für die Bekennende Kirche. 1948 promovierte sie zum Doktor der Theologie, 1952 habilitierte sie sich. Von 1953 bis 1959 lehrte sie als Dozentin an der Theologischen Fakultät der Rostocker Universität.
„1959 wurde sie als erste Frau in Deutschland Professorin für Altes Testament an der theologischen Fakultät der Universität Leipzig. In jener Funktion engagierte sie sich 1960 bei der Verhinderung der Sprengung der Marienkirche in Wismar, wobei sich ein unfruchtbarer Schriftwechsel mit der Obrigkeit der DDR entspann.“[1]
„Die kleine, zierliche Theologie-Professorin in Leipzig machte sich bei den DDR-Behörden durch unerschrockene Meinungsäußerung verdächtig und unbeliebt. So rieten 1961 Mitarbeiter der belgischen Botschaft ihr als Inhaberin zweier Staatsbürgerschaften, einer Verhaftung zuvorzukommen. An der Leipziger Theologischen Fakultät blieb bis heute, wie erzählt wird, ihre Tabakspfeife zurück. Sie selbst fand Aufnahme als Gastdozentin in Wien.“[2] „Nach dem Tod ihrer Mutter verließ sie mit ihrer Schwester am 21. November 1961 die DDR und kam zunächst in Ahrensburg (…) bei Verwandten unter. 1963 habilitierte sie sich erneut an der, [diesmal an der] Universität Hamburg und wurde dort 1973 ordentliche Professorin für Altes Testament. In dieser Zeit baute sie zahlreiche Verbindungen zu jüdischen Einrichtungen auf. 1976 wurde sie emeritiert, setzte aber ihre Lehrtätigkeit 1986 im Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, wegen zu geringer Dozentenzahl fort.“[1]
Über ihr wissenschaftliches Wirken schrieb 2006Dr.-Ing. Karl-Heinz Kutz von der Presse- und Kommunikationsstelle der Universität Rostock in seinem Artikel „Eine Maßstäbe setzende Theologin aus Rostock: Marie-Louise Henry“: „Kreativität und hohe analytische Intelligenz bewies Marie-Louise Henry auf ihrem wissenschaftlichen Gebiet. Ihr Gespür für wichtige Themen, lange bevor sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit traten, war bemerkenswert. Ihr Buch über Tiere im religiösen Bewusstsein des Menschen erschien lange, bevor es eine ‚grün-ökologische Bewegung‘ gab. Andererseits ermöglichte es ihr eine umfassende Bildung, begründete Auffassungen auch gegenüber Modetrends in glasklare und einfache Worte zu kleiden. Dabei war ihre Kritik nie verletzend oder herabwürdigend, sondern - bei sachlichem Ernst - eher liebenswürdig und konstruktiv. Als Professorin erlebte sie in Hamburg die 68er Studentenbewegung, ‚unter den Talaren den Muff von 1000 Jahren‘. Bei differenzierender Beurteilung und Würdigung der Anliegen der Studenten, aber auch Kritik der anarchischen Auswüchse griff sie das gesellschaftskritische Anliegen konstruktiv durch eine Studie zum Problem ‚Glaube und Gesellschaft‘ auf.

3918 Grab Marie Louise Henry
Grab Marie-Louise Henry, Quelle: Vitavia, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

In einem Buch stellte sie sich 1990 der Frage nach Verletzungen derer, die z.B. in Konzentrationslagern litten, der Frage ‚Gott im Leiden? Gott in Auschwitz?‘ und der Frage nach Sinn und Wirkung von Gebet im Umfeld des Unmenschlichen. In ihrem 81. Lebensjahr veröffentlichte sie ‚Alttestamentliche Überlegungen zum Problem der Feministischen Theologie‘. Die in der Bibel dargestellte menschliche Gemeinschaft beruhe zwar - wie jede menschliche Gesellschaft - auf Auseinandersetzungen. Aber der in der Bibel bezeugte Wille Gottes schließe eine Unterdrückung des Menschen, natürlich auch der Frau, kategorisch aus. Nur so könne eine demokratische Rechtsgemeinschaft wachsen und gedeihen.“[2]
Text: Rita Bake