Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Senta Dohme Senta Dohme, geb. Gröpel

(6.11.1906 Hamburg – ermordet 22.4.1945 KZ Neuengamme9
Hausfrau,Gegnerin des NS-Regimes
Werderstraße 43 (Wohnadresse) Stolperstein


In den Nächten zwischen dem 22. und dem 24. April 1945 wurden im Arrestbunker des Konzentrationslagers Neuengamme 71 sogenannte Schutzhäftlinge der Gestapo ermordet Unter ihnen befand sich das Ehepaar Gerhard [7.5.1895 Genthin – ermordet zwischen dem 22. und dem 24. April 1945 im KZ Neuengamme] und Senta Dohme. Bis heute ist nicht klar, warum sie am 8. November 1944 von der Gestapo verhaftet, in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert und noch wenige Tage vor Kriegsende als "unbedingt zu vernichtende gefährliche Elemente" auf die Liquidationsliste der Gestapo gesetzt wurden. Aus ihren Biographien lässt sich, soweit die Daten bekannt sind, nichts ersehen, was als Begründung für die Einbeziehung der beiden in die monströse Mordaktion bei Nacht und Nebel gelten könnte.
Gerhard Ludwig Dohme wurde am 7. Mai 1895 in Genthin bei Jerichow in Sachsen-Anhalt geboren. Die Eltern waren Frieda Albertine Dohme geb. Hennig (2.9.1873–13.11.1947) und Karl Friedrich Julius Dohme (3.5.1868–25.8.1930), der es bei der Preußisch-Anhaltinischen Eisenbahn zum Königlichen Eisenbahn-Stations-Direktor gebracht hatte. Er war, was den Sohn später noch mit einem gewissen Stolz erfüllte, Mitglied einer Freimaurerloge. Er vermachte Gerhard unter anderem eine goldene Taschen-Uhr mit einer Freimaurerkugel an der Kette. Sie fand sich in den Hinterlassenschaften Gerhard Dohmes. Die Eltern zogen im Zusammenhang mit dem weiteren beruflichen Aufstieg des Vaters später nach Delitzsch und ließen sich schließlich zum Ruhestand in Halle an der Saale nieder.
Gerhard Dohme ging als junger Mann zunächst nach Bitterfeld, absolvierte eine Kaufmanns-Lehre und wurde dann Handelsvertreter einer Leipziger Firma. Er heiratete am 12. Dezember 1921 Ilse Marianne Margarethe Kettritz, geboren am 14. Juni 1896 in Mogilno, damals eine Kleinstadt bei Gnesen im preußischen Posen, heute zu Polen gehörend. Ilse war Tochter des Veterinärarztes Max Kettritz, selbst jedoch ohne Beruf. Aus dieser Ehe ging zunächst eine Tochter hervor, Frieda Margarethe Ilselore, geboren am 15. Oktober 1925. (Sie verheiratete sich nach Kriegsende mit einem Herrn Sitsevis, emigrierte nach Winipeg/Manitoba/Kanada, kehrte jedoch nach Deutschland zurück und starb 1998 in Pegnitz bei Nürnberg.) Ein Sohn Gerhards und Ilse Mariannes, Karl Max Dieter, lebte nur knapp sieben Monate vom15.8.1927 bis zum 11.3.1928).
Die Ehe Gerhards und Ilses wurde am 29. November 1930 wieder geschieden.
Gerhard Dohme verließ Bitterfeld, zog nach Hamburg und machte sich als Kaufmann selbstständig, der mit Nährmitteln handelte. Am 1. Oktober 1931, also noch vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, trat er der NSDAP/Ortsgruppe Hamburg bei (Mitgliedsnummer 647992).
In Hamburg lernte er, nunmehr fast 36 Jahre alt, Senta Bertha Peters geb. Gröpel kennen, eine Frau von 25 Jahren. Senta, am 6. November 1906 in Hamburg geboren, war seit dem 2. September 1930 verheiratet mit Werner Herbert Peters (*6.6.1901), einem Abteilungsleiter in der Hamburger Behörde und Sohn eines Schriftsetzers. Sie stammte aus der Hamburger Neustadt. Ihr Vater war der Kontorbote Johann Edzard Gröpel (*18.8.1874 in Emden), Sohn eines Quai-Arbeiters und lutherischer Konfession. Die Mutter war Rosa Gröpel (*15.4.1875 in Hamburg), Schneiderin von Beruf. Rosas Eltern waren der Schlosser Louis Josef Levi (*1845 in Hamburg) und Sara Zwie, geborene Hoffmann (*26.2.1840 in Aurich). Beide waren Juden. Senta hatte einen etwas älteren Bruder, Friedrich (*19.5.1905).
Senats Mutter Rosa wie ihre Eltern nahmen regelmäßig am Leben der Gemeinde um den Tempel in der Poolstraße teil. Die Großeltern Levi wohnten in einem der Häuser des Abraham-Gumpel-Stifts in der Schlachterstraße 46. Die junge Familie Gröpel wohnte in der Poolstraße 6 im 2. Stock, in einem der Häuser des Israelitischen Tempelverbands. Diese Häuser, solide gebaut und gut gepflegt, beherbergten Familien mit geringem Einkommen und waren dicht belegt. In Nummer 6 lebten neben Gröpels unter anderem ein Kutscher, ein Eierhändler, ein Bürstenmacher, ein Tapezierer und der Vertreter eines heute wohl offiziell nicht mehr ausgeübten Berufes: ein "Zahnkünstler" (Hamburger Adressbuch 1915).
Am 16. Januar 1908 hatte ein schwerer Schlag die Familie Gröpel getroffen: Johann Edzard, der Vater, verstarb plötzlich, 33 Jahre und vier Monate alt. Rosa, im 32. Lebensjahr, zog mit ihren kleinen Kindern in die bescheidenere Poolstraße 11, ebenfalls ein Anwesen des Israelitischen Tempelverbands. Sie schlug sich mit Schneiderarbeiten durch. Eine unersetzliche Hilfe war in der drückendsten Zeit die finanzielle und beratende Unterstützung durch ihren Bruder Robert Levi, einem Chemiker, der 1912 nach Ecuador ausgewandert war und in Guayaquil eine Apotheke eröffnet hatte, die gut lief.
Über den Bildungsweg Sentas und ihres Bruders wissen wir kaum etwas. Überliefert ist: Friedrich lernte Drogist, verließ Deutschland schon in jungen Jahren, 1924, und stieg in das Geschäft seines Onkels in Guayaquil mit ein.
Auch Senta absolvierte, nach späteren Angaben ihrer Mutter, eine Ausbildung auf dem Gebiet Chemie und Pharmazie und arbeitete in der Drogerie Packeiser in der Renzelstraße 20.
1930 gelang es Mutter und Tochter, die beengten, jedoch auch altvertrauten Verhältnisse in der Poolstraße zu verlassen und nach Winterhude an das Goldbekufer 44, 2. Stock, zu ziehen. Die Wohnungen in den zwischen 1927 und 1930 ursprünglich für Arbeiterfamilien errichteten Klinkerbauten des Architekten und Bauherrn Eduard Siemers waren sehr begehrt: Sie hatten rund 76 qm Wohnfläche, drei Zimmer, kosteten eine bescheidene Miete und galten, auch wegen des Badezimmers mit Wanne, als modern. Es war nicht weit zum Stadtpark.
Im selben Jahr, am 2. September 1930, heiratete Senta den bereits erwähnten Verwaltungsangestellten Werner Herbert Peters, der zu ihr zog. Auch diese Ehe wurde jäh zerstört: Nach sechs Monaten und 20 Tagen starb Sentas Mann am 27. April 1931 unerwartet im Alter von 30 Jahren im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek (AK Barmbek), wahrscheinlich an einer Lungenentzündung.
Wann und wie sich Senta und Gerhard Dohme begegneten, ist nicht bekannt. Das NSDAP-Mitglied Dohme und die "Halbjüdin" heirateten am 2. Februar 1933, drei Tage nach Hitlers Machtübernahme. Aussagen aus dem Bekanntenkreis Dohmes deuten darauf hin, dass er alles andere als ein überzeugter Nazi war, über die engeren Familienbeziehungen hinaus Kontakte zu Juden hielt und der Partei eher aus opportunistischen Erwägungen beigetreten war. Aber er trat auch nach der Heirat mit Senta nicht aus der NSDAP aus, sondern ließ die Mitgliedschaft schleifen – oder war er sonst vielleicht zu missliebig geworden? –, dass er am 31. Mai 1935 ausgeschlossen wurde, laut Vermerk in der NSDAP-Zentralkartei wegen unbekannter Anschrift. Er hatte seit längerem keine Beiträge gezahlt. Ob bei dem Ausschluss unausgesprochen auch die Ehe Senta eine Rolle spielte, wenn dies überhaupt bekannt war, ist nicht zu sagen. Senta, die als "Halbjüdin" bis 1935 der Jüdischen Gemeinde angehört hatte, war als "Geltungsjüdin" eingestuft, d.h. sie unterlag allen Maßnahmen, die Juden ausgesetzt waren, auch wenn sie die Jüdische Gemeinde inzwischen verlassen hatte.
Zurück in das Jahr 1933: Das junge Ehepaar und Sentas Mutter erwogen offensichtlich, Deutschland zu verlassen. Im Mai reisten sie nach Ecuador, um mit den Verwandten in Guayaquil die Möglichkeiten zu erkunden. Alle Drei kehrten im September zurück. Nach späteren Aussagen der Angehörigen war ihnen das Land zu fremd, zu heiß, zu desorganisiert, zu schmutzig.
Gerhard Dohme machte sich nun mit Nachdruck daran, ein Geschäft in Hamburg zu entwickeln. Er gründete nach und nach mehrere Firmen für den Im- und Export von Kaffee, Reis, Kakao, Tabak und anderer Nähr- und Genussmittel sowie den Großhandel mit diesen Artikeln. Die Unternehmen, zunächst mit Sitz in der Privatwohnung in der Goernestraße 12/Eppendorf, dann im Mittelweg 64/ Rotherbaum, florierten nach einiger Zeit. Es konnten für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche weitere Geschäftsräume eingerichtet werden, u.a. in der Danielstraße 103 in der Nähe des Oberhafens und in der Spaldingstraße 210. Nun weitete er das Geschäft aus auf Kaffee-Rösterei und die Herstellung von Ersatzkaffee. Dieses Unterfangen kam vor allem mit dem Beginn des Krieges in Schwung, da er die Wehrmacht beliefern konnte. Dohme soll zeitweilig über 20 Leute beschäftigt und über eigene Lastwagen verfügt haben. 1936 bereits hatte Gerhard Dohme in Lübeck eine Zweigniederlassung für seine Hamburger Unternehmen gegründet.
Senta hätte gern am Aufbau des Nähr- und Genussmittelbetriebes mitgewirkt, doch am 25. November 1933 war ihre Tochter Karin Rosa zur Welt gekommen und Senta widmete sich zuerst einmal den häuslichen Aufgaben. Das sollte nicht so bleiben. Zu einer großen, und wie sich herausstellte, einschneidenden Veränderung kam es Ende 1938: Sentas Mutter Rosa Gröpel, die sich als Jüdin in Deutschland immer unsicherer fühlte, wanderte am 17. Dezember nach Ecuador zu ihrem Sohn Friedrich (Federico) aus.
Da Senta dringend im Geschäft gebraucht wurde, nahm Rosa die fast fünf Jahre alte Karin mit – in einem Jahr sollte sie von ihrer Mutter wieder abgeholt werden. Wie geplant war Senta im August 1939 denn auch bei der Familie im Guayaquil. Am 1. September aber überfiel Hitler-Deutschland Polen, es drohte ein größerer Krieg. Senta, die die Jahre des Krieges von 1914–18 noch in Erinnerung hatte, wollte ihre Tochter lieber in sicheren Verhältnissen bei ihrer Mutter wissen und kehrte Anfang September mit einem italienischen Schiff alleine nach Europa zurück. Karin sah Mutter und Vater nie wieder. (Sie baute sich ein erfolgreiches Leben in Ecuador auf, heiratete und bekam eine Tochter. Sie starb am 3.10.2016 im Alter von 83 Jahren in Guayaquil. Rosa Gröpel verstarb 1958.)
Zurück in Hamburg, engagiert sich Senta verstärkt in der Leitung von Gerhards Unternehmen. Seit 1942 und mehr noch 1943 ging es mit den Geschäften immer schleppender. Zum einen richteten die Bombenangriffe auf Hamburg, speziell im Juni und Juli 1943, schwere Schäden an den Lagern und den Produktionsanlagen an, zum andern blieben gewohnte Aufträge aus und hier vor allem die besonders wichtigen des Militärs.
Wie kam es zu diesem Schwund an Bestellungen? Wir wissen es nicht. Es gibt Hinweise, dass das ehemalige NSDAP-Mitglied Gerd Dohme bei Partei und Gestapo denunziert worden war, in geheim gehaltener "Mischehe" zu leben und sich verschiedentlich abschätzige Bemerkungen über das NS-Regime zu erlauben. Woher diese möglichen Bezichtigungen gekommen sein könnten – vielleicht von einem Geschäftskonkurrenten, aus dem Kreis der Angestellten im Betrieb, von einem fanatisierten Nationalsozialisten – ist nicht bekannt.
Sicher ist, dass der Gestapo-Mann Walter Mecklenburg, der in der Hamburger Staatspolizeileitstelle im sogenannten Judenreferat arbeitete, am 23. April 1942 im jüdischen Gemeindebüro erschien und Sentas Kultussteuerkarte beschlagnahmte. Erhalten ist die Abschrift der Karte mit dem Vermerk des Vorgangs. Senta war, wie erwähnt und auf der Karte notiert, bereits am 5. Dezember 1935 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, und sie hatte die lutherische Konfession angenommen. Vor rassistischer Verfolgung konnte sie das allerdings nicht schützen.
Doch irgendwelchen Maßnahmen gegen das Ehepaar kam es zu jener Zeit nicht. Erst Jahre später, am 8. November 1944, wurden die Beiden in der Wohnung Werderstraße 43 verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Welche Abteilung der Stapo-Leitstelle Hamburg, welcher Sachbearbeiter sie dann auf die Liste der "gefährlichen, der "unbedingt zu beseitigenden Personen" setzte und warum – aus politischen Gründen, aus Gründen der Rassenideologie, um Zeugen anderer Schandtaten zu beseitigen? – auch das wissen wir nicht. Die Gestapo vernichtete in Hamburg (wie anderenorts) nahezu alle Unterlagen, auch die ihres Gefängnisses in Fuhlsbüttel, vernichtet.
Auch Unterlagen der britischen Militärgerichtsprozesse von 1946/47 ("Curiohaus-Prozesse) und des Landgerichts Hamburg gegen Henry Helms und andere Gestapo-Beamte (1949) geben zu Dohmes keinen Hinweis. Jedenfalls wurden beide Eheleute in den April-Tagen im KZ Neuengamme ermordet.
So rätselhaft die Gründe der Verhaftung und Ermordung sind, so irritierend – vorsichtig gesprochen – sind die Vorgänge um den Verbleib der Hinterlassenschaften der Dohmes, der privaten wie der geschäftlichen. Die Abwicklung der Erbschaftsangelegenheiten besorgte Rechtsanwalt Capelle (Hamburg–Basel), der von Gerhard Dohme eine Generalvollmacht hatte. In seinen Schreiben nach Ecuador an Rosa Gröpel, der Großmutter und Vormund der dreizehnjährigen Karin Dohme, betonte Capelle wiederholt die große und unauflösliche Freundschaft, die ihn mit Gerhard verbunden habe und dass er nichts Weiteres im Sinne habe, als zum Wohle der Erbin zu wirken. Es überrascht dann, wie er sich bemüht, den Wert des Erbes, des privaten Gutes wie den der Handels- und Produktionsbetriebe, als so gering darzustellen, dass es besser sei, sich aller Verpflichtungen zu entledigen und auf die Hinterlassenschaft ganz zu verzichten. Einige private Gegenstände Sentas und Gerhards könne er "für die liebe Karin" als Erinnerungsstücke heraussuchen und aufbewahren. Und so geschah es.
Rosa Gröpel stimmte als Vormund Karins zu. Dohmes Betriebe in Hamburg und Lübeck gingen im April 1946 unter altem Namen und ohne irgendwelche Entgelte an eine Mitarbeiterin der Unternehmen über, an die Tochter des Prokuristen Lüders. Die Einzelheiten der Transaktion sind unbekannt. 1950 gingen die Betriebe in Konkurs. Die Akten Dohme bei der Handelskammer sind nicht mehr einsehbar: Sie wurden am 1. August 1978 ordnungsgemäß vernichtet.
Karin erhielt, wie versprochen, einige Erinnerungsstücke. Sie fühlte sich später um ihr Erbe betrogen.
Stand: Dezember 2016
Text: Johannes Grossmann, aus: www.stolpersteine-hamburg.de