Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Lieselotte Pongratz

(24.12.1923 Harburg – 5.9.2011 Hamburg)
Soziologin und Kriminologin
Universität Hamburg: Allende-Platz 1 (Wirkungsstätte)
Perthesweg 6 (Wohnadresse)
Klein Flottbeker Weg 23 (Wohnadresse)
Bestattet auf dem Friedhof Bernadottestraße, Grablage: anonym


3943 Lieselotte Pongratz
Lieselotte Pongratz, Quelle: Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Professur für Kriminologie, insbesondere Sicherheit und Resilienz)

Für Liselotte Pongratz gibt es einen Wikipedia-Eintrag. Darin heißt es über ihren Lebensweg: „Sie war ab 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg. 1975 wurde sie auf den dortigen Lehrstuhl für Kriminologie berufen und war die dritte Frau in der Bundesrepublik, die einen solchen Lehrstuhl innehatte.
Als Tochter eines Kommunisten war Pongratz der Besuch einer höheren Schule aus politischen Gründen während des Nationalsozialismus versagt. Sie besuchte die Volksschule und leistete ein Pflichtjahr in der Landwirtschaft ab. Anschließend machte sie eine kaufmännische Lehre, die sie mit der Gehilfenprüfung abschloss. Es folgten eine Kriegsdienstverpflichtung und bis 1945 der Einsatz im Reichsarbeitsdienst in Ostpreußen. Nach dem Krieg begann sie 1946 eine Ausbildung zur Fürsorgerin am Sozialpädagogischen Institut Hamburg, machte dort 1949 das Examen und arbeitete danach als Sozialarbeiterin bei der Jugendbehörde Hamburg.
1953 wurde Pongratz für eine wissenschaftliche Studie über Jugendliche in Heimen von der Jugendbehörde freigestellt. Im Rahmen dieser Arbeit entwickelten sich Kontakte zu einer Gruppe von Soziologen um Helmut Schelsky, insbesondere zu dem späteren Soziologieprofessor Heinz Kluth, der sie unterstützte, das Begabtenabitur zu machen. 1954 begann Pongratz mit dem Studium der Soziologie, Kriminologie, des Jugendstrafrechts und der Psychologie in Hamburg und an der London School of Economics and Political Science.. Sie wurde 1963 im Rahmen eines Stipendiums bei Heinz Kluth an der Universität Hamburg promoviert. Ihr Dissertationsthema war die Sozialisation und das soziale Lebensschicksal von Prostituiertenkindern.
Von 1963 bis 1966 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kriminologie der Universität Hamburg. In Zusammenarbeit mit den beiden Senatsbeauftragten Curt Bondy und Rudolf Sieverts war sie mit dem Aufbau des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums für Sozialwissenschaftler, Juristen, Mediziner und andere Fachrichtungen an der Universität befasst. 1966 wurde Lieselotte Pongratz Wissenschaftliche Rätin am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Hier führte sie eine methodologische Ausbildung ein und setzte den Schwerpunkt auf abweichendes Verhaltens in der Jugend und Familie. Aus dieser Tätigkeit heraus war sie mit im Aktionsforschungsprojekt in der Hamburger Übergangsstrafanstalt für Strafgefangene in der Alsenstraße.
Nachdem sie mehrere Rufe an andere Universitäten abgelehnt hatte, wurde sie 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und baute den Bereich ‚Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle‘ weiter aus. 1975 nahm sie den Ruf auf eine Professur für Kriminologie am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg an. Nach Anne-Eva Brauneck und Hilde Kaufmann war sie die dritte Professorin für Kriminologie in der Bundesrepublik.
Von 1979 an war Pongratz maßgeblich an der Gründung des Aufbau- und Kontaktstudiums für Kriminologie beteiligt, dessen Lehrbetrieb 1984 aufgenommen wurde. Diese Modelleinrichtung (…) war die erste Diplom-Ausbildung für Kriminologie in der Bundesrepublik. Zum Wintersemester 1985/1986 wurde Pongratz emeritiert.
2000 gründete sie die nach ihr benannte Lieselotte-Pongratz-Stiftung, deren Vorsitz sie bis zu ihrem Tode innehatte. Ziel der Stiftung ist es, Studierenden und Promovierenden der Kriminologie und der sozialen Arbeit zu ermöglichen, Forschungsprojekte erfolgreich zu beendigen. (…)
Lieselotte Pongratz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK), die sich am 12. Juni 1969 zu einer interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem Ziel zusammenschloss, ein Diskussionsforum für Nachwuchswissenschaftler über neue Forschungsarbeiten und Forschungskonzepte zu bieten. Ebenfalls 1969 war sie Mitbegründerin und -autorin des Kriminologischen Journals (KrimJ). (…) 1972 war sie an der Gründung des Moritz-Liepmann-Hauses beteiligt.
1973 war sie Mitbegründerin der European Group for the study of deviance and social control, der sie bis zu ihrem Tode angehörte. Seit 1969 war sie zusammen mit Fritz Sack, Klaus Sessar und Bernhard Villmow Mitherausgeberin der Hamburger Studien zur Kriminologie. Zu Beginn der 1970er Jahre war Pongratz Mitglied und später für vier Jahre Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums.
Der kriminologische Forschungsansatz von Pongratz war stark geprägt von ihrem sozialpädagogischen Praxisbezug und ihrer methodischen Ausbildung. Sie initiierte Projekte auf der Grundlage der empirischen Sozialforschung. (…) Ihre Aufgabe als Kriminologin sah sie vor allem darin, mit kriminologischem Wissen die Situation der von der Kriminalpolitik Betroffenen tatsächlich zu verändern. Es ging ihr wesentlich um die Herausarbeitung belastender Lebensumstände, die auf Menschen einwirken und die durch deren Handeln wiederum reproduziert werden. Sie zeigte auf, wie Menschen mit gleichen Umständen unterschiedlich umgehen, sie bewältigen oder an ihnen scheitern. (…)
Aufgrund der Kombination aus Wissenschaftlerin und Kriminalpolitikerin unterschied Pongratz sich von der rein wissenschaftlichen, theorieorientierten wie auch von der üblichen kriminalpolitischen Betrachtungsweise ab. Ihr Engagement war maßgeblich auf eine zielorientierte Umsetzung von Maßnahmen für die Betroffenen ausgerichtet. Kennzeichnend für ihren wissenschaftlichen Ansatz war die Integration von Rechts- und Sozialwissenschaften auf den Gebieten des Strafrechts und der Kriminologie, insbesondere durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten.“ [1]