Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Aenne Bohne-Lucko Aenne (Anna-Maria) Bohne-Lucko, verw. Bohne

(28.11.1914 Hamburg – 8.9.2008 Berlin)
Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus
Slomanstraße 19 (Wohnadresse 1939)


Aenne (eigentlich Anna-Maria) Bohne-Lucko wurde am 28.11.1914 in Hamburg geboren.[1] Sie wuchs in einem klassenbewussten proletarischen Elternhaus auf. Der Vater war Dreher und Mitglied im Metallarbeiterverband. „Soweit ich mich erinnere, war mein Vater immer revolutionär eingestellt. Als er aus dem Krieg kam, hat er Spartakus mitgemacht, Arbeiter- und Soldatenräte …“[2] Die Mutter war seit 1926 politisch für die KPD aktiv. „Außerdem war sie berufstätig in der Volkszeitung [Zeitung der KPD Hamburg] – sie war fast keinen Abend zu Haus.“[3] Aenne wurde überwiegend von ihrer Großmutter erzogen. Sie schloss die Schule mit der mittleren Reife ab.
Auch Aenne wurde früh in der kommunistischen Arbeiterbewegung aktiv. 1930 trat sie in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) ein und war auch Mitglied im Arbeitersportverein. 1939 erfolgte ihr Eintritt in die illegale KPD.
Nach der Machtübernahme Hitlers war die gesamte Familie im antifaschistischen Widerstand aktiv. 1935 wurde Aenne das erste Mal von der Gestapo verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu einer Haftstrafe von 21 Monaten verurteilt. Bei Aennes Entlassung war ihre Mutter noch inhaftiert. „Ich habe mir dann ein Zimmer in Rothenburgsort gemietet, wo noch viele Jugendgenossen waren, die ebenfalls aus dem Gefängnis kamen. Und so hatte ich sofort Kontakt mit den ehemaligen Genossen. … Der [Walter Bohne] wohnte auch in Rothenburgsort. Wir gingen zusammen auf Fahrt … Wir waren Wassersportler und fuhren auf der Oberelbe. In Warwisch war eine Künstlerkolonie – da fuhren wir jedes Wochenende hin. Und so lernte ich Walter näher kennen. Wir verstanden uns gut …“[4] 1937 heirateten Aenne und Walter Bohne.
Von 1939 bis 1942 waren Aenne und Walter Bohne am Aufbau der kommunistischen Widerstandsgruppe um Bästlein, Jacob und Abshagen beteiligt. Sie war mit etwa 300 Mitgliedern, überwiegend KommunistInnen, aber auch wenige SozialdemokratInnen und Parteilose sowie ZwangsarbeiterInnen aus über 30 Hamburger Betrieben die größte Hamburger Widerstandsgruppe. Ziel war die Mobilisierung der Arbeiterschaft gegen Krieg und Nationalsozialismus, die Unterstützung ausländischer ZwangsarbeiterInnen und sowjetischer Kriegsgefangener sowie Sabotageakte gegen die Produktion in den Rüstungsbetrieben. Aenne Bohne war für die Arbeit in der Wehrmacht eingesetzt: „Da habe ich mit Addi gearbeitet, der eingezogen war zur Dolmetscherkompanie in Hamburg-Blankenese. Wir hatten bestimmte Aufgaben, u. a. auch Feldpostbriefe zu verschicken. Das war eine große Aktion. In der Hauptpost, da hatten wir jemanden, der uns die ganzen Feldpostnummern gegeben hat, an die schickten wir dann unsere Flugblätter. Dann Waffenbeschaffung usw. – das war Wehrkraftzersetzung, Hoch- und Landesverrat. Also ich musste wie alle anderen, mit der Todesstrafe rechnen.“[5]
1942 wurde Aenne Bohne erneut verhaftet. Sie wurde zunächst im Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel untergebracht. Im März 1943 wurden sie und weitere 60 politische Häftlinge in das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis überführt.
In diese Zeit fielen auch die großen alliierten Fliegerangriffe gegen Hamburg. „Es war ein Chaos – Gas, Elektrik, Wasser, Licht – alles fiel aus. Die Gestapo hatte sich inzwischen abgesetzt … Unter diesen Umständen hatte man aus dem UG [Untersuchungsgefängnis] schon viele Leute entlassen oder beurlaubt. Bloß wir saßen noch da. Die Politischen trauten sie sich nicht zu entlassen. Da habe ich mich bei der Gefängnisdirektion melden lassen und – oh Wunder – erreicht, daß man uns tatsächlich alle auf zwei Monate beurlaubte. Das war ein Novum. In keiner Stadt und an keinem Ort in ganz Deutschland hat man politische Gefangene entlassen oder beurlaubt. Jedenfalls standen wir 14 Frauen vor der Tür.“[6] Am nächsten Tag erreichten die Frauen auch die Beurlaubung von 52 männlichen politischen Gefangenen, darunter auch ihren Mann Walter Bohne. Lediglich vier, u. a. der Widerstandsgruppenleiter Robert Abshagen, verblieben in Haft.
Aenne und Walter Bohne gingen sofort in die Illegalität, um die Widerstandsarbeit fortzusetzen. Sie bewaffneten sich, um bei einer erneuten Verhaftung Widerstand leisten zu können. Unterschlupf fanden sie bei befreundeten GenossInnen. „“Man war in allem auf die Hilfe anderer angewiesen, um überhaupt illegal leben zu können. Ich habe noch zweimal Lebensmittelkarten auf der Veddel abgeholt … und da sagte mir mein Nachbar …: „Kommen sie mal lieber nicht wieder, hier hat schon jemand nach Ihnen gefragt.“[7] Zuletzt kamen sie in der Wohnung von Kurt Schill [Großvater des späteren berüchtigten Hamburger Innensenators und so genannten „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill] unter und versorgte sie mit seinen Lebensmittelkarten.
Am 05.01.1944 wurde Walter Bohne in eine Falle gelockt. Ein Gestapo-Kriminalinspektor erwartete ihn am Treffpunkt am Klosterstern. „Da hat mein Mann dann so lange geschossen, bis er selbst – ich weiß nicht nach wie vielen Bauch- und Brustschüssen – ins Hafenkrankenhaus eingeliefert wurde. Da lebte er aber schon nicht mehr. Bis heute [1974] weiß ich nicht, wo mein Mann beerdigt ist, wo sie ihn verscharrt haben. Ich habe keinen Grabstein, nichts. Ich hatte immer die leise Hoffnung, daß ich später einmal, in ferner Zukunft, am Klosterstern in Hamburg ein Denkmal für meinen Mann errichten werde.“[8]
Immerhin erinnert heute ein Stolperstein am Klosterstern 5 an Walter Bohne. Auch in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin ist eine Gedenktafel für ihn angebracht.
Die Gestapo fand tragischer Weise bei Walter Bohne eine Milch-Lebensmittelkarte von Kurt Schill. Am folgenden Tag wurde Kurt Schill in seiner Wohnung in der Bartelsstraße festgenommen und ohne Gerichtsverfahren im KZ Neuengamme gebracht. Dort wurde er am 14.02.1944 gemeinsam mit den KommunistInnen Elisabeth und Gustav Bruhn sowie Hans Hornberger gehenkt.
Aenne Bohne wurde im Juni 1944 durch eine Denunziantin der Gestapo, Helene Reimers, am Sternschanzenbahnhof verhaftet. „Wahrscheinlich hat die Person mir mit dem Regenschirm eins über den Schädel gegeben. In dem Schirm war etwas Hartes, so daß ich gleich umfiel. Ich konnte also weder meine entsicherte Pistole abschießen, noch irgendetwas tun.“[9]
Zehn Monate verbrachte Aenne Bohne in der Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel in streng isolierter Sonderhaft. „Das bedeutete: verringerte Essenrationen, am Tage die Hände in der „8“ auf dem Rücken gefesselt, nachts an den eisernen Bettrahmen gekettet. Mein einziger Spaziergang während dieser Zeit war die Zelle, sieben Schritte hin, sieben Schritte her. Wie beneidete ich meine Mitgefangenen, wenn mittags der Ruf durch das Haus ging: ‚Fertigmachen zur Freistunde!‘ Ach, könnte ich doch nur ein einziges Mal draussen in der frischen Luft herumgehen, den Himmel, Wolken, Vögel, Bäume – und seien sie auch ohne Blätter – und vor allem meine Kameraden sehen.“[10] Am 04.03.1945 sagte man ihr, dass sie am nächsten Tag „auf Transport“ gehen sollte. „Was hatte das nun zu bedeuten –Volksgerichtshof? Vorläufig musste ich nur den Empfang meiner Effekten unterschreiben, die ich aber nach der Unterschrift nicht bekam, sondern am nächsten Tag erhalten sollte. Effekten – so nannte man Sachen, die den Gefangenen bei der Verhaftung abgenommen wurden und über die man eine Liste aufstellte. Das waren also meine zwei Ringe, die Armbanduhr, Geld, Kleidung, Schuhe und verschiedene persönliche Dinge, wie sie eine Frau bei sich trägt. Trotz dieser Unterschrift habe ich – meinen Kameradinnen ging es genauso –von diesen Sachen nichts wieder gesehen. Die Gestapo hat sich an ihnen bereichert wie auch an unserem persönlichen Hab und Gut in unseren Wohnungen.“[11]
„Wir ahnten damals nicht, dass entgegen den Absichten von Gestapo und Justiz dieser 5. März unser Glückstag werden sollte. Es begann damit, dass man uns nicht in einen Sonderwagen der Eisenbahn zum Termin beim Volksgericht verfrachtete, sondern uns im Untersuchungsgefängnis Hamburg ablieferte. Das bedeutete – Zeit gewonnen! Den SS-und Gestapo-Banditen sowie dem Volksgerichtshof waren wir fürs erste entronnen. Neue Hoffnung erfüllte uns. Unterwegs hatte ich mich bereits über das Wichtigste informieren können und wusste, mit dem Krieg geht es in Kürze zu Ende. An welchen Abgrund hatten die Faschisten das deutsche Volk geführt? Welche Leiden, Schrecken und welches Grauen hatte die Bevölkerung über sich ergehen lassen, verursacht durch den von den Faschisten und ihren Hintermännern provozierten Krieg. Hamburg war ein einziger Trümmerhaufen. Was war aus unserer schönen Heimatstadt geworden!“[12]
Die alliierte Bombardierung Hamburgs ging weiter. „Bei jedem Alarm führte man die Frauen in den Keller. Wir von der „Todesstation“ aber blieben auch während der Angriffe in unseren Zellen eingeschlossen. Es hiess, die Engländer stehen auf der anderen Elbseite und beschiessen Hamburg mit Artillerie. Also war der Krieg noch nicht zu Ende. Wir sollten es leider noch sehr zu spüren bekommen. Die Bomben fielen auch auf das UG. Einige Male hatte es den Männerbau getroffen. Eines Nachts schlug eine Mine in den Frauenbau. Mehr als dreissig Menschenleben, die bisher die Schrecken des Faschismus überstanden hatten, waren mit einem Schlage vernichtet. Meine Zelle war die letzte auf dem Flur, die nicht mit in den Abgrund gerissen worden war. Als ich mich aus Trümmern und Scherben herausgearbeitet hatte, war mir bewusst: Ich bin noch einmal davongekommen!“[13] Dieser Bombenangriff rettete indirekt auch ihr Leben. Denn nicht nur das Untersuchungsgefängnis, sondern auch das Hanseatische Oberlandesgericht, wo in den nächsten Tagen der Volksgerichtshof tagen sollte, war getroffen worden und konnte nicht mehr genutzt werden.
„Neue Hoffnung keimte. Vielleicht würden wir doch am Leben bleiben. Und es geschah! Ich und die Freundinnen von der Todesstation, ebenso die noch lebenden Todeskandidaten im Männerbau, haben den Faschismus entgegen den Absichten von Gestapo und Nazijustiz überlebt. Wir sind entkommen![14] Erst am 26.05.1045 wurde Aenne Bohne mit den anderen politischen Häftlingen aus der Haft entlassen.
Aenne Bohne ging nach ihrer Befreiung in die sowjetisch besetzte Zone nach Ost-Berlin. Sie war dort bis 1957 Mitarbeiterin in der Abteilung Kultur der Bezirksorganisation des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD). Sie heiratete Carl Lucko (1914-1980), einen Dozenten an der Hochschule für Verkehr Dresden, und nahm dessen Nachnamen an.
Aenne Lucko starb am 08.09.2008 in Berlin. Sie blieb bis zuletzt ihrer kommunistischen Überzeugung treu. In dem Nachruf ihrer Partei DIE LINKE hieß es: „Vor wenigen Wochen ist die Karolinenhofer [Berlin-Treptow] Bürgerin Änne Lucko verstorben. Sie war bis in die 80er Jahre Vorsitzende der Ortsgruppe der Volkssolidarität sowie im Klubrat und in anderen gesellschaftlichen Gremien tätig. Die 93-Jährige lebte in den letzten Jahren in einem Seniorenheim.“[15]
Text: Dr. Ingo Böhle