Hilde Lion
(14.5.1893 Hamburg – 8.4.1970 Hindhead/Surry Großbritannien)
Soziologin, Gründerin einer Schule in England, Direktorin der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit Berlin
Sozialpädagogisches Institut/Soziale Frauenschule: Moorweidenstraße 24 (Wirkungsstätte)
Hilde Lion entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg. Sie besuchte das Lyzeum und sollte, wie es damals für viele Mädchen aus dem Bürgertum üblich war, Lehrerin werden. Nach kurzer Tätigkeit als Lehrerin begann sie mit einem Studium zur Wohlfahrtspflegerin am Sozialpädagogischen Institut/Sozialen Frauenschule, welches von Gertrud Bäumer geleitet wurde. Dorothee Winden schreibt in ihrem Artikel: „Eine Praktikerin aus der Generation der Erbinnen. 100 Jahre Frauenbewegung (letzter Teil): Hilde Lion, Direktorin von A. Salomons Akademie“, erschienen in der taz vom 3.9.1994 über Hilde Lions Zugang zur bürgerlichen Frauenbewegung: „Zum Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) stieß sie 1916 im Alter von 23 Jahren, nachdem sie bei einer Versammlung Gertrud Bäumer hatte reden hören. Lion war von ihr begeistert. Am Erscheinungsbild des BDF hatte sie allerdings einiges auszusetzen: der Verein ersticke in Formalien, man müsse von den steifen Formen der Versammlung wegkommen und die alten Damen wüßten nicht, was die jungen Frauen wollten. Nach den Erfolgen der Frauenbewegung mußten in den zwanziger Jahren die Ziele neu bestimmt werden. Neben der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ging es nun um die Definition einer eigenständigen weiblichen Identität.“
Hilde Lion wurde Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und war kurze Zeit deren Parteisekretärin. In dieser Funktion übernahm sie von Dezember 1918 bis April 1919 die Aufgabe, Frauen für die Partei zu gewinnen und zu organisieren.
Ab 1919 studierte Hilde Lion in Köln Soziologie und schloss ihr Studium 1924 mit der Promotion ab. Ihre Dissertation hatte den Titel „Die klassenkämpferische und die katholisch-konfessionelle deutsche Frauenbewegung“. Danach ging sie nach Berlin und unterrichtete ab 1925 am Sozialpädagogischen Seminar des Vereins Jugendheim, Methodik und Pädagogik. Das Heim war von Anna von Giercke gegründet worden und bildete Erzieherinnen und Jugendleiterinnen aus. Außerdem unterrichtete sie an der von Alice Salomon gegründeten Sozialen Frauenschule in Berlin. Darüber hinaus war Hilde Lion Vorsitzende der Vereinigung der Dozentinnen an sozialpädagogischen Lehranstalten. 1929 wurde sie die erste und einzige Direktorin der von Alice Salomon gegründeten Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, wo sie bereits ein Jahr zuvor als Studienleiterin begonnen hatte. Die Akademie hatte ein großes Renommée innerhalb der Frauenbewegung. Hilde Lion prägte mit ihren neuen Ausbildungsansätzen eine ganze Generation von Frauen in Leitungsfunktionen der Wohlfahrtspflege.
Doch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Akademie aufgelöst. Zuvor war Alice Salomon unmissverständlich nahegelegt worden, Hilde Lion, weil sie jüdischer Herkunft war, zu entlassen. Alice Salomoin legte ihr Amt nieder und der Vorstand der Akademie beschloss die Auflösung der Akademie.
Auf Einladung des Internationalen Akademikerinnenbundes konnte Hilde Lion nach London emigrieren, wo sie im Auftrag des Akademikerinnenbundes die Forschungsarbeit „über die geistige und seelische Anpassung von Kindern in einer neuen Umgebung“ übernahm. 1934 gründete Hilde Lion auf dem Landsitz einer Quäkerin die Stoatley Rough School - eine Internatsschule für deutsche Flüchtlingskinder. Ein Jahr später kam ihre damalige Lebensgefährtin Emmy Wolff hinzu. Gemeinsam leiteten sie die Schule bis zu seiner Schließung im Jahre 1960. Privat trennte sich das Paar und Hilde Lion lebte mit der Musikpädagogin Luise Leven zusammen. Eine Rückkehr nach Deutschland zog Hilde Lion nicht in Erwägung und hatte auch schon 1939 die britische Staatsangehörigkeit angenommen.