Eva Rühmkorf Eva Rühmkorf, geb. Eva-Marie Titze
(6.3.1935 Breslau – 22.1.2013 Ratzeburg)
Psychologin, Staatsrätin, Gleichstellungsbeauftragte, Ministerin; linke Sozialdemokratin, Pazifistin und Feministin
Övelgönne 50 (Wohnadresse)
Namensgeberin für Eva-Rühmkorf-Straße, benannt 2016 in Altona-Nord
Bestattet auf dem Hauptfriedhof Altona, Stadionstraße, Grablage: Abt. 13, J 1-2
Diplompsychologin; von 1968-1978 Grundsatzreferentin für Strafvollzug in der Justizbehörde, dann Direktorin der Jugendstrafanstalt Vierlande und damit 1973 die erste Frau auf solch einem Posten; wurde 1979 Leiterin der neu gegründeten Hamburger „Leitstelle für die Gleichstellung der Frau“, seit 1983 als Staatsrätin; wurde 1988-1992 Mitglied der Landesregierung Schleswig-Holsteins; war von 1999-2001 Vorsitzende von Pro Familia; hochverdient um die Gleichberechtigung und die Gleichstellung von Frauen und Männern.
„Der Mensch, der mich in meiner Kindheit und Jugend am stärksten beeindruckt hat, war meine Großmutter mütterlicherseits, Elfriede Schramm“. Mit diesem Einstieg begann Eva Rühmkorf ihre Autobiographie „Hinter Mauern und Fassaden“ (Stuttgart 1996). Über ihre politische Prägung durch ihre Familie erfahren wir: „Die Großeltern Schramm waren Sozialdemokraten, der Großvater seit 1905 – und ab 1923 Gewerkschaftssekretär des Zentralverbandes der Angestellten (ZDA). Als sich 1931 die Sozialistische Arbeiter-Partei (SAP) abspaltete, schlossen sie sich ihr an. Ihre Kinder engagierten sich bei den Jungsozialisten, unsere Mutter bei den Naturfreunden, wo sie auch unseren Vater kennenlernte.“ [1]
Ihr Vater wurde 1944 als Soldat im Krieg getötet. Ihre Mutter starb drei Jahre später an Brustkrebs. Mit zwölf Jahren wurden Eva und ihre jüngere Schwester Rosemarie Vollwaisen. Nach der Vertreibung aus Breslau-Neukirch, am Rande der Hauptstadt des ehemaligen Schlesien (Eva flüchtete mit ihrer Katze Minni), besuchte sie ein Internat in Bensheim an der Bergstraße in Südhessen. „Schon in meiner Kindheit war es für mich selbstverständlich, dass ich später einmal einen Beruf haben würde.“ [2] Ihre Berufswünsche als Jugendliche reichten von Technischer Zeichnerin (diesen Beruf hatte ihr Vater ausgeübt) über Missionarin (in ihrer „frommen Phase“ während der Zeit des Konfirmandenunterrichts schwärmte sie für Albert Schweitzer) bis zum dem einer Internatsleiterin.
1954, ein Jahr vor Eva Rühmkorfs Abitur, starb auch die strenge, aber verehrte „Großel“. Eva und ihre jüngere Schwester Rosemarie blieben zurück. „Während meiner Kindheit und Jugend waren es vor allem Frauen, die mein Leben prägten. Die Hochschullehrer, bei denen ich studierte und arbeitete, waren ausschließlich Männer.“ [3] Aus Interesse an Statistik wechselte sie ins Hauptfach Psychologie, einer Ihrer Professoren war Reinhard Tausch. 1961 schloss sie das Studium mit dem Diplom ab. In Marburg wurde sie 1956 Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund SDS. Ein Jahr später trat sie in die SPD ein. Damals wurde ihr klar, dass ihre Großmutter Politikerin gewesen war; sie hatte Rosa Luxemburg und Clara Zetkin gekannt, beide Großeltern mit Paul Löbe, dem Alterspräsidenten des ersten Bundestages, zusammen gearbeitet. Während der Nazizeit war der Großvater einige Wochen im KZ Groß-Rosen interniert. Seinem ältesten Sohn, der Frontsoldat war, gelang es jedoch, ihn wieder frei zu bekommen. [4]
1961 zog Eva Titze nach Hamburg. Dort arbeitete sie sieben Jahre lang als Marktforscherin bei internationalen Werbeagenturen, u. a. bei der LINTAS. Den Schriftsteller und Lyriker Peter Rühmkorf hatte sie schon 1959 bei einem Semesterferien-Job kennen gelernt. Für die damalige Studentenzeitschrift „konkret“ richtete sie ein Archiv ein. Gemeinsames Interesse an Kultur und Politik und die Übereinstimmung in der Einschätzung gesellschaftlicher Themen nannte sie später als lebenslang verbindende Elemente: Fünf Jahre später heiratete sie den „roten Rühmkorf“.
Sie wechselte in den Öffentlichen Dienst, als sie die Einsicht nicht länger verdrängen wollte, dass sie als Werbepsychologin – zwischen Hundefeinkost in Dosen, Trockenrasierern und „Wasser & CD“ – von den hehren Idealen ihrer Studienzeit um Lichtjahre entfernt war. Zwischen 1968 und 1973 wagte sie einen großen Sprung: Nach einem Justizskandal sollte in der Hamburger Gefängnisbehörde ein „Grundsatzreferat für die Reform des Strafvollzugs“ neu eingerichtet werden. Eva Rühmkorf stellte sich darunter so etwas wie „Marktforschung im Dienste der Humanität vor“. Nach vielen Umwegen bekam sie schließlich den Job ohne Juristin zu sein (obwohl das damalige Referentinnengehalt A 13 rund 1000 DM weniger betrug als ihr Einkommen als Marktforscherin!) [5] Sie setzte sich durch und avancierte zur Wissenschaftlichen Rätin als erste und lange Zeit einzige Frau im „höheren Dienst“ im Strafvollzugsamt. Zunächst beargwöhnt, setzte sie Maßstäbe – nicht nur durch grundlegende Reformen: Erstmals stellte sie zum Beispiel Frauen aus der „Allgemeinen Verwaltung“ als Sachbearbeiterinnen ein, forderte Gleitzeit im Öffentlichen Dienst.
1973 wurde sie zur ersten weiblichen Direktorin der Hamburger Jugendstrafanstalt Vierlande ernannt. Obwohl Hamburg Ende der sechziger Jahre vorbildlich im modernen Strafvollzug gewesen sei, so erinnerte sie sich, tingelte ich „wie eine Missionarin“ durch die Lande, um „für unser Vollzugskonzept und die Humanisierung des Strafvollzugs zu werben.“ [6]
Gemeinsam mit dem von ihr ausgewählten Frauenteam und einem Mann, baute sie 1979 die erste „Leitstelle für die Gleichstellung der Frau” auf – ein nicht nur in Deutschland anerkanntes Modell staatlicher Frauenpolitik – und blieb ihre Leiterin bis 1987, ab 1983 im Rang der ersten Hamburger Staatsrätin. Unterstützt von einflussreichen Persönlichkeiten wie Christa Randzio-Plath war die Diplomatin auf Transparenz und vitale Vernetzung mit allen anderen Dienststellen bedacht: „Vormittags suchte ich die Staatsräte der Fachbehörden auf, abends die Vorsitzenden der Hamburger Frauenverbände.“ [7] Und sie vernetzte bundesweit die Frauen-Gleichstellungs-Initiativen, studierte internationale Vorbilder. Die Leitstelle widmete sich fünf Arbeitsgebieten:
1. Frau in öffentlichen Dienst
2. Frau im Arbeitsleben
3. Frau in der Familie und im sozialen Umfeld
4. Planung und Koordination von Untersuchungen/Frauenstudien und Frauenforschung im Hochschulbereich/Frau und Gesundheit/Integration von Ausländerinnen
5. Anlaufstelle für Anregungen, Fragen und Beschwerden aus der Bevölkerung/Dokumentation/Informations- und Lesezimmer. [8]
Ihren noch einmal neuen Lebensabschnitt, als Politikerin im Kabinett von Ministerpräsident Björn Engholm, formulierte die Traueranzeige in den Lübecker Nachrichten (26.1.2013), unterzeichnet vom Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, Torsten Albig: „(...) Ministerin a. D. Eva Rühmkorf gehörte von 1988 bis 1992 der Landesregierung an. Frau Rühmkorf hat sich in diesen Jahren zunächst als Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur (1988-1990) und dann als Ministerin für Bundesangelegenheiten und stellvertretende Ministerpräsidentin (1990-1992) in den Dienst des Landes gestellt. Sie hat die Gesamtschule als Regelschule eingeführt sowie die Chancengleichheit von Kindern und die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen mit großem Engagement vorangetrieben. Sie war stets Ansprechpartnerin für die Bürgerinnen und Bürger des Landes und hat große Verdienste durch ihr fachliches und politisches Wirken erworben.
Mit Frau Rühmkorf verliert das Land Schleswig-Holstein eine Persönlichkeit, die von ihren Wegbegleitern, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie von den Bürgerinnen und Bürgern innerhalb und außerhalb des Landes hoch geschätzt war“.
Nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik war Eva Rühmkorf viel gefragte Referentin. Sie engagierte sich bei Pro Familia Hamburg und wirkte als Gastprofessorin am Dartmouth College in New Hampshire, USA. Bis zu seinem Tod pflegte sie ihren kranken Mann, kümmerte sich um ein Archiv für seinen Nachlass und besorgte eine Werkschau, die das Museum für Kunst und Gewerbe 2004 zeigte. Ihre Lebenserinnerungen – spannend, kurzweilig und humorvoll geschrieben – schloss Eva Rühmkorf mit einem Zitat der St. Petersburger Exil-Lyrikerin Nina Berberova: „Ich habe, so scheint es mir, aus jeglichem Ballast irgendetwas gemacht, etwas Trauriges oder etwas Freudiges. In jedem Fall etwas Lebendiges. Wenn ich mich betrachte, sehe ich, dass mir, wie man so sagt, alles zum Vorteil gereicht hat, und wenn der Preis dafür manchmal übermäßig hoch war, so war es doch der Preis für das Leben“.
Text: Dr. Cornelia Göksu