Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Lotte Labowsky Dr. Lotte Labowsky

(23. 4.1905 Hamburg – 28.7.1991 Oxford/England)
Wissenschaftlerin, Philologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.)
Heilwigstraße (Wirkungsstätte)
Agnesstraße 23 (Wohnadresse)


4249 Lotte Lobowsky
Lotte Labowsky, Bild: www.some.ox.ac.uk/news/transcript-of-jan-royalls-lecture-on-the-shoulders-of-giants-somervilles-women-pioneers/

Lotte Labowsky,1933/34 mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K B.W.) von Hamburg nach England emigriert, zählt zu den bisher weniger bekannten Gelehrten des Warburg-Kreises. Die Auffindung ihres brieflichen „Nachlasses“ im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Nachlass Raymond Klibanskys) ermöglicht neue Einblicke in die Geschichte der K.B.W. und ihres philosophiegeschichtlichen Forschungsprogramms im englischen Exil.
Mit der Monografie von Regine Weber aus dem Jahr 2012 wird das Leben der ebenso produktiven wie engagierten Wissenschaftlerin endlich sichtbar. Über 550 Briefe von Lotte Labowsky an Klibansky, geschrieben zwischen 1927 und 1991, „zeugen von intensiver Arbeitsgemeinschaft und Freundschaft eines transnationalen Gelehrtenpaars im 20. Jahrhundert. Mit dem melancholischen Schluss, es schiene, als sei 'das Leben ihr etwas schuldig geblieben', ist es Regina Weber aber vielleicht gelungen, ein exemplarisches Beispiel für die karrieretechnischen Hürden vorzulegen, vor denen Wissenschaftlerinnen mit Labowskys Exilantenschicksal – aber auch häufig ohne dieses – standen“ (Ruth Heftrig 2013 in ihrer Rezension).
Lotte Labowsky entstammte dem jüdischen Teil des Hamburger Großbürgertums, das bildungsbeflissen und national gesonnen war Ihr Vater Dr. Norbert Labowsky (1876-1942) war ein angesehener Rechtsanwalt und gehörte bis 1933 dem Aufsichtsrat der Karstadt AG an. Die Mutter war Elly, geb. Salomon (Tochter von Jacob Salomon, gestorben 18.2.1929 in Hannover). Bis zu ihrer Vertreibung bewohnte die Familie eine Villa in der Agnesstraße im Stadtteil Harvestehude.
Lotte war die älteste von drei Schwestern. Sie besuchte zunächst Privatschulen und legte 1924 als Externe das Abitur am humanistischen Wilhelm-Gymnasium (offiziell wurden Mädchen dort erst ab 1953 zugelassen!) in Hamburg ab. Zunächst studierte sie drei Semester Jura in Freiburg, wechselte dann zur Klassischen Philologie in München und Heidelberg, wo sie, unterbrochen durch einen Studienaufenthalt an der Pariser Sorbonne, am 8. Dezember 1932 mit Summa cum laude bei Otto Regenbogen in Altphilologie promovierte.
Nach Abschluss ihrer Promotion arbeitete sie als unbezahlte wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.) in Hamburg. Der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg war es mit Hilfe des amerikanischen Zweiges der Warburg-Familie und aufgrund der Kontakte zum Academic Assistance Council (später: Society for the Protection of Science and Learning, SPSL) gelungen, die etwa 60.000 Bände umfassende Bibliothek im Dezember 1933 von Hamburg nach London zu überführen und dort ein Pendant zur Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg zu gründen, das Warburg Institute, welches 1943 der Universität London eingegliedert wurde.
Lotte Labowsky hielt sich in London mit befristeten und themengebundenen Stipendien über Wasser. Da sie mit einem Studentenvisum eingereist war, durfte sie in England nicht arbeiten und absolvierte deshalb ein zweites Studium der Gräzistik und Paläographie an der Universität Oxford. Seit damals war ihr Lebensweg eng verflochten mit dem des in Fachkreisen bekannteren Philosophiehistorikers Raymond Klibansky (1905-2005). Beide teilten sowohl ihr Forschungsfeld der mittelalterlichen Plato-Rezeption als auch eine enge Freundschaft und – zumindest eine Zeit lang – auch eine Liebesbeziehung.
Der für die ihre Monografie von Regina Weber ausgewertete Briefwechsel Labowskys mit Klibansky, der ebenfalls in Heidelberg studierte, „setzt im Wintersemester 1927/28 ein, das sie krankheitsbedingt im Hamburger Elternhaus verbrachte. Dem gleichaltrigen, aber im Gegensatz zu ihr jüdisch-orthodox erzogenen Studenten schrieb sie leidenschaftliche Briefe, die zugleich auch vom beginnenden fachlichen Austausch der beiden zeugen. Zu dieser Zeit arbeitete Klibansky als Student an der Cusanus-Edition der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit (20f.). Im Sommer 1926 hatte ein Semester in Hamburg die Weichen in seine wissenschaftliche Zukunft gestellt, als ihn Aby Warburg als Volontär im neuen Bibliotheksgebäude in der Heilwigstraße einstellte und erste Publikationen beförderte“ (Ruth Heftrig in ihrer Rezension 2013).
Im Oktober 1936 wurde unter der Leitung des General Editor Raymond Klibansky mit der Edition des „Corpus Platonicum Medii Aeviam Warburg Institute“, einer möglichst vollständigen Erfassung der lateinischen Plato-Rezeption im Mittelalter, begonnen. Dr. Lotte Labowsky wurde zu Klibanskys Assistentin ernannt und erhielt damit eine befristete Aufenthaltserlaubnis.
Weder das symbolische Gehalt noch Stipendien sicherte ihren Lebensunterhalt ausreichend, zumal sie bald ihre ebenfalls nach England emigrierten Eltern mit durchbringen musste. Ihre finanzielle Lage besserte sich erst 1943 durch die Anstellung als Bibliothekarin im Somerville College/Oxford Das Pendeln zwischen den Arbeitswelten in Oxford und London praktizierte sie fast bis zu ihrem Lebensende. 1946 wurde Labowsky britische Staatsbürgerin und 1956 erhielt sie endlich den akademischen Titel eines Master of Arts.
Als Klibansky 1947 einen Ruf nach Montreal annahm, blieb er weiterhin General Editor des Editionsprojektes. De facto übernahm Labowsky einen Großteil seiner Aufgaben, auch die wissenschaftlichen, und fungierte als Bindeglied zwischen dem Herausgeber, der stets im Rampenlicht stand, und dem Warburg Institute. Im März 1961 erhielt sie eine Verlängerung ihres Stipendiums am Somerville College. Immer blieb sie mit dem Warburg Institute in Verbindung, und das gilt vor allem für die Arbeit am Corpus Platonicum, dessen Hauptlast sie trug, da Klibansky meist in Kanada lebte. Erst mit ihrer definitiven Übersiedelung ins Somerville College kam sie wieder zu eigenständigerer Arbeit.
Die Wissenschaftlerin verstarb 1991 in einem Altenheim in Oxford. Kurz vor ihrem Tod hat sie Prof. Dr. Rainer Nicolaysen, der heutige Leiter der Hamburger Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, besucht und befragt (vgl. seinen Bericht in Regina Weber 2012, S. 187-192).
Text zusammengestellt von Dr. Cornelia Göksu