Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Karin Stilke Karin Stilke, geb. Lahl

(1.3.1914 Bremen - 2.5.2013 Hamburg)
Deutschlands erstes Fotomodell; Stifterin
Magdalenenstraße 27 (Hamburger Wohnadresse)
Bestattet auf dem Flottbeker Friedhof, Stiller Weg 28 , Grablage: GW-12


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Fotomodell Karin Stilke in einem professionellemb Modeshooting ("Braune Filzkappe – Modell Gurau-Friedrichs") mit Fotografin Yva, um 1938 in Berlin; Foto: Yva (murdered in 1942), gemeinfrei, via Wikimedia Commons

„Lernt erst mal was Anständiges, macht einen Schulabschluss. Modeln ist ein Spaß, das sollte man so nebenbei machen. Euren Beruf könnt Ihr erst an den Nagel hängen, wenn ihr soviel verdient wie die Schiffer“, riet sie Anfängerinnen im Modeljob. Karin Stilke war früher einmal in Deutschland das, was sich heute Topmodel nennt – als an Magersucht- und High-Heel-Zirkus aber noch nicht zu denken war. „Man zog sich an, trug noch etwas Lippenstift auf und machte viele Bilder. Vormittags Dolmetscherschule, nachmittags drei bis vier Kleider – fertig“. So lakonisch beschrieb die 97-Jährige in einem Interview rückblickend ihren Tagesablauf.
Bevor sie Fotomodell wurde, hatte sie von 1921-1925 die Volksschule in Bremen besucht, dann von 1925 bis 1931 ein Lyzeum in Bremen und von 1931 bis 19832 eine Bremer Höhere Handelsschule. (Staatsarchiv Hamburg, 221-11_77386)
In den 1930/40er und 50er Jahren wurde sie zur Stilikone. Statuarisch posierte sie in strengen grauen Kostümen, präsentierte „Straßenanzüge“ mit dreiviertellangen (Hosen-)Röcken aus englischer Tuche mit tiefen Kellerfalten, im Jackett mit raffiniertem Pelzbesatz, darunter Schalkragenbluse aus Seidenbrokat. In den frühen fünfziger Jahren strahlte sie der jungen Bundesrepublik von Litfaßsäulen entgegen und warb in Badeeinteilern für die „schlanke Linie“, wurde mit Hamburger Kosmetikmarken und amerikanischen Zigarettensorten zum stilbildenden Frauentyp der Nachkriegsära.
Entdeckt wurde die Schülerin 1936 in Berlin: „Ich spazierte auf dem Kurfürstendamm, als mich die Fotografin Yva ansprach und fragte, ob sie Aufnahmen von mir machen könne“, erzählte sie in einem Interview. „Zwei Tage später wurden die Fotos gemacht, das Geld gab es hinterher gleich auf die Hand ... Ich schminkte mich selbst, wobei es damals nur Theaterschminke und Nivea gab“. (Mode und Fotografie fanden sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts; der bürgerliche Name der Mode- und Aktfotografin Yva lautete Else Ernestine Neuländer-Simon, 1990 Berlin – 1942 Vernichtungslager Sobibor. Helmut Neutädter, später als Helmut Newton weltberühmt, begann 1936 in ihrem Atelier seine Fotografenlehre). 1937 folgten Karins erste Bademoden-Shootings, „danach stand mein Telefon nicht mehr still“. Ihre Bilder zierten die Titel und Modestrecken in den stilbildenden Modeblättern wie „Elegante Welt“ oder „Die Dame“ aus dem Ullstein Verlag. Der Zeitschrift „Film und Frau“ verlieh sie in den 50er Jahren ihr Gepräge zwischen Etuikleid, Wasserfall-Robe und Trenchlook.
In scherenschnittartiger Körpersilhouette und natürlich-anmutigem Mienenspiel eine inszenierte Geschichte zur sprechenden Momentaufnahme zu machen: Das wurde ihre Spezialität! Mit ihren Bildern lässt Karin Stilke uns eintauchen in versunkene Modeepochen und Layout-Stile: Puristisch, naturalistisch, à l’oriental, die Kulissen als Zitate von Kunstgeschichte bis film noir; isolierte Szenen aus Modesport und Zeitgeschehen, gefroren zu abstraktem Kammerspiel und nature morte – perfekt komponiert in der unendlichen Dramaturgie von Schwarz-Weiss.
Ganz anders die Welt der gedruckten Anzeigen-Kampagnen: Sie bewarb, ja verkörperte Kosmetik wie Kaloderma, Stora – Sonnenschutz ohne Fett und Öl oder elegante Damenblusen von JORA; verhalf per Exklusivvertrag der Synthetikfaser „Ninoflex“ zur Alltagspopularität. Nach ihrer Entdeckerin Yva machten so berühmte FotokünsterlerInnen wie Imre v. Santho, Sonja Georgi, Ilse Flöter, Elisabeth von Stengel, Martin Munkàcsi (für Harper’s Bazaar), Charlotte Rohrbach (bewarb mit ihr den Karman Ghia von VW) oder der Hamburger Modefotograf und Sammler F.C. Gundlach sie zu einer Marke.
1938 lernte das schon berühmte Mannequin ihren Gatten, den Buchhändler Georg Stilke, auf einer Party in Berlin kennen. Stilkes Großvater hatte die glänzende Idee gehabt, in Bahnhöfen Buchhandlungen einzurichten. An seiner Seite erlebte sie zwischen 1941 bis 1978 die mondäne Welt. Aus der Berliner Intellektuellenszene war sie mit Künstlern wie Erich Kästner, Josef von Sternberg oder Vladimir Nabokov vertraut. In Venedig kochte und posierte Marlene Dietrich mit ihr. Erich Maria Remarque war ein langjähriger Weggefährte. Als prominente Gattin eines ebenso gesellschaftsbekannten „Vierteljuden“ in Berlin erinnert sich Karin Stilke: „Das Dritte Reich war eine fürchterliche Zeit. Man wusste nie, wem man vertrauen kann, was die Nazis sich als nächstes ausdenken. Ich hatte zuvor Leni Riefenstahl kennengelernt und an ihr gesehen, wie schwer es ist, wieder rauszukommen, wenn man den Nazi-Größen einmal nahe ist“. (SZ v. 15.9.2008). Karin Stilke trat in der NS-Zeit keiner NS-Organisation bei. (Staatsarchiv Hamburg, 211-11_77386)
Anfang der 1950er Jahre ließ sich das Ehepaar Stilke in Hamburg nieder. 1991 gründete Karin Stilke die „Georg und Karin Stilke Stiftung für Kunst und Senioren“, aus deren Mitteln auch das historische Schloss Ringelsdorf, bei Genthien/Magdeburg (aus dem Besitz der Familie Stilke) in der damaligen DDR erhalten wurde. Mit diesem „Märchenschloss“ verbanden sie schicksalhafte Erinnerungen. Das von Architekt Christian Pütz entworfene Stilke Haus in der Heimhuder Straße 92 beherbergt die Diakonie- und Sozialstation der Kirchengemeinde St. Johannes.

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Grab Karin Stilke, Quelle: kulturkarte.de/schirmer

Im Mai 2013 verstarb die mittlerweile erblindete Karin Stilke mit 99 Jahren. 100 duftende Rosen schickte Karl Lagerfeld als langjähriger Bewunderer der Grande Dame als letzten Gruß. Sie wurde auf dem Friedhof Groß Flottbek, Stiller Weg 28, beigesetzt.
Eine bildschöne ausführliche Autobiografie im Plauderton hatte sie für ihre 2008/2009 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gezeigte Retrospektive verfasst. Getreu dem Titel „Ich bin ein Sonntagskind“ steht ihr Werdegang exemplarisch für ein Jahrhundert und die Anfänge ihres Berufes.
Text: Dr. Cornelia Göksu