Johanne Günther Johanne Günther, geb. Wassul
(28.6.1876 Tilsit - 26.11.1949 Harburg)
Stille Helferin: half in der NS-Zeit Zwangsarbeiterinnen
Lassallestraße (Wohnadresse)
Bremer Straße 236, bestattet auf dem Neuen Harburger Friedhof, Grablage: H 1483
Namensgeberin: Johanne-Günther-Hof, Neugraben-Fischbek, seit 2020
Johanne Wassul wurde am 28.6.1876 in Tilsit in der damaligen Provinz Ostpreußen des Deutschen Reiches geboren, wo sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Nachdem ihr Vater von seinem Dienstherrn, einem preußischen Adligen, entlassen worden war, weil er ihm nicht den nötigen Respekt erwiesen hatte, verließ die Familie ihre ostpreußische Heimat. Die Industriestadt Harburg an der Elbe war für sie offenbar der richtige Ort für einen hoffnungsvollen Neubeginn. Hier engagierte Johanne Wassul sich schon in jungen Jahren ehrenamtlich in der Heilsarmee, und hier heiratete sie später den Arbeiter Paul Günther.
Die jungen Eheleute fanden eine Wohnung in der Lassallestraße im Phoenixviertel der Stadt, in der drei Kinder ihnen bald Gesellschaft leisteten. Ein Sohn starb allerdings schon bald nach seiner Geburt.
Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Johanne Günther in der nahe gelegenen Harburger Jutespinnerei und -weberei, in der auch viele vor allem aus Osteuropa verschleppte Frauen Zwangsarbeit leisten mussten. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen waren menschenunwürdig, was die meisten Deutschen unberührt ließ. Nicht jedoch die 66-jährige Johanne Günther. Sie blickte diese armseligen Geschöpfe nicht mürrisch oder gar feindselig an, wenn sie ihren Weg kreuzten, sondern schenkte ihnen ein freundliches Lächeln. Sie half ihnen, wann immer sie konnte, wenn es darum ging, einen Fehler auszubügeln, bevor der Werkmeister ihnen Sabotage unterstellte. Hin und wieder steckte sie ihnen unauffällig auch einen Apfel oder eine Scheibe Brot zu.
Ein besonders großes Herz hatte sie für die Russin Tamara Marková aus Taganrog am Asowschen Meer. Mit ihrer Herzensgüte war sie für die junge Russin eine `Babuschka´, ein Großmütterchen. Zweimal lud sie die mit ihrem Schicksal hadernde Kollegin sogar zu sich nach Hause ein, indem sie ihr half, sich bei den gelegentlichen Sonntagnachmittagsausflügen heimlich für eine Stunde von der beaufsichtigten Gruppe zu entfernen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren die beiden Frauen sich aus den Augen, aber die Erinnerung an Johanne Günther verblasste bei Tamara Marková in all den Jahren danach nie. Als sie in hohem Alter im Mai 2003 als freier Mensch auf Einladung des Hamburger Senats noch einmal nach Harburg zurückkehrte, war es ihr größter Wunsch, das Grab ihrer Wohltäterin aufzusuchen und ihr aus ganzem Herzen für ihre einzigartige Menschlichkeit zu danken. Ein Grabstein mit der Inschrift
`Johanne Günther, geb. Wassull, 28.6.1876 – 26.11.1949.
Unvergessen in den Herzen vieler Zwangsarbeiterinnen
1942 – 1945´
erinnert heute an diese couragierte Harburgerin.
Text: Klaus Möller