Anni Glissmann Anni Glissmann, geb. Jakoby
(29.8.1900 Breslau – 15.9.1959 Villingen)
Kunstgewerblerin, Grafikerin
Brödermannsweg 47 (Wohnadresse)
Anni-Glissmann-Weg (Groß Borstel, seit 2017)
Anni, auch Anja genannt, war die Tochter von Jenny, geb. Introsinsky und des Großkaufmanns Eugen Israel, genannt Jacoby. Die Kunsthistorikerin Maike Bruhns schreibt über sie: „Nach Besuch des Privatlyceums Joachimsthal in Breslau, an dem sie die Schillerprämie erhielt, begann sie ihre Ausbildung an der KGSchule Breslau unter Prof. Zschan und Prof. Härtel in ornamentaler Kunst, Töpferei und Porzellan. An der Akademie Breslau belegte sie Aktzeichnen bei Prof. Utinger und Kunstgeschichte bei Wilhelm Pinder.“ 1)
1920 kam sie nach Hamburg, wo sie an der Kunstschule weiter studierte. In Hamburg heiratete sie den Bildhauer Hans Glissmann und nahm mit ihm 1924 eine Wohnung im Brödermannsweg 47 in Hamburg Groß Borstel.
Anni Glissmann „führte gestalterische Arbeiten an Bauten aus, vorrangig keramischer Art. Sie fertigte Keramiklampen, Fliesen und Kacheln für Eßräume und Kinderzimmer. Daneben schuf sie für Privatkunden Service-Entwürfe für Eß-, Tee oder Kaffeegeschirre. (…) Sie war in der Werbung tätig, entwarf Plakate, Inserate (…). Nebenbei erteilte sie Einzel- oder Gruppenunterricht in Porzellanmalerei.“ 2)
Anni Glissmann soll – so Maike Bruhns – zufriedenstellend verdient haben. „Als ihr die künstlerische Arbeit durch die Nürnberger Gesetze unmöglich gemacht wurde, verdingte sie sich im Modegeschäft Robinsohn am Neuen Wall, zunächst als Inseratenzeichnerin. Später als Saumnäherin zu niedrigstem Lohn.“ 3)
Die erlittene Verfolgung in der NS-Zeit führte bei Anni Glissmann zu „Depressionen, Zwangsvorstellungen, Herzbeschwerden und anhaltender nervlicher Labilität“. 4) Maike Bruhns schreibt: „Zwei Zimmer der Wohnung musste sie aus Einsparungsgründen dem NS-Verwalter Qualte überlassen, ein Zimmer blieb ihr für Arbeiten, Werkzeuge etc. Eigentlich hatte sie ihrem Mann, der in der Tschechoslowakei als Soldat diente, die Häuslichkeit erhalten wollen, als im Novemberpogrom all ihre Fotos, Zeichnungen und Entwürfe im Modehaus Robinsohn vernichtet wurden. Auf der Straße bekam sie einen Nervenzusammenbruch, schrie und tobte, wurde deswegen von Krankenträgern, SS-Männern, mißhandelt und mit der Einlieferung in ein Irrenhaus bedroht. Eine Abteilungsleiterin von Robinsohn und ein Polizeiarzt standen ihr bei, ließen sie ins Eppendorfer Krankenhaus bringen, von wo sie die Ärzte nach drei Tagen als normal nach Hause entließen. Um ihren Mann nicht zu behindern, bot sie die Scheidung an. Hans Glissmann bemühte sich statt dessen um Ausreisepapiere.“ 5)
Nachdem Anni Glissmann im November 1938 gekündigt worden war, emigrierte sie im März des folgenden Jahres nach England. „Doch auch hier gab es keine Chance für die Weiterführung ihrer künstlerischen Arbeit, so daß sie nur untergeordnete, gering bezahlte Stellen annehmen konnte.“ 6)
Mit ihrem Ehemann, der ihr nach England gefolgt war, übernahm sie 1948 noch eine Arbeit in ihrem Fach beim Londoner Kaufhaus Harrod’s. „Dann folgten wieder subalterne Tätigkeiten als Federarbeiterin, als Glasmalerin und ab Juli 1954 als Lampenschirmnäherin in Heimarbeit.“ 7)
Anni Glissmannn musste für ihren und den ihres Mannes Unterhalt sorgen, denn Hans Glissmann war an Krebs erkrankt und verstarb 1956. „Von einem Suizidversuch nach seinem Tod erholte sie sich kaum. Überschuldung und Rückzahlungsverpflichtungen gegen dritte zehrten die Leistungen der Wiedergutmachung auf. Ab 1955 konnte sie nicht mehr arbeiten, war 1959 erneut suizidgefährdet und körperlich geschwächt.“ 8)
Werke von ihr sind z. B. im Museum für Kunst und Gewerbe.