Rosamunde Pietsch
(2.2.1915 - 18.5.2016)
Leiterin der weiblichen Schutzpolizei Hamburg, Polizeihauptkommissarin
Johannes-Brahms-Platz 1 (Wirkungsstätte)
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Grab)
Eine der ersten Polizistinnen der „weiblichen Polizei“ war Rosamunde Pietsch. Als 1945 der erste Lehrgang für die neu einzurichtende Abteilung der uniformierten weiblichen Schutzpolizei einberufen wurde, gehörte sie dazu.
Die Polizeiabteilung „weibliche Schutzpolizei“, die 1945 auf Intervention der britischen Militärregierung eingerichtet worden war, hatte damals ihren Sitz im 9. Stock das DAG-Hauses am Johannes-Brahms- Platz 1. Dort residierte damals die Innenbehörde.
Die Leitung der „weiblichen Schutzpolizei“ übernahm Miss Sofie Alloway. Die nach dem Vorbild von Scotland Yard geführte „Weibliche Schutzpolizei“ hatte ihre Aufgabengebiete im Jugendschutz, in der Gefahrenabwehr für Minderjährige, in der Ahndung von Sittlichkeitsdelikten und in der Verfolgung von Straftaten Jugendlicher unter vierzehn Jahren sowie Straftaten von Frauen.
„Rosamunde Pietsch wollte wie ihr Vater zur Polizei gehen. Ihr Ausbildungswunsch blieb unerfüllt, weil der Vater als SPD-Mitglied nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 seinen Beruf verlor und nur eine kleine Pension erhielt, die für eine Familie mit drei Kindern nicht ausreichte. Außerdem wurde er 1934 auch noch von den Nazis verhaftet. Die Mutter ging Reinemachen und auch Rosamunde, als älteste Tochter, musste mitverdienen. Sie arbeitete als Hausgehilfin in verschiedenen Stellungen und während des Zweiten Weltkrieges in einer Munitionsfabrik, dem Hanseatischen Kettenwerk.
Der Vater war, fast 60-jährig, gegen Kriegsende noch zur Wehrmacht einberufen worden. Als Unbelasteter wurde er nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sofort aus Dänemark zurückgeholt, um in Hamburg beim Aufbau der deutschen Polizei mitzuhelfen. Dadurch erfuhr Rosamunde, dass die Engländer eine weibliche Schutzpolizei nach englischem Muster einrichten wollten. Bereits im August 1945 konnte sie sich zur Ausbildung melden. Für die Bewerbung gab es keine Altersgrenzen. Die einzige Bedingung war, vom Nationalsozialismus 'unbelastet' zu sein und möglichst eine sozialfürsorgerische Ausbildung genossen zu haben. Rosamunde Pietsch hatte eine Ausbildung an einer Hauswirtschaftlichen Frauenfachschule absolviert.
Als Aufgaben für die weibliche Schutzpolizei war vor allem der Schutz von Kindern und Jugendlichen vorgesehen, dazu gehörte das Aufgreifen umhertreibender Jugendlicher und die Untersuchung von festgenommenen Frauen.
Seit 1927 gab es in Hamburg eine kleine Zahl von Kriminalbeamtinnen, die nach 1945 weiter im Amt blieben. Eine von ihnen übernahm nun die Auswahl von 30 Anwärterinnen für die weibliche Schutzpolizei. Viele der Ausbildungsbewerberinnen hatten sich gemeldet, um ein Dach über den Kopf und eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es waren Flüchtlinge aus dem Rheinland und Krankenschwestern, die aus irgendwelchen Lazaretten kamen. Ihnen gegenüber hatte Frau Pietsch als Hamburgerin durch die Anbindung an ihre Familie gewisse Vorteile.
Am 25. Oktober traten die 30 Frauen auf dem Kasernenhof Zeisestraße in Altona zur Einberufung an. Jede erhielt ihren Namen mit einer Sicherheitsnadel angeheftet. Der englische Oberst musterte alle von Kopf bis Fuß; es ging zu wie beim Militär. Die Polizeischülerinnen mussten die Kleidung selbst mitbringen: Baskenmütze, Trainingshose, Schuhe und Handschuhe. Die Frauengruppe war in einem wiederaufgebauten Kasernenblock untergebracht, in dem es feucht und kalt war; Wolldecken für die Betten gab es nicht. Unter den 300 Anwärtern waren die 30 Frauen in der Minderzahl. Sie erhielten die gleiche Ausbildung wie die Männer. Es gab keine reinen Frauenklassen; je 5 Schülerinnen wurden einer Klasse zugeteilt. In acht Wochen lernten sie das Wichtigste über Festnahme, Inverwahrnahme, Strafprozeßordnung, Anordnung einer Untersuchung. (…)
Nach Beendigung des Lehrgangs wurden je zwei der Polizistinnen einer Revierwache zugeteilt. Untergebracht waren sie zunächst bei der weiblichen Kriminalpolizei auf der Drehbahn, später zogen die Schutzpolizistinnen um in die Kirchenallee. Zuerst wurden sie in Zivil eingesetzt, bis im November 1946 die Uniformen ankamen. (…)
Das Einsatzgebiet von Frau Pietsch war die Umgebung des Hauptbahnhofs mit den verschiedenen Bunkern (…). Besonders berüchtigt war die Jahnhalle, eine große Turnhalle, die sich dort befand, wo heute die Busse abfahren. Mitten durch die Halle führte eine ‚Wolldeckenallee‘: an aufgespannten Wäscheleinen hingen Betttücher und Wolldecken, dahinter lebten Familien, ebenfalls durch Decken voneinander abgetrennt. Wenn Personen wegen Haftbefehls gesucht wurden, mussten immer zuerst die Bunker durchgekämmt, die Ausweise kontrolliert werden, nachts mit Taschenlampen. Morgens saßen die beiden Polizistinnen zusammen mit ihren männlichen Kollegen in der Revierwache am langen Tresen, dann kamen auch schon Bunkerinsassen, barfuß, eine Wolldecke umgehängt, und erstatteten Anzeige darüber, was man ihnen in der Nacht gestohlen hatte.
Die Lokale am Hauptbahnhof, Reichshof, Europäischer Hof, waren unbeschädigt und von den Engländern besetzt. Davor fanden sich von frühmorgens an Scharen von Kindern ein, die die Engländer anbettelten, Kippen sammelten, um zu Hause den Tabak herauszunehmen und auf dem Schwarzmarkt zu bringen. Die Engländer wiesen die Polizei an, diese Belästigung abzuschaffen. Ja, aber wie? Als die Polizistinnen noch keine Uniform hatten, kam es immer wieder zu großen Aufläufen, wenn sie ein Kind erwischt hatten und dieses wie am Spieß schrie. Bis sie dann ihren Ausweis hervorgekramt hatten, war das Kind entwischt. (…)
Ähnlich war es beim Kohlenklau. Man wusste, dass die Kohlenzüge über Tiefstaak durch den Hamburger Hauptbahnhof fuhren. Da standen dann überall strafunmündige Kinder, von ihren Eltern geschickt, um für die Familie zu sammeln. Wie war da dem Befehl zur Verhinderung des Kohlediebstahls nachzukommen? In Gewissenskonflikte kamen die Polizistinnen ebenfalls bei der Jagd auf Hamstergut. Frau Pietsch empfand es als reine Schikane, wenn sie zusehen mussten, wie die Engländer ‚das in die Elbe schütteten‘. Obendrein wurde die deutsche Polizei von ihren Landsleuten beschimpft.
52 Wochenstunden arbeiteten die Polizistinnen. Zum Streifendienst mussten sie sich beim Wachhabenden melden und wurden dann eingeteilt: Kinder und Jugendliche aufgreifen und zur Wache bringen. Nach zwei Stunden meldeten sie sich zurück, zogen schnell Zivilkleider an, um den Kriminalbeamtinnen zu helfen. Meist ging es um kleine Kriminalfälle in den Laubenkolonien: Apfelklau, Holzklau (…). Danach hetzten sie wieder zur Wache, wieder zwei Stunden Streife (…). Dazu kam schichtweise eine ganze Woche sehr anstrengender Nachtdienst von einem Sonntagabend bis zum nächsten; am Montag begann die Spätschicht um 16 Uhr. Die Schwerstarbeiterkarte, die Polizistinnen zustand, wies 50 gr Fleisch, 50 gr Butter, 100 gr Weißbrot auf. Zum Hunger kam der Mangel an Hygiene. Bei ihren Streifen durch die Lager fing sich Frau Pietsch Läuse, die sie nicht einmal mit Petroleum loswurde.
Mit der britischen Militärregierung ergab sich eine besondere Art der Zusammenarbeit im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten. Den Polizistinnen fiel die Aufgabe zu, die bei den Razzien festgenommenen Frauen zur Untersuchung zu bringen. Eine Kollegin von Frau Pietsch wurde für mehrere Wochen verpflichtet, mit den Engländern Streife zu gehen. Sie fuhren dann irgendwohin, z. B. vor die Staatsoper, griffen zehn bis fünfzehn Frauen auf und führten sie einfach ab zur Untersuchungsstelle Altona. Die Betroffenen protestierten und schimpften, beschimpften auch die deutsche Polizistin. Frau Pietsch erinnert sich daran, dass bei jeder Fuhre eine bis zwei Kranke waren. Die Gesunden wurden sofort wieder entlassen, mit den Kranken fuhren die Polizistinnen, in Begleitung der Engländer, ins Krankenhaus Ochsenzoll. Die deutschen Polizistinnen mussten auch hin und wieder bei der Besatzungsmacht arbeitende deutsche Zivilangestellte nach Schmuggelware – Kakao, Kaffee, Schinken (…) – durchsuchen. Und wieder wurden sie beschimpft.
Auch bei Schwarzmarktrazzien in den Zentren Talstraße, Bremer Reihe, Eppendorfer Park, wurden Polizistinnen eingesetzt. Eine Kollegin von Frau Pietsch erhielt Disziplinarstrafe, weil sie einer weinenden Frau mit Kind das beschlagnahmte Päckchen Zigaretten wieder zurückgegeben hatte. All dieses war höchst unangenehm (…).
1948 wurde Frau Pietsch als einzige Frau zusammen mit 48 Männern für die höhere Beamtenlaufbahn ausgesucht. Die Ausbildung dauerte 5 Jahre. [1953 war Rosamunde Pietsch die einzige Frau, die als Kommissarin ausgebildet wurde. 1954 avancierte sie zur Leiterin der 45 Frauen starken „Weiblichen Schutzpolizei“ und gründete 1961 die so genannte Jugendschutztruppe. Mit jeweils einem Erzieher brachten sie „Ausreißer“ nach Hause und durchsuchten Lokale auf dem Kiez nach Jugendlichen. 1975 schied Polizeihauptkommissarin Rosamunde Pietsch, die seit 1933 bis zu ihrem Tod Mitglied der SPD war, aus dem Polizeidienst aus. Dreizehn Jahre später löste sich die „Weibliche Schutzpolizei“ als eigene Dienststelle auf. R.B.]
Die erfolgreiche Arbeit der Polizistinnen in diesem Bereich war einer der Gründe für den Senatsbeschluss 1978, den Polizeidienst für Frauen in Hamburg vollständig zu öffnen.
Rückblickend lautete das Urteil von Rosamunde Pietsch: Die Polizistinnen haben die Vorstellung von der Polizei als rein männliche Institution verändert. Hamburg hat die weibliche Schutzpolizei beibehalten, weil sie gut war. Polizistinnen wussten besser mit eingelieferten betrunkenen, randalierenden Frauen umzugehen, haben sie nicht zusätzlich provoziert, wie Männer das gewohnt sind zu tun. Frauen können auch ‚umhertreibende‘ Mädchen besser verstehen, verletzte Kinder einfühlender vernehmen. Was Frau Pietsch in den turbulenten Nachkriegsjahren gelernt hat, wies ihr die Richtung für ihre spätere Arbeit, die sie vor allem dem Jugendschutz gewidmet hat, verstehend, vorbeugend, helfend.“ [1]
Der „Weiblichen Schutzpolizei“ waren Streifengänge mit männlichen Kollegen der Revierwachen verboten. Auch durften die Polizistinnen weder den Straßenverkehr regeln noch einen Streifenwagen fahren. Sie mussten ihren Dienst zu Fuß versehen, und es war ihnen nicht erlaubt, eine Waffe zu tragen, weil sie daran nicht ausgebildet wurden. Eine Änderung trat erst 1976 ein, nachdem sich eine Beamtin der Wache St. Pauli über die Vorschriften hinweggesetzt hatte: Bei einem Streifengang mit ihrem Kollegen hatte sie einen Streit zwischen drei – wie es damals hieß – „Südländern“ und einem Taxifahrer beobachtet. Als ihr Kollege eingreifen wollte, zog einer der „Ausländer“ eine Pistole. Erst der lautstarke Einsatz seiner Gummiknüppel schwingenden Kollegin rettete den Polizisten aus seiner Bedrängnis und bewirkte einen Antrag auf gleichberechtigte Ausbildung aller Polizistinnen an der Waffe. Doch nicht alle waren mit dieser Neuerung einverstanden.
Viele männliche Kollegen diskriminierten die an der Waffe ausgebildeten Polizistinnen als „Flintenweiber“.
Text: Rita Bake