Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Anna Maria von Schürmann Anna Maria von Schürmann (auch van Schu(u)r(r)man)

(5.11.1607 Köln – 4.5.1678 Wieuwerd, Westfriesland)
Niederländische Universalgelehrte, für ihre Talente weithin bewundert als „Stern von Utrecht“
Kleine Johannisstraße, Altona (aufgehoben und überbaut 1960, lag ehemals zwischen heutiger Holstenstraße in NÖ-Richtung zur Paul-Roosen-Straße; Privatanschrift von 1772 bis 1774)


4278 Portrait of Anna Maria Van Schurman
Portrait von Anna Maria von Schürman (1649), Bild: via Wikimedia Commons, Jan Lievens (Maler) / gemeinfrei

Sie war eine Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit und sollte dies lange bleiben: Geboren wurde sie in Köln als Kind reformierter Eltern. Die Familie ihres Vaters, Friedrich van Schurmann (gestorben 1623), war 1550 vor den Spaniern über die Niederlande geflohen, weil die Familie dort im Zuge der Glaubenskriege Verfolgung zu befürchten hatte. Sie kamen nach Köln, wo protestantische Flüchtlinge zu der Zeit durchaus geduldet wurden. In Köln heiratete Friedrich van Schurmann die aus einer Jülich-Eifeler Adelsfamilie stammende Eva von Harff zu Dreiborn. Das Ehepaar bekam drei oder vier Kinder, Anna Maria blieb die einzige Tochter.
Seit 1623 lebte Anna Maria von Schürmann – nach Aufenthalten auf der elterlichen Wasserburg Dreiborn/Schleiden, heute Kreis Euskirchen – wieder in Utrecht und blieb unverheiratet. Bis dahin unterrichtet und unterstützt von ihrem Vater, sprach und schrieb die Hochbegabte schließlich zehn Sprachen: Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch/ Aramäisch und Äthiopisch. Zudem war sie erfahren in der Stickerei, der Glasmalerei, der Holzschneiderei und Kupferstechkunst, arbeitete als Malerin besonders als Porträtistin, war eine Virtuosin in der Musik, Dichterin, Geographin, Astronomin, Theologin, Pädagogin, Historikerin, Linguistin und Philosophin.
Sie widmete sich ganz der Wissenschaft und Bildung. Theologisch wurde sie beeinflusst von den konservativ-calvinistischen Lehren des Gisbert Voetius und korrespondierte mit vielen zeitgenössischen Gelehrten. Sie galt in den 1630er-Jahren als beste Latinistin des Landes und trat für das Frauenstudium ein, das sie nicht als emanzipatorische, sondern als religiöse Frage interpretierte. Ihre erste Denkschrift und die Hilfe des Gründungsdirektors der Universität Utrecht, Gisbert Voetius (1589-1676), ermöglichten ihr ab den späten 1630er Jahren als einziger Frau das Studium an der Universität – wenn auch in bizarrer Klausur: Streng getrennt von den männlichen Studenten durfte sie nur in einer vergitterten Zelle, der sogenannten loge grillée, an den Vorlesungen teilnehmen.
Ab 1632 erweiterte sich der illustre Kreis ihrer Brief- und Diskussionspartner_innen, zu denen so gegensätzliche Geistesgrößen wie der Philosoph und Naturwissenschaftler René Descartes und Kardinal Richelieu gehörten. Niederschlag fanden ihre Theorien und Gedanken in einer Fülle eigener Publikationen. Dann nahm ihr Leben eine Wende: Nach der Begegnung mit Jean de Labadie und ihren „Pensées“ über die „Notwendigkeit einer Reformation der Kirche“ (1669) schloss sie sich seiner in Amsterdam neu gegründeten und „urchristlich“ gestalteten Hausgemeinschaft an: In allen Menschen, das hieß auch: Männern wie Frauen, sei ein göttlicher Funke, den es in der spirituellen Erfahrung der Wiedergeburt zu entzünden galt (vgl. fembio). „Seine Anhänger, die Labadisten, wichen zwar äußerlich kaum von der Lehre der Reformierten Kirche ab, strebten aber einem katholisch-klösterlichen Lebensideal nach und lebten in Gütergemeinschaft von Händearbeit“ (Wiki, Jean de Labadie).
Mit 62 Jahren widerrief Anna Maria von Schürmann ihre früheren Schriften, in denen sie angeblich intellektuell eitel und gottesfern argumentiert und gelebt habe. Anstatt sich weiterhin spitzfindig philologisch mit der Gotteserkenntnis zu beschäftigen und nutzlos Wissen anzuhäufen, wolle sie sich nun der Aufklärung und Gemeindearbeit widmen. Dieser ungewöhnliche Schritt und die Abkehr von der Bürgerlichkeit sorgten unter ihren Bekannten für großes Aufsehen. Sie „wanderte“ mit den „Labadisten“ von Middelburg – damals fünftgrößte Handelsstadt der niederländischen Republik – nach Amsterdam und 1670 weiter nach Herford in Westfalen. Die dortige Fürstäbtissin Elisabeth von der Pfalz (1618-1680) war die hochgelehrte Tochter der Elizabeth Stuart, ehemals Kurfürstin der Pfalz und Königin von Böhmen. Eine Zeitlang konnte diese persönliche Freundin Anna Maria von Schürmanns (aus ihrer gemeinsamen Utrechter Ära) der Labadistischen Gemeinschaft Zuflucht gewähren.
1673 publizierte Anna Maria von Schürmann in Altona den ersten Teil ihrer Autobiographie „Eukleria“, in dem sie ihren Schritt hin zur labadistischen Sekte erklärte und verteidigte. Das damals dänische Altona nämlich bildete nach einer Zwischenstation in Bremen die nächste Station der Verfolgten. Sie landeten dort am 4. Juli 1672. Auf den 20. September ist eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung für die „Führungsriege“ mit Anna Maria datiert. Sie bezogen ein Haus auf „Eiffler’s Feld“, auf den weitläufigen Ländereien des Altonaer Bürgermeisters Hans Christian Eiffler, in der ehemaligen Kleinen Johannisstraße. Erst ein halbes Jahr später durften auch die übrigen Flüchtlinge aus Bremen nachziehen.
Zwei Jahre später, 1674, starb Labadie, und Anna Maria von Schürmann, die bereits zuvor als geistige Führerin aufgefallen war, avancierte zum Haupt der bedrängten Gruppe. Mit diplomatischem Einsatz, dank rhetorischer Durchsetzungskraft wie ihrer Verbindungen, rang Anna Maria von Schürmann schließlich dem dänischen König die Erlaubnis für ein christliches Begräbnis hinter ihrem Hause in der Kleinen Johannisstraße in Altona ab. So fand der mystische Fanatiker, exkommuniziertes Mitglied und abtrünniger Prediger der Reformierten Kirche, Jean de Labadie, schließlich doch noch irdische Ruhe (vgl. Saxby 1987: 221 ff.).
Anna Maria Schürmann führte ihre Gemeinde daraufhin ins westfriesische Wieuwerd, wo sie auf Schloss Walta-State Zuflucht fanden. Von hier aus begann sie einen intensiven Briefwechsel u.a. auch mit Johann Jakob Schütz, der als bedeutender Vertreter des frühen lutherischen Pietismus gilt. Als Patriarchin der Labadisten verstarb sie 1678, wenige Tage nach Vollendung des zweiten Teils ihrer Autobiografie Eukleria. Darin definierte sie ihre religiöse Gruppe als Keimzelle einer künftigen Weltgemeinschaft. Mit ihrer Publikation trat sie weitverbreiteten Gerüchten und der Auffassung unter Nicht-Labadisten entgegen, dass es sich bei der Sekte um „verzückte Weiber“ und sektiererische Schwärmer gehandelt habe. Zehn Jahre nach dem Tod von Anna Maria wurde Schloss Walta-State auch für Maria Sibylla Merian, ihre Mutter und ihre beiden Töchter zum Zufluchtsort und Ruhepunkt. Die labadianische Gemeinschaft existierte noch etwa 70 Jahre bis um 1750 (vgl. Wiki, Anna Maria von Schürmann).

Werke (Auswahl):
– Amica dissertatio inter Annam Mariam Schurmanniam et Andr. Rivetum de capacitate ingenii muliebris ad scientias, Paris 1638, deutsch unter dem Titel: Darf eine christliche Frau studieren? von Adele Osterloh
– Opuscula hebraica, graeca, latina, gallica, prosaica et metrica, Leiden 1648 Text mit ausführlicher Einleitung
– Pensées sur la Réformation nécessaire à présent à l’Eglise de Christ, Amsterdam 1669
– „Euklidia“ seu melioris partis electio, Altona 1673; Deutsch: Die Erwählung des besten Teils, Leipzig 1783

Rezeption
Die feministische Künstlerin Judy Chicago widmete ihr in ihrer Arbeit The Dinner Party (1974-1979) das 26. von 39 Gedecken auf der 2. Seite des dreieckigen Tisches mit dem Thema „Von den Anfängen des Christentums bis zur Reformation“. Damit setzt sie Anna Maria von Schürmann in eine Linie etwa mit Roswitha von Gandersheim oder Hildegard von Bingen (vgl. de.wikipedia.org/wiki/Judy_Chicago)
Text: Dr. Cornelia Göksu