Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Elfriede Thunsdorff-Mollenhauer

(29.10.1902 Hamburg – 8.7.1994 Weinhheim an der Bergstraße)
Gegnerin des NS-Regimes, Im Widerstand (KPD)
Hans-Much-Weg 1 , 4. Etage (Wohnadresse von 1938 bis zur Ausbombung 1943)
Aberndrothsweg 21 (nach der Ausbombung Wohnadresse)


Der Vater, Emil Heinrich Carl Mollenhauer (1871-1935), war gelernter Sattler, verdiente aber sein Geld in Hamburg als Straßenbahnschaffner. Da das wohl nicht für eine Familie mit 6 Kindern ausreichte, betrieb seine Frau, Paula Hertha Emma Mollenhauer geb. Schönau (1877-1944), nebenher ein kleines Fischgeschäft. Elfriede (Emmi Agnes) wurde zusammen mit ihrem Zwillingsbruder Robert am 29.10.1902 als drittes bzw. viertes Kind geboren. Sie besuchte die Hauptschule und beendete diese mit gutem Abschluß 1917, an eine weiterführende Schulausbildung war aus finanziellen Gründen nicht zu denken. Das war erst später für ihren jüngsten Bruder Hans möglich. Aber Bildung galt trotz der sog. "einfachen Verhältnisse" etwas in der Familie. Elfriede besuchte nach der Schule für 6 Monate das "Handels-Lehr-Institut Dankers" und war anschließend bis 1925 in einigen Firmen als Kontoristin und Stenotypistin tätig. Danach wechselte sie wohl - nicht schriftlich belegt, nur aus den Erzählungen bekannt - zur Firma Ruberoid in Hamburg und war dort, bis zu ihrer Verheiratung 1940 als Sekretärin, viele Jahre davon als Chefsekretärin, tätig.
Bereits als junge Frau erschloß sie sich lesend die gesamte damalige Weltliteratur, sie ging ins Schauspielhaus, besuchte viele Konzerte und war häufiger Gast im Hamburger Opernhaus - sie liebte die Musik Verdis und lehnte Wagner ab, auch wegen seiner Musik, die sie nicht so mochte, vor allem aber, weil sie seine antisemitische Haltung nicht akzeptieren konnte. Politisches Kabarett faszinierte sie, genauso wie Kurt Tucholsky, "Die Weltbühne" gehörte zu ihrem regelmäßigen Lesestoff. Für die damalige Zeit ungewöhnlich waren Ihre sportlichen Aktivitäten: Wie bei ihrem Zwillingsbruder Robert und später bei ihrer jüngeren Schwester Paula, war es die Leichtathletik, der sie sich widmete, insbesondere der Dreikampf hatte es ihr angetan; 1921 war sie Norddeutsche Meisterin über 100 Meter (wohl auch noch in anderen Jahren - aber dafür gibt es keine Dokumente mehr). Ihr Zwillingsbruder Robert war ein hervorragender Hürdensprinter und Staffelläufer, Paula gewann 1936 bei der Olympiade in Berlin die Bronzemedaille im Diskuswerfen, während Emil Kunstturner war. Die Sportlerfamilie Mollenhauer war damals bekannt in Hamburg, was Elfriede M. später wohl das Leben rettete.
Nach der Machtübernahme der Nazis schloß sie sich sofort der illegalen KPD-Ortgruppe Hamburg an; sie sah dies als einzige Möglichkeit aktiv Widerstand zu leisten. Als Anhängerin von Gandhis Ideen war ihr ein gewaltfreier Widerstand wichtig, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass die NSDAP ein gewalttätiges Regime führen würde und jeder Widerstand ein hohes persönliches Risiko bedeutete. In der Bestätigung, die sie sich nach dem Krieg vom damaligen Leiter dieser Gruppe in den Jahren 33/34, Walter Hochmuth, geben ließ, steht: "Ihre Tätigkeiten lagen vor allem darin, Schreibmaschinen, Schreibmaterial, Wachsbogen zur Vervielfältigung usw. zu beschaffen. An dem Vertrieb der illegalen Druckerzeugnisse ("Hamburger Volkszeitung", "Der Klassengewerkschaftler" und Flugblätter) hat sie sich eifrig beteiligt. Sie sorgte auch für die Unterbringung illegal tätiger Genossen."
Diese ihre Tätigkeit im Widerstand nahm - vermutlich - um 1937 ein jähes Ende: Als sie zufällig aus dem Fenster ihrer Wohnung schaute, sah sie unten auf der Straße die Gestapo vorfahren. Schnell sagte sie zu ihrem Bruder Emil, der auch gerade in der Wohnung war: "Die Gestapo kommt, meine Schreibmaschine muß verschwinden!" Ihr Bruder schaute sie verwundert an und antwortete: "Ach - du auch?" (Auch er war in einer Widerstandsgruppe tätig - aber sie wußten es nicht voneinander!) Er nahm die Schreibmaschine, verschwand über die Hintertreppe und versenkte sie von der Brücke der Hoheluftchaussee in den Isebek-Kanal, während die Gestapo über das Haupttreppenhaus in die Wohnung kam. Elfriede M. hatte als Druck ein Bild von Käthe Kollwitz in ihrem Zimmer hängen, was einen der Gestapo-Leute zu der Bemerkung veranlasste: "Und die Kollwitz hat sie da auch hängen!" Die Wohnung wurde durchsucht, einige Bücher beschlagnahmt und Elfriede Mollenhauer zum Verhör ins Haus der Gestapo gebracht. Dort führte man sie durch lange Flure und Räume, die Türen wurden jeweils vor ihr aufgeschlossen und hinter ihr wieder abgeschlossen - jeder Fluchtversuch unmöglich. "Ich habe konstant gelogen und da ich zur stadtbekannten Sportlerfamilie Mollenhauer gehörte, hat man mir wohl geglaubt", erzählte sie später. Dass ihr jüngster Bruder Hans - derjenige mit der besten Schulausbildung - in der Zwischenzeit Mitglied der SS war, hat wohl auch zur "Glaubwürdigkeit" der Aussagen beigetragen.
Bald danach hat sie den Mathematiker Dr. Hans Thunsdorff kennengelernt, der in Berlin beim Verband Öffentlicher Versicherer als Abteilungsleiter und Revisor tätig war. Die zwei befreundeten sich, nicht zuletzt wegen ihrer politischen Ansichten. (Aus dieser Zeit ist die Aussage des Verbandsleiters beurkundet: "Thunsdorff kann nicht Direktor werden, da er politisch unzuverlässig ist.") 1940 beschlossen die beiden zu heiraten, um in der schwierigen Zeit besser zusammenstehen zu können. 1943 wurde - völlig unerwartet und nicht geplant - ihr einziger Sohn Peter geboren, Elfriede Thunsdorff-Mollenhauer war 41 Jahre alt.
Elfriede T. hat in der nationalsozialistischen Zeit viele ihrer Freunde verloren, entweder sie fielen im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner, im 2. Weltkrieg oder sie wurden umgebracht in den Konzentrationslagern, weil sie Juden waren (s. hierzu links den Schaltknopf “Wider das Vergessen”).
1946 wurde Hans Thunsdorff zum Generaldirektor der Provinzial-Versicherungen in Hannover ernannt, weil man auf Veranlassung von Dr. Kurt Schumacher, dem Vorsitzenden der SPD in Deutschland, die Stelle mit einem politisch unbelasteten Fachmann besetzen wollte. Elfriede Thunsdorff kehrte nicht mehr in das Berufsleben zurück; da es ihrem Mann um 1950 für längere Zeit gesundheitlich nicht gut ging, nahm sie Kontakt zum biologisch-dynamischen Landbau auf und kümmerte sich auf 5000 qm Garten um gesunde Ernährung der Familie.
1963 wechselte die Familie mit ihrem Wohnsitz von Hannover nach Männedorf am Zürichsee.
Elfriede Thunsdorff beobachtete die politische Entwicklung in Deutschland nach dem Krieg weiterhin mit großer kritischer Aufmerksamkeit. Mit Entsetzen nahm sie zur Kenntnis, dass
NS-Leute wie Oberländer und Globke in hohe politische Ämter kamen, dass NS-Juristen als Richter in der Bundesrepublik tätig waren und einer von ihnen, Filbinger, später sogar Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden konnte. Genauso kritisch sah sie die Gründung der Bundeswehr, da auch dort NS-Offiziere in hohe Positionen kamen. Erst später, beginnend mit Brands neuer Ostpolitik, setzte sich bei ihr die Überzeugung durch, dass Deutschland auf einem guten Weg war. Die Wiedervereinigung erlebte sie als Erfüllung eines kaum für möglich gehaltenen Traumes.
Um in der Nähe ihrer Enkel zu sein, zogen Elfriede und Hans Thunsdorff 1976 nach Weinheim an der Bergstraße. Elfriede T. verstarb am 8. Juli 1994. Hans T. am 14.12.2000.
Text: Peter Thunsdorff

Ergänzungen aus Originalquellen:
Im Oktober 1941 bekam Elfriede Thunsdorff ein Schreiben vom Polizeipräsidenten mit Sitz am Neuenwall 88. Elfriede Thunsdorff war am 11. Juni 1940 in Reinbek „in Hosen mit Herrenschnitt betroffen worden“. In dem Schreiben heißt es: „Es wird in der letzten Zeit in immer größerem Umfange bemerkt, daß sich Frauen und Mädchen in Herrenhosen in der Öffentlichkeit zeigen. Dies wird von weiten Kreisen der Bevölkerung in der heutigen Kriegszeit als würdelos empfunden und beanstandet. Das gesunde Volksempfinden hält es mit den moralischen Pflichten der deutschen frau in dieser ernsten Zeit nicht vereinbar, wenn sie derartig lächerlichen und egschmacklosen Modetorheiten verfällt in der Absicht, um jeden Preis auf der Straße, in Lokalen oder in Filmtheatern aufzufallen.
Frontsoldaten, die aus dem schweren Kampf um Sein und Nichtsein des deutschen Volkes auf Urlaub kommen, haben kein Verständnis für ein derartiges Auftreten der Frauen in der Heimat. Jede Frau hat sich zu bemühen, daß ihr Verhalten die Grenzen von Würde und Takt nicht überschreitet.
Der Einwand, daß lange Hosen mit Herrenschnitt in vielen Fällen aus sportlichen oder Zweckmäßigkeitsgründen getragen werden müssen, dürfte nur in Ausnahmefällen stichhaltig sein, z. B. wenn eine berufliche Notwendigkeit vorliegt (Eisenbahnerinnen, im Luftschutzdienst, Gartenarbeit). In allen anderen Fällen, z. B. auf dem Wege von und zum Sport, beim Radfahren, liegt ein solcher Anlaß nicht vor, vielmehr erfüllt ein Kleider- bzw. Hosenrock denselben Zweck.
Daß gegen das Tragen von Hosen bei der sportlichen Betätigung selbst nicht eingeschritten wird, ist selbstverständlich.
Die vorerwähnten Gründe haben mich daher veranlaßt, die mir unterstehenden beamten anzuweisen, gegen dieses beschämende Umwesen einzuschreiten. Ich erwarte, daß auch für Ihren Fall die vorstehenden Erklärungen ausreichen und sie Ihnen genügen, um die Aufforderung des Polizeibeamten zu verstehen und das Volksempfinden zu respektieren.“