Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Ellen Templin

(09.07.1948 - 22.12.2010 Berlin)
Domina
Bestattet im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof Fuhlsbüttler Straße 756 in Hamburg


Aufgewachsen in einem nach außen scheinenden idyllischen Umfeld im Süden Deutschlands waren Ellens frühe Jahre von Missbrauch und Gewalt geprägt. Jahrelang musste sie so die Gewaltexzesse ihres Vaters überleben, enttäuscht und missbraucht von einer Person, die ihr Schutz und Sicherheit geben sollte, unfassbar begreifend, dass niemand eingriff, bis sie nach einer Ewigkeit die Pubertät erreichte und uninteressant wurde für krankhafte Machtbedürfnisse. Sie konnte dies nur überleben, in dem sie stark wurde und für sich irgendwo im Inneren zugleich die kleine, lebensbejahende Ellen rettete, mit einem stark ausgeprägten Gefühl für Gerechtigkeit und dem Willen, dafür einzutreten. Nach der Schule durchlief sie erfolgreich eine Ausbildung zur Industriekauffrau und wurde für eine große, internationale Ölfirma tätig. Doch der Schatten ihrer nicht existenten Kindheit verfolgte sie nach wie vor, so dass sie flüchten musste, in das weit entfernte Berlin. Hier lernte sie ein völlig neues Umfeld kennen und sie fühlte sich zum ersten Mal so richtig frei. Doch unter diesem Glanz, der sie nun umgab, entdeckte sie nach und nach Strukturen, die ihr nur zu gut bekannt waren.

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Ellen Templin Foto: privat

Über all die Zeit war sie trotz ihrer prägenden Erfahrungen immer auch versucht, das Gute im Menschen zu finden und so war sie auch mehrmals verheiratet oder lebte in festen Partnerschaften. Ihr Weg führte sie sogar bis in den Iran, dem sie gerade noch rechtzeitig vor der Machtübernahme der islamistischen Fundamentalisten entkommen konnte. Zurück in Berlin musste Ellen einen Weg finden, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Kontakte führten sie in eine Welt ein, deren grundlegende Säulen ihr vertraut waren, es war eine Welt, in der Macht und Gewalt die primäre Rolle spielten, vermischt mit Geld. Das kannte sie schon, denn auch ihr Vater gab ihr eine Art von Schweigegeld für all das, was er ihr antat. Es war also schon früh gelernt, wie sie selbst sagte. Zudem, egal was Ellen anfasste, sie war gut darin, sehr gut, denn sie besaß nicht nur eine ungewöhnlich gute Beobachtungs- und Auffassungsgabe, sondern auch einen analytischen Verstand. Und so gelang es ihr nach einigen Lehrjahren schon recht bald Eigentümerin des seiner Zeit erfolgreichsten Domina-Studios in Berlin zu sein.
An ihrem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass die frühen Jahre prägend dafür sein können, was im späteren Leben passiert. Wer nun denkt, dass sie diesen Weg ging, um sich zu rächen, der irrt jedoch. Nein, denn wie sie auch selbst sagte, schaden sich die Menschen letztlich selbst, wenn sie schlechte Dinge tun. Natürlich empfand Ellen all die Dinge, die die Klientel erwartete, als krank, doch sie behandelte trotzdem jeden, der ihre Regeln beachtete, die dafür da waren, dass die beschäftigten Frauen so sicher wie möglich tätig werden konnten, wie einen Menschen.
So konsequent und überzeugend sie als Domina war, so konsequent war Ellen auch im Kampf für das Wohl der Frauen in ihrem Umfeld. Letztlich musste Ellen Zeit ihres Lebens einen Kampf damit führen, was sie erleben musste und diesen führte sie zugleich auch für andere mit. Prostitution in ihren vielfältigen Facetten war in ihren Augen niemals freiwillig, und so kämpfte Ellen auch gegen all die Tendenzen und Strukturen, die die Prostitution entweder romantisierten oder sie gar mit einem Beruf gleichsetzten. Diesen feministischen Kampf führte sie bis zu ihrem viel zu frühen Lebensende.
Ellen Templin plante zu Lebzeiten ein Anti-Prostitutionsbuch. Hierfür führte die mit ihr befreundete Hamburger Historikerin Wiebke Johannsen mehrere Interviews durch. Im Folgenden sollen hier einige Auszüge und entsprechende Aufzeichnungen von Wiebke Johannsen aufgeführt werden:
„Ellen Templin wurde 62 Jahre alt, ein Jahr jünger als Domenica Niehoff, die ihr, ohne sie persönlich zu kennen, nahe stand. Diabeteskrank wie sie. Beide Frauen wollten Mädchen und Frauen vor dem bewahren, was sie selbst als Elend hinter glanzvoller Fassade durchlebt hatten.
Im August 2010 führte ich mein letztes Interview mit Ellen Templin. Das „Freier-Kapitel“ war das erste, das wir zusammen angingen; weder sie noch ich wollten uns mit der Frage „Na, was macht denn so ein nettes Mädchen wie Du hier?“ herumärgern. (Und Ellen Templin wollte keinesfalls autobiographisch argumentieren, „Opfernobilität“ lehnte sie ab. Doch sprach sie immer vom völligen Ausgeliefertsein an den Vater und sie sprach auch immer als Überlebende dieser Gewalt.)
Prostitution gibt es, weil Männer Frauen kaufen wollen, nicht, weil Frauen sich verkaufen wollen. Ein Nachfragedelikt. Aber das ist der Kern des Tabus: die Freiwilligkeit der Prostitution. Das ist der Kern des Kampfes der Feministin und SM-Prostituierten Ellen Templin.
Dazu Ellen Templin: „Als ich vor vielen Jahren mit SM anfing, hatte ich eine Frau kennen gelernt, der es finanziell sehr gut ging und die sehr gut aussah. Die sagte: ‚Ich habe Macht.‘ Ich durfte damals zugucken. Ich habe nicht geglaubt, was ich sah. Es war für mich das Größte, meine ersten dominanten Programme. Männer taten, was ich ihnen sagte.
Ich habe gemeint, ich sei die Größte, die Schönste, die Mächtigste! Dann habe ich jedoch schnell gemerkt, dass das eine Täuschung ist. Denn ich habe ja nie gemacht, was ich wollte, sondern ich habe immer getan, was die Männer wollten. Doch viele Frauen, die schon lange in der Branche sind, glauben, sie hätten Macht. Gar nichts haben sie. Keine Frau, die eine sexuelle Handlung für Geld macht, hat Macht über einen Freier. Ganz egal, welche Handlung.
Diese Erkenntnis hat mich in eine große Depression gestürzt. Ich fühlte mich betrogen. Und zwar von allen. Den Männern, den Frauen, der Gesellschaft. Es hat mir niemand zugehört, das war das Schlimmste. Ich habe nichts lesen können, obwohl ich immer gelesen habe, seit meinem sechsten Lebensjahr. Jetzt war ich Anfang, Mitte zwanzig. Das war die Zeit der Frauenbewegung, doch die haben das auch nicht gewusst. Wohin ich mich auch wandte, stieß ich auf Ablehnung und Unverständnis. Die einen sagten: Was bist Du denn für eine schlimme Frau, die einem Mann was Böses antut. Die nächste fragte, was ich da verdiene, die übernächste, was davon mich sexuell errege. Mitleid oder Neid waren die gängigsten Reaktionen. Was ich aber nicht fand, war jemand, der mir die Wahrheit sagte. Die meisten meinten doch, was das für eine tolle Macht sei. Und im Studio hörte ich dann die detaillierten Anweisungen, wie ich zu gehen, zu gucken, zu sprechen habe. Und vor allem bizarr schminken. Ich war ja immer sehr aufgebrezelt, Fetisch-Fetisch-Fetisch, von den höchsten Schuhen bis zur Maske, vom Handschuh bis zum Nahtstrumpf. Ich erinnere eine Situation, wo ich nach der Zeitumstellung ungeschminkt ins Studio kam und einen Gast traf, der zu früh kam Der fragte mich, ob ich krank sei. Es ging mir aber sehr gut. Das heißt, ich hatte verstanden, dass ich wieder alles machen musste, was Männer sagen.
Die meisten Frauen können diesen Gedanken nicht zulassen. Die Frauen hassen mich dafür, wenn ich ihnen sage, dass sie genau das tun, was die Männer wollen.
Auch die Männer, die nicht zu Prostituierten gehen, wissen, sie könnten. Sie könnten sich eine Frau leisten. Was für ein Nervenkitzel! Und der Knackpunkt ist immer die Freiwilligkeit, der Mythos der Freiwilligkeit. Ein Tabu. Der Freier meint, die Frau will genau das auch. Das ist zentral, daran rütteln, heißt, sich überall unbeliebt zu machen. (…)“
Ellen wusste, dass die Freier im Grunde „beschissen“ worden sind durch das Postulat von der sexuellen Selbstbestimmung, durch die Enttabuisierung und letztlich auch von der Legalisierung der Prostitution. Denn dadurch fehlt dem Freier der Kitzel, der Reiz des Verachteten.
Peinlich und verlogen nannte sie alle Bemühungen, die „Rahmenbedingungen von sexuellen Dienstleistungen“ (weder mein noch Ellens Ausdruck) zu verbessern.
Ellen hat es niemandem bequem gemacht. Sie hat der von der Gegenwelt der Prostitution faszinierten bürgerlichen Welt unbequeme Fragen gestellt, hat auf Prostituierten-Biographien voller Gewalt hingewiesen, hat den in dieser bürgerlichen Welt so gerne benutzten Begriff der „Sex-Arbeit“ als einen verharmlosenden Begriff bloßgestellt, ist auf die Veränderung in den Gewerblichen Anzeigen eingegangen, die seit dem (neuen) Prostitutionsgesetz aus dem Jahre 2001 für ungeschützten Sex („pur“, „Natur“) werben. Und dass die nun noch frauenverachtendere Sprache Folgen für alle Frauen hat.
Das Prostitutionsgesetz wurde am 20. Dezember 2001 verkündet – genau neun Jahre vor Ellens Tod, die dieses Gesetz für gänzlich verkehrt hielt. Sie äußerte dazu: „Eine Zäsur, eine Veränderung in der Prostitution fand mit dem neuen Prostitutionsgesetz, mit der dadurch gesetzlich legitimierten Legalisierung der Prostitution statt. Davor gab es keine ‚unsafen‘ Anzeigen. Vorher haben die Freier die Frauen schon mal gesiezt. Sie haben höflich gefragt, ‚Könnte ich das bitte ausleben?‘ oder ‚Ist das möglich?‘ Das gibt es gar nicht mehr. Wen wir bestimmte Praktiken ablehnen, kommen nun Kommentare wie: ‚Das ist doch jetzt ein Beruf, wieso machst Du das nicht?‘ Auch gibt es jetzt Männer, die ihre Frauen für ein paar Stunden schicken wollen und fragen, wie viel die dann verdienen können.
Die Nachfrage wird immer größer. Bei der Prostitution richtet es sich nicht nach Angebot und Nachfrage. Es ist genau umgekehrt, Nachfrage und Angebot. Und es gab auch noch nie so viele Prostituierte wie genau jetzt, all die Frauen aus dem ehemaligen Ostblock, Rumäninnen, Bulgarinnen zum Beispiel. Die Preise waren noch nie so niedrig. Und noch nie gab es so viel Werbung für kondomfreie Prostitution.
Die Millionen von SM-Seiten im Internet sind unsere größte Konkurrenz. Seit der Legalisierung ist das Geschäft ganz rapide nach unten gegangen, denn nun schießen ganz legal SM-Clubs wie Pilze aus dem Boden. Clubs, in denen es für 35 Euro Eintritt alles gibt. Natürlich war SM vorher nicht verboten, aber das neue Prostitutionsgesetz hat mit für ein anderes Klima gesorgt. Es sorgte mit für die allgegenwärtige Übersexualisierung.
Die Legende, es handele sich bei SM-Kunden nur um reiche und einflussreiche Männer hält sich hartnäckig. Doch es sind Männer aller Schichten. Von 18 bis 85 Jahren. Familienväter, quer durch die Gesellschaft, sie kommen aus Ost und West. Ich denke, dass 90 Prozent liiert, sind. Die meisten beschweren sich über ihre Frauen, zum Beispiel, dass die nicht gern Strapse anziehen, keine Gasmaske aufsetzen möchten.
Ich denke, dass ein Drittel aller Männer grundsätzlich zu Prostituierten geht, ein Drittel ist schon mal gegangen, ein Drittel geht nie. Bei mir sind bestimmt 90 Prozent der Männer Stammgäste.
Die Frauen sagen ‚Scheiß-Freier‘. Und die Männer sagen ‚Scheiß-Nutten‘. So einfach ist das. Meiner Überzeugung nach sind alle Bordelle Stätten der Verachtung. Die Freier verachten die Huren und die Huren verachten die Freier.
Aber so soll das Kapitel nicht enden. Das ernste Fazit: Das SM-Studio ist ein Ort, in dem unglückliche Frauen auf noch unglücklichere Männer warten, damit sie sich gegenseitig weh tun können. Und die ersteren ihre Miete zahlen können.“
Vita von Anna Kapelinski und Aufzeichnungen von Wiebke Johannsen