Bärbel Helmers
(15.4.1936 Braunschweig – 18.10.2017 Hamburg (?))
„Mrs. AFS Germany“, „die Seele“, deutsche Pionierin und langjährige Geschäftsführerin des Schüleraustausch-Programms AFS: Interkulturelle Begegnungen e. V.; Auslandsjahr für Schülerinnen und Schüler; Freiwilligenjahr
Grindelallee 153 (Wohnadresse; verzeichnet ab 1962 in Hamburger Adressbuch sowie Amtlichen Fernsprechbüchern)
Friedensallee 48, 22765 Hamburg, Sitz von AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. Deutschland (Wirkungsstätte)
"Seit ihrem eigenen Austauschjahr 1954/55 von Oldenburg in den Nordwesten der USA widmete Bärbel Helmers ihr Leben AFS, der Idee des interkulturellen Austausches und der Völkerverständigung. Ihr Engagement begann direkt nach ihrer Rückkehr mit der ehrenamtlichen Betreuung jüngerer Austauschjahrgänge. Bereits 1958-1961 war sie hauptamtlich für AFS tätig. Nach dem Umzug der Geschäftsstelle von Düsseldorf nach Hamburg war sie von 1961-1989 fast 30 Jahre Geschäftsführerin von AFS Deutschland.
Während dieser Zeit und weit darüber hinaus setzte sie sich mit Mut und Tatkraft für den Austausch von jungen Menschen in die verschiedenen Länder der Welt ein. Für ihr Wirken wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 1990 war sie Ehrenvorsitzende von AFS Interkulturelle Begegnungen e.V.
Bärbel Helmers war national und international über Jahrzehnte das Gesicht und die Seele von AFS Deutschland. Sie hat AFS bis zuletzt mit ihrem unschätzbaren Wissen und ihrem reichen Erfahrungsschatz unterstützt", so stand es in ihrer Traueranzeige (1).
Ihre Eltern hießen Wilhelm und Elisabeth Helmers (geb. Kiehne). Der Vater war Agrarbetriebswirt und arbeitete in der Landwirtschaftskammer Oldenburg. Die Mutter war als Buchhalterin tätig. Noch während ihrer Schulzeit zog die Familie von Braunschweig nach Oldenburg, wo Bärbel 1954 nach ihrem Austauschjahr in Ridgefield, Washington State/USA, eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin machte. Parallel engagierte sie sich ehrenamtlich für AFS und betreute unter anderem jüngere Austauschjahrgänge (2_A+B). Im Nachruf präzisierte ihre Organisation: „Sie war das Gedächtnis und die Seele von AFS und AFS war ihr Leben (...). 1958 begann Bärbel Helmers’ (22 Jahre alt) hauptamtliche Zeit bei AFS. Bis 1961 arbeitete sie eng mit der damaligen hauptamtlichen Leiterin Helga von Hoffmann (4) zusammen und begleitete den Umzug der AFS-Geschäftsstelle von Düsseldorf nach Hamburg. Bärbel Helmers kannte sowohl die ehrenamtliche, als auch die hauptamtliche Perspektive und hat mit ihrer jahrelangen Erfahrung das Miteinander zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen geprägt. Für sie waren junge Menschen bei AFS stets gleichberechtigte Partnerinnen und Partner, die sie ernst genommen hat.“ (3)
1961 wurde ihr der Posten des „National Directors“ für AFS Deutschland übertragen. Nach einem Brand in den angemieteten AFS-Räumen fand das Büro vorübergehend sogar in ihrer Privatwohnung in der Grindelallee ein Refugium. 1962 gründete Bärbel Helmers den Verein der Freunde und Förderer des AFS e.V., um den Status der Gemeinnützigkeit zu erlangen, Gelder für die AFS-Arbeit einzuwerben und um Zivildienstleistende einstellen zu können“ (vgl. 2_B). Es folgten knapp drei Jahrzehnte als Geschäftsführerin von AFS Deutschland, in denen sie sich mit Mut und Tatkraft für den weltweiten Schüleraustausch einsetzte. Ab 1990 wurde sie zur Ehrenvorsitzenden des Vereins ernannt – und zehn Jahre später von AFS International mit dem "President's Award" ausgezeichnet. „Auch nach ihrem Ausscheiden aus der hauptamtlichen Tätigkeit blieb sie AFS mit ihrem phänomenalen Gedächtnis erhalten. In ihrer Freizeit füllte sie das AFS-Archiv mit ihrem unschätzbaren Wissen und war stets eine verlässliche Ansprechpartnerin bei allen Fragen. Auch national und international hat sie sich in den folgenden Jahren immer wieder zu Wort gemeldet. Ihre ehrliche Art und ihr unvergleichbares Engagement werden uns in Erinnerung bleiben. Für ihre Veränderungsbereitschaft und ihre Motivation, bei Diskussionsrunden und Arbeitsgemeinschaften engagiert mitzudiskutieren und Ideen zu entwickeln, haben wir sie stets geschätzt.
Bärbel Helmers hat sich Zeit ihres Lebens dafür eingesetzt, dass auch Jugendliche, die aus weniger wohlhabenden Familien kamen, ein Austauschjahr ermöglicht wurde.“ (3)
Doch was ist AFS eigentlich? Allein zwischen 1948 und 2010 haben rund 28.000 deutsche Schüler und Schülerinnen am AFS-Entsendeprogramm teilgenommen. Rund 18.000 internationale Gastschüler wurden in Deutschland aufgenommen. Und so fing alles an: „AFS wurde 1914 in Paris als ‚American Field Service’ von jungen Amerikanern gegründet, die in beiden Weltkriegen freiwillige Sanitätstransporte durchführten. Bereits zwischen den beiden Kriegen begann man mit einem Austauschprogramm für französische und amerikanische Studenten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Schüleraustausch ins Leben gerufen, gestützt von der Idee, dass junge Menschen die besten Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen seien.
„Am innovativsten waren unmittelbar nach Ende de Zweiten Weltkriegs die ‚Driver’, die Fahrer der AFS-Ambulanzwagen. Sie entschieden, ihre bisherige Arbeit, Sanitätsdienste zu verrichten, völlig über den Haufen zu werfen“ und mit dem Austausch von Schülern und Schülerinnen „einen Beitrag zu Versöhnung und Frieden in der Welt zu leisten“ (Zitat von Jan Pörksen, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Hamburg, und Mitglied des Kuratoriums und des Stiftungsrats der AFS-Stiftung. Editorial in: Horizonte, Winter 2017, S. 02).
Während der ersten Jahrzehnte konzentrierten sich die Austauschprogramme auf die USA. Seit den 1970er Jahren sind Programme zwischen allen beteiligten Ländern möglich. Anfang der 1990er Jahre wurde die bis dahin US-amerikanisch geführte Organisation umfassend reformiert. Seither besteht AFS aus einem Netzwerk unabhängiger Partnerorganisationen in den beteiligten Ländern. Verbunden sind sie neben dem internationalen Vorstand vor allem durch gemeinsame Vereinbarungen und Qualitätsstandards.
So bietet seit 1997 zum Beispiel auch die chinesische Organisation China Education Association for International Exchange (CEAIE, Bildungsvereinigung für Internationalen Austausch in China) einen langfristigen Schüleraustausch für chinesische Schüler in Zusammenarbeit mit AFS im Ausland an. Die CEAIE ist eine vom chinesischen Außen- und Bildungsministerium gegründete Austauschdachorganisation. Seit dem Jahr 2001 können internationale Schüler auch ein Jahr in China verbringen (5).
Welch hohes Maß an jugendlicher Begeisterung, Unvoreingenommensein, Pionierinnengeist und Wagemut die ersten Austauschprogramme in der direkten Nachkriegsära erforderten, – zumal, als in der AFS der Austausch zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern, also zunächst zwischen Deutschland und den USA einsetzte –, vermittelten Beteiligte in einer Dokumentation zum 50-jährigen Bestehen des AFS. Eine imposante Reihe von ehemaligen Gastschülern und -schülerinnen des Jahrgangs 1952 aus den USA sowie deutschen „returnees“ („Zurückgekehrte“) erinnerte sich: „Rückblickend ist es tatsächlich erstaunlich, dass bereits 1952 die ersten Gastschüler aus den USA den Sommer in Deutschland verbrachten, denn sie kamen in ein Land, das im Wiederaufbau begriffen war. Bemerkenswert sind vor diesem Hintergrund sowohl die Gastfreundschaft der deutschen Familien als auch der Mut amerikanischer Familien, ihre Kinder in die Obhut der ehemaligen Feinde zu geben. (...) Völkerverständigung war damals wichtiges Anliegen der jungen Generation. ‚Eine neue Welt bauen, nie wieder Krieg. Alle sollen sich kennen, verstehen, schätzen lernen und dann, auf diese Weise, können wir Kriege verhindern.’ Das war unter den jungen Leuten generell ein ganz großes Bedürfnis.“ So beschrieb Helga von Hoffmann die Bemühungen der „ambulance drivers“ unter Leitung von Stephen Galatti, Director General AFS, sich im Schüleraustausch zu engagieren.
Dahinter steht eine „Riesenleistung“. Organisiert wurde das deutsche Sommerprogramm von den deutschen USA-Rückkehrern und -Rückkehrerinnen, also von 18-20-Jährigen und überwiegend von jungen Frauen. „Vorbilder gab es nicht – alles wurde zum ersten Mal organisiert. Die deutschen Returnees waren vor allem motiviert durch die Dankbarkeit für ihr eigenes USA-Jahr und durch die Aufmunterung von Stephen Galatti ‚Just go ahaed and do!’.“(5) Zu denen, die gleich ehrenamtlich in den Austausch einstiegen und später leitend wirkten, gehörten auch Bärbel Helmers oder Helga von Hoffmann. Erst zum 1. Oktober 1952 wurde mit Helga von Hoffmann (Cramer) die erste hauptamtliche AFS-Mitarbeiterin außerhalb der USA eingestellt. „Unterstützt wurden die ehrenamtlichen AFSler von Mitarbeitern der amerikanischen Konsulate und – in den ersten Jahren – von der Hauptverwaltung des amerikanischen High Commissioner for Germany. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 waren die Militärregierungen in den drei westlichen Besatzungszonen durch „Hohe Kommissare“ abgelöst worden“. (5)
Es gab unvorstellbare Schwierigkeiten zu überwinden: Sprechen die amerikanischen Gastschülerinnen ausreichend Deutsch? Reicht mein Schulenglisch? Fühlen sie sich wohl in unseren halbzerbombten Wohnstätten? Wie bewältigen sie die unzureichenden sanitären Verhältnisse? „Ja, warum haben meine Eltern damals an dem Austausch teilgenommen?“, fragte sich die Returnee Helga aus Berlin: „Wir hatten den Zusammenbruch des Dritten Reichs und den Einmarsch der russischen Roten Armee erlebt. (...) Die Amerikaner wurden als unsere Befreier gefeiert. (...) Damals war eine ungeheure Gastfreundschaft. Viele Familien waren dankbar für Care-Pakete und andere Hilfe und wollten etwas zurückgeben. Und sie waren selig, dass ihre Kinder auf diese Weise Auslandskontakte bekamen, weil es völlig undenkbar war, dass sie selber reisten“. Um die Teilnahme am deutschen Sommerprogramm 1952 durften sich umgekehrt Jugendliche aus solchen amerikanischen Highschools bewerben, die im Schuljahr 1950/52 ausländische Gastschüler aufgenommen hatten. (5)
Die Anreise geschah nicht mit dem Flugzeug sondern per Schiff und Bahn. In den Rubriken „Die Gastfamilien“ oder „Die Freizeit“, „Sommer in Deutschland 1952“,“, „Verständigung ... mit und ohne Sprache“ schilderten die Ehemaligen in der genannten Dokumentation ihre Aufenthalte in den Gastfamilien, in einem „fremden“ Land, in einer für sie zum Teil rätselhaften Kultur. „Schatten der Vergangenheit“ holten sie ein, als eine deutsche Familie ablehnend reagierte, weil ihnen ein jüdisches Mädchen vermittelt worden war, obwohl sie gerade dies hatten vermeiden wollen. Später schrieb ihr die Gastmutter, dass sie nur deshalb um ein nicht-jüdisches Mädchen gebeten hätte, damit die Nachbarn nicht den Eindruck bekämen, „sie wollten durch die Aufnahme eines jüdischen Mädchens irgendwelche Schuldgefühle kompensieren. Wahr oder nicht“, so resümierte die einstige Schülerin in ihren Erinnerungen, „ich hoffe, ich habe einen Winkel dieser Welt für immer verändert (Mary Grace)“ (6).
Heute sind Themen und Ausdehnung des AFS Austausch-Programms andere, von A wie Ägypten bis V wie Vietnam (5). Aus diesen Wurzeln haben Frauen wie zum Beispiel Bärbel Helmers eine weltweit agierende Organisation entscheidend aufgebaut und mitgeprägt. In einer Studie gaben rund 2.500 ehemalige AFS-Programmteilnehmer_innen Auskunft über ihre Auslandserfahrung und vor allem auch darüber, in welchem Maße dies ihre persönliche und berufliche Entwicklung gefördert hat: Zwei Drittel studierte später auch im Ausland, viele arbeiten und leben im internationalen Umfeld, fühlen sich sprachgewandt und sozial kompetenter (7).
Text: Dr. Cornelia Göksu (CG)