Hildegard Krüger
(21.5.1909 Wandsbek – 5.4.1994 Marmagen/Kr. Euskirchen)
Juristin, (Verwaltungs-)Richterin, Frauenrechtlerin
Rothenbaumchaussee 33, Universität Hamburg, Juristische Fakultät (Studium)
Mönckebergstraße 9 (Ecke Barkhof) – (Wirkungsstätte = von 1932 Sitz der Landesfilmstelle Nord und Niedersachsen, gegr. 1932, Ltg. Richard Adam, vgl. Anm. 4)
– Nöpps 19 (ehemaliger Straßenname: Antonstraße 19 = Wohnadresse mit Eltern/1938: Vater Egon, Bevollmächtigter der Firma Egon Krüger & Co., gegr. 1927; Inh. Maddy Krüger geb. de Neuf; s. Anm. 1 +2)
Bei der Sichtung ihres Nachlasses entfaltete sich ein zentrales Stück Zeitgeschichte: Mit 85 Jahren war die ehemalige Verwaltungsrichterin Hildegard Krüger 1994 verstorben. In ihrem Testament hatte sie Amnesty International (AI) zur Alleinerbin eingesetzt. Wenig später rekonstruierte ein Team um den AI-Mitarbeiter Peter Lange ihre beeindruckende Biographie aus der Begegnung mit ihren letzten Lebensspuren:
„Von außen sah das Reihenhaus im Kölner Stadtteil Pesch ziemlich vernachlässigt aus. Wer es jedoch betrat, ahnte schon im ersten Moment, dass es mit der früheren Eigentümerin etwas Besonderes auf sich haben musste. Bücher, wohin man sah: Von den deutschen, englischen, französischen und russischen Klassikern bis zur Moderne, Kunstbände aller Stilrichtungen und Berge von Aktendeckeln mit Zeitungsausschnitten aus nahezu allen Wissensgebieten. Der erste Eindruck war geradezu eine Einladung, sich von diesem Menschen ein genaueres Bild zu machen. Also nahmen wir bei der Auflösung des Haushalts die persönlichen Unterlagen beiseite: Ausweise, Zeugnisse, Korrespondenzen, Aufsätze, Urkunden, Fotoalben – alles zusammen füllte drei Umzugskisten“ schrieb AI-Mitarbeiter Peter Lange im März 1998.
Und er fuhr fort: „Die Sichtung der Unterlagen ähnelte einer archäologischen Grabung. Nach und nach wurden Teile einer Biographie freigelegt und zu einem Puzzle zusammengefügt, das zunächst große Lücken hatte und viele Fragen offenließ. Aber je tiefer wir gruben, desto mehr Lücken konnten wir schließen. Und die wichtigsten Fragen konnten uns Menschen beantworten, die Hildegard Krüger kannten: Nachbarn, ehemalige Kollegen, Freunde und ihre Schwester.
Hildegard Krüger war die älteste Tochter des Hamburger Kaufmanns Egon Krüger, geboren 1909 in Wandsbek1) und hatte eine sieben Jahre jüngere Schwester. Aus den Einträgen im Hamburger Adressbuch ergibt sich die Wohnadresse mit den Eltern: Der Vater war nach 1927 Bevollmächtigter der Firma Egon Krüger & Co., gegr 1927, „Großhandel in Kakao-Halbfabrikaten, Alleinvertrieb des ‚St. Nicolai-Kakao’“; als deren Inhaberin war die Mutter Maddy Krüger geb. de Neuf, eingetragen 2). Peter Lange schreib weiter: „Nach dem Abitur studiert sie Jura und ist 1931 die erste Frau in Hamburg, die das Erste Staatsexamen mit ‚sehr gut’ besteht; das Referendarsexamen macht sie im Mai 1935 mit ‚lobenswert’. Von ihrer Schwester wird Hildegard Krüger als eine hochintelligente Person charakterisiert, die sich vor allem durch einen kompromisslosen Gerechtigkeitssinn auszeichnete.
Sie will unbedingt Richterin werden, aber daraus wird nichts, denn zur Politik der Nazis gehört der Grundsatz, dass Rechtsprechen Männersache sei. Im nachhinein ein Glücksfall, denn mit der NS-Justiz hatte sie nichts zu tun. Für die erfolgsgewohnte Hildegard Krüger bleibt aber ein Trauma, an dem sie ihr ganzes Leben leiden wird. Sie schlägt sich mit Jobs durch: als Hausangestellte, Buchhalterin, Verwaltungsangestellte und arbeitet mehrere Jahre bei der Reichsfilmkammer 3). 1943 wird sie bei einem der alliierten Bombenangriffe auf Hamburg schwer verletzt; das Kriegsende erlebt sie als Lehrerin in einem Internat am Bodensee.
Erst 1950 geht ihr langgehegter Berufswunsch in Erfüllung: Sie wird Richterin am Landesverwaltungsgericht in Düsseldorf und sogar für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen. Parallel zu ihrer neuen Arbeit macht sich Hildegard Krüger in den 50er Jahren einen Namen als juristische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Die Diskriminierung unverheirateter Frauen, das Namensrecht und die Benachteiligung nichtehelicher Kinder gehören zu ihren wichtigsten Themen Bis zu ihrer Pensionierung 1970 bringt sie es auf 450 Veröffentlichungen: Bücher, Aufsätze, Rezensionen, Urteilsbesprechungen Sie gehört zu den Autoren des Kommentars über das Gleichberechtigungsgesetz von 1958. Die von ihr verfasste Einleitung trägt ihr von konservativer Seite den Vorwurf ein, sie predige ‚Geschlechterhass’. Gleichwohl mussten auch ihre Gegner zugeben, daß Hildegard Krüger eine mutige Juristin war, oft ihrer Zeit voraus.
Ihrer Karriere hat die rechtswissenschaftliche Arbeit nichts genutzt. 1953 kommt es am Verwaltungsgericht in Düsseldorf zu einem Eklat. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Arnold (4) hat ein Urteil kritisiert, das sie mitverfasst hat. Während ihre beiden Kollegen kuschen, verteidigt sie ihre Auffassung und legt sich auch mit dem Gerichtspräsidenten an. Was folgt, ist ein jahrelanger Kleinkrieg mit Dienstaufsichtsbeschwerden und Klagen, begünstigt dadurch, daß sie im Umgang mit ihren Mitmenschen wohl auch nicht gerade zimperlich ist. Dazu paßt, daß sie in jener Zeit den Kontakt zu ihrer Familie abbricht, was diese sich bis heute nicht erklären kann. Schließlich läßt sie sich 1966 an das Verwaltungsgericht in Köln versetzen. Nach ihrer Pensionierung 1970 studiert sie Altamerikanistik und Anglistik in Bonn und unternimmt ausgedehnte Reisen. Ihr letztes juristisches Gefecht gewinnt sie Anfang der 1990er Jahre, als sie bei der Kölner Stadtverwaltung durchsetzt, daß Behördenschreiben nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit "Herr" oder "Frau" adressiert werden. 1994 stirbt Hildegard Krüger in einem Altenheim in Marmagen“. Bestattet ist sie in Köln.
„Dass sie in ihrem Testament ihren gesamten Besitz amnesty international vermachte, ist mehr als nur eine schöne Geste. Denn damit setzt sie sich auch über ihren Tod hinaus für das ein, was ihr immer am Herzen lag: Menschenwürde und die Menschenrechte“ (die Zitate stammen aus dem Bericht von Peter Lange: Spurensuche. Annäherung an Hildegard Krüger in: ai-Journal, März 1998).
Pointiert formulierte sie Biographisches vermutlich selbst in einer Autorennotiz, die im Themenheft des DGB-Periodikums Gewerkschaftliche Monatshefte erschien. Dessen erster Teil widmete sich den Themen: Frauenarbeit und Stellung der Frau“ (Heft 12/1959, S. 768): „Hildegard Krüger fand nach dem Studium der Rechtswissenschaft trotz sehr guter Examensergebnisse im Dritten Reich keine Anstellung als Juristin, weil sie sich nach Ansicht der Gestapo keine Gelegenheit entgehen ließ, Kritik am Dritten Reich zu üben. Schlug sich als Dienstmädchen, Eintrittskartenverkäuferin, Buchhalterin und Lehrerin durch. Ein in der Zwischenzeit begonnenes philosophisches Studium konnte wegen schwerer Kriegsverletzungen nicht abgeschlossen werden. Nach 1945 mehrjährige Tätigkeit im Innenministerium in Schleswig-Holstein, dann Richterin im Landesverwaltungsgericht Düsseldorf. Hildegard Krüger veröffentlicht laufend in juristischen Fachzeitschriften Arbeiten zum Verfassungs-, Verwaltungs-, Arbeits- und Familienrecht; zu den beiden letztgenannten Gebieten schrieb sie einen Kommentar und ein Kurzlehrbuch. Gelegentlich publiziert sie auch in „Hochland“ und in den „Frankfurter Heften“.
Text: Dr. Cornelia Göksu