Mara Arndt Mara Maria Arndt
(15.12.1900 Pulmnicken/Samland - 02.06.1964 Hamburg)
„Der Engel der Gefangenen“
Pestalozzistraße 29b (Wohnadresse)
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Erinnerungsstein)
Mara Arndt besaß vor dem Zweiten Weltkrieg eine Buchhandlung mit Antiquariat in der Französischen Straße in Königsberg. Ihre Spezialabteilungen umfassten ein Weltantiquariat von über 10.000 Bänden sowie baltische, russische und polnische Altliteratur. In ihrer Jugendzeit war sie eine begeisterte Theater-Liebhaberin gewesen, später verdiente sie ihr Geld dann mit internationaler Literatur. 1939 wurde Mara Arndt dienstverpflichtet, von der sie 1941 dann befreit wurde, so dass sie ihre Firma als Buchhandlung mit Leihbücherei und angeschlossener Papierwarenhandlung in die polnische Stadt Pruszana verlegte. Durch ihre große Menschlichkeit und Großzügigkeit wurde Mara Arndt die „Mutti Mara“ der Soldaten, aber auch die „Matka Germanska“ der dort lebenden Polen und Russen. Bedingt durch ihre Herzensgüte machte sie in Fragen der Gerechtigkeit gegenüber Freund und Feind keine Ausnahmen, das brachte ihr auch die Achtung der russischen Partisanen ein.
Behilflich bei ihrer tätigen Nächstenliebe war ihre Tochter Karin. Sie war ein kleines Sprachgenie. Sie verstand Polnisch, Russisch und Ukrainisch. Und so konnte sie all die Sorgen und Nöte der polnischen und russischen Bevölkerung vor Ort ihrer Mutter übersetzen. Und diese half, indem sie die deutschen Stellen zu einer Änderung bereits getroffener Anordnungen überzeugen konnte. 1943 starb ihre Tochter im Alter von neun Jahren an Masern. Die Trauer um ihr Kind blieb der Motor zum Helfen. Ihre Hilfe für die Kriegsgefangenen setzte Mara Arndt in direkten Bezug zu ihrer verstorbenen Tochter. Durch ihre tätige Nächstenliebe war sie ihrer Tochter ganz nah, die in Russland beerdigt war und zu dessen Grab Mara Arndt nicht konnte. So schreibt sie denn auch z.B. in einem Brief an einen ihrer Schützlinge, dem sie hatte helfen können: „Sie, lieber Kamerad B […], sind mir ein lebendiger Gruß meiner kleinen, geliebten Karin, die Rußlands Erde deckt. Sie bringen das Fluidum mit den weiten Steppen der dunklen Urwälder, die ich mit meinem eigenen Wagen oft Tage und Nächte durchjagt habe. Jeder Ruf nach Euch ist ein Gruß an mein Kind. Jeder Kamerad aus meiner Forschung bringt ihn mir wieder.“
Gegen Ende des Krieges wurde Mara Arndt als Flüchtlingsbetreuerin in Pillau und Gotenhafen eingesetzt, später wurde sie Lagerführerin in einem dänischen Internierungslager. Von Dänemark kam sie ins Weserbergland in ein einsam gelegenes Forsthaus am Duingerberg bei Marienhagen Kreis Alfeld/Leine. Hier lebte eine mit ihr bekannte frühere Zivilverwaltungsangestellte, die ihr ein Dachzimmer zum Bewohnen gab. Auf Mara Arndts Schreibtisch und einem weiteren Tisch stapelten sich Aktenordner und befanden sich mehrere Karteikästen. In den Kästen: Karteikarten, auf denen die Namen der sich in Kriegsgefangenschaft befindenden Soldaten aufgeführt waren. Mara Arndt baute damit eine private Vermisstenkartei auf, mit der ihr die Freilassung von über 4500 Kriegsgefangenen gelang. Dies tat sie völlig unentgeltlich, nur die Portokosten ließ sie sich ersetzen.
In einem Brief an einen ihrer Schützlinge, dem sie zur Freilassung aus russischer Kriegsgefangenschaft verholfen hatte, wird ihre Motivation deutlich: 2. Mai 1950
Meine liebe Frau. […] und mein großes Sorgenkind B […] Hermann! Mit tiefer Freude nehme ich an Ihrem großen Glück teil! Aus meiner Gratulationsliste nach Moskau streiche ich Nr. 1 B[…], nachdem ich H. […] und Adelbert W. […] auch schon als ‚heimgekehrt‘ buchen durfte. Ich habe ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Und was macht der Österreicher L. […] und S […]? Viele meiner Sorgenkinder sind heimgekehrt, aber der größte Teil blieb noch zurück. Kann ich für einen Ihrer Kameraden noch etwas tun? Heute in der Nacht wird das 1. Dankesschreiben nach Moskau geschrieben. Ich danke im Namen der Mütter, Frauen und Kinder, deren Söhne, Männer und Väter aus meiner Forschung heimgekehrt sind. Im Weihnachts-Bittschreiben schrieb ich nach Moskau: ‚Mit dem Glauben eines Kindes komme ich als Bittende für unsere Frauen zu Ihnen.‘ Heute kann ich schreiben: ‚Als beschenktes Kind, dessen Vertrauen nicht enttäuscht wurde, komme ich als Dankende für unsere Frauen, deren Lieben jetzt heimgekehrt sind.‘ Eingeengt von Not- und Hilferufen unserer Frauen schreibe ich Ihnen in Eile diese Zeilen immer getrieben von dem Gedanken an den Erfolg. Und dafür kreuzigt mich die Kirche. Trotzdem halte ich jenen die Treue dort draußen. Und nun, lieber Kamerad B […], wünsche ich Ihnen von Herzen, daß die Schatten der Vergangenheit sich bald lichten und Sie nur Freude und Glück erleben im Kreise ihrer Familie. Nun hat die Sorge für Ihre liebe Frau endlich ein Ende. Ihre Briefe in meinen Akten legen Zeugnis ab von all der Seelenqual. Aber auch dem Hoffen, dem ich manchmal nachhelfen mußte. Ich danke dem Schicksal für die Kraft, mit der es mich ausgestattet hat. Ich bin über mein eigenes Leid hinausgewachsen. Mit guten Wünschen und lieben Grüßen nehme ich Teil an Eurem Glück und bleibe der Gefangenen getreue Schwester Mara. [1]
Inländische wie ausländische Zeitungen berichten Anfang der 1950er-Jahre über das Engagement von Mara Arndt. Dazu schrieb sie an Familie B. am 27.7.1950: „ (…) Seit sich die ganze Welt mit mir beschäftigt, große Artikel im In- und Ausland mit Bildserien erscheinen, bin ich kaum ein Mensch mehr. Unmenschliches ist zu bewältigen. Aber die fast unwahrscheinlichen Erfolge geben mir Kraft. Heute singen die Zeitungen ein Loblied, aber die Tränen lassen sich nicht trocknen. Aber ich bin glücklich, daß ich vielen habe Freude spenden können. Es gibt Lager in Rußland, in die grundsätzlich keine Post kommt oder besser, in denen keine Post ausgegeben wird. Auch Moskau leitet keine Briefe hinein. Dafür aber liegen nachweislich alle meine begleitenden Bittschreiben monatlich in Moskau und beim Lager-Chef resp. Oberst des Stabes. Und das ist wichtig! Meine Briefe sind in anderen Lagern bis Ostern ausgegeben worden. So berichteten ‚meine Heimkehrer, die sie selbst erhielten (…). Die Rückführungen aus tschechischen Zuchthäusern, aus Polen und Ostpreussen klappen. Ca. 1000 Gesuche liegen zur Bearbeitung. Ich habe an jedem Heimkehrer eine aufrichtige Freude, der zu meinem Sorgenkreis gehörte. (…) Oft bewundere ich meine eigene Ausdauer, aber meine Aufgabe ist wohl schicksalsbedingt.“ [1]
Wegen ihres Engagements wurde Mara Arndt jahrelang diffamiert und sogar der Spionage für den „Osten“ verdächtigt. Sie galt in Zeiten der Kalten Krieges in den Augen vieler anderer als politische Agentin für den Osten, denn für die meisten war es unerklärlich, warum Mara Arndt es schaffte, viele Kriegsgefangene aus den russischen Lagern zu holen.
Die Diffamierung nagte sehr an Mara Arndts Seele und so schrieb sie in dem Brief an Familie B. vom 27.7.1950: „Leider hat der ‚Wettlauf mit dem Galgen‘ der letzten 2 Jahre viel in mir zerstört. Die Behörden, vor allem die Kirche hat mich mit Füßen getreten …., Bischof Heckel mich sogar ans Kreuz genagelt. Es war eine entsetzliche Zeit – bis das Ausland sich einsetzte.“
Ein Journalist, der Mara Arndt in ihrem Forsthaus aufgesucht und mit ihr ein Interview geführt hatte, versuchte die Wirkung Mara Anrdt‘s zu beschreiben und zu erklären, warum sie mit ihren Bitten bei der russischen Regierung Gehör fand: „Abseits jeder Doktrin und staatlicher Instanz hat sie es unternommen, als schwacher Einzelmensch, gestützt nur auf die Kraft ihrer beispiellosen Nächstenliebe mit beherzter Hand ganz allein ins Räderwerk der Weltpolitik zu greifen, um den schon verloren scheinenden Opfern der staatlichen und politischen Auseinandersetzungen zu helfen.“
Ab 1960 ist Mara Arndt im Hamburger Adressbuch aufgeführt. 1960 bekam sie das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie lebte von einer sehr geringen Rente.
Text: Rita Bake