Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Els Oksaar Prof. Dr. Dr. hc. mult. Els Oksaar, geb. Järv

(1.10.1926 Pärnu/heute Estland, ehemals Pernau/Livland – 9.12. 2015 Hamburg)
Estnisch-schwedisch-deutsche Linguistin; Professorin für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft
Parkberg 20 (Wohnadresse)
Bestattet auf dem Friedhof Volksdorf, Duvenwischen 126, Grablage: Af 75


Els Oksaars sprachwissenschaftliche (linguistische) Forschung war stark vom eigenen Lebensweg geprägt. Als Kind estnischer Eltern wuchs sie in Schweden auf, begann aber ihre wissenschaftliche Karriere in Deutschland. An der Universität Stockholm studierte sie Germanistik, Anglistik und Slavistik; an der Universität Bonn ergänzte sie ihre wissenschaftliche Ausbildung durch die Fächer Allgemeine Sprachwissenschaft, Phonetik und Kommunikationswissenschaft. 1953 promovierte sie in Bonn, ihre Habilitation erfolgte 1958 in Stockholm. Dort war sie auch zunächst als Privatdozentin und außerordentliche Professorin für Deutsche Sprache und Literatur sowie als Leiterin der Abteilung für Sprachsoziologie und Politische Linguistik tätig, bevor sie 1967 nach Hamburg kam.
An der Universität Hamburg wurde 1967 sie Professorin für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft. Sie begründete und leitete die Forschungsstelle für Sprachkontakte und Mehrsprachigkeit und wurde deren erste Direktorin. Später gründete und leitete sie das „Zentrum für Interkulturelle Kommunikation“. „1992 entschied der Hamburger Senat, den Lehrstuhl von Els Oksaar nach ihrer Emeritierung nicht mehr neu zu besetzen, um die Mittel der Technischen Universität Hamburg-Harburg zukommen zu lassen“ (zit. Wiki-Artikel Els Oksaar).
Els Oksaar war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Institutionen des In- und Auslandes. Die Universitäten Helsinki (1986), Linköping (1987) und Tartu/Estland (1996) haben ihr Ehrendoktorwürden verliehen. 1988 berief der Bundespräsident die Professorin Dr. Dr Els Oksaar als erste Frau in den Wissenschaftsrat. Der Wissenschaftsrat ist das höchste Beratungs- und Gutachtergremium der Bundesrepublik Deutschland für die Bereiche Wissenschaft und Hochschulen.
Els Oksaar kam schon früh mit vielen Sprachen und Kulturen in Kontakt. Wissenschaftlich steht sie in der linguistischen Tradition von Roman Ossipowitsch Jakobson. Dieser russische Philologe, Linguist und Semiotiker beschäftigte sich besonders mit der Sprache von Kindern und in ihrer verbalen Ausdrucksweise eingeschränkten Menschen, den sogenannten Aphasikern.
Prof. Dr. Els Oksaar kennzeichnete ihre Arbeit als Pädolinguistik, die Untersuchung des Spracherwerbs bei Kindern, und zwar dort vor allem der kindlichen Mehrsprachigkeit. Ihr Hauptwerk stützt sich im Wesentlichen auf die Beobachtung der Sprachentwicklung ihres eigenen Sohnes (dort kommt er als ein „Hamburger Kind im Alter von drei Jahren“ vor), den sie mit gleichzeitig fünf Muttersprachen (Estnisch, Schwedisch, Deutsch, Englisch und Französisch) großzog. Ihr Sohn ist heute Anwalt in Hamburg.
Außerdem etablierte Oksaar die „Kulturem“-Theorie, die besagt, dass ähnlich wie verschiedene Sprachen den gleichen Gedanken auf verschiedene Weise ausdrücken, auch verschiedene Kulturen gleiche Kommunikationsformen auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen, und zwar als Kultureme (dieser Begriff wurde 1976 geprägt durch den spanischen Linguisten Fernando Poyatos. Gemeint sind z. B. die je nach Kultur unterschiedlichen Begrüßungsformen wie Händeschütteln oder Verbeugung).
Veröffentlichte Schriften von Els Oksaar sind beispielsweise:
– Els Oksaar: Spracherwerb - Sprachkontakt - Sprachkonflikt. Berlin 1984
– Els Oksaar: Kulturemtheorie. Ein Beitrag zur Sprachverwendungsforschung. Göttingen 1988. (= Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V. Hamburg 6,3 (1988).
– Els Oksaar: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2003.
In ihrer Rezension würdigte die Kölner Professorin Cristina Allemann-Ghionda die Bedeutung dieses Grundlagenwerks: „Das vorliegende Buch präsentiert sich als Einführung in eine Thematik, die in Zeiten der Migration, der Mobilität und der europäischen Integration in den Bildungsinstitutionen möglicherweise mehr Aufmerksamkeit findet als vor zwei oder drei Jahrzehnten. Laut der Autorin, einer international profilierten und vielfach ausgezeichneten Forscherin über Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt, interkulturelle Kommunikation sowie Fragen der Psycho-, Sozio- und Pädolinguistik, ist das aktuelle und vielschichtige Thema Zweitspracherwerb bisher ‚noch keineswegs allseitig thematisiert worden’ (S. 5). Um die vielfältigen Aspekte und Hintergründe annähernd adäquat darstellen zu können, sei es erforderlich, psychologische, soziokulturelle und gesellschaftliche Faktoren zu berücksichtigen.

4274 Grab Els Oksaar Volksdorf
Grab Els Oksaar, Quelle: Vitavia, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

In der Tat ist das Phänomen der Mehrsprachigkeit in der heutigen Zeit mitnichten marginal, sondern es wird davon ausgegangen, dass rund 70% der Menschen zwei- oder mehrsprachig sind. Über Zweitspracherwerb und Zweisprachigkeit, insbesondere über frühkindliche Zweisprachigkeit, wird seit den 1950er-Jahren im heutigen Sinne wissenschaftlich geforscht; vorher gab es vor allem Tiraden gegen die für Charakter und Intelligenz angeblich verheerenden Auswirkungen der Zweisprachigkeit. (...) Vielleicht ist dies mit ein Grund, weshalb mehrsprachige Kinder in ihrer schulischen Laufbahn oft missverstanden, vernachlässigt und selten angemessen gefördert werden. Vorurteile beherrschen die kollektiven Repräsentationen der Zweisprachigkeit. Eine systematische Einführung, die nicht nur für SpezialistInnen im engen Sinne gedacht ist und auch für die Lehre und die Lehrerbildung fruchtbar gemacht werden kann, hat im deutschsprachigen (nicht aber im angelsächsischen) Raum gefehlt, und in dieser Situation ist das Buch von Els Oksaar als ein willkommenes Ereignis zu begrüßen“ (Zitat aus: Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004), S. 437-439; online unter www.pedocs.de/volltexte/2011/4898/pdf/ZfPaed_2004_3_AllemannGhionda_Rezension_Oksaar_Zweitspracherwerb_Wege_zur_Mehrsprachigkeit_D_A.pdf; abgerufen am 16. Januar 2016)
Diese Kurzbiografie stellte Dr. Cornelia Göksu zusammen.