Israelitische Höhere Töchterschule
Bieberstraße 4 (ehemals)
Die Hausnummer 4 gibt es nicht mehr. Auf dem Grundstück befindet sich heute ein Neubau mit der Hausnummer 6: Amalie-Dietrich-Haus, Studentinnenheim.
Die Israelitische Höhere Töchterschule umfasste zehn Schulgänge. Nach Abschluss der 10. Klasse besuchten diejenigen, die ihre Schulausbildung fortsetzen wollten, die Emilie-Wüstenfeld-Schule oder Helene-Lange-Schule.
Kunst und Literatur waren Schwerpunktfächer der Israelitischen Höheren Töchterschule. Als 1926 die Lyzeen in Hamburg die Bezeichnung Realschule erhielten, bekam diese Schule die Bezeichnung: Israelitische Mädchen-Realschule.
Bedingt durch die Wirtschaftskrise in den 20er Jahren des 20. Jhds. reichten die Einnahmen der Schule nicht mehr für den Fortbestand der Schule aus. Die Schule wandte sich an die jüdische Gemeinde, um Subventionen zu bekommen. Dazu kam es nicht, denn das Kuratorium der Schule wollte nur Schülerinnen, die dem orthodoxen Glauben angehörten. Die Gemeinde hingegen wünschte, dass auch Kinder von Müttern die Schule besuchen sollten, die nicht nach den Vorschriften des Schulchan Aruch in das Judentum aufgenommen worden waren. 1931 wurde die Schule geschlossen. Das Haus wurde während des Zweiten Weltkrieges ausgebombt.
Schuldirektorin war Fanny Philipp.
Während der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und getötet wurden die Lehrerinnen:
Flora Rosenbaum, (geb. 1889), wohnte in der Bornstraße 18
Rebecka Cohn, (geb.1881, deportiert 1942, ermordet Auschwitz)
Eva Kissinger, später verheiratete Grünberg. 1928 zog sie von Hamburg nach Berlin
Therese Löwenthal (geb. 1885, 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert)[1]
Seit Juni 2020 liegen für die vier Lehrerinnen Stolpersteine vor dem Haus Bieberstraße 6.
Text: Rita Bake
Über Therese Loewenthal (Löwenthal) gibt es unter www.stolpersteine-hamburg.de eine Biografie:
Therese Loewenthal
geb. 16.12.1885 in Mühringen, am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert
Husumer Straße 1
Therese Loewenthal wurde am 16. Dezember 1885 als Tochter von Josef Loewenthal und dessen Frau Gudela, geb. Bach, in Mühringen in Württemberg geboren. Ab 1902 besuchte sie das Höhere Lehrerinnenseminar in Stuttgart und erhielt 1905 ihre Zulassung als Lehrerin für höhere Mädchenschulen. Ihre erste Anstellung trat sie in Heidelberg an und nach kurzen Aufenthalten in Paris und Hannover zog sie nach Hamburg, zuerst in die Husumer Straße 3, von dort am 17. Juli 1908 in die Husumer Straße 1 in den 2. Stock als Untermieterin zu Bachrach in eine Viereinhalbzimmerwohnung.
Therese Loewenthal war ledig. Ihr beruflicher Weg in Hamburg begann ab August 1911 an der Israelitischen Mädchen-Realschule in der Biberstraße. Von März 1929 bis April 1939 unterrichtete sie an der Israelitischen Töchterschule in der Carolinenstraße 35 in den Klassen der Grund-, Volks- und Oberschule. Die Schule vereinigte seit 1884 zwei Schulen: die Israelitische Mädchenschule von 1798 und die Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde von 1818. 1930 wurde die Schule als Realschule anerkannt. Im April 1939 wurde sie von den nationalsozialistischen Behörden mit der Talmud Tora Schule zur Volks- und Höheren Schule für Juden zusammengelegt. Am 30. Juni 1942 wurde diese letzte jüdische Schule in Hamburg, wie alle jüdischen Schulen im Reich, geschlossen. Im Rahmen der Sprach- und Lehrkurse für Auswanderer gab Therese Loewenthal seit Dezember 1939 Hebräischunterricht. Der Unterricht fand zunächst in der Beneckestraße 6, später in der Hausnummer 2 und schließlich an Therese Loewenthals alter Wirkungsstätte, in der Carolinenstraße 35 statt.
Die sehr guten Hebräischkenntnisse von Therese Loewenthal und ihre zionistische Einstellung prädestinierten sie zur Auswanderung nach Palästina, doch ihrer eigenen Einschätzung nach fühlte sie sich den dortigen harten Lebensbedingungen aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Konstitution nicht gewachsen. Sie entschied sich, einen Ausreiseantrag in die USA zu stellen. Als sie ihre Quotennummer bekam, tauschte sie diese mit einem Familienvater, der eine Einreise in die USA erst zu einem späteren Zeitpunkt erlangt hätte. Sie glaubte, wegen ihrer Anstellung als Lehrerin bliebe ihr noch etwas Zeit für ihre Auswanderung. Wie allen Lehrern der Sprach- und Lehrkurse für Auswanderer wurde ihr zum 30. April 1941 gekündigt, dennoch setzte sie den Hebräischunterricht für ihre Schüler unbezahlt bis zu ihrer Deportation fort.
Therese Loewenthal wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Aus Platzmangel im dortigen Getto wurde der Hamburger Transport zum dazugehörigen landwirtschaftlichen Gut Jungfernhof weitergeleitet. Dort verliert sich ihre Spur. Aufgrund der auf dem Gut fehlenden winterfesten Unterkünfte erfror etwa ein Fünftel der 4000 im Dezember aus dem deutschen Reich eingetroffenen Deportierten. Unterernährung und sich schnell ausbreitende Krankheiten führten zu einer weiteren Dezimierung der Insassinnen und Insassen. Von den insgesamt 964 Deportierten aus Hamburg überlebten nur 35 Personen das Lager Jungfernhof.
Text: Claudia Pufahl
Quellen:
1; 4; 5; 6; 8; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule; Randt, Die Talmud Tora Schule, 2005, S. 177, 252f.; Mosel, Wegweiser, 1997, S. 11; Lehberger/de Lorent (Hrsg.), Die Fahne hoch, 1986, S. 423; Hochmuth/de Lorent (Hrsg.), Schule unterm Hakenkreuz, 1985.