Antonie Brandeis Antonie Brandeis, geb. Ruete
(25.3.1868 Hamburg – 24.4.1945 Bad Oldesloe)
Sammlerin, Ethnographin, Kolonialaktivistin
Grillparzerstraße 33 (damals: Goethestraße) (Wohnadresse von 1927-1942)
Der Name Antonie Brandeis taucht meist in Verbindung mit der deutschen kolonialen Frauenbewegung auf, in der sie in den Jahren 1907–1933 eine zentrale Rolle spielte. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die gebürtige Hamburgerin und älteste Tochter von Emily Ruete eine passionierte Sammlerin von materieller Kultur aus Mikronesien war. In seinem Beitrag präsentiert Godwin Kornes erste Ergebnisse aus einem aktuellen Forschungsprojekt zur Biographie von Antonie Brandeis und ihrer Tätigkeit als Sammlerin, Ethnographin und Kolonialaktivistin.
Auf dem Friedhof in Ohlsdorf, sehr schön gelegen und ein bisschen versteckt, befindet sich die Grabstätte der Familie Ruete. Ihr bekanntestes Mitglied, Emily Salme Ruete, geb. bint Sa`id Al-Sa`id (1844–1924), hat dort ihre letzte Ruhestätte gefunden, genauso wie ihr früh verstorbener Ehemann, Rudolph Heinrich Ruete (1839–1870). Als „Prinzessin von Sansibar“ ist Emily Ruete einer größeren Öffentlichkeit bekannt und sie gilt als eine der ersten arabischen Frauen, die eine Autobiographie veröffentlicht hat.[1] Auch aus diesem Grund wurde sie als eine bedeutende Hamburgerin in die Gedenkstätte „Garten der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof aufgenommen. Im Herbst 2020 geriet sie erneut in die Schlagzeilen in Hamburg, nachdem die Bezirksversammlung Hamburg-Nord entschied, einen Platz zwischen der Leo-Leistikow-Allee und dem Eilbekkanal nach ihr zu benennen. Hierauf wurde von Seiten postkolonialer Kritiker:innen auf Emily Ruetes antischwarzen Rassismus und ihre Apologie der ostafrikanischen Sklaverei verwiesen und eine Rücknahme der Ehrung eingefordert.[2] Weniger bekannt dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass in der Ohlsdorfer Familiengrabstätte auch Emily Ruetes Tochter Antonie bestattet liegt.
Bei der Lektüre von Emily Ruetes Memoiren und ihren posthum veröffentlichten „Briefen“ fällt auf, welchen Stellenwert ihre drei Kinder für ihr eigenes Handeln und Selbstbild hatten. Gleichzeitig irritiert an den Texten, wie abwesend Antonie Thawka, Rudolph Said und Rosalie Ghuza als Personen in der narrativen Selbststilisierung der Mutter bleiben. Mit diesem Beitrag möchte ich daher das Augenmerk auf Emily Ruetes älteste Tochter Antonie richten, die mit ihrer Mutter nicht nur ein bewegtes, ungewöhnliches Leben gemeinsam hat, sondern auch die enge Verflechtung mit der kolonialen Vergangenheit Hamburgs. Dies betrifft sowohl ihre Rolle als Sammlerin und Ethnographin, wie auch ihr jahrzehntelanges aktivistisches Engagement für die koloniale Frauenbewegung.
Jugend und Werdegang
Antonie Brandeis wurde am 25. März 1868 in Hamburg geboren und verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in der großbürgerlichen Villa der Ruetes an der Schönen Aussicht 29. Der frühe Unfalltod von Rudolph Ruete im August 1870 bedeutete einen harten Einschnitt für die Familie, verursacht durch den Verlust der finanziellen Absicherung, die an die bürgerliche Existenz des Vaters geknüpft war. Es folgten Jahre größer werdender Einbußen für die alleinerziehende Emily Ruete, vor allem was die Wohnsituation anging. Die Familie zog von Hamburg nach Dresden (1872), später Rudolstadt (1877) und Berlin (1879–1884); zeitweise auch Köln, wo Antonies Bruder Rudolph die Militärakademie besuchte.
Antonie besuchte ihre erste Schule in Rudolstadt, später gemeinsam mit ihrer Schwester Rosalie eine höhere Töchterschule in Berlin. Ihre Schulferien verbrachte sie bevorzugt bei ihrer Patentante am Feenteich in Uhlenhorst, des Öfteren aber auch auf den Anwesen und Landgütern wohlhabender Freunde und Gönner ihrer Mutter. Hier erhielt sie Einblicke in die bürgerlichen Pflichten einer jungen Frau beim Führen von Haushalt und Landwirtschaft, was neben der praktischen Anweisung auch die Vermittlung einer bestimmten Ideologie nationalistischer Weiblichkeit umfasste.[3]
Wie Antonie in ihrem Nachlass beschreibt, hatten diese Jahre einen prägenden Einfluss auf sie.[4] Früh habe sie als älteste Tochter lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr sie das bürgerliche Ideal der aufopferungsvollen Mutter und Hausfrau verinnerlicht hat, das in späteren Jahren ein fester Bestandteil ihrer Identität werden sollte. Ein weiterer wichtiger Einfluss auf die Entwicklung ihres Weltbilds waren die zahlreichen Gelehrten im Bekanntenkreis der Mutter, insbesondere Orientalisten und Afrikaforscher wie Georg August Schweinfurth, Gerhard Rholfs, aber auch Carl Peters, deren Geschichten von fernen Ländern sie schon von früh an faszinierten.
Schon bald unternahm sie erste Auslandsreisen. Zwischen Juli und November 1885 begleitete sie ihre Mutter bei deren erster Reise zurück nach Sansibar. Nachdem Emily /Salme aufgrund ihrer Liebesbeziehung zu dem deutschen Händler Rudolph Ruete und ihrer Konversion zum Christentum von ihrer Familie verstoßen worden war, unternahm sie hiermit den erfolglosen Versuch, sich mit ihrem Bruder, Sultan Barghash, zu versöhnen und finanzielle Unterstützung zu erhalten.[5] 1887 verbrachte Antonie mehrere Monate bei Freunden der Mutter in London und Worcestershire, um Englisch zu lernen. Ein Jahr später reisten Emily und Rosalie erneut nach Sansibar, diesmal ohne Antonie, die in dieser Zeit bei ihrer Patentante in Uhlenhorst blieb. Da auch der zweite Versuch einer Versöhnung mit der Familie scheiterte, kehrte Emily desillusioniert sowohl der alten wie der neuen Heimat den Rücken zu und ließ sich mit Rosalie in Jaffa nieder. Im März 1889 folgte Antonie und reiste mit dem Hausstand der Ruetes aus Berlin über Antwerpen, Genua und Port Said der Mutter nach.
Von 1889–1891 lebte Antonie in Jaffa, später auch Jerusalem, inmitten einer eklektischen Gesellschaft, deren kulturelle und religiöse Vielfalt einen spürbaren Einfluss auf die junge Norddeutsche hatte. So beschreibt sie eindrucksvolle Ausflüge nach Jerusalem und ins Jordantal, oder auch, in nahezu ethnographischem Detail, ihre Teilnahme an einer muslimischen Hochzeit in Jaffa.[6] Aus Gründen des angenehmeren Klimas und eines urbaneren Lebensumfeldes zog Emily 1892 nach Beirut, wo sie bis 1914 leben würde. Ihre beiden Töchter begleiteten sie.
1895 kehrte Antonie für ein Jahr zurück nach Berlin, um eine Gesangsausbildung zu machen. Während dieser Zeit lernte sie über eine Bekannte aus Jugendtagen ihren späteren Ehemann, den Kolonialbeamten Eugen Brandeis, kennen. Brandeis war zu diesem Zeitpunkt gerade von seinem Posten als Kaiserlicher Richter und Bezirksamtmann in Neuguinea zurückgekehrt und war nun in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts tätig. Zuvor hatte er sich als Ingenieur beim Bau des Panamakanals und langjähriger Mitarbeiter der deutschen Auslands- und Kolonialverwaltung mit Einsätzen in Haiti, Sydney, Samoa, Neuguinea und den Marshallinseln bereits einen Namen gemacht. Besonders seine Tätigkeit als Berater für den samoanischen König Tamasese Titimaea in den Jahren 1886–1889, im Zentrum eines Machtkampfes um die Herrschaft im Inselstaat, hatte für internationale Aufmerksamkeit gesorgt.[7]
1896 kehrte Antonie alleine zurück nach Beirut, wo sie und Eugen am 30. April 1898 schließlich heirateten. Direkt nach der Hochzeitsreise, die das Paar in den Libanon und nach Damaskus führte, traten sie Ende Mai 1898 die Ausreise zu den Marshallinseln an, wo Eugen seine Stellung als Kaiserlicher Landeshauptmann antreten würde. Die nächsten sechs Jahre, mit einer Unterbrechung, verbrachte Antonie Brandeis auf dem Jaluit-Atoll.
Sechs Jahre auf Jaluit: Sammlerin und Ethnographin
Es sind diese Jahre in Mikronesien, die für den weiteren Werdegang von Antonie Brandeis eine zentrale Rolle spielten. In dieser Zeit entwickelte sie ein ausgeprägtes Interesse an Ethnologie, sammelte materielle Kultur und brachte sich selbst das Fotografieren bei. Durch teils umfangreiche Schenkungen ging ihre Sammlung von Objekten und Fotografien in ethnologische Museen in Freiburg, Berlin, Hamburg, Stuttgart, sowie Harvard ein, wo sie bis heute bedeutende Bestandteile der ethnologischen Ozeaniensammlungen ausmachen. Darüber hinaus stellte Antonie Brandeis ethnographische Beobachtungen an, die sie in kolonialen und ethnologischen Fachzeitschriften publizierte.
Ihre Beschreibungen von Menschen und Kultur in Mikronesien (und hier besonders in Nauru) tendieren zur exotisierenden Idealisierung, der an verschiedenen Stellen eine Abwertung von kolonisierten Menschen mit dunklerer Hautfarbe entspricht.[8] Ihr Kolorismus ähnelt in dieser Hinsicht jenem der Mutter. Gleichzeitig beschrieb sie durchaus hellsichtig den kulturellen Wandel, den der europäische Einfluss mit sich brachte. Dies sowohl hinsichtlich der Verbreitung neuer Technologien und Kenntnisse, wie auch in den negativen Konsequenzen des Kolonialismus, etwa durch die Ächtung traditioneller Kleidungspraktiken und der damit verbundenen Anfälligkeit für Krankheiten.[9] Aus diesen Beobachtungen entwickelte sie jedoch keine Kritik an der kolonialen Herrschaftspraxis, sondern sah darin vielmehr einen Ausdruck der evolutionistischen Weltordnung, mit sich selbst als Zeugin einer untergehenden Kultur. Vor diesem Hintergrund lässt sich ihr Sammeln dem Paradigma der sog. Rettungsethnologie zurechnen, d.h. dem Bemühen darum, vermeintlich vom Aussterben bedrohte „Kulturen“ durch ihre (vorrangig materiellen) Zeugnisse für die Nachwelt zu dokumentieren.
Was ihre Sammeltätigkeit dabei auszeichnete, war zum einen ein erkennbares Streben nach wissenschaftlicher Professionalität, für das sie Experten und Fachpublika konsultierte. Unter anderem besuchte sie während eines Berlin-Aufenthalts 1901 Vorlesungen des bedeutenden Museumsethnologen Felix von Luschan und korrespondierte mit ihm über Sammlungspraxis. Vor allem aber legte sie einen Fokus auf die Alltagskultur und insbesondere die Lebenswelt von Frauen. Dies betrifft sowohl Objekte, die Wissen und Handwerkspraxis von Frauen verkörpern, als auch detaillierte ethnographische Beschreibungen davon.
Ihr fotografischer Nachlass, der größtenteils im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) verwahrt wird, zeigt nicht nur geschlechterdifferenzierte Kleidungsstile oder handwerkliche Fertigkeiten, wie das Flechten von Pandanusblättern für Matten und Dächer, sondern vermerkt auch die Namen von zahlreichen der abgebildeten Personen. Gerade letzteres ist für die Provenienzforschung zu kolonialzeitlichen Sammlungen von großer Bedeutung. Für Frauenkooperativen wie das Jaki-ed Project in Majuro stellt die Sammlung von Antonie Brandeis zudem eine wichtige Ressource dar, um historische Techniken und Muster im Flechthandwerk zu rekonstruieren.[10]
Über ihre konkrete Sammelpraxis hat Antonie Brandeis, wie für ihre Zeit üblich, leider kaum Informationen hinterlassen. Aus Sammlungsakten und Selbstzeugnissen ergibt sich der Eindruck, dass sie bevorzugt mit Frauen tauschte, Objekte gegen Gebrauchswaren, in einigen Fällen gab sie auch handwerkliche Arbeiten in Auftrag.[11] Basierend auf dem gegenwärtigen Forschungsstand lässt sich daher annehmen, dass der überwiegende Teil ihrer Sammlung aus solchen Transaktionen stammt. Explizitere Unrechtskontexte lassen sich ihrer Sammeltätigkeit bislang nur indirekt zuordnen. So hat sie von Besuchern auf Jaluit mehrfach Objekte aus Regionen wie dem Bismarck-Archipel und den Salomonen als Geschenk erhalten, bei denen noch zu klären wäre, ob sie womöglich aus Strafexpeditionen stammen. Auch hat sie anscheinend über den Stationsleiter von Nauru im Auftrag von Felix von Luschan mehrere menschliche Schädel für dessen anatomische Sammlung besorgen lassen.[12]
Eines der bekannteren sensiblen Objekte ihrer Sammlung ist das handgeschnitzte Modell eines Kriegskanus (alia), das der samoanische Chief Mata’afa Iosefo nach dem Ende seiner Gefangenschaft im Exil auf Jaluit dem Landeshauptmann Brandeis und seiner Frau zum Geschenk machte. Mata’afa Iosefo hatte die Herrschaft des von der deutschen Kolonialverwaltung protegierten Königs Tamasese Titimaea militärisch herausgefordert, wofür er ins Exil auf die Marshallinseln verbannt wurde. Von 1893 bis 1898 lebte er mit einer Gruppe von Gefolgsleuten als politischer Gefangener der Kolonialverwaltung auf Jaluit. Als Eugen Brandeis im Jahr 1898 sein Amt antrat, war er für die Samoaner:innen verantwortlich. In persönlichen Briefen beschreiben Eugen und Antonie ihr Verhältnis zu Mata’afa Iosefo als freundschaftlich und respektvoll; das Boot erscheint in dieser Lesart als Ausdruck einer durch Gabe bekräftigten sozialen Austauschbeziehung. Gleichwohl fehlt, um dies zu bewerten, die Perspektive der betroffenen Samoaner:innen. Nach seiner Rückkehr wurde Mata’afa Iosefo samoanischer König – nun mit deutscher Unterstützung.[13]
Rückkehr nach Deutschland und Engagement als Kolonialaktivistin
Ende 1904 verließ Antonie die Kolonie vorzeitig mit ihren beiden dort geborenen Töchtern, Margarete (*1900) und Johanna (*1904), aufgrund einer schweren Erkrankung der letzteren. Sie verbrachte den Winter in Beirut bei ihrer Mutter und reiste dann im Frühjahr 1905 nach Hamburg zurück, wo sie bei der Familie ihres Vaters blieb. Als Eugen ein Jahr später ebenfalls zurückkehrte, ließen sich beide in Berlin nieder, erst in Charlottenburg, ab 1910 dann in Potsdam. Bereits nach wenigen Jahren ging die Ehe in die Brüche und wurde 1913 auch offiziell geschieden.
Über das private Leben von Antonie Brandeis ist wenig bekannt, sie selbst kommentierte ihre Ehe in vorhandenen Aufzeichnungen nicht. Es ist zumindest zu vermuten, dass unterschiedliche Lebensziele zwischen ihr und ihrem zweiundzwanzig Jahre älteren Ehemann eine Rolle spielten. Eugen hatte 1906, nach einer kontroversen öffentlichen Debatte um seine exzessive Anwendung der Prügelstrafe auf den Marshallinseln, seinen Ruhestand angetreten.[14] 1917 zog er nach Bad Säckingen, wo er ein zurückgezogenes Leben führte und im Dezember 1930 in einfachen Verhältnissen starb.
Für Antonie dagegen begann nach ihrer Rückkehr aus Jaluit eine Zeit enormer Aktivität. Allein im Jahr 1907 leistete sie eine Schenkung von Objekten von den Marshallinseln und Nauru an die königlich-preußische Kunstsammlung in Berlin, beteiligte sich mit ihrer Sammlung an der Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung in Berlin, veröffentlichte ihr sehr erfolgreiches „Kochbuch für die Tropen“ und schrieb regelmäßig für die Kolumne „Die Deutsche Hausfrau in den Kolonien“ in Kolonie und Heimat, der Zeitschrift des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG).
Der koloniale Frauenbund hatte sich im gleichen Jahr gegründet und sah seine Aufgabe darin, Frauen für den Kolonialismus zu mobilisieren. Neben kolonialer Propaganda und Benefizveranstaltungen lag ein Schwerpunkt schnell auf der Förderung der Auswanderung junger Frauen in die Siedlerkolonie Südwestafrika (Namibia). Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen „Mischehen-Debatte“[15] hatte dies eine dezidiert rassenpolitische Dimension, da es um die Verhinderung von Beziehungen zwischen deutschen Männern und afrikanischen Frauen ging. Antonie Brandeis trat 1908 offiziell dem Frauenbund bei, was den Beginn eines jahrzehntelangen Engagements für die koloniale Frauenbewegung markierte. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit dort betrafen die Etablierung des sog. „Heimathauses“ im namibischen Keetmanshoop, das als Anlaufstelle für auswandernde Frauen dienen sollte, wie die Gründung der kolonialen Frauenschule in Rendsburg (siehe unten).
In den folgenden Jahren beteiligte sie sich an mehreren Ausstellungen mit kolonialem Bezug, wie der Ausstellung „Frau im Haus und Beruf“ (Berlin, 1912) oder auch der Internationalen Hygiene-Ausstellung (Dresden, 1911). Bei letzterer kooperierte sie mit Professor Fülleborn vom Hamburger Tropeninstitut und präsentierte ein von ihr entwickeltes Modell einer Tropenküche. 1911 kam es zu einer Zusammenarbeit mit Paul Hambruch vom Hamburger Völkerkundemuseum für dessen Forschungsarbeit zu Nauru. Im gleichen Jahr übergab Antonie Brandeis ihre fotografische Sammlung an das Museum.
Ihr Bezug zu Hamburg wurde bald auch wieder biographisch konkret. 1921 zog sie zurück in ihre Geburtsstadt, zuerst nach Fuhlsbüttel, ab 1927 dann wieder nach Uhlenhorst in die damalige Goethestrasse. Ein Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Hamburg bildete auch weiterhin das Engagement für die koloniale Frauenbewegung. Sie war Vorstandsmitglied der Hamburger Abteilung des Frauenbunds der DKG, für den sie von 1925–1932 auch auf Bundesebene im Vorstand saß. 1926 war sie an der Gründung der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg beteiligt, in dessen Aufsichtsrat sie bis 1932 gemeinsam mit Agnes von Boemcken den Frauenbund repräsentierte. Nach dem offiziellen Verlust der Kolonien und im Sinne des Kolonialrevisionismus der Weimarer Republik sah die Schule ihre Aufgabe darin, junge Frauen mit den praktischen Fähigkeiten und Kenntnissen zu versehen, die nötig waren, um im nun südafrikanisch beherrschten Südwestafrika als Farmerinnen das ‚Deutschtum‘ zu bewahren.[16]
Darüber hinaus engagierte sich Antonie Brandeis im Frauenverein vom Roten Kreuz für Deutsche über See, war 1930 Mitbegründerin des Bundes der Auslandsdeutschen, dessen 1. Vorsitzende sie wurde und wird auch als Vorsitzende des Hamburger Frauenclubs (Lyceum) genannt. In diesen Ämtern und Funktionen hielt sie Vorträge zur kolonialen Sache, leitete Exkursionen für Hamburger Frauen zur Kolonialschule in Rendsburg oder beteiligte sich an der Organisation von Veranstaltungen wie dem „Kolonialfest“ im Hotel Atlantic im Januar 1929. Daneben hielt sie auch den Kontakt zur Hamburger Ethnologie. Zwischen 1932–1936 beteiligte sie sich als Expertin an der Publikation der Monographie „Ralik Ratak“ (1938) von Augustin Krämer und Hans Nevermann über die Marshallinseln, die in der Reihe „Ergebnisse der Hamburger Südsee-Expedition“ erschien.
Zeit des Nationalsozialismus
Das Jahr 1933 scheint eine Zäsur im öffentlichen Leben von Antonie Brandeis zu markieren. Ab diesem Jahr hatte sie keine Ämter mehr inne, weder in Rendsburg noch im Frauenbund. Beide Institutionen wurden mit Beginn der Naziherrschaft gleichgeschaltet und ideologisch auf Linie des NS-Rassenstaats gebracht. Ob es Zufall ist und Antonie sich mit 65 Jahren aus der Öffentlichkeit zurückzog – oder ob sie aufgrund ihrer arabischen Herkunft ausgegrenzt wurde, dazu schweigen sich die Archive aus. Sie selbst hat keine Kommentare über ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus hinterlassen. Anscheinend drohte ihr jedoch die Einstufung als „nichtarisch“ und somit der Verlust einer staatlichen Rente, wie aus Akten des MARKK hervorgeht.[17] Der Direktor des Völkerkundemuseums setzte sich aus diesem Grund dafür ein, dass sie für ihren bedeutenden Beitrag zum Museum eine Pension seitens der Stadt erhielt.
Während ihre Publikationen vom zeittypischen Kolonialrassismus und deutschnationalen Kolonialrevisionismus geprägt sind, lag ihr der Antisemitismus der Nazis aufgrund ihrer jüdischen Familienbande sicherlich fern. Ihre älteste Tochter Margarete hatte 1923 den süddeutschen Adligen Theodor von Brand geheiratet, der 1933 aufgrund seines jüdischen Familienhintergrunds seine Anstellung beim Hamburger Tropeninstitut verlor. Gemeinsam mit Margarete emigrierte er in die USA, wo er eine erfolgreiche Karriere als Parasitologe verfolgte. Akten im Hamburger Staatsarchiv dokumentieren die Schwierigkeiten, die Antonie seitens der NS-Behörden hatte, für ihren Schwiegersohn eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erwirken.[18] Antonies Bruder Rudolph war mit seiner jüdischen Ehefrau Maria Theresa Mathias schon früher in die Schweiz und später England ausgewandert; zahlreiche Mitglieder der Familie Mathias wurden in der Shoah ermordet. Rudolph setzte sich zudem für die jüdische Arabistin Hedwig Klein ein, der 1938 die Zulassung zur Promotion in Hamburg verweigert und die vermutlich 1942 in Auschwitz ermordet wurde.[19] In einem Brief an den Orientalisten Christiaan Snouck Hurgronje vom 10.12.1933 kommentierte Rudolph Said-Ruete, dass er von der Politik der Nazis, Menschen aufgrund ihrer Abstammung zu verfolgen, „horrified and disgusted“ sei.[20] Zu diesem Zeitpunkt waren Antonies Tochter Margarete und ihr Ehemann, Theodor, bereits von antisemitischen Repressionen betroffen. Nicht zuletzt stammte Eugen Brandeis aus einer Familie, die bedeutende jüdische Gelehrte und Rabbiner hervorgebracht hat.
Inwieweit diese Zusammenhänge Antonie Brandeis in ihrem Alltag beeinträchtigten, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden. 1942 zog sie nach Rethwischfeld bei Bad Oldesloe, vermutlich zu Verwandten des Ehemanns ihrer jüngeren Tochter, Johanna. Ob die Gründe dafür in ihrer zunehmend desolaten finanziellen Lage oder den beginnenden Luftangriffen auf norddeutsche Städte zu suchen sind, bleibt unklar. Sie starb am 24. April 1945 in Bad Oldesloe bei einem der letzten Luftangriffe der Royal Air Force.[21]
Ein ambivalentes Erbe
Antonie Brandeis hinterlässt ein ambivalentes Erbe. So wie im Fall ihrer Mutter fällt es auch bei ihr nicht leicht, sie nach den Kriterien und Kategorien unserer Gegenwart vorurteilsfrei zu betrachten. Antonie Brandeis war überzeugt von der Rechtmäßigkeit und zivilisatorischen Mission des Kolonialismus. Als Repräsentantin der kolonialen Frauenbewegung propagierte sie den Einsatz von Frauen für die koloniale Sache und somit auch für die rassistische Gesellschaftsordnung in den Kolonien. Viele ihrer Texte sind beeinflusst von einer kolonialrassistischen Ideologie, die in ihrer Konsequenz zu Ausbeutung, Massenmord bis hin zum Genozid geführt hat. Während diese Verbrechen bereits zeitgenössisch Gegenstand von Kritik und politischen Debatten waren, hat sich Antonie Brandeis nach dem Verlust der Kolonien 1918 sogar noch in besonderem Masse für den Kolonialismus engagiert. Dies macht sie zu einer exemplarischen Vertreterin des Kolonialrevisionismus der Zwischenkriegszeit. In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Antonie Brandeis hat dabei ihr kolonialer Aktivismus bislang die meiste Aufmerksamkeit erhalten.[22]
Die Auseinandersetzung mit ihrer Sammeltätigkeit findet dagegen noch weitgehend im sehr überschaubaren Kreis der ozeanistischen Museumsethnologie statt. Vor dem Hintergrund ihrer vielfältig verschränkten Rollen – als Sammlerin, Ethnographin, Publizistin und Kolonialaktivistin – erscheint es gewinnbringend, diese Perspektiven zusammenzudenken. Dies verspricht Einblicke in bislang wenig untersuchte Aspekte des deutschen Imperialismus, etwa zur Motivation von Frauen der Mittelklasse, sich für den Kolonialismus zu engagieren, über das vielseitige Vereinswesen der bürgerlichen Frauenbewegung, den Kriterien und Praktiken des Sammelns, sowie der Möglichkeiten und Grenzen von Frauen in der damaligen institutionalisierten Völkerkunde. Wie Salmond angemerkt hat, ist zudem ihr Status als privilegierte woman of colour im kolonialen Gefüge ein interessanter Ansatzpunkt, auch wenn Antonie Brandeis selbst sich nie explizit oder affirmativ auf ihre arabische Herkunft bezogen hat.[23]
Als Sammlerin und Ethnographin bewegte sich Antonie Brandeis in einer noch größtenteils männlich geprägten Welt, in der sie sich erkennbar um fachliche Professionalität bemüht hat. So hat sie ein sammlerisches Werk hinterlassen, das zeitgenössisch sehr viel Anerkennung erfuhr. Durch ihre ausführliche, sorgfältige und multimediale Dokumentation bieten ihre Sammlungen heute ein großes Potential, um sie als Ressourcen für vernetzte, kooperative Projekte mit Vertreter:innen der Herkunftsgesellschaften zu nutzen. Hierfür ist es notwendig, die Sammlung und ihre Sammlerin ernst zu nehmen; nicht nur, aber auch gerade in ihren problematischen Aspekten. Der vorliegende Beitrag ist ein erster, tastender Versuch, dies zu leisten und Antonie Brandeis in all ihrer ambivalenten Vielschichtigkeit einer weiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Text: Dr. Godwin Kornes