Lavinia Schulz
(23.6.1896 Lübben/Lausitz – 19.6.1924 Hamburg)
Maskentänzerin, Mode- und Kostümbildnerin, Entwicklung von eigenen Bühnentänzen (1920-1924), selbst entworfene Ganzkörpermasken
Besenbinderhof 5 (Wohnadresse) Der Verein Garten der Frauen und die Geschichtswerkstatt St. Georg haben am Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof beim Durchgang in den hinteren Teil eine Erinnerungstafel für Lavinia Schulz angebracht.
Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1 (künstlerischer Nachlass) In der Dauerausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe sind die Masken ausgestellt.
Erinnerungsstein im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756
Lavinia Schulz, Tochter von Lillie und Georg Schulz, einem Bankmitarbeiter, wuchs als behütetes Einzelkind auf. Die Mutter unterstützte die künstlerische Begabung ihrer Tochter. Mit 16 Jahren zog Lavinia für ein Kunststudium allein nach Berlin. 1916 fand sie Kontakt zu der avantgardistischen Galerie ‚Der Sturm‘. Sie wurde Schülerin der angeschlossenen ‚Kunstschule Der Sturm‘ und Mitglied der expressionistischen ‚Sturmbühne‘ unter der Leitung von Lothar Schreyer. Hier wurde Lavinia Schulz einige Semester in der besonderen Rezitationsform des ‚Klangsprechens‘ geschult. In dem Drama ‚Sancta Susanna‘ des ‚Sturm‘-Dichters August Stramm spielte sie die Titelrolle. Die Aufführung endete in Tumulten. Lothar Schreyer dazu: „Lavinia Schulz, … eine geniale Person mit wilder Leidenschaft, nur von der Zucht der Kunst gebändigt, spielte – nackt – …, unter atemlosem Verharren – vielleicht Entsetzen – der Zuschauer, die nach dem Ende des Spiels in frenetischen Beifall und wüsten Protesten das Kampfschauspiel zweier Welten boten.“ Lothar Schreyer beschloss daraufhin im ruhigeren Hamburg die ‚Kampfbühne‘ zu gründen. Lavinia Schulz folgte ihm 1919. Ende 1919 kam Walter Holdt hinzu, mit dem Lavinia Schulz bald auch privat liiert war. Die ‚Kampfbühne‘ wurde zum Theater der Expressionisten in Hamburg. Lavinia Schulz entwickelte Bühnenkostüme und Masken, entwarf und nähte aber auch avantgardistische Mode. Nach exzentrischen Ausfällen des Paares Schulz und Holdt während Probearbeiten für zwei in der Hamburger Kunsthochschule aufzuführenden Dramen, wurden Lavinia Schulz und Holdt Anfang 1920 von der ‚Kampfbühne‘ ausgeschlossen. Lothar Schreyer erinnerte sich: „Lavinias sehr hoher Begabung war plötzlich überschattet von den größten menschlichen Schwierigkeiten, die ich (…) nur als dämonisch erkennen kann. Es hatte sich eine unüberbrückbare sinnliche Verwirrung zwischen Lavinia Schulz und Walter Holdt (…) eingestellt. Auf einer der Proben,(…), begann zu unserem Entsetzen ein regelrechter körperlicher Zweikampf, (…) beide wälzten sich auf dem Boden und schließlich wurde Lavinia von Walter an den Haaren durch die Aula geschleift.“
Lavinia Schulz und Walter Holdt zogen in eine Kellerwohnung am Besenbinderhof 5. Das Paar, das heimlich geheiratet hatte, verdiente mit seiner Kunst kaum Geld und musste immer wieder hungern. Lavinia Schulz entwarf nun Kostüme und Ganzkörpermasken, zu denen das Paar eigene teils grotesk-lustige, teils dramatische Tänze entwickelte. Lavinia Schulz kreiierte ein eigenes Notationssystem für ihre Tänze. Akribisch zeichnete sie die Bewegungen und Rhythmen in so genannten Tanzschriften auf. 1921 lernte das Paar den Komponisten und Pianisten Hans Heinz Stuckenschmidt kennen, der es fortan auf dem Klavier begleitete. Bis 1923, als Lavinia Schulz schwanger wurde, teilte das Paar mit Stuckenschmidt seine karge Wohnung, die tagsüber in einen Proben- und Arbeitsraum umgewandelt wurde. Das Paar trat u.a. mit einzelnen Tanznummern im Rahmen von Veranstaltungen auf, so z. B. auf den Künstlerfesten im Curio-Haus. Neben zeitkritischen Stücken, die sich gegen die Industrialisierung richteten, gehörten auch Adaptionen nordischer Heldensagen zu ihrem Repertoire. Die avantgardistische Ästhetik der Masken wurde unterstrichen durch die moderne, atonale Musikbegleitung und ihre Bewegungen, die vollständig mit dem klassischen Bühnentanz brachen. Zur Herstellung der phantasievollen Masken verwendete Lavinia Schulz aus ideologischen Gründen ausschließlich Abfallprodukte wie Sackleinen und Kisten, Drähte, Siebe. Die so entstandene Schwere und Starrheit der Masken war erwünscht und sollte die in ihnen möglichen Bewegungen beeinflussen. Der Vorsatz, die Tänze nicht gegen Bezahlung aufzuführen, brachte Lavinia Schulz und ihre Familie an den Rand des Hungertodes.
Im Laufe des Jahres 1924 kam es zunehmend zu Spannungen zwischen Lavinia Schulz und Walter Holdt. Dieser zog sich aus dem Arbeitsprozess zurück. Lavinia Schulz sah ihr Lebenswerk gefährdet. Am 18. Juni 1924 erschoss sie erst Walter Holdt im Schlaf und richtete dann die Waffe auf sich selbst. Sie starb am folgenden Tag im Krankenhaus St. Georg. Ihr damals einjähriger Sohn Hans Heinz blieb unversehrt und wuchs bei seinen Großeltern väterlicherseits in Hamburg und in Dänemark auf.
Die von Lavinia Schulz entworfenen Masken sind einzigartig auf der Welt. Der künstlerische Nachlass befindet sich im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Text zusammengestellt aus Texten von Athina Chadzis über Lavinia Schulz