Gesa Schneider Gesa Schneider, geb. Sperling, verw. Girlich
(10.11.1919 – 4.8.2009)
Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime
Bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756, Geschwister-Scholl-Stiftung, Bo 73-70
Text entnommen aus: www.avs-bund.de/schneider-gesa/
Ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten (AvS)
Gesa war die Älteste von zehn (überlebenden) Kindern einer Familie, deren Mitglieder noch mehr als andere dem Terror der Nazis zum Opfer fielen. Die Großeltern mütterlicherseits gehörten zum linken Flügel der SPD und schon vor 1933 half Gesa ihrem Vater, einem ehemaligen Sanitäts-Feldwebel, verwundete Reichsbanner- und Antifa-Kämpfer zu verarzten. Ihr Onkel war Parteisekretär der SPD. Ihr Vater, Mitglied des „Antifaschistischen Kampfbundes“ in Barmbek-Süd, wurde schon am 5. Mai 1933 verhaftet. Nachts kam die Staatspolizei (Stapo), später umbenannt in Gestapo, mit Polizisten, die auch das Kinderzimmer durchsuchten. Einer der Kripobeamten fand das Spielemagazin, in dem Flugblätter, Schriften und die Mitgliedsliste des Kampfbundes lagen. Der Kripobeamte lenkte die Stapo ab und sagte zu einem dazukommenden Nazi: „Hier ist alles sauber“, um dann in einem günstigen Moment der Mutter zuzuflüstern, „alles vernichten“!“i Die 13jährige Gesa und ihre Schwester Ursel steckten später die Schriften in die Briefkästen von Nazianhängern und warfen sie in den Eilbekkanal. Nach 21 Tagen kehrte der Vater nach schweren Misshandlungen zurück und verlor seine Arbeit als Angestellter der AOK, eine Zeit der Not brach an, die Familie hungerte. Bei der Besetzung des Parteihauses im Juni konnte Gesa mit ihrer Kusine noch einige Schriften und Bücher unbemerkt nach draußen bringen. Als 1934 die Großeltern und der Vater verhaftet wurden, während die Mutter zur Entbindung im Krankenhaus war, blieben die Kinder allein. Die beiden Ältesten – Gesa hatte ein Stipendium der Lichtwarkschule – gingen abwechselnd zur Schule, denn es musste sich ja jemand um die Kleinen kümmern. Nachbarn stellten manchmal heimlich Essen vor die Tür. Als Gesa im KZ Fuhlsbüttel dem Vater frische Wäsche bringen durfte, wurde ihr ein Paket mit seiner blutverkrusteten Wäsche in die Hand gedrückt. Das war kein Einzelfall, der Hinweis auf „blutige Wäsche aus dem KoLa Fu“ taucht mehrfach in Erinnerungen auf. Ihr Großonkel Jakob Kock (KPD), wurde von der Gestapo gesucht, ihm gelang die Flucht nach Kopenhagen, Gesa konnte ihm Schiffskarten besorgen und ihre dänischen Freundinnen boten ihm die erste Zuflucht an. Mit dem Fahrrad und per Schiff konnte Gesa ihm später noch seine Papiere in Kopenhagen überbringen. Die begabte Fünfzehnjährige musste aus finanziellen Gründen die Schule verlassen und sich zunächst als Hausgehilfin und Arbeiterin durchschlagen, dann arbeitete sie als Kontoristin. Nicht selten begleitete sie ihren Großvater zum Hafen, wo über norwegische Seeleute geheime Kontakte zu Onkel Jakob, der inzwischen in Spanien kämpfte, möglich waren. Im Herbst 1943 wurden wiederum der Vater, die Großeltern, ihr Onkel Karl – Sohn Jakob Kocks – sowie ihre Tante Käthe Neumann-Holm verhaftet. Karl wurde hingerichtet, Käthe Neumann-Holm wurde eineinhalb Jahre im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Gesa wurde 1941-1945 als Luftwaffenhelferin verpflichtet und versuchte in dieser Funktion vergeblich, Verbindung zum dänischen Widerstand aufzunehmen. Inzwischen verheiratet mit Gustav Girlich konnte sie ihre Entlassung aus der Wehrmacht selbst während ihrer Schwangerschaft nicht durchsetzen. Deshalb kam ihre Tochter im März 1945 im Kriegsmütterheim zur Welt, zur gleichen Zeit, als Gustav Girlich bei Kriegsende in Ostpreußen umkam. Die Kleine starb schon 1946, als die Diphterie-Epidemie wütete – für ein an Diphterie erkranktes Kind gab es in der Trümmerstadt Hamburg kein Krankenhausbett. Gesa nahm ein Anglistikstudium auf, machte 1947 ihr Dolmetscherexamen und arbeitete als Übersetzerin. Bei der gemeinsamen Arbeit im „Komitee der ehemaligen politischen Gefangenen“ lernte sie Karl Schneider kennen, sie heirateten 1949 und hatten drei Kinder. Doch die Schrecken der NS-Zeit holten sie noch einmal ein, als ihrer Schwester Antje 1981 auffiel, dass bei der Todesurkunde ihrer 1930 geborenen behinderten kleinen Schwester Irma etwas nicht stimmte. Es bedurfte jahrelanger Recherchen, bis klar wurde, dass Irma, seit 1934 in den Alsterdorfer Anstalten, 1943 nach Wien deportiert und ermordet wurde. Antje Kosemund kämpfte Jahrzehnte, um genauere Auskünfte zu erhalten um dann Irma und den ermordeten Kindern einen Gedenkstein setzen zu lassen. Das hat Gesa – und nicht nur sie – bis in ihr hohes Alter sehr belastet. Gesa blieb jedoch ein lebensfroher, optimistischer Mensch, allerdings konnte sie den Erlebnissen in ihrer Jugendzeit offenbar nicht ganz entkommen, denn sie musste sich mehrfach wegen Depressionen in psychiatrische Behandlung begeben. Nach Karl Schneiders Tod 1989 führte sie die „Sokratischen Gespräche“ im Geiste Nelsons und der Philosophisch-Politischen Akademie weiter, war aktiv in der Hamburger SPD, der AvS und in der Gedenkstätte Neuengamme.ii Literatur: Verfolgung S. 65f ii H. K-B.
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