Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Gertrud Goldschmidt Gertrud Luise Goldschmidt, auch Gertrudis – Pseudonym GEGO bzw. Gego

(1.8.1912 Hamburg – 1994 Caracas/Venezuela)
Bildhauerin, Installationskünstlerin, Architektin und Zeichnerin
Bogenstraße 23, Helene-Lange-Gymnsasium (vorm. Stadtschule)
Rainvilleterrasse 4 (ehemalige Seefahrtsschule)
Heilwigstraße 40 (Wohnadresse bei den Eltern)


4059 Gertrud Goldschmidt
Gertrud Goldschmidt, Quelle: Fundación Gego

Sie gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der geometrischen Abstraktion Lateinamerikas.
Geboren 1912 in Hamburg als Gertrud Goldschmidt, nahm sie 1952 die venezolanische Staatsbürgerschaft an. „Dabei ist ihr Werk nicht leicht verständlich. Gego experimentierte mit ‚Linien’. Zunächst studierte sie in Stuttgart Architektur, da hatten die Linien noch einen genau definierten Zweck: sie bestimmten Formen oder Räume. Wegen ihrer jüdischen Herkunft musste Gego 1939 Deutschland verlassen. Eher zufällig kam sie nach Caracas.
Nach einer Eingewöhnungs- und Familienphase entdeckte sie in den 1950er Jahren die Linie neu. Diesmal die freie Linie, das Nichts zwischen den Linien, das Aufleuchten, wenn Linien sich kreuzen, das letzte Funkeln, wenn sie unterbrochen werden. Sie wurde zur Meisterin der Linien. (Zitat nach Laura Held, Quelle [1])
Wer war GEGO, die sich mit diesem – ursprünglich geschwisterlichen Kosenamen – als Pseudonym in Venezuela als Künstlerin durchsetzte? Gertrud Louise Goldschmidt wurde am 1. August 1912 als sechstes der sieben Kinder von Eduard Martin Goldschmidt (7.7.1868 vermutlich Hamburg – 18.3.1956 Los Angeles, USA) und Elizabeth Hanne Adeline Dehn (11.12.1875 Hamburg – 28.7.1947 Los Angeles, USA) [2] in Hamburg geboren. Die Goldschmidts waren eine angesehene, liberale jüdische Familie; Gegos Vater leitete zusammen mit einem seiner Brüder ein vom Urgroßvater 1815 gegründetes Bankhaus. Ein Onkel väterlicherseits war der Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt (1863 Hamburg - 1944 Basel), der als ausgewiesener Spezialist für mittelalterliche Kunst zum engen Freundeskreis des Kulturwissenschaftlers und Kunsttheoretikers Aby Warburg zählte. [3]
Gego selbst äußerte sich zurückhaltend zu ihrer Vergangenheit. 1987 erhielt sie einen Brief des Literaturwissenschaftlers Univ.-Prof. Dr. Fritjof Trapp [4], der Studien über die Schicksale der aus Hamburg vertriebenen Juden und Jüdinnen durchführte. Er bat sie um Auskunft über ihre Erfahrungen: „Fast zwei Jahre hindurch schrieben sich die beiden. Der Professor bat in den Briefen um eine persönliche Biographie Gegos dieser Jahre, schickte Fragebögen, die vor allem die Umstände der Emigration erforschen wollten. Gego wich aus, sagte, sie habe zu viel zu tun, sie müsse ihren Nachlass für Kinder und Enkel ordnen. Dennoch beantwortete sie seine Fragen – nur schickte sie ihm nie die Antwort. Insgesamt drei Versionen dieser von Trapp erbetenen Biografie fanden sich in ihrem Nachlass – sie starb am 17.9.1994 in Caracas. 1999 erhielt die nach ihrem Tod in Caracas gegründete Stiftung Gego einen Koffer, in dem Gego zeitlebens eigene Texte, Gedankensplitter, für sie wichtige Briefe und Korrespondenzen aufgehoben hatte, die sie sabidurías nannte. Aus diesen Selbstzeugnissen entstand 2005 das englisch/spanische Buch Sabidurías and other texts by Gego. In dem liebevoll von María Elena Huizi und Josefina Manrique editierten Buch ist die ausführlichste Version des nie abgeschickten Briefes nachgedruckt“ [1]. In ihren Aufzeichnungen an Prof. Trapp machte sie Angaben zu Kindheit, Jugend und Ausbildung:
„GEGO antwortete am 18. August 1987 mit einem kurzen biografischen Abriss. Seine Kernpunkte waren Angaben zur Person und zum Datum der Auswanderung:
‚Geboren: 1.8.1912, Auswanderung: Juni 1939, d.h. ich war damals 28 Jahre alt. Ich hatte ein Transit Visum nach England, und – eine Woche vor der Abreise – die Nachricht eines Visum nach Venezuela, verbunden mit einem Arbeitskontrakt.’
Zum Ausbildungsweg hieß es:
‚Diplom Ingenieur Architekt (Dipl. Ing. Arch.) von der Technischen Hochschule Stuttgart. (Officielles Diplom ausgestellt im Oktober 1938) !!!’
Zur Ankunft in Venezuela:
‚Ankunft in Caracas Anfang August 1939. Den Beruf eines Architekten gab es praktisch nicht. Das Projektieren übernahmen die Bauunternehmer. Außerdem: Mädchen allein und mit einer Profession – man nahm mich nicht sehr ernst. Aber ich hab mich ein Jahr lang ‚eingelebt‘, etwas Spanisch gelernt und selbst erhalten.’“ [4]
Trapp bat in seinem Dankesschreiben um genauere Informationen. Gego antwortete am 7. November 1987: „’Ich habe versucht, alle sehr lebendigen »Erinnerungen« aufzuschreiben, und habe sie für zu unwichtig und zu persönlich gehalten für ein breiteres Publikum oder Archiv. Zusammengefasst: Ich bin – vielleicht – wie der »Reiter über den Bodensee« durch die dreißiger Jahre geschlittert. Nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten, lange nicht alle!!
Ich hatte viele gute Freunde! Ihre Frage nach dem Diplom-Examen: Es hat mich niemand gehindert, mich zum Abschluss zu melden. Im Gegenteil: Professoren und Beamte haben stillschweigend geholfen. Die Frage: mit wessen Hilfe [die Emigration ermöglicht wurde]: Ich schickte einmal meine Papiere an einen mir völlig unbekannten jüdischen Kaufmann in Venezuela, dessen Adresse mir eine nach U.S.A. auswandernde Kusine gegeben hatte. Die Antwort war ein Telegramm, das mir Visum und Arbeitskontrakt ankündigte. Damals hatte ich bereits ein Durchreisevisum nach England vom German Jewish Aid Community als Begleitung für meine alten Eltern (sie sind nach dem Krieg nach Californien zu meiner ältesten Schwester und ihrem Mann weitergewandert).’
Ein anderer Punkt des Fragebogens bezog sich auf die persönliche Einstellung zur Frage der Emigration. GEGOs Antwort war knapp. Sie dokumentiert den Stolz einer jungen Frau auf ihre Herkunft und Ausbildung, dazu das Bewusstsein, dass man ihr zwar den materiellen Besitz nehmen konnte, aber nicht die Zuversicht, sich aufgrund der Struktur ihrer Persönlichkeit auch im Aufnahmeland durchzusetzen: ‚Erwartung und Vertrauen auf eine Zukunft, Herkunft, Erziehung und Ausbildung waren mein Kapital; das hat sich bewährt.’
Dem Brief waren Kopien von GEGOs Diplom sowie der Mitteilung über die Schließung des Bankhauses J. Goldschmidt Sohn. Bankgeschäft in Hamburg 1815 – 1938 beigefügt. Das Schreiben enthielt außerdem den Hinweis auf die einzige noch in Hamburg lebende Verwandte, GEGOs Kusine Dr. Margarete Brandis, außerdem die Adresse des Elternhauses: Heilw[i]egstraße 40
Aufschlussreich ist die Anzeige über die Liquidation des Bankhauses. In der formalen Erscheinung ist sie absolut neutral gehalten. Weder werden die Geschäftsbereiche der Bank, noch werden Gründe für die Einstellung geschäftlichen Betriebs genannt. Stattdessen wird implizit auf die Tradition des Bankhauses verwiesen: Die oberen zwei Drittel nimmt eine Fotografie des Bankgebäudes ein. Kommentiert wird sie durch den Schlusssatz des Dokuments: ‚Das Kontor der Firma befand sich vom 1. Januar 1849 bis 1938 in dem Hause Börsenbrücke 8’. Diese Adresse war zu diesem Zeitpunkt jedem Hamburger Bürger bekannt. Im Begleittext wird einzig und allein die Abfolge der Inhaber und die zeitliche Dauer ihrer Geschäftsführung aufgeführt: Isaac Meyer Goldschmidt, Adeline Goldschmidt, Martin, Wilhelm und Otto Goldschmidt, Eduard Goldschmidt (GEGOs Vater – dies ist handschriftlich auf der Kopie angemerkt), und – als letzter – Dr. jur. Martin Goldschmidt, GEGOs ältester Bruder. Den Abschluss bildet der Satz: ‚Aufgezeichnet zum 7. Juli 1938, dem 70. Geburtstag von Eduard Goldschmidt’. – Der Text enthält kein überflüssiges Wort; es ist ein Dokument, das bewusst Distanz wahrt. Seine Aussage ist gleichwohl eindeutig: Hier wird kommentarlos ein Schlussstrich gezogen.“ [4]
Prof. Trapp fuhr fort: „GEGO hatte auf meine Anfrage hin auch eine ausführlichere Antwort verfasst, sie aber nicht abgeschickt, weil sie ihr ‚zu persönlich’ zu sein schien. Auf diesen mir unbekannten Brief wurde ich im Oktober 2013 im Zuge der Vorbereitungen zu der GEGO gewidmeten Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle durch Dr. Brigitte Kölle und Dr. Petra Roettig, die Kuratorinnen der Ausstellung, aufmerksam macht (vgl. [3]). – Der handschriftliche Brief hat folgenden Inhalt:
‚(...) Da Sie mehr erfahren wollen von mir + meinem Leben, will ich Sie etwas orientieren. Meine Familie gehörte seit Anfang des vorigen Jahrhunderts zu den Bürgern der Freien und Hansestadt Hamburg. Mein Urgroßvater gründete in 1815 das Bankhaus J. Goldschmidt Sohn, das mein Vater + mein Bruder Martin 1938 völlig auflösen mussten. Ich bin als 6. von 7 Geschwistern völlig unbeschwert aufgewachsen. Jüdische Herkunft war als Tatsache bekannt, aber wir gehörten damit völlig und ganz in die Gemeinschaft Deutschlands: in die Tradition deutscher + hamburgischer Kultur. Ich bin nie in einer Synagoge oder Tempel der jüdischen Gemeinde gewesen + hab vom Antisemitismus erst sehr spät erfahren. Vielleicht ist der Respekt vor Andersdenkenden, anderen Meinungen und anderen Kulturen eines der wesentlichen Charakteristiken meiner Erziehung. Ein anderer Punkt war die Anforderung, Rücksicht auf die Gemeinschaft zu nehmen, niemanden zu stören + selber nicht gestört zu werden, d.h. sich einzuordnen. Ich bin die ersten Schuljahre in der Stadtschule am Grindelberg gewesen (spätere Helene Lange Oberrealschule), unterbrochen von einem Jahr Privatunterricht zusammen mit der jüngsten Tochter von Max Warburg, da ich »zart« und »empfindlich« war.
Später wurde ich in die Privatschule von Margarethe Mittell am Graumannsweg geschickt, wo ich mich langsam mit einer Neigung zum »enfant terrible« entwickelt hab, mit eigenen Meinungen und gewisser Opposition. Je nach dem, wer der Pastor war, der Religionsunterricht gab, hab ich teilgenommen oder bin davon befreit gewesen. Die Schule ging nur zur Secunda Reife und mit 16 Jahren wollte ich die letzten drei Jahre an der Lichtwarkschule absolvieren, wo meine 3 Jahre ältere Schwester gerade Abitur gemacht hatte, bekam aber keinen Platz und wollte absolut in keine »Mädchenschule«. Bin also noch einmal privat fast 3 Jahre mit einigen Freundinnen und Kapitäns-Anwärtern aus der Seefahrtsschule (ehemals Rainvilleterrasse 4) von einem Kapitän der Handelsmarine + Lehrer an der Seefahrtsschule unterrichtet worden. 5 Nachmittage in der Woche. Fiel dann durch das Externe Abitur (als ich mit dem negativen Erfolg zu Hause erschien, hab ich es mit dem Slogan: »die Hauptsache ist, dass alle gesund sind «, formuliert, und meine Mutter reagierte darauf: »wie gut, dann bleibst du noch eine Zeitlang zu Hause«), das ich ein halbes Jahr später mit Training in einer »Presse« erfolgreich bestand – das war im Sommer 1932.
Mein Interesse + Beschäftigung mit bildender Kunst ist früh entwickelt + gefördert worden. Architektur-Interesse kam später, teilweise angeregt durch soziale Gedanken über die damals sich entwickelnden sozialen Bauunternehmen. In den letzten Schuljahren war ich mit Architekturstudenten befreundet, die mir zum Entschluss, in Stuttgart zu studieren, halfen. Was ich im Wintersemester 32/33 begann.“ [4]
Gego schrieb weiter, „sie habe während ihres Studiums (...) nie antisemitische Äußerungen von Professoren oder KommilitonInnen erlebt, sei aber auch allen Aktivitäten aus dem Weg gegangen und arbeitete, wenn möglich, zu Hause. Im August 1938 sei ihr plötzlich klar geworden, wie sehr sie in Gefahr schwebte, und sie fragte bei ihrem Professor Paul Bonatz nach.“ [1] Diesem war bis dahin angeblich nicht bewusst, dass sie Jüdin war; er versprach, sich im Ausland nach Arbeitsmöglichkeiten für sie umzuhören. Unter den Professoren habe es dann ein Abkommen gegeben, ihr zu einem möglichst raschen Studienabschluss zu verhelfen, damit sie ihr Diplom vor ihrer Ausreise machen konnte. Mit dieser Bescheinigung bewarb sie sich bei allen potentiellen Auswanderungsländern um eine Arbeitserlaubnis. Das erwies sich aber 1938/39 als schwierig.
In die USA wollte sie nicht, „aus Idiosyncrasie gegen dieses Land“. Lakonisch beschrieb sie, wie sie Verwandte in der zum „jüdischen Gemeindehaus“ zwangsumgewidmeten Villa Warburg besuchte, wohin diese umziehen mussten, und andere am Hamburger Hafen verabschiedete, denen die Ausreise glückte. Sie beschrieb nüchtern, wie sie auf Familienbesuch in München am Tag nach der „Kristallnacht“ knapp den Nazis entkam und wie es den anderen Familienmitgliedern erging, die auch alle entkommen konnten. Ein Schwager, der als Anwalt mit der Gestapo Kontakt hatte, um JüdInnen die Auswanderung zu ermöglichen, wurde zwar verhaftet, aber wieder freigelassen. Es war der Gatte ihrer Schwester Hertha, Robert Moritz Solmitz [5]. Ihre Eltern erhielten im März 1939 ein Einreise-Visum nach England. Gego blieb, um den Verkauf und die Auflösung von Hab und Gut und die Finanzangelegenheiten zu regeln. Da bekam sie ein Arbeitsangebot in Caracas, Venezuela – die Antwort auf die vielen Anträge, die sie gestellt hatte: Lateinamerika hatte ihr nie als Ziel vorgeschwebt.
Schließlich löste sie den Hausstand auf, ließ die Möbel von der Wohlfahrt abholen und „schloss das Haus ab, warf die Schlüssel in die Alster und fuhr allein mit dem Schiff zunächst nach Southampton, wo sie Familie hatte. Sie hatte aber nur ein Durchreisevisum für England. Da alle Versuche scheiterten, ein anderes Einreiseland als Venezuela zu finden, entschloss sie sich, doch dorthin zu gehen, ohne zu wissen, wer denn dieser Salomon war, der ihr eine Arbeit angeboten hatte, und ohne ein Wort Spanisch zu sprechen. In Caracas wohnte sie zunächst in deutschen Pensionen und entdeckte, dass Salomon nicht wirklich Arbeit für sie hatte. Sie versuchte also, Arbeit als Architektin zu finden, und nach mehreren Monaten Suche gelang ihr das auch. Sie lernte nach wenigen Monaten in Caracas über deutsche Emigrantenkontakte ihren späteren Ehemann Ernst Gunz kennen, der mit seiner Familie ebenfalls nach Caracas emigrieren musste. Sie bauten zusammen eine Tischler- und Lampenwerkstatt auf. Gego bekam zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Nach der Geburt des zweiten Kindes löste sie die Werkstatt auf, und ihr Mann übernahm Import- und Exportvertretungen. 1951 trennte sich das Ehepaar, 1953 erfolgte die Scheidung.“ [1]
1952 begegnete sie dem Designer, Fotografen, Graphiker und Journalisten Gerd Leufert. Mit ihm blieb sie bis zu ihrem Lebensende zusammen. Ihre Laufbahn als selbstständige Künstlerin begann mit 41. Das Paar arbeitete auch sehr produktiv zusammen, viele Projekte, vor allem Außenarbeiten wie öffentliche Skulpturen oder Fassaden, schufen sie gemeinsam (z.B. Edificio Cediaz, Avenida Casanova, Caracas, und Edificio Ince, Avenida Nueva Granada, Caracas). (Daten [1]). Gerd Leufert (9.6.1914 Memel, jetzt Klaipédia/Litauen – 22.1.1998 Caracas) hatte Kunst in Hannover und München studiert und wurde Werkbund-Mitglied. Er nahm am Zweiten Weltkrieg als Soldat teil und arbeitete nach dem Krieg als Graphikdesigner. 1951 war er nach Venezuela gezogen, da er sich für seine Entwürfe Interessenten im Land des damals größten Öl- und Baubooms erhoffte (vgl. hierzu z.B. Reportage im Nachrichtenmagazin Der Spiegel „Das Öl-Paradies“, online Version unter www.spiegel.de/spiegel/print/d-31587155.html).
Das Paar zog „1953 nach Tarma an der venezolanischen Küste, wo Gego anfing, zu malen und Holzschnitte herzustellen, inspiriert von der tropischen Umgebung. 1956 kehrten beide nach Caracas zurück, und Gego begann, Unterricht zu geben. 1958-59 war sie als Professorin für Bildhauerei an der Escuela de Artes Plásticas in Caracas tätig, 1961-67 als Professorin für Grundlagen-Gestaltung an der Architekturfakultät der Zentraluniversität von Venezuela, 1964-77 außerdem als Dozentin in dem von ihr mitbegründeten Instituto de Diseño in Caracas. Sie unterrichtete nicht nur, sondern probierte die unterschiedlichsten Kunstformen aus, sie illustrierte Bücher und Zeitschriften, experimentierte mit Graphik und Metall, stellte Lithographien her, führte Serigraphien auf Seide aus und entwarf Teppiche. Es wurden schon in den 1960er und 70er Jahren Filme über sie gedreht, die venezolanische Tänzerin und Choreographin Sonia Sanoja tanzte 1977 die Choreographie Coreogogo in Gegos retrospektiver Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst in Caracas.
Gego beschäftigte sich theoretisch und praktisch mit allen möglichen Kunstrichtungen, unterrichtete und lernte gleichzeitig. Sie hatte zahlreiche Arbeitsaufenthalte außerhalb Venezuelas, vor allem in den USA, meist zusammen mit Gerd Leufert. 1959-60 zum Beispiel, als sie unter anderem in der Graphik-Werkstatt des argentinischen Künstlers Mauricio Lasansky in Iowa arbeitete, 1962-64 bereiste sie mit einem venezolanischen Stipendium Europa und die USA, 1963 druckte sie Graphiken in New York im Pratt Institute, und 1966-67 war sie als Gastkünstlerin in Los Angeles im Tamarind Lithography Workshop. 1980 gründete sie zusammen mit anderen KünstlerInnen den Taller de Artistas Gráficos Asociados (TAGA) in Caracas. Zahlreiche Ehrungen und Preise wurden ihr in Venezuela zuteil.
Nach ihrem Tod 1994 wurde in Caracas das Archivo Fundación Gego gegründet, wo ihr Nachlass verwaltet wird.
An vielen öffentlichen Plätzen in Caracas sind ihre Werke zu finden, und in einigen wenigen Museen und öffentlichen Einrichtungen in Venezuela und weltweit, vor allem in den USA. In der Galería de Arte Nacional in Caracas ist ihr seit 1981 ein eigener Saal gewidmet.
Sie war in ihrer neuen Heimat eine wichtige und anerkannte Persönlichkeit als Lehrerin, Künstlerin und Kunst-Theoretikerin. Durch ihre intensive theoretische und praktische Auseinandersetzung mit verschiedenen Kunstrichtungen, beeinflusst vor allem von der venezolanischen kinetischen Kunst und dem Bauhaus, begann sie ab den 50er Jahren, ihre in den Raum vorstoßenden dreidimensionalen Arbeiten zu entwickeln, die sie selbst aber nicht als Skulpturen bezeichnete: ‚Skulpturen sind dreidimensionale Formen aus dichtem Material, nicht das, was ich mache’.
Die Linie wird ihr wichtigstes Ausdrucksmittel. Zunächst parallele Linien aus Aluminium oder Eisen, die frei im Raum stehen; später gekrümmte, geknickte, unregelmäßige Linien aus Stahldraht, die Luftnetze (Recticuláreas) in Räumen spinnen – raumgreifende, netzartige, scheinbar schwerelose Drahtverspannungen, die aus jedem Blickwinkel anders aussehen. Diese Maschenwerke aus Stahl- oder Aluminiumdraht wirken dennoch naturhaft, und so heißen sie auch: Baumstämme (Troncos), Wolken (Nubes), Wasserstrahl/Regenguss (Chorros). Die „Zeichnungen ohne Papier“ (Dibujos sin papel), die sie ab den 70er Jahren schuf, waren eigentümliche Drahtgeflechte, worin sie zunehmend Fundstücke wie Schraubenmuttern, Bügel, loses Haar oder Elemente aus Baukästen verwandte. Ihre Werke wurden spielerischer, nicht nur durch die Bandbreite der Materialien, auch die Formen und Linien wurden organischer. Zuletzt schuf sie teils farbige Flechtarbeiten aus Papierstreifen und Zigarettenstanniolbändchen (tejeduras). Auch diese Werke sind fragile Gebilde aus regelmäßigen und zufälligen, geschlossenen und offenen Linien.“ [1].
Über Linien hat sie viel nachgedacht. 1953 in Tarma, Kolumbien schrieb sie:
Beziehungen zwischen Linien
geschaffen
nicht aus der Wirklichkeit des Sehens
nicht aus der Wirklichkeit des Wissens
Ein Bild, das die Wirklichkeit auflöst.

„Gegos Netze und „Zeichnungen ohne Papier“ sind filigrane, schwerelose Gebilde, die den Raum mit Linien ausfüllen. Sie sind die „Meisterung des Raumes durch den Verstand“ (Gego, Los Angeles, 1966). 1960 bei einem Arbeitsaufenthalt in den USA schreibt sie:
Line as human
means to express
the relation between
points, something
that is entirely abstract
in the sense of not
existing materially in nature.
Line as medium
indicates materially
the relation between
points in space,
expressing visually
human descriptive thought.
Line as object to play with.
Für uns Menschen bedeutet Linie
die Verbindung
zwischen Punkten, etwas,
das völlig abstrakt ist
in dem Sinne, dass es real
nicht in der Natur existiert.
Die Linie als Medium
zeigt materiell
die Verbindung zwischen Punkten im Raum
sie ist der visuelle Ausdruck
des menschlichen beschreibenden
Gedankens.
Die Linie ist ein Objekt zum Spielen.

Gego schrieb und sprach Deutsch (meist mit ihrer Familie), Spanisch (im Alltag) und Englisch (bei ihrer internationalen Arbeit). Gego spielte mit den Linien, materialisierte ihre Gedanken in den Linien, machte das Unsichtbare sichtbar und verwandelte das Erahnte in Wissen, geheimes Wissen. Um ihre oft durchsichtigen Gebilde kann man herumgehen, durch sie hindurchschauen, neue, gedachte Linien erfinden. Sie sind der Anfang vieler weiterer Linien und doch ein geschlossener (manchmal auch offener) Raum. Dabei ist der Raum zwischen den Linien oft wichtiger als die Linie selbst – obwohl er aus Nichts besteht. Das hat ihr ungeheuren Spaß gemacht.“ [1]
Die „Gertrud Luise Goldschmidt Gastprofessur“ wird seit WS 2005/2006 aus Mitteln der Gleichstellungsbeauftragen der Universität Stuttgart bezahlt und bietet jungen Architektinnen die Möglichkeit, an einer renommierten Architektur-Fakultät Lehrerfahrung zu sammeln [6].
2013 und 2014 tourte eine umfangreiche Retrospektive mit dem beziehungsreichen Titel „Line as an Object“ durch die mit ihr besonders verbundenen Städte Hamburg, Kunsthalle, 29.11.2013 – 2.3.2014; Stuttgart, Kunstmuseum 29.3.-29.6.2014 sowie Leeds, Henry Moore Institute, 24.7. – 29.10.2014 [3]
Text: Dr. Cornelia Göksu und Dr. Rita Bake