Britta Neander
(29.6.1956 Hamburg - 14..12.2004 Berlin)
Musikerin
Isestraße 23 (erste Wohnadresse)
Aufgewachsen ist die Tochter des Journalisten Joachim Neander zunächst in Hamburg. Die Familie wohnte später in Rodgau bei Frankfurt am Main – bundesweit bekannt durch die 1977 gegründete Rockband „Rodgau Monotones“. Dort ist ihr Bruder Albrecht "Ali" Neander Gitarrist.
Früh zog es auch Britta in das Herz der damals alternativen Musikszene, als Teenager ging sie nach Berlin: „Berlin war Anfang der 1970er Jahre ein Magnet für alle, die weg wollten aus der westdeutschen Provinzialität (...). Auf den wenigen Fotos, die es von ihr gibt, schaut sie immer zur Seite, in irgendeine weite Ferne. Als sei sie in Gedanken schon auf dem Weg dorthin: Weit weg. ‚Alles verändert sich, wenn du es veränderst’, heißt eine Textzeile der Band ‚Ton, Steine, Scherben’. Britta Neander hat zu den ‚Scherben’ gehört, wie die kultig verehrten Agit- und Romantikrocker genannt werden. Und dann doch wieder nicht so richtig. Denn es gab dezente Unterschiede in dieser Welt lautstark propagierter Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit und Solidarität. Am Ende gaben in ihr doch wieder ein paar coole Jungs den Ton an. Sie leisteten sich Allüren, sie höhlten die Ideale von innen aus, sie kehrten sie um.
Als Britta Neander 1974 zu der Gruppe stieß, lebten die Scherben in einer regelmäßig von Polizeirazzien heimgesuchten Großkommune mit wechselnder Belegschaft und ebensolchen Binnenbeziehungen. Zwar verknallte sich die attraktive Blonde in Sänger Rio Reiser, eigentlich Ralph Möbius. Der aber war schwul. Den Eintritt in die Rock-Kommune verschaffte ihr der Gitarrist R.P.S. Lanrue, der bürgerlich Ralph Peter Seitz hieß und ebenfalls aus der hessischen Scherben-Heimat Rodgau stammte. Man machte zusammen Musik, kiffte, politisierte – und darbte, weil die Absage an den Kommerz der Plattenfirmen einherging mit stetem Geldmangel. Karriere-Ambitionen hätte sich das Band-Kollektiv ohnehin nicht leisten dürfen. Auch da war das antikapitalistisch gefestigte Umfeld vor. (...)
Bei den Scherben war Britta Neander, die Mädchenhafte, eine Art Mädchen für alles: Tour-Organisatorin, Buchhalterin, Background-Sängerin, Percussionistin und Schlagzeugerin. Zwar posiert sie mit auf den Fotos der Band, etwa auf dem Albumcover von ‚Wenn die Nacht am tiefsten...‘ - aber eines durfte sie nie: in die erste Reihe.
Das änderte sich erst im nordfriesischen Fresenhagen, wohin die Kommune vor dem zunehmend frustrierenden Berlin – politische Vereinnahmung, künstlerische Stagnation, abgestellter Strom – flüchtete.
Auf dem Bauernhof lösten sich Britta Neander und ihre Mitstreiterinnen aus dem männerdominierten Kosmos der Scherben und gründeten 1979 mit ‚Carambolage’ eine der ersten deutschen Frauenrockbands“ – nach den „Flying Lesbians“, gegründet 1974 als erste Frauenrockband in Europa (zitiert nach: Oliver de Weert, Die Stille in der zweiten Reihe, in: Die Welt v. 24.12.2004, www.welt.de/print-welt/article360452/Die-Stille-in-der-zweiten-Reihe.html).
1988 spielte sie zusammen mit ihrer Freundin Christiane Rösinger in der Band „Lassie Singers“ und gründete neun Jahre später mit Christiane Rösinger eine Frauenband unter ihrem eigenen Vornamen „Britta“. „Kuschenlriot aus Berlin“ lautete die erste Britta-Parole; melancholischer Aufruhr als erwachsene Ergänzung der zornigen Grrl-Bewegung (CDs „Irgendwas ist immer“ 1999 und „Kollektion Gold 2001): „Mittlerweile, es waren die späten Neunziger, spielte Britta immer noch oder schon wieder Schlagzeug; in der eigens nach ihr benannten Lassie-Singers-Nachfolge-Band Britta. Und Britta, die Band, nahm gerade ihr Debut-Album ‚Irgendwas ist immer‘ in einem Hamburger Studio auf. Die Monate vergingen. Es sollte schließlich eine große Platte werden. Ich und meine damaligen Bandkolleginnen von Parole Trixi trafen uns fast täglich mit den Brittas, Christiane Rösinger, Julie Miess und eben sweet Britta, in einem Hamburger Szenecafé, wo wir – was die Jungs können, können wir schon lang! - extra einen Musikerinnenstammtisch gegründet hatten. Britta saß meistens gedankenverloren und aufmunternd zugleich dabei und strahlte aus, dass wir uns alle gar nicht so aufregen müssen. So ist es halt, das Leben, die Liebe, die Studiokosten. Die Schulden“. So erinnerte sich die fast 20 Jahre jüngere Musikerin und Autorin Sandra Grether in ihrem Nachruf (Die Tageszeitung TAZ v. 18.12.2004).
Und wie fühlte es sich an, dieses Leben im scheinbar unabhängigen weiblichen „Präkariat“? „Mehr oder weniger selbst gewählte Armut gehörte früh zum Leben von Britta Neander – moralisch einwandfrei, aber auf Dauer eine Belastung. Eine Mitstreiterin aus ihrer späteren, letzten Band ‚Britta’ bezeichnete die Existenzform als ‚Freelance-Proletarier’. Da war von Ideologien, Revolutionen und Krieg den Palästen schon lange nicht mehr die Rede. Eher von nüchternen Bilanzen erwachsen gewordener, lebensgereifter Frauen“ (Oliver de Weert, Die Welt v. 24.12.2004).
Immerhin war ein derartiger Werdegang für Frauen ihrer Generation alles andere als selbstverständlich: „Sie war so freundlich und mädchenhaft, dass man sie zwischendurch gern mal in den Arm genommen hätte. (...) Britta Neander, so schien es, hatte ‚unsere’ Utopien schon in den Siebzigern durchlebt und auch ein bisschen wahr werden lassen: Sie musste nicht mehr durchdrehen in dieser Rockwelt, in der Schlagzeugerinnen auch im aktuellen Jahrtausend noch superselten sind. Denn Britta war kühn vorangegangen (...). Hingebungsvoll lauschten wir ihren Geschichten aus den für uns unerreichbaren Siebziger- und Achtzigerjahren. ‚Unfassbar, sie hat echt bei den Scherben gespielt. Sogar auf der schwarzen Scheibe der Scherben. Sogar in Fresenhagen. Und dann auch noch tatsächlich, 1979, Carambolage, eine der ersten deutschen New-Wave-Girlbands gegründet’. – ‚Carambolage’, den Namen kannte ich noch aus der Bravo. Deren Songs handelten nicht mehr von Revolution, sondern so angenehm panisch zum Beispiel von verloren gegangenen Lippenstiften. Wie man es von einer Vorreiterin des in den Neunzigern hoch gehandelten Lipstickfeminismus eben erwartete“ (Sandra Grether, TAZ v. 18.12.2004).
Als Mutter einer Tochter engagierte sich Britta Neander auch selbst für Kinder. Sie hielt sich mit der Arbeit in einem Streichelzoo auf einem Kinderbauernhof finanziell über Wasser – oder auch mit Sozialhilfe, malte, gestaltete hochwertige Bleiglaslampen und dekorierte mit großflächigen Bildern so manche Kneipe in Berlin. Zudem illustrierte Britta Neander Kinderbücher, zum Beispiel das mit Ruth Vogel entstandene Bilderbuch „Pick und die kleine Wolke“, das mit einer Animation von Rudolf Rössner und Musik von Karl Heinz Schlösser 1990 als Kurzfilm vom ZDF ausgestrahlt wurde.
Britta Neander starb 48-jährig nach einer Herzoperation in Berlin. Ihre schwere Herzerkrankung war erstmalig im Alter von 13 Jahren aufgetreten (Thomas Loy, Der Tagesspiegel, 15.4.2005).
Text: Dr. Cornelia Göksu