Charlotte Thiede Eisler-Rodewald Charlotte Thiede Eisler-Rodewald, geb. Thiede
(4.4.1917 – 4.5.1979 Hamburg)
Malerin
Sierichstraße 156 (Wohnadresse mit Otto Rodewald)
Ihr Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756
Charlotte Thiede Eisler-Rodewald verstarb im Alter von 62 Jahren an Anorexie, an einer Krankheit, die sie schon zu Lebzeiten zum langsamen Verschwinden von dieser Welt brachte. Dass sie in dieser realen Welt nicht leben konnte, zeigen ihre Zeichnungen und unterstreichen ihre Weggefährten. So schreibt ihr Neffe Roger Thiede in seinem Nachruf auf seine Tante: „Ihre Kunst war (…) anachronistisch. (…) das heißt soviel wie aus der Zeit gefallen. (…) das heißt, gar nicht voll in einer Zeit aufzugehen, sich den Glauben an etwas anderes, besseres zu bewahren. (…) fast gibt es kein Bild, keine Zeichnung, die nicht eine paradiesische Landschaft, die nicht jene anmutigen Mädchenfiguren abbilden, (…) die unserer Gegenwart, den Realitäten unserer Welt, der Industrie, dem Älterwerden kraß entgegengesetzt ist. Damit ist Charlottes Künstlertum ungefähr beim Namen genannt: die fixierende Beschwörung einer Jugend, eines Mädchentums voller Schönheit und Geheimnis, einer Entrückung, einer fast sakralen Unantastbarkeit, die allen Verwertungen europäischer Lebensläufe entgegensteht. (…) Charlotte hat dieses Bild von einer mädchenhaften Existenz nicht nur gemalt, sondern auch zu leben versucht. Wer sie in ihrem Atelier besuchte, konnte oft wirklich meinen, es mit einem ihrer Geschöpfe zu tun zu haben – dem Exotismus ihrer Person entsprach ihre Leidenschaft für das Uneuropäische, für China, Indien, für Afrika und die indianischen Kulturen. Um so schlimmer traf sie die Erkenntnis, daß eben jene Kulturen der Dritten Welt einem unaufhaltsamen (…) Zerstörungsprozeß ausgeliefert wurden, der mit rasender Geschwindigkeit uralte Traditionen vernichtet. Denn mit den Völkern sah sie sich selbst bedroht – eine letzte Zuflucht vor der Profanität unserer Gesellschaft wurde mit jedem Tag irrealer, wurde mit jeder Nachricht drastischer zerstört, die man im Fernsehen hören konnte. (…) Das übermächtige Bild einer mädchenhaften Idylle konnte der Wirklichkeit auf die Dauer doch nicht standhalten. (…) Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß Charlotte Eisler-Rodewald an solchen Konflikten gestorben ist.“[1]
Und auch der Publizist Erich Lüth schlug ähnliche Töne an in seinem Nachruf auf Charlotte Thiede Eisler-Rodewald: „Könnte sie noch zu uns sprechen, die wir uns ihr so ganz nahe fühlen, so würde sie, die in ihrer Selbstkritik so unbeirrbar gewesen ist, entgegen den Konventionen sagen: Dieses doch so oft grausame und unbarmherzige Leben – mein Leben – war nicht erfüllt, denn meine künstlerischen Träume sind nur zu einem viel zu kleinen Anteil gereift. Ich habe sie nicht erfüllt und ich konnte sie, so viel ich auch geschaffen habe, nicht erfüllen – denn sie wollte in ihrer fast beispiellosen Intensität mehr. Als sie noch jung war, gertenschlank, ja geradezu zerbrechlich, strahlte sie Hoffnung aus, durch die sie uns, ihre Gefährten und ihre Freunde, mitriß. Aber sie hat immer in zwei Welten gelebt, die offenbar nicht zu vereinigen waren. Das war die Welt des Aussatzes und der Barbarei, gegen die sie und Otto Rodewald sich immer wieder radikal bis an die Grenze der Selbstvernichtung, empört haben. Deshalb widmete sie sich noch bis zuletzt der Gesellschaft für bedrohte Völker. Das andere aber war die Welt ihrer schöpferischen Visionen, in denen sich alle Banalitäten des Alltags dichterisch in eine Zauberwelt verwandelten.“[2]
Mit 15 Jahren war Charlotte Thiede 1932 zu ihrem Lehrer und späteren Ehemann, den 25 Jahre älteren Maler und Grafiker Otto Rodewald (1891-1960) gekommen. Geprägt durch die Schrecken des Ersten Weltkrieges und die dabei erlittenen Verwundungen zog sich Rodewald mit seinen Bildern ins Märchenhafte und Symbolistische zurück. Als Charlotte Thiede Rodewalds Schülerin wurde, „war Rodewald gerade von einem mehrjährigen Aufenthalt im nordafrikanischen Sidi Boussaid (1929-1931) zurückgekehrt. (…) Noch ganz erfüllt von jener so andersartigen Welt (…) hat Rodewald zweifellos seiner jungen Schülerin viel von dieser anderen, entrückten Welt erzählt, so wie sich auch seine Bewunderung für die ostasiatische Kunst und Geisteswelt auf seine Schülerin übertrug.“[3] Denn hier trafen sich zwei verwandte Seelen: Charlotte Thiede war „aus der eigenen Gemütsstimmung heraus offenbar voll leidenschaftlicher Empfänglichkeit für die kritische Welterfahrung Rodewalds und seine Gedanken. Sie begriff, welch wesentlichen Wert, welchen Schutz die Flucht in eine imaginäre, dem Zugriff des Alltags entrückte Welt bot.“[3]
1937 wurden Arbeiten von Rodewald als „entartete Kunst“ von den Nazis beschlagnahmt. Ende der 1940er Jahre heirateten Rodewald und Charlotte Thiede. Für Rodewald war es die zweite Ehe. Auch nach Rodewalds Tod setzte sich Charlotte Eisler-Rodewald für das Werk ihres verstorbenen Mannes ein und erhielt darin die Unterstützung durch ihren zweiten Ehemann, den Verleger George B. Eisler, ein Freund Rodewalds.
Zum Gelderwerb illustrierte Charlotte Thiede Eisler-Rodewald in den 1950er Jahren Romanfortsetzungen im Hamburger Abendblatt, so z. B. die Fortsetzungsfolge „Percy ist zu jung für Dich! Aus den Briefen eines jungen Mädchens“ von Marga Berck. Und sie illustrierte auch die vom Hamburger Abendblatt zwischen 1952und 1961 zur Adventszeit veröffentlichten „Märchen aus uralten Zeiten“. Aber sie arbeitete zehn Jahre lang auch für die internationale Zeitschrift „scala international“ und Illustrierte z. B. Carl-Albert Langes Nachdichtung chinesischer Lyrik „Der Pavillon aus Porzellan“.
Über Charlotte Thiede Eisler-Rodewald als Person äußert ihr Neffe: „Sie war Künstlerin von Beruf, (…). Momente eines trotzigen Boheme-Lebens bestimmten ihr Bild, jene für den Normalbürger oft so verwirrende Mischung von Entsagung und Freude am Schönen – auch am ‚Luxus‘, der nicht den vermögenden Philistern vorbehalten sein sollte. Ihre Jugendlichkeit prägte ihr Leben und ihre Kunst.“ 1) Und Erich Lüth berichtet: „Dieser zarte Mensch, der von einem anderen Stern zu uns gekommen schien, hatte in seiner Feinfühligkeit, eine ungewöhnliche Kraft, im Hause an der Sierichstraße eine jeden ihrer Freunde oder Besucher entrückende Atmosphäre zu schaffen. Sie liebte die kleinen Dinge der Welt und des Lebens: Gläser, Mineralien, winzige Statuetten. Sie blieb aber auch als Surrealistin immer einer blühenden Wirklichkeit nahe.“[2]
Über ihr Schaffen in ihren letzten Lebensjahren resümierte Werner Timm: „Die Zeichenkunst der Charlotte Thiede erreicht am Ende ihres Lebens in einer Gruppe von Zeichnungen um 1977-78 einen letzten Höhepunkt. Hierbei handelt es sich überwiegend um reine, ideale Landschaften und Blumen Arrangements. Diese Landschaften sind menschenleer, einsam, von seltsamer Melancholie erfüllt. (…) mehrmals stößt man bei diesen Landschaften auf die Trauerweide, die mit der schwermütigen Gebärde der herabhängenden Zweige geradezu wie ein Leitmotiv oder Leitsymbol der seelischen Stimmung dieser Zeichnungen wirkt. Eine unsagbare Trauer und Einsamkeit spricht aus diesen Werken (…) Gelegentliche Notizen der Künstlerin auf einigen Zeichnungen lassen die tiefe Verzweiflung erkennen, die hinter der noblen Gebärde der Trauer steht, die ihre Landschaftszeichnungen erfüllt. ‚Warum sie mich hassen. Meine Blumen wollen sie nicht und die Tiere‘ heißt es 1978 und im Todesjahr 1979 voll Resignation und Wissen um den Tod der lakonische Vermerk ‚Die Zeit ist um‘.“ [3]
Auf ihrem Grabstein ist ein Inkavogel eingezeichnet.
Zusammengestellt von Rita Bake